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Lesen oder meiden #

Viele Leser bezogen Georg Trakls Gedichte auf ihre eigene (Krisen-)Situation. Wissenschafter erkunden seine Handschriften. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 30. Oktober 2014)

Von

Eberhard Sauermann


Georg Trakl
Georg Trakl. Der Dichter, geboren am 3. Februar 1887 in Salzburg, nahm sich am 3. November 1914 in Krakau das Leben.
Foto: © Georg-Trakl-Forschungs-und-Gedenkstätte, Salzburg

Im Zweiten Weltkrieg haben manche Menschen ihre Situation auf Trakl bezogen, wie aus dem Briefwechsel des Brenner-Herausgebers Ludwig von Ficker hervorgeht. Der christlich-konservative Schriftsteller Emil Barth, gerade als Soldat eingezogen, war erstaunt da rüber, dass schon seine Generation wieder die „ungebornen Enkel“ aus Trakls Gedicht „Grodek“ „dieselben Schlachtfelder“ betreten sieht. Kurz bevor er an der Ostfront fiel, glaubte Arnold Hurtz (Frater Anselm O.S.B.) den Dichter von „Menschheit“ und „Grodek“ nun viel tiefer zu verstehen, diese „Gesänge des jüngsten Gerichtes abendländischer Jugend“. Auf einem Sterbebildchen zur Erinnerung an Boëmund von Warsberg-Dorth, der in Holland gefallen war, wird eine Lieblingsstelle des Verstorbenen zitiert, die Schlussstrophe des Gedichts Herbstseele: „Rechten Lebens Brot und Wein, / Gott in deine milden Hände / Legt der Mensch das dunkle Ende, / Alle Schuld und rote Pein“.

Trakls Lyrik als Narkotikum für Gläubige? Eher als Halt für Menschen, die sich in Extremsituationen befinden. Für Joseph E. Drexel, der wegen seiner Mitarbeit an der anti-nationalsozialistischen Zeitschrift Widerstand ins Zuchthaus und KZ kam, war Trakl damals „eine grosse Hilfe und stille Hoffnung“. Heinrich W. Horn (Pseudonym Wolfgang Cordan) schrieb im Oktober 1938 in Amsterdam, wo er sich bald darauf am Kampf gegen die deutschen Besatzer beteiligen sollte, einem Freund als Widmung in ein Exemplar von Trakls Dichtungen: „dies Zeugnis des wahren, innerlichen Deutschlands, dessen Geist nicht aus der gellenden Trompete Hitlers, wohl aber aus der sanften Flöte Trakls ertönt“.

Einfluss auf Lyrik #

Das gilt aber auch für Menschen am anderen Ende der weltanschaulichen Skala: Franz Fühmann, der sich schon als Jugendlicher für den Nationalsozialismus begeistert hatte, schreibt in seinem Trakl-Essay „Vor Feuerschlünden“: Als er kurz vor der Kapitulation der Wehrmacht Trakls Gedicht „Untergang“ gelesen habe, habe er gewusst, es war „unser Untergang“. Hätte man ihn im Sommer 1945 gefragt, welches das entscheidende Ereignis seiner letzten Jahre gewesen sei, hätte er geantwortet: „die Bekanntschaft mit Georg Trakls Gedicht“. Nach seiner marxistisch-leninistischen Umerziehung in einem sowjetischen Lager war Fühmann in einer DDR-Systempartei kulturpolitisch tätig, doch empfand er noch immer Freude an Trakls Versen – obwohl genügend Indizien sie als „antirealistisch“ und ihren Verfasser als „kleinbürgerlich-religiös“ ausgewiesen hätten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Trakls Lyrik eine Renaissance; die Krisenstimmung in seinem Werk erschien der jungen Generation als Verwandtschaft über die Jahrzehnte hinweg. Konstatiert oder durch Selbstaussagen bestätigt wurde der Einfluss Trakls auf die Lyrik prominenter Autoren und Autorinnen. Es gab aber auch welche, die beklagten, dass sein Einfluss auf ihre eigene Arbeit vernichtend gewesen sei (Thomas Bernhard, 1957) oder ihre eigenen Schreibwünsche viele Jahre lang blockiert habe (Kurt Marti, 1991). Wie kann man Trakl heute lesen?

