Zwischen Windsbraut und Krötenliebe #
Mit Raffinesse zeichnet Julya Rabinowich in ihrem Roman „Krötenliebe“ ein funkelndes Porträt der Alma Mahler – und entwirft anhand ihrer amourösen Intermezzi mit Oskar Kokoschka und Paul Kammerer ein markantes Zeitbild der drei Grenzgänger. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 22. September 2016).
Von
Maria Renhardt
Schillernd, sirenenhaft, selbstbewusst, inspirierend – die se Attribute gehören der wohl berühmtesten Muse der Moderne, Alma Mahler-Werfel. 1963 ist ihre Autobiografie erschienen. Schon bald folgen Biografien, vor allem aber auch literarische Auseinandersetzungen mit ihrem Leben, das als eines voller Herausforderungen betrachtet werden kann.
Jüngst hat sich die in St. Petersburg geborene und seit 1977 in Wien lebende Autorin Julya Rabinowich dieses Stoffes angenommen. Ein für sie ungewöhnliches thematisches Terrain. Denn nach ihrem 2008 erschienenen Debüt „Spaltkopf“, in dem sie die Geschichte ihrer eigenen Entwurzelung nachzeichnet, und ihrer „Herznovelle“ widmet sie sich in ihrem Roman „Die Erdfresserin“ auf der Basis ihrer Erfahrungen als Dolmetscherin dem Schicksal einer Frau aus Osteuropa im Rotlichtmilieu.
Glühende Liebesbriefe #
Alma Mahler-Werfel ist bekannt für ihre Affären. Zwei davon hebt Rabinowich in ihrem jüngsten Roman „Krötenliebe“ aus dem Fluss der Zeit heraus: Almas Beziehung zum Maler Oskar Kokoschka und zu Paul Kammerer, einem Epigenetiker, der sie bereits verehrt, als Ehemann Gustav Mahler noch lebt. Was sich damals tatsächlich zugetragen hat, ist nicht verbürgt. Rabinowich macht in einem Interview keinen Hehl daraus, dass es für die Affäre mit Kammerer keine Beweise, sondern nur seine glühenden Liebesbriefe gibt, die sie im Anhang unter der verwendeten Literatur zitiert. Kammerer sei Alma möglicherweise nicht prominent genug gewesen, so Rabinowichs Vermutung. Und da ist das motivische Bild vom Kaleidoskop im Prolog, das „Glassteinchen in neue Konstellationen“ schickt, „die einander ähneln, sich aber nie in exakt gleicher Weise wiederholen ... Nichts kommt wieder, was einmal verschwunden ist. / Vielleicht war es so, aber vielleicht auch ganz anders.“
Rabinowich interessiert die Dreiecksgeschichte und ihr psychologisches Unterfutter, die Position der Witwe Alma Mahler zwischen dem Künstler Kokoschka, der sie unentwegt und mit allen Mitteln zu okkupieren und festzuzurren versucht, und dem Biologen und Krötenforscher Kammerer, den sie kurze Zeit in seinem Labor unterstützt. Letztendlich entscheidet sich Alma für keinen der beiden, aber sie hat sie an ihrem Band, wiegt sie, lässt sie an sich heran, um sie gleich wieder fallen zu lassen.
Rabinowich rollt das von Rückblenden und auktorialen Vorausdeutungen durchwirkte Geschehen kunstvoll aus drei Perspektiven in einem zeitlich in einander verschachtelten Crossover auf. „Die Zeit ist keine Gerade, sondern ein Ring“, heißt es im Epilog. Zuerst ist da Kokoschka im Dresden des Jahres 1918. Seit dem Krieg leidet er an einer Kopfschussverletzung; sie und die jüngsten „Narben auf seinem Oberkörper“ mutieren zu „neuen Markierungen auf der Landkarte seines Körpers, seiner Gegenwart, der Zukunft“. In seinem Atelier lässt er sein Dienstmädchen Reserl die Alma-Puppe feierlich für das Abendessen zurechtmachen, hadernd mit seiner Situation, wütend auf Alma, seine „Windsbraut“, die ihn trotz seines Flehens am Krankenbett nicht besucht, ja eigentlich verschmäht hat. Ihre einzige Verbindung, das Kind, hat sie ohne sein Einverständnis abgetrieben.
