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Meine Position zum Staat ist anarchisch#

Der Philosoph Rudolf Burger über die Bändigung des menschlichen Bösen durch den Staat, dessen Wandlung zu einer "Schlumpfwelt" – und warum er den Nationalstaat trotz aller Abgesänge für zukunftsrelevant hält#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 18. September 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.


von

Walter Hämmerle

Rudolf Burger
Ruodlf Burger
© Wiener Zeitung / Strasser


"Wiener Zeitung": Herr Burger, vor rund 2400 Jahren hat mit Platons "Politeia" das Nachdenken über den Staat mit der Frage begonnen, wie Gerechtigkeit für die Menschen erreicht werden kann. Wird das, was wir heute Staat nennen, diesem hohen Anspruch gerecht?

Rudolf Burger: Die Moderne, und damit meine ich die bürgerlich-nachrevolutionäre Auffassung vom Staat, unterscheidet sich fundamental von jener Vorstellung einer idealen menschlichen Gemeinschaft, die in der Tradition von Platon steht. Die klassische griechische Philosophie hat tatsächlich so etwas wie ein gerechtes Gemeinwesen als Idealbild gehabt. Die Struktur dieses Gemeinwesens – ich sage bewusst Gemeinwesen, nicht Staat – war dann gerecht, wenn sie einem metaphysisch begründeten Ordnungsprinzip entsprochen hat. Das gilt für die Kosmos-Analogie der griechischen Polis genauso wie für die Ordo-Auffassung der mittelalterlichen christlichen Philosophie.

Die moderne Philosophie, die für mich mit Thomas Hobbes "Leviathan" von 1651 begonnen hat steht im Unterschied dazu vor folgendem Problem: Der Himmel ist leer, es wohnt kein Gott darin und es gibt auch keine substanzmetaphysisch verbindliche normative Wahrheit. Die Menschen sind daher unter einem leeren Himmel allein unter sich, und es gibt kein philosophisch erschließbares oder religiös geoffenbartes Ordnungsprinzip mehr. Die Menschen sind allein und müssen miteinander um knappe Güter, Waren genauso konkurrieren wie um Respekt oder Anerkennung. Dadurch werden sie einander aber auch gefährlich, obwohl sie zwecks wirtschaftlicher Produktion und menschlicher Reproduktion gleichzeitig aufeinander angewiesen sind.

Diese Situation wird bei Hobbes durch die Figur des Gesellschaftsvertrags aufgelöst, der die Menschen aus ihrem Naturzustand herausführt. In diesem Vertrag wird alle Macht ein für alle Mal einer zentralen Instanz übertragen, bei Hobbes ist das die Geburtsstunde des großen Leviathan. Ich nenne das die Faltung der menschlichen Boshaftigkeit auf sich selber, um die Gesellschaft zu pazifizieren, eben weil wir nichts anderes haben als uns selbst. Das ist der Kern des Problems der Moderne.

Und wie gelangten dann die Konzepte von Freiheit und Gerechtigkeit in unser modernes Denken über den Staat?

Bei Hobbes entsteht der Leviathan aus der Logik der Freiheit. Die Menschen sind frei, im Naturzustand hat jeder das Recht auf alles. Und Gerechtigkeit ist in diesem Zusammenhang eine reine Tauschgerechtigkeit: Der Mensch – und Karl Marx wird das später genauso schreiben – ist so viel wert, wie andere für seine Arbeit zu zahlen bereit sind, nicht mehr und nicht weniger. Das ist auch die Substanz unserer bürgerlichen Gesellschaft, in der alle Menschen in diesem Sinne gleich sind, und die Basis jeder kapitalistischen Gesellschaft, die sich ja dadurch definiert, dass die Arbeitskraft selbst zur Ware wird.

