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Der Bauer als Visionär#

Er war Mystiker und Bestsellerautor - warum aber geriet Hans Sterneder in Vergessenheit? - Eine Spurensuche zum 125. Geburtstag des österreichischen Schriftstellers.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Freitag, 31. Jänner 2014)

Von

René Freund


Hans Sterneder
Hans Sterneder (1889-1981).
© Eich Verlag

In meiner kleinen Bibliothek stehen sechs Bücher mit wundem Rücken oder zerschundenem Einband eng beieinander. Ich habe sie vor gut zwanzig Jahren in einem Antiquariat erstanden, weil mich die Titel ansprachen. Und in der Folge auch die Bücher, die ich damals mit Begeisterung las. Sie tragen Titel wie "Frühling im Dorf", "Der Wunderapostel" oder "Die Zwei und ihr Gestirn". Sie sind teilweise in Frakturschrift gedruckt und ihr Autor muss ein erfolgreicher Mann gewesen sein: "26. bis 33. Tausend der Gesamtauflage" verkündet der Staackmann Verlag 1933 in Leipzig stolz auf dem Titelblatt des Romans "Der Bauernstudent". "96.-100. Tausend" vermerkt der Hermann Bauer Verlag 1969 in Freiburg im Breisgau für "Der Sonnenbruder", und "Der Wunderapostel" bringt es im Wiener Erasmus-Verlag 1951 gar auf 115.000 Exemplare. Dabei handelte es sich bei Letzteren um Neuauflagen.

Bereits in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts erreichten Sterneders Werke Auflagen wie zu jener Zeit die Bücher von Lion Feuchtwanger, Stefan Zweig oder Thomas Mann. Dessen "Zauberberg" erschien übrigens im selben Jahr wie Sterneders "Wunderapostel", 1924 - mit ähnlichem Zuspruch beim Publikum. Während der eine heute unbestritten zum Kanon der Weltliteratur gehört, kennt den anderen keiner mehr. Warum?

Wichte und Elfen#

Ich blättere nach, zunächst in Sterneders 1922 erschienenem Landstreicherroman "Der Sonnenbruder". Das Buch beginnt mit einer Naturbeschreibung, die sich über sage und schreibe 34 Seiten erstreckt. Das liest sich dann so: "Es war um die Stunde, in der die Märchen lebendig werden. Ein heißer, strotzender Julitag hatte vom Lerchenstieg bis zur Sonnensinke mit seiner ganzen Glut über der Chiemseelandschaft gebrütet und schickte sich nun allgemach an, zur Ruhe zu gehen. Das Sonnenrad hatte sich dabei so heiß gelaufen, dass es mit einem Male zu brennen begann. Das rief einen ungeheuren Aufruhr an der gewaltigen, azurblauen Himmelsglocke hervor, denn in hingebendster Anbetung waren ganze Scharen mächtiger, weißballiger Wolken dem göttlichen Gestirne gefolgt, teils um ihm Verehrung zu bezeugen, teils um ihm kühlende Schleier zu reichen."

Nicht nur Sonne und Wolken treten als pantheistische Darsteller in Sterneders Schilderung auf, sondern auch Steine, Pflanzen, Tiere sowie Wichte, Elfen und Sylphen. Auch wenn der in zeitgenössischen Rezensionen bemühte Vergleich mit Adalbert Stifter etwas weit hergeholt scheint, Sprachgewalt kann man diesem Autor nicht absprechen. Dennoch, heutige Lesegewohnheiten werden auf eine harte Geduldsprobe gestellt, wenn man so lange auf das Auftauchen des Helden warten muss. Immerhin, in weiterer Folge hat dieser - Beatus Klingohr ist sein Name - zahlreiche Abenteuer als heimatloser Landstreicher zu bestehen.

Sterneders neuromantisches Hohelied des Vagabundenlebens zwischen Lebensgefahr, tiefer Verzweiflung und naturtrunkener Begeisterung entsprang seinen eigenen Erfahrungen. Denn auch er war als junger Mann fast drei Jahre lang obdachlos auf den Straßen Europas unterwegs.

Mangels einer umfassenden Biografie wissen wir nicht viel über das lange Leben Hans Sterneders (1889-1981). Und wir wüssten noch weniger über ihn, wenn nicht der deutsche Autor und Verleger Thomas Eich seine Werke neu herausgegeben und einige Fakten über "Leben und Schaffen eines außergewöhnlichen Schriftstellers" zusammengetragen hätte.

