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Geist, Charme und Eleganz#

Hilde Spiel genoss als Erzählerin, Feuilletonistin und Übersetzerin internationales Ansehen. Am 19. Oktober jährt sich der Geburtstag der Wienerin und Exil-Britin zum 100. Mal.#


Von der Wiener Zeitung (Freitag, 14. Oktober 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Christina Walker


Sie war Erzählerin und Essayistin, sie war die Grande Dame der Theaterkritik und des Feuilletons. Sie forschte, übersetzte, debattierte auf Podien, im Rundfunk und im Fernsehen. Sie war Humanistin, intellektuell und weltoffen, in London zu Hause, in Berlin und ist doch Wienerin geblieben. Auch wenn sie sich nicht leicht tat mit ihrer Vaterstadt. An ihrem Tisch saßen so divergente Charaktere wie Elias Canetti, Heimito von Doderer oder Hans Habe. Keinen hat Hilde Spiel mit ihrer Meinung verschont, aber nur selten einen vergrämt.

"Ich erinnere mich, wie man in Österreich, um sich nicht unbeliebt zu machen, den Anschein der Oberflächlichkeit erwecken musste, wie man um alles in der Welt vermied, nach außen hin allzu subtil zu sein", notierte Hilde Spiel im Jänner 1946. Sie war soeben als "War Correspondent" der Londoner Wochenzeitschrift "New Statesman and Nation" in die Stadt ihrer Kindheit und Jugend zurückgekehrt. Ihre Aufzeichnungen aus jenen Wochen ("Rückkehr nach Wien", 1968) sind ein Dokument dessen, was in Wien so wenig gefragt war: analytisches Talent und die Gabe zu durchdringender Einsicht.

Fern jeder Sentimentalität, aber nicht ohne Mitgefühl beschrieb Hilde Spiel die Befindlichkeit der hart getroffenen Stadt und ihrer Bewohner. Die Reise führte auch in die eigene Vergangenheit. "Aber was ist übrig?", fragte die Autorin. Etwa von der "Weltoffenheit und Urbanität, die wir in den späten zwanziger Jahren in uns spürten", vom kosmopolitischen Geist dieser Zeit und dem "Bewusstsein einer concordia discors"?

Im Weichbild Wiens#

In diesem Geist, in dieser Atmosphäre der Übereinstimmung des Mannigfaltigen im "Weichbild Wiens" wuchs Hilde Spiel auf; hier entstanden ihre ersten Erzählungen und Romane. Spiels Eltern, beide aus wohlhabenden jüdischen Familien, konvertierten noch vor der Geburt ihrer Tochter zum Katholizismus. Nicht allein darum reagierte Hilde Spiel später irritiert, wenn sie als "jüdische Schriftstellerin" reklamiert wurde. Sie hätte es vorgezogen, einfach als österreichische Autorin bezeichnet zu werden. Religiosität spielt in ihrem Werk keine Rolle, vielmehr eine liberale, tolerante, sozial engagierte Bildung. Eine solche erfuhr sie als Schülerin im legendären Lyzeum der Frauenrechtsaktivistin und Sozialreformerin Eugenie Schwarzwald.

Gleich um die Ecke dieser Schule, in der Herrengasse im 1. Wiener Gemeindebezirk, lag das Café Herrenhof, in den 1920er und 30er Jahren Treffpunkt der Literaten, Künstler, Journalisten und der "frühreifen" Mädchen. "Im Kaffeehaus erblüht und mit Mokka begossen. . ., alles erklügelt, nichts impulsiv", beschimpft Journalist Lukas Steiner das weibliche Jungvolk, das niemand anderer als er selbst in die rauchgefüllten Hallen führt. Kati, selbst noch Schülerin und Hilde Spiels erste Romanheldin, ist nur eine von ihnen. "Kati auf der Brücke" (1933) fängt im impressionistischen Überschwang von Gefühl, fiebriger Lebenslust und Todessehnsucht die Widersprüchlichkeit dieser Epoche ein. Geschildert in leichtfüßiger Prosa, schwebt Kati zwischen verstummtem Elternhaus, Café und Künstlerateliers, zwischen erster Liebe und Enttäuschung, zwischen Kindsein und Erwachsenwerden. 1934 erhielt die gerade 23-jährige Hilde Spiel für ihren Erstling den begehrten Julius-Reich-Preis .