In der Sklavengesellschaft ist das nicht der Fall, weil es Herren gibt, und Sklaven keine Vertragspartner sind; Ähnliches gilt auch für den Feudalismus. Im Kapitalismus ist jeder so viel wert wie seine Arbeitskraft – und das ist gerecht nach der bürgerlichen Vorstellung von Gesellschaft, in der es keine ausgleichende und austeilende Gerechtigkeitsinstanz wie den Staat gibt. Wenn der Staat dies dennoch tut, so beruft er sich nicht auf bürgerliche, sondern auf aristotelische oder christliche Prinzipien. So gesehen, erachte ich es zwar als obszön, dass es in unserer Gesellschaft zu solch extremen Ungleichgewichten bei der Vermögensverteilung kommt: Wenn Supperreiche wie Warren Buffet, Bill Gates oder George Soros die Hälfte ihres Vermögens spenden, ist das für mich tatsächlich ekelerregend, aber das ist im Grunde ein ästhetisches, kein moralisch begründbares Urteil. Gerechtigkeit hat damit nichts zu tun, weil unsere Moderne insofern nihilistisch ist, als sie keine metaphysische Instanz mehr besitzt. Es existiert keine inhaltliche Definition mehr von Gerechtigkeit. In der Moderne entwickelte sich deshalb auch der Ruf nach Gerechtigkeit zu einer Kampfparole für die Zu-kurz-Gekommenen und gleichzeitig zu einer Status-quo-Legitimation für die Wohlhabenden, der Begriff wurde zu einer ideologischen Waffe. Solange Menschen Menschen sind, werden sie darüber streiten, was in konkreten Lagen gerecht und was böse ist. Das wird erst enden, wenn wir Menschen keine Menschen mehr sind. Wenn sie sich darüber einmal einigen, dann wäre die Geschichte tatsächlich zu Ende, wir würden dann allerdings in einem Termiten-Staat leben.

Sie zeichnen ein nihilistisch-materialistisches Bild der Moderne. Aber gibt es nicht spätestens seit 1945 den Versuch und das Bemühen, den "leeren Himmel über uns" wieder zu bevölkern, und zwar mit der Unantastbarkeit der Würde des Menschen?

Ja, diesen Versuch gibt es, aber das sind menschliche Setzungen, und wir selbst sind uns dessen voll bewusst.

Aber es sind doch eben immer menschliche Setzungen, auch die griechische oder mittelalterlich-christlichen Vorstellungen einer metaphysischen Ordnung waren das.

Das Problem der Moderne ist, dass wir das wissen, und dieses Wissen ist bereits in die Reflexion eingebaut. Demgegenüber waren die metaphysischen Ordnungen keine Setzungen, sondern Erkenntnisse über das empirische Sein hinaus. Gerechtigkeit entsprach dann einer objektiven Erkenntnis. Das gilt auch für Offenbarungsreligionen: Die Zehn Gebote sind für Gläubige keine Empfehlungen, sondern Gebote eines herrschenden und befehlenden Gottes.

Wenn wir aber heute sagen, wir erkennen dem Menschen eine bestimmte Würde zu, so sind das politisch-moralische Setzungen, von denen wir wissen, dass sie von uns selbst und nicht von einem Gott stammen. Wir wissen, dass wir diese immer auch zurücknehmen können – und das ist die grundsätzliche Unsicherheit der Moderne. Die Menschen sind frei, selbst wenn sie sich einreden, dass sie es nicht sind. Und sie wissen, dass sie frei sind.

Aber dieses Wissen kann doch auch wieder verloren gehen. Warum sollte nicht die Lehre von der unantastbaren Würde des Menschen eines Tages zur allgemeinen Erkenntnis werden – und das Wissen um deren menschliche Setzung zum Tabu?

Das ist natürlich durchaus denkbar, aber ich würde es bedauern. Es ist ja auch denkbar, dass wir alle muslimisch oder wieder katholisch werden. Aber frei in unseren Gedanken können wir dann nicht mehr sein. Ich bin allerdings nicht so pessimistisch, dass es so weit kommen wird.

Viele Menschen würden die absolute Unantastbarkeit der Menschenwürde, quasi als neue Offenbarung, durchaus als wünschenswert begrüßen.

Wissen Sie, ein kluger Moralist hat einmal gesagt: "Etwas Zucker im Urin, und der Freigeist geht zur Messe". Aber das ist nur die eine Seite der Moderne, denn natürlich gilt auch: "Etwas Zucker im Urin, und selbst der Heilige Vater geht zum Internisten". Die Consolatio, die Trostfunktion von Religion bei Trauer, in emotionalen Ausnahmesituationen, ist ein Teil der menschlichen Schwäche. Entscheidend ist: Man kann heute wissen, dass es sich dabei um Illusionen handelt, es verlässt sich ja auch niemand mehr darauf. Der moderne säkulare Staat beruft sich eben gerade nicht auf einen platonischen Ideen-Himmel, sondern auf weltanschauliche Neutralität. Religionsfreiheit heißt ja in letzter Konsequenz, dass die Menschen die Religion nicht mehr wirklich ernst nehmen. Denn wenn ich sie ernst nehme, sind die Lehren und Gebote der Religion immer über die säkularen Gesetze zu stellen.

