Rastlos bis ins hohe Alter#
Der Künstler Arik Brauer feiert seinen 90. Geburtstag.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 3. Jänner 2019
Von
Mathias Ziegler
Maler, Grafiker, Sänger, Balletttänzer - Arik Brauer, der diesen Freitag seinen 90. Geburtstag feiert, ist ein künstlerisches Multitalent, auch wenn er selbst betont: "Ich verstehe zu viel von Musik, um mich für einen guten Musiker zu halten." Zu seinen Verdiensten gehört jedenfalls neben der Mitbegründung der sogenannten Wiener Schule des Phantastischen Realismus auch jene des Austropop. Als "Austropopper" hat sich Brauer allerdings nie gesehen. Er wollte damals einfach kritische Lieder singen. "Diese Liedtexte sind teils zu unserem großen Leidwesen aktuell geblieben." Dass Stücke wie "Sie ham a Haus baut" oder "Hinter meiner, vorder meiner" richtige Volkslieder geworden sind, freut ihn aber im Rückblick schon.
Eine Antisemitin rettete das Ottakringer Judenkind#
Begonnen hat das Leben des Erich Brauer (Arik nannte ihn erst seine Frau Naomi) am 4. Jänner 1929 in Wien. In Ottakring wuchs er als Sohn einer russisch-jüdischen Handwerkerfamilie auf und erlebte den Holocaust in der eigenen Familie mit: Sein Vater wurde 1944 in einem KZ in Lettland umgebracht. Im März 2018 erzählte Brauer im Ö3-"Frühstück bei mir", wie er selbst überlebt hatte: "Ich musste Zwangsarbeit leisten und im Rinnsal gehen, habe den Judenstern getragen. Gerade meine Nachbarin, die bekennende Antisemitin war, versteckte mich am Klo, als die SS-Offiziere unsere Wohnung durchsuchten. Sie hat mir das Leben gerettet."
Sein Judenstern liegt bis heute im Wohnzimmer seiner Villa in Wien-Währing in einem Regal: "Er ist Teil meiner Lebensgeschichte." Mit seinen Töchtern Timna, Talja und Ruth konnte er nie über den Holocaust sprechen, "aber jetzt, mit meinen Enkeln, rede ich viel darüber; sie haben viele Fragen". Wenn er an die NS-Täter von damals denkt, "erfüllt mich tiefe Verachtung". Trotzdem dürfe man deren Nachkommen "nicht schuldig machen", mahnt Brauer. Es ärgert ihn auch, wenn er heute Stimmen hört, die sich angesichts der politischen Lage an die 1930er Jahre erinnert fühlen. "Jemand, der mit dem Wort Nazi herumfuchtelt, weiß nicht, wovon er spricht", sagte Brauer jüngst in einem Interview mit der Austria Presse Agentur. "Das kann man nicht vergleichen. Heute wird jemand ärmer, weil er kein Geld hat, um Benzin zu kaufen. Wir sind als Kinder barfuß in die Schule gegangen. Die Kinder hatten Hunger nach Brot, wie in Kalkutta heute."
Im Gedenkjahr 2018 schlug der Holocaust-Überlebende in Richtung FPÖ vergleichsweise versöhnliche Töne an. Das heißt aber nicht, dass er ihre Politik gut findet. Vor allem die negative Haltung der Blauen gegenüber der EU stört ihn. Auch ihre Asylpolitik hält er für falsch: "Die FPÖ versucht, durch Belästigen und Nadelstiche zu erreichen, dass die Menschen zurückfahren oder erst gar nicht kommen - das wird nicht sein." Kein Europäer könne sich die Situation vorstellen, aus der die Flüchtlinge kommen. "Sie flüchten vor sich selbst. Vor ihrer eigenen, steckengebliebenen Zivilisation." Er selbst, meint Brauer, würde wahrscheinlich genauso handeln wie die muslimischen Einwanderer. Dennoch warnt er, dass mit ihnen der Antisemitismus in Europa neuen Aufschwung bekomme. "Nicht, weil das böse Menschen sind, sondern weil sie ein Problem mit den Juden haben. Die meisten arabischen Länder haben keine Landkarte, wo Israel vorkommt."
Unstetes Leben zwischen Israel, Frankreich und Österreich#
Im Gelobten Land hat er selbst ab 1954 gut ein Jahr als Sänger und Tänzer gelebt. Davor hatte er in Wien die Akademie der bildenden Künste und die Musikschule der Stadt Wien besucht, ehe er ab 1951 mehrere Jahre lang mit dem Fahrrad Europa und Afrika durchstreifte. Das unstete Leben ging noch eine Weile weiter: Dem Aufenthalt in Israel folgte 1956 ein Intermezzo in Wien, wo er am Raimundtheater tanzte, ehe er 1957 in Israel die von dort stammende Jemenitin Naomi heiratete. Das frischvermählte Paar zog als Gesangsduo weiter nach Paris, wo die Töchter Timna und Talja zur Welt kamen.