Im selben Jahr erschütterten der Bürgerkrieg und das Verbot der Sozialdemokratischen Partei Österreich. Hilde Spiel, selbst seit 1933 Parteimitglied, blieb unbehelligt. Trotz erster Gedanken, das Land zu verlassen, wollte sie ihr Studium bei Moritz Schlick abschließen, den sie verehrte wie alle, so Spiel, "deren metaphysische Spinnweben er wegblasen half, um sie dann in geduldiger logischer Analyse den Weg fruchtbaren Philosophierens zu lehren".

Vor den politischen Tumulten und eigenen Liebeswirren zog sich Hilde Spiel nach Italien und ins geliebte Salzkammergut zurück, den Hauptschauplatz ihres zweiten Romans ("Verwirrung am Wolfgangsee", 1935).

Der Mord an Moritz Schlick im Juni 1936 bewog die Autorin und ihren Verlobten, den aus Nazi-Deutschland geflohenen Schriftsteller Peter de Mendelssohn, endgültig zur Emigration. Noch im Herbst übersiedelten die beiden nach London, lebten zwischen "adeligen Prätentionen und einer vie de bohème" und tauschten zur Hochzeit Vorhangringe aus Messing. "Wie lernt man schreiben?", fragte sich Hilde Spiel und eroberte in zähem Ringen die fremde Sprache.

Krieg und Bombenhagel rückten auch der Londoner Vorstadt näher. Tochter Christine wurde geboren, die später einige der wichtigsten Bücher ihrer Mutter ins Englische übertrug, und Sohn Felix. Ein drittes Kind starb bei der Geburt. Seit 1941 war Hilde Spiel britische Staatsbürgerin. Kurzgeschichten erschienen in britischen Zeitschriften, ein erster Roman auf Englisch.

Die Familie schlug Wurzeln auf der Insel, die Autorin in der neuen Sprache. Doch die Wochen als Kriegskorrespondentin in Wien brachten einiges ins Wanken. "Ich werde immer wieder und wieder erproben müssen, wo ich wahrhaft zu Hause bin", resümierte Spiel im Frühjahr 1946.

Berliner Kulturleben#

Peter de Mendelssohn wurde im gleichen Jahr von der alliierten Kontrollkommission nach Berlin geholt, um dort die Presse mit aufzubauen. Seine Frau arbeitete in der neuen Tageszeitung "Die Welt" als Kritikerin - und erschrakein wenig über ihre Macht. "Ernste Männer nehmen sich zu Herzen, was ich über Shakespeare sage!", schrieb sie an die Mutter in London. Inmitten von Zerstörung und Elend blühten die Theater, die Literatur. Hilde Spiel war bald eine der zentralen Figuren des Kulturlebens im viergeteilten Berlin, bewundert und gefürchtet, obwohl der Verriss nicht ihre Sache war. Ihre Besprechungen wurden auch in "The New Statesman and Nation", "La France Libre" oder dem Berliner "Tagesspiegel" gedruckt.

Im Sommer 1948 ging es zurück nach London, Hilde Spiel schrieb aber weiterhin für Medien auf dem Kontinent. Ihre Kulturberichte in der "Weltwoche" oder in der "Süddeutschen Zeitung" wurden immer prominenter platziert. Einige ihrer viel beachteten journalistischen und essayistischen Arbeiten sind in den Bänden "Welt im Widerschein" (1960) und "In meinem Garten schlendernd" (1981) zusammengefasst. Von "beneidenswerter Klarheit und Präzision" sei ihr Stil, elegant, natürlich, "voll Temperament, Verve und Charme": Seit den frühen 1960er Jahren gehört Marcel Reich-Ranicki zu den größten Bewunderern Hilde Spiels. Er ist nicht der Einzige, der sie in einem Atemzug mit Alfred Polgar oder Egon Friedell nennt. Reich-Ranicki hielt die fast euphorische Lobrede, als die Autorin den Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik verliehen bekam.