Hans Sterneder kam am 7. Februar 1889 in Eggendorf in Niederösterreich zur Welt. Eggendorf gehört heute zum Bezirk Wiener Neustadt-Land und zur Peripherie des Industriegebiets südlich von Wien. Damals freilich befand sich in der Gegend vor allem Ackerland, und Sterneder bekam die Armut der Bevölkerung zu spüren. Er war das uneheliche Kind eines Gutsbesitzersohnes und einer Bauernmagd und lebte zunächst in der Keusche seiner Großmutter. Nach dem frühen Tod seines Vaters wurde er auf dem Gut des reichen Großvaters aufgenommen. Dieser ermöglichte ihm auch den Besuch des Gymnasiums.

Nach der Matura ereilten Sterneder mehrere Schicksalsschläge: Seine Großeltern starben knapp hintereinander, er verlor alle Bezugspunkte in seiner Welt. So zog er von 1909 bis 1911 als Walzbruder quer durch Europa. Dabei lernte der bildungshungrige Sterneder zahlreiche Persönlichkeiten des Geisteslebens kennen, etwa den Zoologen und Freidenker Ernst Haeckel, den Schriftsteller Hermann Löns und den Maler Hans Thoma, der später den Umschlag von "Der Bauernstudent" gestaltete und Kraft seiner Popularität sehr zum Erfolg von Sterneders Erstling beitrug.

Krieg und Klimawandel#

Wieder sesshaft geworden in Niederösterreich, arbeitete Sterneder als Bahnbeamter, fühlte sich aber nach den Jahren in der Natur "wie ein gefangener Adler im Käfig". Er begann zu schreiben, denn "Gott legte eines Nachts seinen Finger auf mein Herz." Über Vermittlung von Peter Rosegger lernte er den exzentrischen Dichter Richard Voß kennen, der Sterneders Ausbildung zum Volksschullehrer finanzierte. Auf Voß’ Landsitz im Berchtesgadener Land lernte der junge Sterneder unter anderen Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal kennen.

Sterneder wurde Volksschullehrer, zuerst in Niederösterreich, dann in Wien, und schrieb weiter. Ob er am Ersten Weltkrieg teilnahm, wissen wir nicht. Fest steht, dass er den Krieg ablehnte. Er macht diesen sogar für den Klimawandel verantwortlich, den Sterneder bereits in den Zwanzigerjahren beobachtete (Schneemangel!): "Die unvorstellbare Zahl von Fluch-, Hass-, Raub-, Mord- und Egoismusgedanken und -taten, die vor, besonders aber während und nach dem Kriege geschaffen wurden und die zahlreicher sind als die Sterne am Himmel, - die mussten ja den Geist und Leib der Erde infiziert und vergiftet, ihn also schwer entzündet oder vereitert haben. Und es ist mir sonnenklar, dass sich die Erde also nun in einem gewaltigen Schwärungsprozess befindet, durch den sie sich nun bemüht, alles Niederträchtige, womit sie geschändet wurde, auszustoßen."

1921 erschien "Der Bauernstudent" im aufstrebenden Leipziger L. Staackmann Verlag, der auch andere österreichische Autoren wie Franz Karl Ginzkey, Karl Schönherr oder Anton Wildgans unter Vertrag hatte. Es folgten, mit anwachsendem Erfolg, "Der Sonnenbruder" (1922) und "Der Wunderapostel" (1924). Sterneder wurde vom Schuldienst freigestellt und lebte fortan vom Schreiben.

Ein wenig trifft auf Hans Sterneder wohl das zu, was Kurt Tucholsky über den - von Sterneder übrigens geradezu vergötterten - Gustav Meyrink und seinen Okkult-Roman "Das grüne Gesicht" geschrieben hatte: "Es ist schade, dass ein großer Erkenner uns einen großen Künstler kostet. Rechnet man dazu, dass sich heute alles, was sonst unterdrückt wird, unter dieses allumfassende Dach der Theosophie flüchtet, weil es sich in den unscharfen und verschwommenen Thesen wiedererkennt und bestätigt zu finden glaubt, so wird man die große Gefolgschaft dieser Bücher verstehen. Es ist aber noch nie ein gutes Zeichen gewesen, wenn wertvolle Kräfte eines Landes sich diesen - stets falsch verstandenen - Mysterien hingeben. Dann stimmt etwas nicht."

