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Ein Zerrissener in Halb-Asien#

Jüdischer Schriftsteller und Publizist mit deutschnationaler Gesinnung: Eine Erinnerung an Karl Emil Franzos, der vor 170 Jahren geboren wurde.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 21. Oktober 2018

Von

Christian Hütterer


Karl Emil Franzos
Zu Lebzeiten erfolgreich, heute vergessen: Karl Emil Franzos (1848-1904).
Foto: © Archiv

Deutschnationales Denken und Judentum - nach den schrecklichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts sind dies zwei Gegensätze, die uns unvereinbar erscheinen. Am 25. Oktober 1848 wurde in einem kleinen russischen Forsthaus, gleich hinter der österreichischen Grenze, ein Bub geboren, der diese aus heutiger Sicht widersprüchlichen Pole in sich vereinen wollte: Karl Emil Franzos.

Kurz vor seiner Geburt war der polnische Aufstand ausgebrochen. Heinrich Franzos, ein Bezirksarzt in Tschortkau (heute Tschortkiw in der Ukraine), wollte seine hochschwangere Frau vor den Revolutionären in Sicherheit bringen und schickte sie zu einem befreundeten Förster, der nur ein Stück hinter der Grenze im Zarenreich lebte. Der Aufstand wurde bald niedergeschlagen und die Mutter konnte mit ihrem sechs Wochen alten Sohn in das heimatliche Städtchen zurückkehren. Dort erwartete sie schon der Vater, der dem Buben "das deutsche Nationalgefühl von Kindheit an eingeprägt" hat, wie Franzos später schreiben sollte.

Er gab seinem Sohn aber neben der deutschen noch eine weitere Identität mit, denn: "Deiner Nationalität nach bist du Deutscher, deinem Glauben nach ein Jude." Diese zweifache Identität machte Franzos und seine Familie auch in zweifacher Hinsicht zu Außenseitern: Für die Christen waren sie Juden, in der jüdischen Gemeinde aber waren sie wegen der aufgeklärten und deutschnationalen Haltung des Vaters ebenfalls nicht integriert.

Neben seinen Eltern prägten zwei weitere Menschen den Buben: Das Kindermädchen, denn es sprach ukrainisch und polnisch mit seinem Zögling und machte ihn so mehrsprachig, sowie sein erster Lehrer, der in Wien an der Revolution von 1848 teilgenommen hatte, zur Strafe in den Osten des Reiches geschickt worden war, aber dort seine Ideale an den Schüler weitergab.

Konflikt mit Behörden#

Im Alter von zehn Jahren verlor Karl Emil den Vater, die Familie zog daraufhin nach Czernowitz, das erst wenige Jahre zuvor Hauptstadt des Kronlandes Bukowina geworden war. Franzos besuchte dort das Staatsgymnasium, das als einzige deutschsprachige Schule in der Region einen sehr guten Ruf hatte und als Vorposten der deutschen Bildung im Osten der Monarchie galt.

Die Jahre in der kulturell so vielfältigen Stadt mit deutschen, polnischen, rumänischen, ukrainischen Einwohnern und der großen jüdischen Gemeinde prägten Franzos. Zugleich erlebte er dort aber auch die Armut und Rückständigkeit der Region, was wiederum seine Verbundenheit mit der deutschen Kultur und den Idealen der Aufklärung förderte. In ihnen sah Franzos die einzigen Mittel, um die armseligen Lebensumstände und das Gefangensein in archaischen Bräuchen zu überwinden.

Nach der Matura ging Franzos nach Wien, um Jus zu studieren. Bald nach der Inskription an der Universität wurde er Mitglied der damals neu gegründeten schlagenden Burschenschaft Teutonia. Siebzehn Jahre lang sollte er deren Mitglied bleiben, dann wurde er nach der Einführung eines "Arierparagraphen" ausgeschlossen. Franzos konnte in Wien allerdings nie richtig Fuß fassen und zog deswegen nach Graz weiter.