Zeitgleich zu einer mehrjährigen Weltwanderausstellung der Wiener Phantastischen Realisten übersiedelte Brauer 1964 mit seiner jungen Familie zurück nach Wien, wo 1972 Ruth geboren wurde und er - sieht man von regelmäßigen Aufenthalten im israelischen Künstlerdorf Ein-Hod und einem Engagement an der Pariser Oper 1975 (Kostüme und Bühnenbild für "Die Zauberflöte") ab - auf Dauer sesshaft wurde.
Über seine Karriere als Maler und Sänger in den 1960ern hat Brauer in seiner Biografie geschrieben: "Der Erfolg meiner Protestlieder hatte zur Folge, dass ich viele Drohbriefe erhielt. Ich musste mir eine Waffe besorgen." 1986 schloss sich für ihn dann ein künstlerischer Kreis: Die Akademie, die er 35 Jahre zuvor absolviert hatte, berief ihn zum ordentlichen Hochschulprofessor.
An Brauers 90. Geburtstag widmen ihm seine Tochter Ruth, sein Schwiegersohn, der norwegischstämmige Schauspieler Kyrre Kvam, sowie die Musiker Carles Muñoz Camarero, Lukas Knöfler und Milos Todorovski einen eigenen Abend im Wiener Rabenhof-Theater (4. Jänner, 20 Uhr). Der Titel "Arik - Die wunderbar realistische Welt des phantastischen Herrn Brauer" verrät wenig über den Inhalt, und auch der Geehrte selbst weiß noch nicht, "welche Lieder und Texte meine Tochter ausgesucht hat". Er ist aber überzeugt, "dass es sehr originell wird, das Bühnenbild durchläuft eine Metamorphose, es ändert sich im Laufe des Abends".
Arik Brauers Pinselstriche im Wiener Stadtbild#
Wer besagtes Bühnenbild gestaltet hat? Natürlich das Geburtstagskind selbst. "Ich male einfach gern, ich kann nicht anders", sagt Brauer, der bereits mit sieben Jahren als Wunderkind bezeichnet wurde. Er verbringt immer noch viel Zeit in seinem Atelier (über Weihnachten machte ihm allerdings eine Erkrankung zu schaffen). Wobei er meist nicht ein Bild nach dem anderen malt, sondern an mehreren gleichzeitig arbeitet, wie er einmal der "Wiener Zeitung" verraten hat. "Ich lasse sie dann monatelang stehen. Dann arbeite ich weiter, und die Fantasie beginnt sich immer mehr zu entzünden. So entsteht dieses Wuchernde, das ich anstrebe. Zusammengefasst braucht ein Bild von drei Quadratmetern sicher zwei Monate. Aber ich habe in meinem Leben sowohl Miniaturen in der Größe von Fingernägeln gemalt als auch das, wie ich glaube, größte Bild der Welt." Letzteres besteht aus 500 Quadratmetern Fliesen an der Fassade eines Gebäudekomplexes in Israel. Deren glatte Oberfläche kam ihm wohl entgegen, denn auch sonst malt Brauer lieber auf Platten, weil ihm die Leinwand zu rau und körnig ist für die Details, die er teilweise mit der Lupe gestaltet.
Auch in Wien hat er sich im Stadtbild verewigt: 1994 wurde an der Gumpendorfer Straße 134-138 das Arik-Brauer-Haus fertiggestellt, das er im Stil des Phantastischen Realismus entworfen hat. Dessen Entstehung hat er ebenso wie sein weiteres Leben in seinem 2006 erschienenen Erinnerungsbuch "Die Farben meines Lebens" geschildert (und zwar in der dritten Person). Dass er 1995 auch die Kirche am Tabor gestaltet hat, kann man als eine Art Widerspruch betrachten, ist doch Brauer laut eigener Definition Agnostiker - was ihn aber nicht davon abgehalten hat, im Vorjahr ein Buch herauszubringen, in dem er das Alte Testament aus dem Hebräischen neu erzählt. Warum? Weil die Bibel "von großer sprachlicher Gewalt und eben auch von einem Phantastischen Realismus" ist, sagt der religionslose Künstler und beweist damit etwas, das selten geworden ist: einen offenen Blick.