Gilt diese Neutralität auch in Zukunft? Der Staat ist mit Hobbes angetreten, um Leib und Leben des Menschen zu schützen, später kam die Freiheit hinzu. Heute beginnt er dagegen seinen Bürgern Vorschriften für ein gutes, vor allem ein gesundes Leben zu machen, er entwickelt sich zum fürsorgenden Staat.

Rudolf Burger
Burgers Thema beim "Philosophicum": "Triumph des Liberalismus. Ein Nachruf."
© Wiener Zeitung / Strasser
Es wird heute oft geschrieben und gesagt, der Liberalismus trete für einen Minimalstaat ein, im Idealfall wie etwa bei den Libertären sogar für gar keinen Staat. Damit kann man sich jedoch gewiss nicht auf Hobbes, allenfalls auf John Locke berufen, weil für diesen die Tausch-Gesellschaft noch vor dem Gesellschaftsvertrag existiert. Realhistorisch verhält es sich aus meiner Sicht aber genau umgekehrt: Die bürgerliche Gesellschaft und der moderne Staat entwickelten sich parallel zueinander. Die Leistung der modernen, bürgerlich-liberalen Gesellschaft besteht in der Monopolisierung des Politischen im Staat und in der gleichzeitigen Entpolitisierung der Gesellschaft; zuvor, etwa in der feudalen Gesellschaft, gab es mehrere politische Zentren. Dass der Liberalismus per se staatsfeindlich sei, ist also eine Legende. Die zweite Legende ist, dass der Liberalismus eine moralische Befreiung gebracht habe. Das Gegenteil entspricht der historischen Realität: Der Liberalismus kam mit einer enormen Moralisierungskampagne gegen die angebliche Verkommenheit der feudalen Gesellschaft an die Macht. Moral wurde in seinen Händen zu einem Kampfmittel. Es ist kein Wunder, dass der Höhepunkt des Liberalismus mit dem moralisch rigiden Viktorianismus einherging. Zwischen 1760 und 1830 hat, so schreibt der französische Philosoph George Canguilhem, eine normative Klasse die Macht erobert. Diese Entwicklung setzt sich heute fort, dazu muss man sich nur die Debatte um die Thesen Thilo Sarrazins anschauen: Vor allem zu Anfang lief eine reine Empörungsdebatte auf moralischer Basis, die Sache selbst wurde allenfalls am Rande diskutiert. Ich persönlich breche jede Debatte ab, wenn einer nicht inhaltlich argumentiert, sondern lediglich ausruft, er sei empört.

Gerade in der Ära des Neoliberalismus ereignete sich, was ich die fortschreitende Mikro-Normierung des Alltags nenne. Im gleichen Maße, wie sich der Staat als Sozialstaat zurückzieht, expandiert er als therapeutischer Staat. Heute sind die großen politischen Themen Gesundheit, Sicherheit und Nicht-Diskriminierung. Im Fernsehen laufen ständig Spitals- oder Gerichtssendungen; und im Sport oder in der Freizeit wird Gefährlichkeit nur noch simuliert. Als 1970 Jochen Rindt tödlich verunglückte, kamen im Rennsport über ein Dutzend Fahrer ums Leben; heute ist das eine der sichersten Sportarten. Diese Entwicklung hängt, denke ich, mit dem Transzendenz-Verlust unserer postmodernen Gesellschaft zusammen. Damit meine ich sowohl den Verlust an vertikaler, also metaphysischer, religiöser Transzendenz, als auch an horizontaler, also historisch-politischer Transzendenz: Es gibt keine tatsächlichen politischen Visionen, keine großen Programme und Utopien mehr. Wenn das aber der Fall ist, dann sind die Menschen auf die reine Immanenz ihrer Lebenszeit zurückgeworfen – und danach ist es aus und vorbei.