Auch dort trat er einer Burschenschaft bei und kam wegen seiner deutschnationalen Gesinnung mehrmals in Konflikt mit den österreichischen Behörden. Die Ausrufung des deutschen Kaiserreiches begrüßte er überschwänglich, außerdem sprach er sich öffentlich für eine Lösung der deutschen Frage unter preußischer Führung aus, was ihm polizeiliche Untersuchungen und eine Geldstrafe eintrug.

Franzos konnte sein Studium rasch abschließen, stand danach aber vor der schwierigen Entscheidung, welche Karriere er einschlagen sollte: Als Jude war er vom Amt eines Richters ausgeschlossen, als Anwalt wollte er nicht arbeiten, und nach seinen Konflikten mit den Behörden war eine Anstellung im öffentlichen Dienst ausgeschlossen.

Während des Studiums hatte Franzos Artikel und Erzählungen veröffentlicht, die vom Publikum gut aufgenommen worden waren. Was lag also näher, als das Schreiben zu seinem Beruf zu machen? So kam es, dass er im Auftrag von Zeitungen Reisen in den Osten der Monarchie unternahm und etwa von der Eröffnung der Universität in seiner Heimatstadt Czernowitz berichtete.

1876 veröffentlichte Franzos die Sammlung "Aus Halb-Asien", die den Untertitel "Kulturbilder aus Galizien, der Bukowina, Südrussland und Rumänien" trug. Er schuf sich damit sein eigenes Genre, denn diese Kulturbilder versammelten Reiseberichte, Erzählungen, Naturbeschreibungen und ethnografische Studien aus jener Gegend, die seiner Meinung nach nicht mehr Europa, aber auch noch nicht Asien war. Die ungewöhnliche Mischung machte sich bezahlt, Franzos feierte seinen Durchbruch und machte zugleich diese für viele Leser exotische und unbekannte Region einem breiten Publikum bekannt.

"Deutsche Dichtung"#

Es folgte eine Zeit vielfältiger Interessen und Tätigkeiten: Neben dem Schreiben sammelte Franzos ukrainische Volkslieder, er übersetzte Gogol ins Deutsche und rettete die Werke Georg Büchners vor dem Vergessen, indem er die erste Gesamtausgabe dieses Autors herausbrachte. Außerdem gründete er eine literarische Zeitschrift, um junge Schriftsteller zu fördern, in der etwa auch Stefan Zweig seine ersten Gedichte veröffentlichen konnte.

Im Alter von 39 Jahren setzte er endlich ein schon lange geplantes Vorhaben, nämlich jenes, im so bewunderten Deutschland zu leben, in die Tat um. Franzos zog nach Berlin und gründete dort eine Zeitschrift mit dem programmatischen Titel "Deutsche Dichtung". Doch der Aufenthalt in der deutschen Hauptstadt entsprach nicht den hohen, wohl auch übersteigerten Erwartungen. Er, der sich immer als Deutscher definiert hatte, wurde in Berlin vor allem als Jude gesehen und fand nicht wie erhofft Eingang in literarische Kreise. Zur Enttäuschung gesellte sich Unbehagen ob der geistigen Entwicklung Deutschlands. Der nationale Überschwang, der übersteigerte Patriotismus, "das Hurrahgeschrei von seiner eigenen Herrlichkeit und der Erbärmlichkeit aller anderen Völker" stimmten ihn nachdenklich.

Buchcover: Aus Halb-Asien (2. Band)
Buchcover: Aus Halb-Asien (2. Band)

"Ich bin für den berechtigten Einfluß des deutschen Geistes im Osten, aber wo in seinem Namen gewaltsame Germanisierung versucht wird, da geißle ich diese verhängnißvollen Bestrebungen", schrieb Franzos. Sein Ideal war die Gleichberechtigung aller Völker im Osten Europas: "Ich bekämpfe den Druck, welchen die Russen auf die Kleinrussen und Polen üben, aber wo die Polen, wie in Galizien der Fall, ein Gleiches thun, da kämpfe ich gegen den Druck, welche sie den Kleinrussen, Juden und Deutschen auferlegen. Ich trete für die Juden ein, weil sie geknechtet sind, aber ich greife die Knechtschaft an, welche die orthodoxen Juden selbst den Freisinnigen ihres Glaubens bereiten." Der Zeitgeist war aber gegen ihn, der immer stärker werdende Nationalismus und Antisemitismus ließen den Traum vom friedlichen Zusammenleben der Völker platzen.

