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A Zigeina woit’ a sein#

Mitbegründer von Ö3, Poet-Popstar und Verzauberer: André Heller ist zum Markenzeichen geworden. Eine Sammlung seiner Popsongs ruft in Erinnerung, dass der Austro-Pop mehr als nur Ambros und Fendrich zu bieten hatte.#


Von der Wiener Zeitung (11. Oktober 2008) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

von

Bernhard Torsch


Andrè Heller
Andrè Heller
© Wiener Zeitung

Wer heute Ö3 aufdreht, der kann sich sicher sein, binnen zehn Minuten zwei Mal die aktuelle Nummer 1 der Hitparade und mindestens drei Songs von Christina Stürmer hören zu müssen. Und wenn man dann den breitenwirksamen, mit dem Reißbrett auf Massenkompatibilität hin berechneten Texten der Frau Stürmer lauscht, dann erinnert man sich plötzlich daran, dass dieser Radiosender 1967 von André Heller unter anderem aus dem Grund mitbegründet wurde, um der damals erste Knospen entwickelnden österreichischen Musikszene ein Verbreitungsmedium zu bieten. Und dann, ja dann wenn einem das bewusst wird, erinnert man sich auch an die lyrischen Qualitäten der frühen „Austropop“-Pioniere, als da waren Arik Brauer und eben André Heller selbst. Und wenn man die Texte, die Frau Stürmer trällert, mit jenen vergleicht, die von Heller & Co geschrieben wurden, dann dreht man Ö3 rasch ab und möchte wieder mehr von Heller hören. Eine gute Möglichkeit hierzu bietet die nun erschienene Vierfach-CD „Bestheller: 1967 – 2007“, auf der der Interessierte nachhören kann, dass es einmal eine Zeit gab, in der man Lieder schrieb, für die man sich nicht drei Monate später genieren musste, sondern die sogar im Jahr 2008 noch genauso hell glimmern wie zur Zeit ihrer Entstehung (was auch am tollen Remastering liegt – nie zuvor klangen Hellers intelligente und poetische Songs so gut wie auf dem neuen Sampler).

Typisch österreichisch#

André Heller wurde so oft verleumdet und falsch eingeschätzt wie kaum ein anderer österreichischer Künstler. Für die von Herkunft, Rasse und Religion besessenen Antisemiten war er stets nur der Sohn vom Süßwarenproduzenten Stephan Heller, einem bereits sehr früh zum Katholizismus konvertierten Juden, der mit seinen „Wiener Zuckerln“ einen Welt-Exportschlager kreiert hatte und zu beträchtlichem Wohlstand gekommen war. Bei genauerer Betrachtung ist Hellers Lebensgeschichte und seine familiäre Herkunft wie ein Brennpunkt, in dem sich alles Österreichische trifft und wo sich die volle Tragik der religiösen und politischen Irrwege des 20. Jahrhunderts entfaltet. Hellers Mutter Elisabeth war keine Jüdin, und auch sein Vater fühlte sich nicht als Jude, sondern als katholischer Österreicher, der anfangs sogar mit dem Austrofaschismus paktierte und Mussolini bewunderte. Die Nazis machten dann Andrés Vater wieder zum „rassischen“ Juden, zwangen den Fabriksherren, mit der Zahnbürste den Bürgersteig zu putzen, und vor der tödlichen Konsequenz dieses Wahns konnte Stephan Heller sich und seine Familie nur bewahren, indem er sich von seiner Frau, Andrés Mutter, scheiden ließ und sich fluchtartig ins Exil absetzte. Wenig später ging der Süßwarenkonzern in „arische“ Hände über.

