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Unbequem über den Tod hinaus#

Bertolt Brecht war ein Meister der Einfachheit. Heute jährt sich sein Todestag zum 60. Mal.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 13. August 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Otto A. Böhmer


Bertolt Brecht
Blieb stets unbeirrbar auf seiner Linie: Bertolt Brecht (1898-1956).© dpaBlieb stets unbeirrbar auf seiner Linie: Bertolt Brecht (1898-1956).
Foto: © dpa

"Wahrheit besteht nicht in Beweisen, sie besteht im Zurückführen auf die letzte Einfachheit", befand der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry und sprach damit eine Erkenntnis aus, die auch sein deutscher Kollege Bertolt Brecht befolgte. Der war ein Meister der Einfachheit; wie kaum ein anderer verstand er sich darauf, komplizierte Zusammenhänge in einer schlagenden Einsicht zusammenzufassen.

Bertolt Brecht, der eigentlich Eugen Berthold Friedrich B. hieß, stammt aus bürgerlichem Milieu. Der Vater steigt vom kaufmännischen Angestellten zum Direktor einer Augsburger Papierfabrik auf. Wenn man in begüterten Verhältnissen aufwächst, wird man nicht automatisch zum Konservativen, im Gegenteil: Man findet Zeit und Muße, kritisch zu sein, sich der eigenen Privilegien auf privilegierte Weise ein wenig zu schämen.

Frühe Krankheit#

Im Rückblick hat Brecht seine Jugend so zusammengefasst: "Ich bin aufgewachsen als Sohn/ Wohlhabender Leute. Meine Eltern haben mir/ Einen Kragen umgebunden und mich erzogen/ In den Gewohnheiten des Bedientwerdens/ Und unterrichtet in der Kunst des Befehlens. Aber/ Als ich erwachsen war und um mich sah,/ Gefielen mir die Leute meiner Klasse nicht,/ Nicht das Befehlen und nicht das Bedientwerden./ Und ich verließ meine Klasse und gesellte mich/ Zu den geringen Leuten."

Brechts Jugend verläuft weitgehend sorgenfrei - aber doch nicht ganz: Er entdeckt eine Krankheit an sich, die ihm Sorgen macht. Schon in jungen Jahren wird bei ihm eine Herzneurose diagnostiziert, die sich in schmerzhaften Krämpfen und Panikattacken äußert. Bertolt Brecht, gerade 12 Jahre alt, bekommt Kuraufenthalte verordnet, die jedoch keine nennenswerte Besserung bringen. Als sich abzeichnet, dass er mit der Krankheit leben muss, macht er sie zu seiner inspirativen Vertrauten, zumal ihm auffällt, dass man als Kranker, der, wie er selbst meint, "ständig vom Tode bedroht ist", auf andere interessanter wirkt.

Fachleute, die sich mit Brechts Beschwerden im Nachhinein beschäftigt haben, fanden dafür, wen wundert’s, vor allem psychosomatische Ursachen, unter anderem eine möglicherweise etwas zu innige Beziehung zu seiner Mutter, die den Knaben tröstet und stärkt, auch als der kein Muttersöhnchen mehr sein will, sondern sich als junger Mann mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein präsentiert: "Ich bin schon etwas verdorben, wild und hart und herrschsüchtig", konstatiert er wohlig erschauernd. "Wenn ein Mann richtig lebt, lebt er wie im Sturm, den Kopf in den Wolken, mit wankenden Knien, im Finstern, stark und schwach, oftmals besiegt und nie unterworfen."

Wenn man zu wissen meint, wie ein Mann lebt, muss man sich auch den Frauen zuwenden, ist Brechts Überzeugung; er fängt damit früh an und hört erst auf, als es nicht mehr geht. Bei den Frauen kommt er gut an; seine Lässigkeit wirkt, und auch dass er die Welt erklären kann, ohne sie verstanden zu haben, erweist sich als vorteilhaft. Allerdings sind Frauen mit Vorsicht zu genießen, man sollte lieber nicht allzu viel Nähe aufkommen lassen und die Beziehungsfäden in der Hand behalten: "Wer selbst weggeht, kann nicht verlassen werden."

Nachdem Brecht die Schule absolviert hat, schreibt er sich an der Universität München ein und beginnt ein Medizinstudium. Das letzte Kriegsjahr, als man nur noch "die Siebzehnjährigen und die Greise einziehen" konnte, macht er als Sanitäter mit. 1918 schreibt er sein erstes Stück, "Baal", ein Jahr später "Trommeln in der Nacht", für das er den Kleist-Preis erhält.

