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Die Farbe als Ausdrucksmittel#

Am 27. August würde der 2001 verstorbene Maler Max Weiler 100 Jahre alt – heute ist sein Werk allgemein anerkannt, aber in früheren Jahren war das ganz anders#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 21. August 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Martin Kolozs


Max Weiler
Weilers Fresken in der Innsbrucker Theresienkirche lösten 1946 große Empörung aus
© Wiener Zeitung / Yvonne Weiler

Wenn man in Innsbruck aufwächst oder einige Zeit dort verbringt, kommt man gar nicht umhin, das Wirken und Gestalten des Malers Max Weiler wahrzunehmen. Immerhin finden sich die meisten seiner sechsunddreißig ausgeführten Werke im öffentlichen Raum in der TirolerLandeshauptstadt und deren nähererUmgebung.

Ich begegnete dem Schaffen Max Weilers schon in meiner Kindheit, weil ich auf meinem Volksschulweg fast täglich an einem eher unscheinbaren Säulenmosaik auf halber Höhe der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße vorbeikam. Damals hatte ich noch keine Ahnung, was Kunst im Allgemeinen heißt, geschweige denn, was dieser Künstler im Speziellen für eine Bedeutung hatte. Aber ich erinnere mich daran, dass ich schon damals fasziniert war von den intensiven Farben des Mosaiks und dass ich mit derHand die abstehenden Steinkanten und glatten Erhebungen entlangstrich, von denen eine magische, ja beinahe archaische Anziehungskraft ausging, wie sie – meiner Meinung nach – überhaupt der ganzen Kunst Max Weilers innewohnt.

Als Max Weiler 1910 im Tiroler Ort Absam zur Welt kam, begann das Herz der Alpen gerade für die Moderne zu schlagen: Im selbenJahr gründete Ludwig von Ficker seine Kultur- und Kunstzeitschrift „Der Brenner“, die ein frühes Sprachrohr des aufkeimenden literarischen Expressionismus wurdeund Dichter wie den Salzburger Georg Trakl förderte. Nur wenige Jahre später formierte sich, ebenfalls in Innsbruck, die höchst rege Künstlergruppe „Die Waage“, welche sich ganz der „Neuen Sachlichkeit“ in der Malerei verschrieben hatte und der unter anderen die heimischen KünstlerErnst Nepo und Wilhelm Nikolaus Prachensky angehörten.

Max Weiler
Max Weiler
© Wiener Zeitung / Votava

Spuren der Heimat#

In dieser Aufbruchsstimmung, welche Tirol Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem pulsierenden Zentrum der Moderne machte, wuchs der junge Max Weiler auf. Aber man möchte annehmen, dass auch das erdige Leben in seiner bergigen Heimat, die Natur und das damals noch höchst lebendige Bauerntum, ihre Spuren in der Künstlerseele hinterlassenhaben; Spuren, die in seinen späteren Arbeiten in Bild und Farbe immer wieder zum Thema werden: „Denn wir sind in Wirklichkeit so alt wie die Welt selbst und kennen uns – die Luft, die Nacht, den Stein, die Pflanze und das Tier und so fort – so gut wie lang irgendwo tief unten... und haben noch Ahnungen“, schrieb Weiler 1975.

1930 begann Max Weiler dann mit seinem Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien, das er 1937 abschloss. Im gleichen Jahr gestaltete er auch ein Glasfenster der Österreich-Kapelle im päpstlichen Pavillon der Pariser Weltausstellung – es trägt den Titel „Bund im Blut des Sohnes“. Zwischen 1942 und 1945 diente Max Weiler als Gefreiter in der deutschen Wehrmacht und kehrte im Anschluss an den Krieg nachInnsbruck zurück. Dort erhielt er unmittelbar nach seiner Ankunft in der Tiroler Landeshauptstadt den Auftrag zur neuen Innengestaltung der Theresienkirche auf der Hungerburg – offiziell ergeht der Zuschlag an den mittlerweile 6-jährigen Künstler anlässlich der 150-Jahr-Feier zum Gedenkenan den Herz-Jesu-Bund (der angesichtsder drohenden napoleonischen Invasion von 1796 entstand), inoffiziell wird er mit dem Freskenbildnis beauftragt, weil Ernst Nepo, der erste künstlerische Gestalter der Kirche, durch seine Funktion als „Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste in Tirol“ während des Nationalsozialismus seinen Ruf derart beschädigt hatte, dass er mitder Fertigstellung seines angefangenen Werks nicht mehr beauftragt werden konnte. Die Arbeit in der Theresienkirche sollte Max Weiler nicht nur berühmt machen, sondern dem Staat Österreich auch seinen ersten großen Kunstskandal der Nachkriegszeit bescheren.

Weiler hat sein umstrittenes Werk in der Theresienkirche das „Tiroler Passionsspiel“ genanntund orientierte sich bei dessen Umsetzung am theologischen Programmdes Herz-Jesu-Bundesliedes, in dessen Zentrum die Erneuerung des Schwurs von 1796 steht: „Auf zum Schwur, Tiroler Land, / Heb zum Himmel Herz und Hand! / Was die Väter einst gelobt, / da der Kriegssturm sieumtobt: / Das geloben wir aufs Neue: / Jesu Herz, dir ew’ge Treue!“ Weiters thematisierte Weiler darin die Spannung zwischen der Harmonie in der Ordnung der katholischen Welt und ihres Jenseitsglaubens und den existenziellen Erfahrungen des Menschen im Diesseits; letzteres vor allem unter dem Eindruck der Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Vor diesem Hintergrund erscheint es beinahe zwingend logisch, dass der Künstler die mystischen Visionen und biblischen Szenen dem patriotischen Anlass gemäß in seine Tiroler Gegenwart versetzte, was aber bei den einzelnen Enthüllungen der Fresken zu immer lauter werdenden Protestrufen führte.