Handschrift. Mehrfach überarbeitet Trakl seine Gedichte. Im Bild: G 103, © Sammlung Maria Geipel-Trakl, Salzburg-Museum.
Handschrift. Mehrfach überarbeitet Trakl seine Gedichte. Im Bild: G 103
© Sammlung Maria Geipel-Trakl, Salzburg-Museum.
Die in einem Blätterbündel niedergeschriebenen 32 Verse in zwei Strophen des Gedichts „Das Gewitter“ galten in Trakls Augen eine Zeitlang als fertiger Text. Im Bild: G 104, © Sammlung Maria Geipel-Trakl, Salzburg-Museum.
Die in einem Blätterbündel niedergeschriebenen 32 Verse in zwei Strophen des Gedichts „Das Gewitter“ galten in Trakls Augen eine Zeitlang als fertiger Text. Im Bild: G 104
© Sammlung Maria Geipel-Trakl, Salzburg-Museum.

In Internet-Blogs äußern sich junge Menschen konträr zu seiner Lyrik. Einer meint, Trakls Gedichte seien Balsam für die geschundene Seele; er könne sich nichts Schöneres vorstellen als mit diesen Gedichten in den Schlaf hinüberzugleiten. Ein anderer meint hingegen, Trakl habe einige der abgründigsten und melancholischsten Gedichte geschrieben, die je ein Dichter verfasst habe; er könne Trakls Gedichte nur lesen, solange die Sonne scheint. Zweifellos kann man weiterhin Trakls Lyrik einfach auf sich wirken lassen, sich von ihrer Magie in den Bann ziehen lassen. Oder nachempfinden, wie im Traumhaften, Wahnhaften seiner Gedichte Schönes und Hässliches, Trost und Grauen in einer eigenartigen Balance bleiben.

Was Überarbeitungen bewirken #

Man kann sich aber auch auf eine Entdeckungsreise in die Schaffenswelt Trakls begeben, zu der die Innsbrucker Trakl-Ausgabe im Verlag Stroemfeld/Roter Stern (Frankfurt/Basel) neue Zugänge eröffnet. Wie hat Trakl gedichtet, an welchen Stellen hat er herumgefeilt, was bewirken seine Überarbeitungen? Hilfreich sind allein schon die Faksimiles der handschriftlichen Texte.

In den üblichen Trakl-Ausgaben oder Anthologien findet man das Gedicht „Das Gewitter“ in der Form seiner Erstveröffentlichung im Brenner, also mit 42 Versen in vier Strophen. Die Bevorzugung des letzten Textstandes als ‚gültiges‘ Gedicht ist jedoch der Lyrik Trakls nicht angemessen. Die Innsbrucker Trakl-Ausgabe versucht der Arbeitsweise Trakls gerecht zu werden: sie stellt die Genese eines Gedichts von Beginn an dar und integriert die Varianten in den ‚Lesetext‘ der einzelnen Textstufen. Im Fall des „Gewitters“ ergibt sich, dass die in einem Blätterbündel niedergeschriebenen 32 Verse in zwei Strophen in Trakls Augen für einen gewissen Zeitraum als ‚fertiger‘ Text gegolten haben. In der bislang maßgeblichen Trakl-Ausgabe im Salzburger Otto-Müller-Verlag wird dieser Text hingegen nur als Vers 1-33 des ‚gültigen‘ Gedichts gesehen. Als Benützer dieser Ausgabe kann man gar nicht auf die Idee kommen, es habe ursprünglich ein kürzeres Gedicht „Das Gewitter“ gegeben, das zu lesen oder interpretieren lohnend wäre. Dieses Gedicht endet mit den Versen „Magnetische Kühle / Umschwebt dies stolze Haupt / Glühende Schwermut.“ Später streicht Trakl den Punkt am Ende des letzten Verses und ergänzt den Satz um den Vers „Eines goldenen Gottes.“, wodurch die Schwermut einem Gott zugeordnet wird. Außerdem ändert er das Attribut, nun ist es ein „zürnender“ Gott, als dessen Ausdruck die Folgen des Blitzschlags gelten können. Dem fügt Trakl eine neue Strophe hinzu, in der verfremdete Naturbilder mit dem Gedanken einer Läuterung verbunden sind.