Im Frühjahr 1920 stirbt Brechts Mutter an Krebs. Die Unwiderruflichkeit ihres Todes macht ihm zu schaffen, er hätte ihr noch viel zu sagen gehabt:

". . . Aber das Wichtige haben wir nicht gesagt, sondern gespart am Notwendigen." Das Gespräch, das er mit der Mutter führte, kann er mit dem Vater nicht fortsetzen, denn der betrachtet die literarischen Umtriebe seines Sohnes eher argwöhnisch: "Er möchte wissen, was ich schon für die Allgemeinheit getan hätte, noch rein gar nichts . . . Er wolle jetzt einmal eine ernste Arbeit bei mir sehen. Das, was ich mit meiner Literatur getan hätte, halte er persönlich für rein gar nichts."

Die "kleinen Brechts"#

Brecht ist desillusioniert, aber nicht lange; er kennt seinen Wert, weiß, dass er einiges zu erwarten hat. 1924 zieht er nach Berlin, wo er sich, nach anfänglichem Fremdeln, bestens einlebt; in seinem Selbstporträt "Vom armen B. B." heißt es: "(. . .) In der Asphaltstadt bin ich daheim. Von allem Anfang/ Versehen mit jedem Sterbsakrament:/ Mit Zeitungen. Und Tabak. Und Branntwein./ (. . .) In meine leeren Schaukelstühle vormittags/ Setze ich mir mitunter ein paar Frauen/ Und ich betrachte sie sorglos und sage ihnen:/ In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen."

Brecht setzte sich die Frauen bekanntlich nicht nur in Schaukelstühle: Mit 26 hat er bereits drei Kinder von drei verschiedenen Frauen; "lasst sie wachsen, die kleinen Brechts", ist seine Devise.

1926 erfährt er eine entscheidende Umdeutung seines Weltbildes: Er liest Marx, der ihm die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft, an denen er sich zuvor noch als Individualist gerieben hat, objektivistisch erklärt. Der Kapitalismus, lernt er von Marx, ist zum Absterben verurteilt, er weiß es nur noch nicht so recht.

Ausschnitt aus dem Stück 'Die heilige Johanna der Schlachthöfe'
In seinem Stück "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" rechnet Brecht mit religiösen Organisationen ab, die nur den Reichen und Mächtigen zugute kommen.
Foto: © APAweb / Hans Klaus Techt

Damit das Absterben etwas schneller geht, müssen auch die Schriftsteller mit anpacken; sie haben sich vom mal angestrengten, mal lustvollen Betrachten ihrer kleinen Selbstbefindlichkeit zu verabschieden: "Die Schriftsteller! Sie rächen sich am Leben durch ein Buch. Das Leben rächt sich dadurch, dass es anders ist." Damit meint Brecht weniger sich selbst, sondern Dichterkollegen wie Rilke, Werfel und George, "diese stillen, feinen, verträumten Menschen, empfindsamer Teil einer verbrauchten Bourgeoisie, mit der ich nichts zu tun haben will."

Besonders unsympathisch findet er Thomas Mann, den er für einen "Hersteller künstlicher, eitler und unnützer Bücher" hält. Thomas Mann indes ist ein gefeierter Autor, was Brecht anhaltend ärgert und schließlich zu dem Stoßseufzer veranlasst, dass er sich sogar vorstellen könne, "Geldopfer" zu bringen, "um das Herauskommen gewisser Bücher zu unterbinden".

1928 hat auch Brecht Erfolg: Seine "Dreigroschenoper", die den Kapitalismus als Spielwiese für Gangster und Geldleute vorführt, ist ein Lehrstück mit beträchtlichem Unterhaltungswert und kommt beim Publikum besser an als bei der Kritik. Die Moral des Stücks ist, dass es, eigentlich, keine Moral mehr gibt; die Geschäfte gehen vor. Zum Erfolg des Stücks trägt die Musik des Komponisten Kurt Weill bei, mit dem Brecht noch öfter zusammenarbeitet.