In dieser Situation gibt es nur zwei Möglichkeiten: Wir Menschen können darauf entweder hedonistisch reagieren, indem wir uns jedes vorstellbare Vergnügen gönnen, oder asketisch und gesund, um unsere Lebenszeit so weit wie möglich auszudehnen. In den westlichen Industrieländern erleben wir die Kombination beider Lebensentwürfe in Form eines asketischen Hedonismus. Köche als öffentliche Stars sind eine historische Novität – und was sie kochen, muss köstlich und zugleich gesund sein. In Spitzenrestaurants wird heute weder geschlemmt noch gesoffen noch geraucht, die Menschen dort sind zu Asketen geworden.

Und was bedeutet diese Entwicklung für unser Verständnis vom Staat?

Zunächst einmal, dass diese Pädagogisierung und Therapeutisierung über den Staat und parastaatliche Institutionen in Form von Vorschriften und Gesetzen betrieben wird. Begonnen hat es mit der Gurtenpflicht für das Auto, dann kam der Helm für Motorradfahrer, jetzt für Rad- und Skifahrer, Licht am Tag bis hin zum Rauchverbot. Wenn Sie sich heute eine Autowerbung anschauen, geht es fast nur noch um die Sicherheitsaspekte – und darum, wie umweltfreundlich die Abgase doch sind.

Der Staat argumentiert bei diesen Vorschriften mit dem Sicherheitsaspekt als auch mit einer ökonomischen Komponente, etwa den Kosten für das Gesundheitssystem durch einen ungesunden Lebenswandel.

Das aber ist, entschuldigen Sie den harten Vergleich, die klassische Formel des Faschismus, die da lautet: "Gemeinnutz geht vor Eigennutz".

Was bedeutet dieses apodiktische Urteil über den postmodernen Staat für Ihr Verhältnis zu eben diesem? Eigentlich wäre dann ja Widerstand angesagt.

Für Widerstand bin ich schon zu alt – und schon Ernst Jünger sagte: „Opposition bedeutet Mitarbeit“. Meine Position zu diesem Staat ist eine anarchische. Ich betrachte ihn in vielen Positionen als mir feindlich gesinnt, weil er in meine persönliche Freiheit eingreift.

Also Selbstaufgabe der eigenen Freiheiten angesichts der Zeitumstände?

Man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Was sich ein Individuum so denkt, darauf kommt es nicht mehr an. Radikal zu denken bedeutet deshalb in meinem Alter, keine Aufrufe mehr zu machen. Es geht nur noch darum, mit der eigenen archaischen Lebensform so gut es eben geht in dieser Schlumpfwelt durchzukommen.

Diese Entwicklung ist aber nicht vom Himmel gefallen, sondern erhielt mehrheitliche Unterstützung in demokratischen Wahlen.

Wenn man unsere Demokratie mit jener der griechischen Polis vergleichen wollte, so entspräche diese einem Kriegsschiff, wo jeder zur Mitarbeit gezwungen ist – die griechische Antike befand sich ja zu rund 50 Prozent ihrer Zeit im Kriegszustand. Unsere Massendemokratie gleicht dagegen eher einem riesigen Passagierdampfer, auf dem es eine Mannschaft und Passagiere gibt: Die Passagiere werden versorgt und vergnügen sich, es kümmern sich aber immer weniger darum, wo die Reise hingeht. Für mich wurde das besonders deutlich, als im Mai Europas Regierungen in einer Nacht- und Nebelaktion ein 750-Milliarden-Euro-Paket zur Rettung der Gemeinschaftswährung und Griechenlands beschlossen haben.

Ich will absolut keinen inhaltlichen Vergleich machen, aber ich habe mich dabei an den 24. März 1933 erinnert gefühlt, den Tag, an dem die Ermächtigungsgesetze beschlossen worden sind. Damals wurde die Regierung – also die Exekutive – ermächtigt, Gesetze zu erlassen. Das Budget ist die Kernkompetenz eines jeden Parlaments, in dieser Mai-Nacht 2010 jedoch wurden sämtliche europäischen Parlamente mit einem Federstrich entmachtet. Den Parlamenten blieb gar nichts anderes übrig, als diesen Schritt im Nachhinein abzusegnen. Ausgerechnet in dem Moment, wo ständig über die Demokratisierung der EU gesprochen wird, passiert so etwas!