Aber auch die Hinweise auf die Übernahmen aus Trakls Quellen gewähren neue Einblicke. Trakl, der sich selbst einmal in einem Brief als „armer Kaspar Hauser“ bezeichnet hat, schrieb das Gedicht „Kaspar Hauser Lied“ angeregt von Jakob Wassermanns Roman „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“. Die Geschichte des 16-Jährigen, dessen Herkunft und Ermordung bis vor kurzem ungeklärt waren, war für Trakl als Geschichte eines Unschuldigen und Ausgesetzten Anlass zu einer poetischen Selbstidentifikation. Hier stellt sich die Frage, inwiefern er die Kaspar-Hauser-Geschichte bearbeitet, Bekanntes verdunkelt oder Neues eingebracht hat. Der auffälligste Bezug zur literarischen Vorlage ist der Vers „Ich will ein Reiter werden“, eine Anspielung auf den ersten und eine Zeitlang einzigen Satz des historischen Kaspar Hauser (‚Ich möchte ein solcher Reiter werden wie mein Vater einer gewesen ist‘). In der Redeeinleitung „Die dunkle Klage seines Munds“ manifestiert sich wohl die überlieferte Sprachlosigkeit Kaspar Hausers. Die ‚Idylle‘ am Eingang des Gedichts steht hingegen in krassem Gegensatz zur Kaspar- Hauser-Geschichte.

Beglückender Ton #

Nach dem Besuch Fickers im Garnisonsspital in Krakau schickte Trakl ihm am 27. Oktober 1914 nicht nur seinen Testamentsbrief mit den letzten Gedichten „Klage (II)“ und „Grodek“, sondern auch einen Brief mit Überarbeitungen gedruckt vorliegender Gedichte. In „Traum des Bösen“ hat Trakl den Vers „Verhallend eines Gongs braungoldne Klänge“ geändert zu: „Verhallend eines Sterbeglöckchens Klänge“. Das dürfte auf den Vers „Das Ohr klingt fort und für und läutet mir zu Grabe“ aus Johann Chr. Günthers Gedicht „Bußgedanken“ zurückgehen, ein Gedicht, das Trakl Ficker vorgelesen hatte, mit Versen wie „Oft ist ein guter Tod der beste Lebenslauf“; dabei hatte er darauf hingewiesen, dass Günther schon im Alter von 27 Jahren gestorben sei.

Mit 27 Jahren setzte Trakl seinem Leben ein Ende. Ludwig Wittgenstein, später als Philosoph weltberühmt, bekannte nach der Lektüre der Gedichte „Kaspar Hauser Lied“ und „Helian“, er halte Trakls Gedichte für genial, ohne sie zu verstehen; ihr „Ton“ beglücke ihn (Tagebuchnotiz und Brief an Ficker vom 24. bzw. 28. November 1914). Vielleicht ist es gerade die Kombination von schwierigem Verstehen und beglückender Stimmung, was die Faszination von Trakls Lyrik ausmacht.

Der Autor war Prof. am Brenner- Archiv und gibt die Innsbrucker Trakl-Ausgabe heraus.

DIE FURCHE, Donnerstag, 30. Oktober 2014


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