Kollektive Arbeitsweise#

Plagiatsvorwürfe, die sein Lieblingsfeind, der Theaterkritiker Alfred Kerr, nicht ganz unberechtigt, erhebt, können ihn nicht erschüttern, er erklärt, dass er nun mal eine "grundsätzliche Laxheit in Fragen geistigen Eigentums" habe, damit müsse man sich abfinden. Überhaupt sei "der romantische Gedanke individueller Schöpfung heute ein Irrtum". Die sensiblen Dichter sind Auslaufmodelle: Literatur "muss . . . etwas sein, was man . . . auf den Gebrauchswert untersucht".

Das gilt auch fürs Theater, das Brecht zu einer Art kommunikativen Anstalt erklärt: Gewohnte Sichtweisen sollen aufgebrochen, das Publikum mit einbezogen werden; Wirklichkeit, künstlich verfremdet ("V-Effekt"), wird zum Spielraum für die Erprobung des Neuen.

Brechts Arbeitsweise ist kollektiv geprägt, er bedient sich der Zuträger, die für ihn arbeiten, hat aber das letzte Wort. Sein Schriftstellerkollege Arnolt Bronnen berichtet: Er "spazierte, behaglich an seiner Zigarre schmauchend, durchs Zimmer, hörte sich dabei Argumente und Gegenargumente von Dutzenden von Leuten an, witzelte, zwinkerte und blieb doch unbeirrbar auf seiner Linie. Er ritt seinen Gedanken weiter, bis er ihn, großartig formuliert, gleich vor einem Miniaturpublikum einem seiner stets anwesenden dienstbaren Geister diktierte. Sein Hirn schien mir ein tinten-fischähnliches Saugorgan, sich ständig mit Polypenarmen Mate-rial zuwachelnd."

Die Machtübernahme der Nazis bedeutet für Brecht keine Überraschung, er hatte sie befürchtet und kommen gesehen. Er emigriert: Über Prag, Wien und Paris gelangt er nach Dänemark, wo er mit seiner Familie bei Svendborg auf Fünen einen kleinen Bauernhof bewohnt. Von 1933 bis 1938 schreibt er wichtige Stücke ("Das Leben des Galilei", "Mutter Courage", "Der gute Mensch von Sezuan"), Essays und seine "Svendborger Gedichte".

Wohnort Ost-Berlin#

Über Schweden und Finnland reist Brecht nach Moskau; der Kommunismus dort hat ein menschenverachtendes Gesicht. Unter dem Eindruck der Stalinschen Schauprozesse notiert er: "literatur und kunst scheinen beschissen, die politische theorie auf den hund, es gibt so etwas wie einen beamtenmäßig propagierten dünnen blutlosen proletarischen humanismus". Im Sommer 1941 lässt er sich in der Filmmetropole Hollywood nieder. Er versucht sich als Drehbuchautor, aber es geht ihm nicht besser als dem Kollegen Heinrich Mann: seine Vorschläge werden fast alle verworfen. Trotz finanzieller Einschränkungen führt er ein Leben, das auf bewährte Konstanten setzt, wie der Filmregisseur Joseph Losey schreibt: "Er aß wenig, trank wenig und fickte viel".

1948 kehrt Brecht auf dem Umweg über Zürich nach Deutschland zurück. Er entscheidet sich für die DDR, wohnt in Ost-Berlin. Dort hat er seine eigene Bühne, das großzügig subventionierte Theater am Schiffbauerdamm. Brecht ist nun das, was er schon immer sein wollte: eine Berühmtheit mit Ecken und Kanten.

Als es 1956 ans Sterben geht, zeigt sich Brecht ausgesprochen gelassen; der Tod kann ihm nichts anhaben, denn er nimmt eine Person zu sich, die davon nichts mehr mitbekommt: "Als ich im weißen Zimmer der Charité/ Aufwachte gegen Morgen zu/ Und die Amsel hörte, wusste ich/ Es ist besser. Schon seit geraumer Zeit/ Hatte ich keine Todesfurcht mehr: Da ja nichts/ Mir fehlen kann, vorausgesetzt/ Ich selber fehle. Jetzt/ Gelang es mir, mich zu freuen . . ."

Und auch für die Hinterbliebenen hatte Brecht noch ein gutes Schlusswort parat: "Schreiben Sie, dass ich unbequem war und es auch nach meinem Tod zu bleiben gedenke. Es gibt auch dann noch gewisse Möglichkeiten".

Otto A. Böhmer, geboren 1949, lebt als Schriftsteller in der Nähe von Frankfurt am Main.'

Wiener Zeitung, Samstag, 13. August 2016