Nicht, dass ich eine Alternative zu dieser Vorgehensweise gesehen hätte oder dass ich nicht froh bin, dass es so etwas wie die EU gibt und Österreich Mitglied ist, aber das sind Entwicklungen, bei denen ich beginne, mich unbehaglich zu fühlen. Es gibt wenige Begriffe, die so oft missbraucht werden, wie die Demokratie: Alles, was einem gefällt, bezeichnet man als demokratisch, alles andere schlicht als undemokratisch. Heute sollte es dagegen um die Bewahrung der liberalen Werte gehen: der Freiheit des Einzelnen, von Minderheiten, auch der Toleranz gegenüber menschlichen Schrulligkeiten und Lastern. Das aber droht zu verschwinden.

Welche Bedeutung kommt dem Staat, insbesondere dem Nationalstaat, in Bezug auf die Identität des Einzelnen heute noch zu?

Jedes politische Gemeinwesen braucht so etwas wie eine vorjuristische Loyalität. Das geht nicht nur über Gesetze, dazu braucht es die Empathie der Einzelnen. Seit der Zeit der Französischen Revolution ist dieses Vehikel die Nation. Es ist das Konstrukt der Nation, die den Staat zusammenhält. Daher vermute ich auch, dass die Re-Nationalisierungstendenzen in Europa nicht ab-, sondern eher noch weiter zunehmen. Die These Jürgen Habermas’ von der postnationalen Situation teile ich nicht, ich halte das für eine Bonner Illusion, die seit der Berliner Republik wieder Vergangenheit ist. Der Begriff der Nation hat überall in Europa mit Ausnahme Deutschlands und Österreichs einen sehr positiven Klang. Ich glaube nicht, dass der europäische Nationalstaat vernünftigerweise in absehbarer Zukunft durch eine andere Organisationsform ersetzbar ist. Insbesondere hoffe ich das nicht, weil er der einzige Raum der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie ist. Dass gleichzeitig durch die EU-Gesetzgebung dieser Nationalstaat erodiert und Regionalismen gefördert werden, ändert an diesem Befund nichts.

Rudolf Burger gilt als einer der renommiertesten Philosophen Österreichs. Geboren 1938 in Wien, entstammt er einem kommunistischen Elternhaus, so dass der Marxismus sein Denken nachhaltig geprägt hat. Er studierte technische Physik an der TU Wien, promovierte 1965 und arbeitete als Universitätsassistent in Wien, am Battelle-Institut in Frankfurt am Main und im Planungsstab des Bundesministeriums für Forschung und Technologie in Bonn. 1973 holte ihn Hertha Firnberg als Leiter der Abteilung für sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung ins neue Wissenschaftsministerium. 1979 habilitierte sich Burger und wurde 1987 Professor für Philosophie an die Universität für Angewandte Kunst in Wien, deren Rektor er von 1995 bis 1999 war.

Im Jahr 2000 wurde Burger mit dem Staatspreis für Kulturpublizistik ausgezeichnet. Wichtige Arbeiten widmete er der Ästhetik und der politischen Philosophie. Werke u.a.: "Die Irrtümer der Gedenkpolitik. Ein Plädoyer für das Vergessen", "Ptolemäische Vermutungen", "Eine kleine Geschichte der Vergangenheit".

philosophicum lech

"Der Staat" steht im Zentrum des 14. "Philosophicum Lech", das vom 22. bis 26. September der Frage nachgeht: "Wie viel Herrschaft braucht der Mensch?" Bei dem Symposion im Vorarlberger Nobelskiort am Arlberg, das vom Philosophen Konrad Paul Liessmann ins Leben gerufen wurde, präsentieren Kulturtheoretiker und Politiker ihre Thesen zu Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen des modernen Staates.

Neben Burger und Liessmann diskutieren und referieren in Lech unter anderem der deutsche Historiker Christian Meier, der Politikwissenschafter Herfried Münkler, die Europa-Forscherin Sonja Puntscher-Riekmann, der Demokratie-Kritiker Hans-Hermann Hoppe und die Politologin Ulrike Ackermann. Die Politiker-Gilde vertreten Günther Öttinger, Gerhard Schröder, Franz Fischler und Alfred Gusenbauer. Den Abschluss der Tagung bildet Michael Köhlmeiers Referat "Ohne Staat. Traum und Albtraum der Dichter".

Wiener Zeitung, Samstag, 18. September 2010


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