Spiels erzählender Literatur, die nach der Emigration entstand, ist im Vergleich zu ihren Essays und Reportagen weniger Erfolg beschieden. "Bei welcher Prosa sind wir da eigentlich gelandet?", fragte Reich-Ranicki höflich in der Besprechung des Romans "Lisas Zimmer" (1965, "The Darkened Room", 1961). Seine Zweifel enthielt er den Lesern allerdings nicht vor. Der Roman handelt vom Exil in den USA, von Entwurzelung und dem vorsichtigen Versuch, erneut eine Heimat zu finden.

Mitte der 1950er Jahre unternahm auch Hilde Spiel einen solchen Versuch. Mit ihrem Mann erwarb sie ein Ferienhaus am Wolfgangsee und "vermischte" dort ihre "drei Vaterländer": auf der Terrasse florentinische Steinlöwen, in der getäfelten Bauernstube der Duft von Zirbenholz, und die Sofas bezogen mit englischem Leinen und Chintz. Der elitär-verschrobene Nachbar Alexander Lernet-Holenia war oft zu Besuch, auch der vielversprechende "Jungschriftsteller" Thomas Bernhard und sogar der zum "Kalten Krieger" und Feind gewordene Gefährte aus Jugendtagen, Friedrich Torberg. Überhaupt schien das Salzkammergut sommers der Nabel der literarischen Welt zu sein: Leo Perutz, Thomas Mann, Hermann Kesten, Ingeborg Bachmann weilten am Wolfgangsee.

Neben ihrem "Tagesgestammel", so das Understatement der Autorin selbst, entstand in den Folgejahren ihr Hauptwerk, "Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation" (1962), - eine Mischung aus erzählter Historie und penibel recherchierter Biografie, ein großes Zeitbild aus dem Wien um 1800.

Schwierige Heimkehr#

1963 kehrte Hilde Spiel in ihre Vaterstadt zurück. In "ein geselliges Leben von solcher Dichte und Permanenz, mit Hausbesuchen und Stammtischen, Heurigenpartien, gemeinsamen Ausflügen", aber es wäre nicht Wien, ohne "Klatsch, Malice, Intrige, Ranküne, ein immerwährendes Menuett von Zerwürfnis und Wiederversöhnung." Letzteres traf wohl auch auf die Beziehung mit ihrem zweiten Mann zu, dem Schriftsteller Hans Flesch-Brunningen.

Für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" besorgte Spiel bis in die 1980er Jahre die Kulturberichterstattung aus Wien und kurz aus London. Zudem schrieb sie für den "Guardian", die Zürcher "Weltwoche" oder für "Theater heute". Als "eine treue und zuverlässige Sachwalterin der Dichtung, der Poeten und der Künstler" (Reich-Ranicki) bewies sich Spiel auch auf anderem Gebiet. Sie übersetzte Graham Greene, Tom Stoppard und James Saunders ins Deutsche. Hilde Spiel war mehrere Jahre auch Generalsekretärin des österreichischen P.E.N.-Clubs und, Anfang der 1970er Jahre, Mitbegründerin und Präsidentin der IG-Autoren.

Ihre letzten Lebensjahre widmete die Autorin ihren Memoiren, "Die hellen und die finsteren Zeiten", und der scheinbar offenen Frage "Welche Welt ist meine Welt?" Jene ohne Staatsgrenzen, ist man versucht zu antworten, jene der Kultur und Neugierde jenseits von U- oder E-Schubladen, jene eines so unprätentiösen wie profunden Geists der Kritik. "So wie du schreibt heute keiner mehr", meinte Thomas Bernhard einmal zweideutig und bekam zur Antwort: "Ja, ich weiß, ich bin ein Fossil." Hilde Spiel starb am 30. November 1990 in Wien.

Christina Walker, geboren 1971 in Bregenz, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft in Wien, lebt und arbeitet als freie Autorin und Lektorin in Bochum.

  • Ingrid Schramm und Michael Hansel (Hrsg.): Hilde Spiel und der literarische Salon. Studienverlag, Innsbruck 2011.

Wiener Zeitung, 14. Oktober 2011