Ein Leben für ein Theater der Courage#
„Ihr Spiel verleiht ihrer persönlichen Überzeugung Ausdruck, dass Theater nie sich selbst genügen darf.“#
Von der Wochenzeitschrift Die Furche (10. Februar 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Julia Danielczyk
Letztes Jahr wurde sie zur Hörspiel-Schauspielerin des Jahres 2009 gekürt; eine Ehrung, die die vielfach ausgezeichnete Künstlerin mit der tiefen, wandelbaren Stimme in höchstem Maße verdiente. Elisabeth Orth, Staats- und Kammerschauspielerin, Kainz-Medaillen- und Grillparzer- sowie Liselotte-Schreiner-Ringträgerin, ist eine außergewöhnliche und vielseitige Künstlerin, die immer wieder durch ihre Fähigkeit, echte Töne zu treffen, überzeugt. Doch nicht nur ihr Darstellungsstil, der ihren Rollen etwas besonders Wahrhaftiges, oft Kämpferisches gibt, auch ihr politisches Engagement zeugen von Orths unbestechlicher Wahrnehmung und persönlicher Positionierung.
Am 8. Februar feiert Elisabeth Orth ihren 75. Geburtstag, zwei Wochen danach wird sie in ihrer jüngsten Filmrolle als Frau Tod in George Taboris „Mein Kampf“ (Regie: Urs Odermatt) in den Kinos zu sehen sein.
Kongeniale Charakterstudien#
Orths Rollen sind nicht nur künstlerischästhetisches Statement, sie sind auch Ausdruck ihres sozialpolitischen Engagements. Ihre Beobachtungen und Gedanken sowie ihr Verhältnis zu Österreich und seiner Geschichte formulierte Orth u. a. in den Jahren 1979 bis 2000 in ihrer FURCHE-Kolumne „Nur so am Rande“. Von 1995 bis 1999 verfasste sie die Kolumne vor allem von Berlin aus, wo Orth an der Schaubühne unter Andrea Breth engagiert war, mit der sie im Jahr 2000 wieder zurück ans Wiener Burgtheater wechseln sollte. Hier gelangen ihr in der Ära von Klaus Bachler herausragende Produktionen, etwa als Elisabeth in Schillers „Maria Stuart“, Claudia Galotti in Lessings „Emilia Galotti“, Großinquisitor in Schillers „Don Carlos“, Big Mama in Williams’ „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ oder Circe in Ostermaiers „Nach den Klippen“. Zusammen mit Andrea Breth als Regisseurin – mit ihr verband Orth eine Künstler- und Lebensgemeinschaft – sind hier feine, kongeniale Charakterstudien entstanden.
Aus der prominenten Schauspielerdynastie Wessely-Hörbiger stammend, ist Orth immer ihren eigenen Weg gegangen, abseits der vorgegebenen Pfade und doch eng verbunden mit ihrer Familie. Sie hat den Vorteil des Namens nicht genutzt, sondern den ihrer Großmutter angenommen. In ihrem ersten Buch „Märchen ihres Lebens – Meine Eltern Attila Hörbiger und Paula Wessely“ (1975) setzt sich Orth mit der Geschichte des bekanntesten Schauspielerpaares der österreichischen Theatergeschichte auseinander, mutig und ganz ohne Bekenntnisdrang. In dem Essay „An meine Gegend“ (1995) schreibt sie über ihre Kindheit in Gößl am Grundlsee, ihre Aussee-Gespräche mit Klaus Maria Brandauer, aber auch offen über die beruflichen Erfolge der Eltern während des NS-Regimes.
Dieser Aspekt der Offenheit und Courage zieht sich durch Orths gesamtes Leben: Begonnen hat sie bei der Regisseurin Stella Kadmon, welche nach ihrer Remigration aus Palästina das politisch engagierte „Theater der Courage“ leitete, sie spielte an verschiedenen Kellertheatern und Tourneebühnen, bis sie 1966 ans Bayerische Staatsschauspiel wechselte, wo sie als Titelfigur in Goethes „Iphigenie auf Tauris“ reüssierte, wie später auch am Wiener Burgtheater, wo sie 1968 Ensemblemitglied wurde. Hier spielte sie die Francine in Max Frischs „Triptychon“ (Regie: Erwin Axer), die Gertrud in Shakespeares „Hamlet“ (den sie zusammen mit Regisseur Hans Hollmann übersetzte) und Margreth/Doktor in Büchners „Woyzeck“ (Regie: Achim Freyer). Vor allem aber war sie 1986 als Bertolt Brechts Mutter Courage in der Regie von Christoph Schroth zu sehen.
Couragiert tritt Orth gegen Antisemitismus und Rassismus auf, sie war eine der Sprecherinnen beim „Lichtermeer“ 1993, ist bis heute Präsidentin der „Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich“ und engagiert sich für eine verbesserte österreichische Sozialpolitik.
Ihr Einsatz gegen Diskriminierung ist ohne Mediengetöse, weder laut noch plakativ. Ihren Figuren verleiht Orth jene Vehemenz, die deren Anliegen hör- und sichtbar machen. Orth überzeichnet, ohne zu karikieren und geht damit die Gratwanderung einer besonderen Authentizität und Differenziertheit wie kaum eine andere Schauspielerin. Ihr unverwechselbares Spiel verleiht sowohl ihrem politischen Engagement als auch ihrer persönlichen Überzeugung Ausdruck, dass Theater nie sich selbst genügen darf, sondern stets auch einen gesellschaftlichen Auftrag hat.
Humanität und Toleranz#
Anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums zum Staatsvertrag gelang Orth als Margarethe in Martin Kušejs „König Ottokars Glück und Ende“-Inszenierung (2005) eine souveräne Darstellung dieser großzügigen Verliererin der Geschichte. Zugleich erzählt Orths Spiel auch von ihrem Einsatz für Humanität und Toleranz. Im letzten Jahr überzeugte sie als dämonische Mutter Cécile in Breths düsterer Interpretation von Bernard-Marie Koltès’ „Quai West“, ab 5. Februar ist sie nun in den Prosaminiaturen „Zwischenfälle“, Szenen der französischen Dramatiker Pierre Henri Cami, Georges Courteline und des russischen Avantgarde-Schriftstellers Daniil Charms u. a. neben Johanna Wokalek, Udo Samel und Hans-Michael Rehberg zu sehen.
Die besondere Verbundenheit mit dem Burgtheater und seine außergewöhnliche Wertschätzung zeigte das Ensemble schon zum 70. Geburtstag Orths, als ihr bei der letzten und 70. Vorstellung von „Maria Stuart“ auf der Bühne gratuliert wurde. Und auch am kommenden Montag, dem 7. Februar – also am Vorabend ihres 75. Geburtstages – ist Elisabeth Orth die Festvorstellung von „Zwischenfälle“ gewidmet.