Und damit hatte Tucholsky recht: Es stimmte zutiefst etwas nicht im Österreich und Deutschland der Zwischenkriegszeit. Dass davon bei Hans Sterneder kein Wort zu lesen ist, macht einen Teil der Schwäche seines Werks aus. Und ist wohl ein Grund für dessen damalige Popularität: Wer sich müde fühlte, fand Kraft in den Naturschilderungen. Wer nichts mehr glauben konnte, erfreute sich an unsterblichen Weisheiten. Und die Ohnmächtigen gaben sich ganz der astrologischen Bestimmung der Sterne hin.

Mit seinem Roman "Der Wunderapostel" vollzog Hans Sterneder im Alter von 35 Jahren den Schritt vom Schriftsteller zum visionären Prediger. Er schildert darin eine autobiografische Begegnung aus seinen Wanderjahren: "In dieser Zeit höchster Seelenkämpfe trat ein Mensch in mein Leben, ein Großer der Erde, ein gewaltiger, weltüberwindender indischer Meister . . ." Von nun an widmete sich Sterneder in Büchern wie "Der Sang des Ewigen" (1928) oder "Die Neugeburt der Ehe" (1931) dem "Menschheits-Urwissen", der Einweihung in Mystik, Hermetik und Astrologie. Sterneder erklärt uns darin die ganze Welt. Für einen Visionär ist das genug. Für einen Schriftsteller zu wenig.

Erfolg und Verstummen#

In "Frühling im Dorf", dem "Tagebuch eines Besinnlichen" (1928), beschreibt der inzwischen in Gloggnitz am Fuße des Semmerings residierende Sterneder seinen beschaulichen Tagesablauf: Von morgendlichen Atemübungen wird da berichtet, von der Wichtigkeit der Bienen für Mensch und Natur, von wundersamen Gesprächen mit Bauern und immer wieder von den Tausenden Briefen aus aller Welt, die es zu beantworten gilt. Immerhin, auch für gelegentliche Reisen nach Wien bleibt Zeit: "Und was ist es jetzt für eine Freude, durch die Straßen der Stadt zu gehen. Ja, es ist eine Freude, die Frauen anzusehen! (. . .) Mögen die Frauen klug bleiben und uns Männern keinen langen Weiberkittel mehr zu sehen geben! Es wäre ein bitterer Rückfall in alte, gefährliche Duckmäuserei."

Zahlreiche andere Werke erschienen bis 1938, danach verstummte Sterneder. Wollte er nicht mehr schreiben? Durfte er nicht mehr schreiben? Biograf Thomas Eich berichtet von einer Verhaftung Sterneders durch die Gestapo im Jahr 1944. Bis zum Kriegsende soll Sterneder eingekerkert gewesen. Warum der Schriftsteller verhaftet wurde, lässt sich leider nicht eruieren.

Nach dem Krieg war Sterneder durch die Haft gesundheitlich angeschlagen. Stammhaus und Archiv seines Verlags in Leipzig waren durch Bomben zerstört worden. Eine neue Zeitrechnung hatte begonnen, auch in der Literatur. Sterneder erhielt zwar das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, konnte mit Werken wie "Das kosmische Weltbild" oder "Also spricht die Cheops-Pyramide" nicht mehr an frühere Erfolge anschließen. Er starb am 24. März 1981 im Alter von 92 Jahren in Bregenz, wo er zuletzt gelebt hatte. Hier, in der Vorarlberger Landesbibliothek, befinden sich auch 36 Kästen mit seinem Nachlass, Manuskripte, Briefe, Fotos, Dokumente. Leben und Werk dieser interessanten Persönlichkeit zu erforschen wäre eine lohnende Aufgabe für angehende Germanisten. Zu entdecken gibt es genug: Die letzte Dissertation über Sterneder stammt aus dem Jahr 1941.

René Freund, 1967 in Wien geboren, lebt als Schriftsteller in Grünau im Almtal. Zuletzt ist sein Roman "Liebe unter Fischen" erschienen (Deuticke, Wien 2013).

Information#

Thomas Eich: Hans Sterneder, Dichter und Mystiker. Leben und Schaffen eines außergewöhnlichen Schriftstellers. Eich Verlag, Werlenbach 2010.

Wiener Zeitung, Freitag, 31. Jänner 2014