Erst 1945 sollte Elisabeth Stephan wiedersehen, als er als Mitglied der amerikanischen Armee Wien befreite. 1946 kam Sohn André zur Welt und wurde schon wenige Jahre später vom Vater, der sein Unternehmen zurückbekommen hatte und trotz oder gerade wegen der Shoah ein strengerer Katholik als je zuvor geworden war, in jesuitische Internate gesteckt. Zwischen Elisabeth und Stephan Heller kriselte es. Als André gerade einmal zwölf Jahre alt war, starb sein Vater an einem Herzinfarkt, und sein älterer Bruder Fritz übernahm das Zuckerl-imperium. André Heller und seine Mutter sahen vom Geld der Süßwarenfabrik kaum etwas, konnten aber ein Leben in wenn schon nicht großbürgerlichen, so doch immerhin halbwegs abgesicherten Verhältnissen führen. Kurz: André Heller war nach orthodoxem jüdischen Verständnis kein Jude, wurde aber stets als solcher be- und angegriffen, erlebte eine streng kirchliche Erziehung, wuchs zwischen allen Stühlen auf musste sich seine Identität mühsam selber suchen. Hellers Schicksal war und ist gleichsam ein auf den Punkt gebrachtes „Österreichertum“, denn dieses Land ist voll von Menschen, die nicht zuordenbar sind, die zwischen den Fronten aufwuchsen, die Söhne und Töchter des alten K&K-Schmelztiegels sind, und deren Eltern weder automatisch einen israelischen Pass, noch von den Braunen einen „Ariernachweis“ bekamen.

André Heller fand für sich Auswege aus diesem Irrgarten, und das waren die Poesie, die Kunst und vor allem das in den 60er Jahren wieder gedeihende Biotop der Künstlerszene. Im Hawelka und anderen Künstlerlokalen ging Heller bis in die frühen Morgenstunden aus und ein, freundete sich rasch mit der Creme der damaligen Szene an und begann zu schreiben. Und weil die 60er die Zeit von Bob Dylan und anderen Singer-Songwritern waren, lag es für Heller nahe, seine Texte in Liedform zu präsentieren. Als ob Österreich (und später auch Deutschland) nur darauf gewartet hätte, André singen zu hören, verkauften sich seine kunstvoll gedichteten Songs unerwartet gut, und schon bald begehrte das Publikum, Lieder wie „A Zigeina mecht i sein“, „A-Be-Bu“ und „Die wahren Abenteuer sind im Kopf“ immer wieder live und vor allem auch im Radio und auf Schallplatte zu hören. Heller gelang es sogar, mit Liedern wie „Jankel“ das Bewusstsein für die Katastrophe des Holocausts breitenwirksam zu vermitteln. Nach vielen Hits und etlichen Goldenen Schallplatten fand Heller aber, dass es des Rockstardaseins genug sei, und er erfand sich neu – als „Verzauberer“, als Poet des Sinnlichen, dem von Feuerwerken über Kristallinstallationen und Land-Art bis hin zur künstlerischen Gesamtleitung der Fußball-WM 2006 alle Mittel recht waren, um seine Visionen Realität werden zu lassen und mit diesen Realität gewordenen Visionen die Menschen an die Möglichkeit zu erinnern, die Welt der Träume und Gedichte Wirklichkeit werden zu lassen. Privat hat André Heller in all den Jahren seit 1967 keine echten Skandale zu verantworten. Sicher, er wechselte oft die Lebenspartnerin, und er suchte sich zielsicher die schönsten und klügsten Frauen aus, denen er den Hof machte, aber wer könnte das einem Poeten verdenken, ist doch die Liebe, ist doch das Begehren einer der stärksten Motoren für den kreativen Prozess überhaupt! Und dass der Mann viel Geld mit der Umsetzung seiner Ideen verdient hat, können ihm nur die Dümmsten zum Vorwurf machen. Ein Arik Brauer war gewiss politisch und philosophisch treffsicherer als André Heller und hat künstlerisch insgesamt wohl einen größeren Beitrag geleistet, doch hatte Brauer nicht dieselbe Last an Ambivalenz zu tragen.

Und ja, einige Texte, Statements und Kunstaktionen Hellers waren hart an der Grenze zum Kitsch. Überschritten hat er diese Grenze aber sehr selten, und die wenigen Ausrutscher in diese Richtung werden längst vergessen sein, wenn man sich auch künftig an Textzeilen wie diese erinnern wird:

„Und wenn ein Mann einen Mann liebt / soll er ihn lieben, wenn er ihn liebt / denn ich will, dass es das alles gibt, was es gibt. / Und wenn eine Frau eine Frau liebt / soll sie sie lieben, wenn sie sie liebt / denn ich will, dass es das alles gibt, was es gibt.“

  • André Heller: Bestheller: 1967 – 2007 (Universal)

Wiener Zeitung, 11. Oktober 2008


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