Der Häuptling der Apachen in Kärnten#
Josef Winkler hat das Dorf, aus dem er kommt und das in seiner Literatur immer wieder auftaucht, in seinem Buch „Winnetou, Abel und ich“ zu einem Indianerdorf geschrieben. #
Mit freundlicher Genehmigung der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (Donnerstag, 14. August 2014)
Von
Klaus Kastberger
Winnetou, das ist hier nicht der Häuptling der Apachen, sondern eine rhetorische Figur des Erinnerns. Schon der erste und tragende Textteil des neuen, kleinen Buches von Josef Winkler, der dem Ganzen folgerichtig den Gesamttitel gibt, macht dies klar. In „Winnetou, Abel und ich“ holt der Kärntner Autor noch einmal alle Elemente hervor, die es gebraucht hat, um ihn zum Schreibenden zu machen, und die es weiterhin braucht, um ein Schreibender zu sein.
Dabei treten die Kameringer Verhältnisse in mythenhafter Verkürzung und in einer streng chronologischen Abfolge auf, die man bei Winkler in dieser Form noch nicht gesehen hat. Das Kärntner Dorf, aus dem der Autor kommt und das in seinem Gesamtwerk in zahlreichen Schattierungen auftaucht, ist jetzt in eine Karl-May-artige Erzählwüste gesetzt. Wie aus weiter Ferne blickt Winkler auf seine Ursprünge zurück. Ganz so, als würde er dies alles gar nicht aus eigener und schmerzvoller Anschauung kennen, sondern nur aus fremden Erzählungen.
Flucht vor dem Vater #
Während sich Winkler in seinen früheren Büchern nach Kamering hineinphantasiert hat, phantasiert er sich in vielen seiner späteren Werke aus Kamering heraus. Als er zu schreiben begann (mehr als vierzig Jahre ist es her), legte sich der Autor den blutigen Kalbstrick, mit dem die beiden jugendlichen Selbstmörder im Dorf ihrem Leben ein Ende gesetzt hatten, selbst um den Hals.
Mit seiner Literatur, die ihn aus der Welt des Vaters, dem Ackermann aus Kärnten, befreien sollte, begab sich Winkler noch einmal und ganz bedingungslos unter die väterliche Autorität. Alles, was er in jungen Jahren erlebt hatte, musste zu jener Zeit seines Schreibens noch einmal durchgemacht und nacherlebt werden. Nichts war dem Autor heilig, um solche Identifikationen herzustellen. Alles, was es über dieses Dorf zu sagen gab, wurde in den Winkler’schen Texten gesagt, und jeder, der in diesem Dorf Dreck am Stecken hatte, wurde in Winklers Texten vorgeführt. Allen voran der eigene Vater, vor dessen Gewalt der Autor überall hinflüchtete. In einer der fulminantesten Passagen seines Gesamtwerks (in dem Buch „Muttersprache“) auch zurück in den Körper der Mutter.
Später taten sich für den Autor andere literarische Fluchtwege auf. In seiner mittleren Werkphase grub sich der „Metaphernhund“ Winkler mitten in dem kreuzförmig gebauten Heimatdorf in ein immer tiefer werdendes Loch, das ihn am anderen Ende der Welt, in Indien, das Licht des Tages neu erblicken ließ. Dass es eine Welt jenseits des Katholizismus gibt, war die Entdeckung jener Jahre.
Das Dorf der Kindheit #
In eher chronikhaften Zusammenstellungen, da und dort aber auch noch in fieberhaften Erinnerungsschüben taucht in Winklers Werk das Dorf seiner Kindheit immer wieder auf. Im neuen Buch ist Kamering zu einem wirklichen Kärntner Indianerdorf geworden. Ganz so, als hätten sich die Phantasie- Figuren von Karl May und allen voran der edelste aller je frei erfundenen Indianer, Winnetou, in eine völlig fremde Gegend verirrt.
Tatsächlich ist Winnetou allererst im Kino von Ferndorf gelandet. Winklers Buch beginnt mit einer Szene, in der er als Kind vom Vater die fünf Schilling erbettelt, die er zum Besuch der Lichtspielstätte braucht. Der Vater ist ganz in Mehl gehüllt, denn er repariert unter Fluch und Schimpf gerade die Getreidemühle am Hof. Mehrmals betritt das Kind den Raum, ohne eine Antwort zu bekommen. Irgendwann erhält der Bub dann aber doch ein zustimmendes Nicken. „Winnetou eins“ ist überhaupt der erste Film, den er im Kino sieht.
Wie auf einer indianischen Halskette, die magische Wirkung hat, reiht Winkler von da an seine eigene Karl-May-Kindheit auf. Nach dem Film kommen die Bücher. Der Bub besorgt sie sich, indem er dem Vater Geld stiehlt. Fast alles, was wir über Kamering wissen, ist in dieser Weise in Winklers Text eingebaut. Die Geschichte mit der gestohlenen Christusfigur beispielsweise, die später ohne Arme im Fluss wiedergefunden wurde. Die Diebe, so erzählt der Pfarrer Franz Reinthaler mit Vorliebe, haben später selbst ihre Arme verloren.
Kamering ist wahrscheinlich das literarisch bestdokumentierte Dorf Österreichs. Winnetou erscheint in dieser so hell ausgeleuchteten Welt wie eine Flucht, die beständig an den Ort des Aufbruchs zurückführt. Mit Karl-May- Büchern träumt sich der Bauernbub in eine andere Welt. Besonders hat es ihm dabei die Sterbeszene aus „Winnetou drei“ angetan. „Nun kommen die Worte vom Sterben“, sagt Winnetou zu Old Shatterhand, als er – angeschossen von Feinden – in den Armen des Blutsbruders liegt. In der Stunde seines Sterbens will der Häuptling der Apachen nur noch eines: Das Ave- Maria-Geläute aus der nahegelegenen Kapelle hören. Winnetou ist, so will es Karl May, knapp vor seinem Tod Christ geworden.
Nacherzählung von Karl May #
Noch dicker kommt es in einem jener vier kleineren Texten, die dem Haupttext von Winklers Buch nachgestellt sind und die der Kärntner Autor ursprünglich als eigenständige Feuilletonbeiträge verfasst hat. In ihnen erzählt Winkler vier Hauptszenen aus Karl Mays Winnetou-Büchern nach.
Die beste und schrägste Geschichte stammt aus dem späten und nicht allzu bekannten Winnetou- Roman „Weihnacht“. Da sitzen am Ende die Indianer im Kreis um einen improvisierten Christbaum in der Prärie und feiern das Fest nach unserem Brauch. Winnetou holt ein paar Goldnuggets aus seinem Jutesack und legt sie unter den Baum. Die Bleichgesichter singen: „Jubelnd tönt es durch die Sphären / Sonnen künden’s jedem Stern / Weihrauch duftet auf Altären / Beter knien nah und fern“. In diesem Augenblick beugen sogar die Schoschonen die Knie und falten die Hände.
„Weihnacht oder Die gute Haut“ betitelt Winkler seine Nacherzählung und trifft damit genau das, was bei Karl May aus den Rothäuten geworden ist. Für ihn selbst ist ein derartiges Schicksal nicht zu befürchten. Winnetou, die gute Haut, ist nur eine andere Art, den ganzen Schrecken zu bewahren.
Winnetou, Abel und ich
Von Josef Winkler, mit Bildern von Sascha Schneider,
Suhrkamp 2014. 144 Seiten, gebunden, 17,50EUR