Als am 7. Juli 1946 die „Verehrung des Herzens Jesu“ an der Westwand der Kirche enthüllt wurde, ließen die ersten kritischen Stimmen nicht lange auf sich warten: das Fresko zeigt ein blaues Pferd (= naturfremd) und lässt die Planetengötter Venus, Mars und Neptun im Zentrum eines christlichen Motivs kreisen, was vor allem in der streng katholischen Bevölkerung großen Unmut erzeugte und schließlich dazu führte, dass die Arbeiten vorübergehend eingestellt werden mussten. Bevor Weiler nämlich weiterarbeiten durfte, musste erst festgestellt werden, ob seine Kunst tatsächlich von ausreichend hohem Anspruch und entsprechenderQualität war! Also führte der Kirchenbauverein eine Befragung unter den prominenten Tiroler Künstlern und anderenPersönlichkeiten des öffentlichen Lebens durch; nach deren Einschätzung sollten die Fresken aber vollendet werden.

Die große Entrüstung#

Als 1947 die Ostseite der Theresienkirche mit den Motiven „Johannesminne und Ölbergleiden“, „Herz-Jesu-Sonne“ und „Lanzenstich“ der Öffentlichkeit hergezeigt wurde, war die Entrüstung allerdings noch größer als ein Jahr zuvor: Vor allem den Gegenwartsbezug empfanden die Kritiker im höchsten Maße als diffamierend, besonders weil ein Bauernburschein zeitgenössischerTracht den tödlichen Lanzenstich in die Seite Christi führt, ein berittener Schütze die grausameSzene beobachtet und diese wiederum von einer am Geschehenvöllig desinteressierten GruppeTiroler Bürger umstanden wird –man sah sich als Christusmörderdargestellt!

Die Reaktionen darauf (mediale Berichterstattung, öffentliche Diskussionen und Proteste) waren vielfältig, gipfelten aber darin, dass Max Weiler wegen „Herabwürdigung des Bauernstandes“ angeklagt wurde. Im darauf folgendenProzess wurde er allerdings freigesprochen.

Von Seiten des Vatikans wurde zeitgleich eine Stellungnahme des damaligen Innsbrucker Bischofs DDr. Paulus Rusch zu den Fresken in der Theresienkirche auf der Hungerburg eingeholt, worauf die Weisung erging, die Arbeiten am Fresko sollten unverzüglich eingestellt werden, oder es drohe ein apostolisches Verdikt. Der Bischofund der Künstler einigten sich in einem Kompromiss dahingehend, dass die umstrittenen Wandgemälde mit Tüchern verdeckt würden, was am 14. Juni 1950 von Max Weiler und seinem Künstlerkollegen und engen Freund Paul Flora auch vorgenommen wurde.

Acht Jahre später wurden die Stoffbahnen aber aufgrund ihrer fortgeschrittenen Verschmutzung wieder abgenommen – mit Einwilligungder Innsbrucker Kirchenbehörde und ohne die Öffentlichkeit davon in Kenntnis und vielleicht abermals in Aufregung zu versetzten, sowie ohne einen weiterenKommentar aus Rom.

Anders als zu vermuten wäre, hatte Max Weiler aus dem Skandal einen persönlichen und lukrativen Nutzen ziehen können und wurde seitdem in der Hauptsache als namhafter Künstler des öffentlichen Raums wahrgenommen. Inschneller Folge kamen nun die großen Aufträge: Fresko in der Apsis der Friedenskirche in Linz (1951), Wandgemälde am InnsbruckerHauptbahnhof (1954/55), Eiserner Vorhang für das Tiroler Landestheater (1967) usw.

Zwischen 1964 und 1981 unterrichtete Max Weiler in Wien an der Akademie für bildende Künsteund repräsentierte Österreich auf der XXX. Biennale di Venezia(1960). Bis zu seinem Tod am 29. Jänner 2001 wird er mit zahlreichen Würdigungen und Preisen bedacht; darunter die wichtigsten Auszeichnungen: Großer Österreichischer Staatspreis (1961), Ehrenzeichen des Landes Tirol (1970), Österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (1979), Ehrenmitglied der Akademie die bildenden Künste Wien (1995), Großes Goldenes Ehrenzeichen mit dem Stern für die Verdienste um die Republik Österreich (2000).

Besucht man die derzeit laufenden Ausstellungen zu Max Weilers Leben und Werk in Innsbruck oder Klosterneuburg, so mag man vielleicht einer Moderne begegnen, die heute nicht mehr modern ist, und versteht eventuell nicht mehr die Aufregung, die damals um das eine oder andere Werk geherrscht hat. Heutzutage ist ja mehr oder minder alles erlaubt, was früher zu einem veritablen Skandal geführt hätte. Und doch sieht man hier auch das bleibende Lebenswerk eines großen österreichischen Malers, der von sich einmal behauptete: „Ich setzte meine Vorstellungen in Farben um, wie ich ja überhaupt alles, was ich sagen will, in Farbe sage."

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Martin Kolozs,

geboren 1978, lebt als freier Schriftsteller in Innsbruck.

Er hat mehrere Bücher und Theaterstücke veröffentlicht.

Nähere Infos unter www.martinkolozs.at

Wiener Zeitung, Samstag, 21. August 2010


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