Von Verrat und Lügen geprägt #
Alma verliert früh während eines Urlaubs auf Sylt ihren Vater, den Maler Emil Jakob Schindler. Sein Schüler Carl Moll hat ein Verhältnis mit ihrer Mutter. Dieser hautnah erlebte permanente Verrat, die Lügen und die enge Bindung zum Vater, der sie bevorzugt, prägen sie nachhaltig. Erst viel später, als ihre Schwester Gretel schwer erkrankt, erkennt sie in deren Zügen einen ehemaligen Mitbewohner ihres Vaters und damit „den noch früheren Verrat der Mutter“.
Paul Kammerer beschäftigt sich sein ganzes Leben lang mit Fröschen, Kröten und allerlei anderem Getier. Obwohl er verheiratet ist, „neigt er zu dramatischen Affären“ und ist Alma verfallen. Doch „der Weg zu ihr war lang und ... beschwerlich“, denn „Alma ließ und ließ sich nicht einfangen“. Kammerers Forschungen werden berühmt. Er ist der Auffassung, dass sich Reptilien an ihre Umgebung anpassen und diese Anpassung weitervererben. Später wird er eiskalt fallengelassen. Alma will von ihm nur Unterhaltung. „Nicht mehr. Nicht weniger. Keine Euphorie. Keine Ekstase.“
Rabinowich hat sich intensiv mit den Quellen nicht nur zu Alma Mahler-Werfels Leben, sondern auch zu dem Paul Kammerers auseinandergesetzt. Seiner Bedeutung für Alma samt seinem Selbstmord aufgrund belastender Fälschungsvorwürfe ist literarisch gesehen noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. In einer klaren, präzisen Sprache tastet sich Rabinowich an Almas schwierigen Charakter heran. Kammerer und Kokoschka denken nicht daran, von ihr abzulassen, auch wenn sie vor ihnen flüchtet. Die Briefe der beiden erreichen sie zuweilen sogar zeitgleich. Alma stapelt sie, liest sie: „Je schmeichelnder die beiden Männerstimmen waren, desto eher schenkte sie ihnen ihre Aufmerksamkeit.“
Ambivalenz der Gefühle #
Rabinowich gelingt es, diese Ambivalenz der Gefühle meisterhaft einzufangen. Die Stimmungsschwankungen zeigen sich in der Bandbreite zwischen dunkler Verlockung, schmerzhafter Sucht und Sehnsucht, vor allem was die Männer anbelangt. Die offene Eifersucht Kokoschkas, der sogar zur Gewalt neigt, mündet geradezu in Besitzfantasien: „Du musst wollen. Und wenn ich jede einzelne von den fremden, mir zuwiderlaufenden Vorstellungen aus deinem Gehirn mit einem Messer herauskratzen müsste, würde ich es tun.“ Alma flieht aus Wien vor Zudringlichkeiten zu ihrem „Refugium am Semmering“. Es ist nach ihrem verstorbenen Mann benannt, obwohl sie bald Gropius heiratet.
Rabinowich malt in ihrem Roman ein eindringliches und zugleich markantes Bild dieser Zeit und ihrer geistigen DNA vor dem Hintergrund unsäglicher Kriegswirren, des ersten Schusses von Sarajewo, der irrlichternden Kriegseuphorie und der beginnenden Flucht. In dieses Bild hinein stellt sie mit psychologischer Raffinesse Alma, die ungehemmte, exzentrische Frau: „Alles dreht sich weiter, die Töchter und die Mütter in ihrem Reigen, und die Ersteren lösen sich so selten aus den Tanzschritten der Letzteren.“ Ein funkelndes Porträt!
"Krötenliebe"Roman von Julya Rabinowich
Zsolnay 2016 192 S., geb., €20,50