Franzos starb am 28. Jänner 1904 in Berlin, wo er am jüdischen Friedhof Weißensee beigesetzt wurde. Was blieb, war ein Werk, das untrennbar mit seiner Heimat Bukowina verbunden war. In der Erzählung "Das Zündhölzchen" konzentrieren sich die Themen, die Franzos zeit seines Lebens beschäftigten, auf wenigen Seiten. Der Autor führt uns in ein armseliges Nest irgendwo im Osten, dort "herrschen Armuth und Rohheit". Mit Hilfe von außen kann in der abgeschiedenen Gegend auch nicht gerechnet werden, denn "die Regierung thut nichts für diese armen Leute und ihre Unterthanen stehen zu tief, um sich selbst aus eigener Kraft die Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins zu erkämpfen".

In diese von der Welt vergessene Gegend wird einer armen Familie der kleine Aaron geboren, der sich bald als überaus intelligent entpuppt. Der Bub beginnt eine Ausbildung zum Rabbiner, schlägt aber andere und unvorhergesehene Wege ein, denn "er begann zu kritisieren, was ihm bisher heilig gewesen und seiner Umgebung als unantastbar galt", kurz: Aaron wendet sich gegen die Religion und entwickelt in nächtlichen Studien eine "Abneigung gegen die streng orthodoxe Richtung".

Eine Enttäuschung#

Die Familie versucht, ihn mit Schlägen wieder auf den rechten Weg zu bringen und verlobt ihn, den noch minderjährigen Buben, mit einem Mädchen aus dem Ort. Die Zwänge scheinen zu fruchten, Aaron fügt sich und schwört, nie wieder gegen den Wunsch der Eltern zu handeln. Doch was wie eine Niederlage aussieht, wird innerhalb weniger Sekunden zu einem Triumph. Kurz vor seiner Hochzeit zieht er an einem Sabbat vor der versammelten Gemeinde eine Packung Streichhölzer aus der Tasche und zündet eines der Hölzchen an. Am Sabbat Licht zu machen ist für gläubige Juden eine schwere Sünde und Aarons Vater bleibt nichts anderes übrig, als den Sohn aus dem Haus zu weisen.

Der kurze Moment, in dem das Hölzchen brannte, bringt auch übertragenes Licht in Aarons Leben: Er kann seinen Eid wahren, folgt dem Befehl des Vaters, der ihn verstößt, und gewinnt gerade dadurch seine Freiheit. Aaron weiß diese zu nutzen, denn die Erzählung endet mit einem kurzen Nachsatz, in dem der Leser erfährt, dass der Bub aus dem Getto zum Professor an einer Universität berufen wurde.

In der Erzählung über das kleine Zündhölzchen mit großer Wirkung kommt auch ein Deutscher vor, den das Schicksal in den Osten verschlagen hat und der zum Wegbegleiter des Aaron wird. Dieser Mann, der aus dem fernen, aber fortschrittlichen Deutschland kommt und den Protagonisten auf seinem Weg zu Wissen und Befreiung unterstützt, ist ein oft wiederkehrendes Motiv in den Erzählungen von Franzos.

Dass er selbst, der sich stets als ein Förderer des Fortschritts sah und sich bemühte, über die deutsche Kultur die Ideale der Aufklärung in den Osten zu tragen, von Deutschland und dem dort grassierenden Nationalismus enttäuscht wurde, gehört zur Tragik im Leben des Karl Emil Franzos.

Zu Lebzeiten war er ein sehr erfolgreicher Autor, dessen Werke in vielen Auflagen gedruckt wurden. Heute ist er ein vergessener Literat, und auch die Welt, von der er erzählte, existiert nicht mehr.

Christian Hütterer, geb. 1974, Studium Politikwissenschaft und Geschichte in Wien und Birmingham, lebt und arbeitet in Brüssel.

Wiener Zeitung, 21. Oktober 2018


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