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Die "böse" Nichte der Tante Jolesch#

Louise Eisler-Fischer engagierte sich für die Kommunisten, Friedrich Torberg stand im Dienst des FBI#


Mit freundlicher Genehmigung der Wiener Zeitung, Samstag/Sonntag, 4./5. Mai 2013

Von

Robert Sedlaczek


Wie die Politik Louise Eisler-Fischer und Friedrich Torberg entzweite.#

Louise Eisler-Fischer
Louise Eisler war überzeugte Kommunistin und überwarf sich deshalb mit Friedrich Torberg.
© Eisler-Archv

Die "Lieblingsnichte Louise" versuchte der Tante Jolesch am Totenbett das Rezept der Krautfleckerln zu entlocken. So steht es in Friedrich Torbergs Anekdotensammlung. Aber wer war Louise Jolesch wirklich?

Die Szene wäre reif für eine Seifenoper. Franz Jolesch, der Sohn eines Textilfabrikanten in Wiese bei Iglau, heiratet am 7. Jänner 1927 die aus Ungarn stammende Louise Gosztonyi. Er ist 29, sie ist 21 und hat bereits eine kurze Ehe mit dem Sohn eines Weingroßhändlers hinter sich. Der Vater und Fabriksbesitzer hätte die Ehe am liebsten verhindert. Deshalb wurde auch nicht in Mähren geheiratet, sondern in Budapest. Tags darauf fuhr der Vater nach Wien, um bei einem Notar ein Testament aufzusetzen. Er reduzierte Franz Jolesch - bei Torberg "der Neffe Franzl" - auf den Pflichtteil und verfügte, dass im Todesfall die Witwe den Familienbetrieb weiterführen solle.

In den folgenden Jahren war das Sommerhaus der Familie Jolesch der Treffpunkt von Schriftstellern. Torberg hielt sich dort einige Male auf, als Autor von "Der Schüler Gerber" hatte er sich in der Literaturszene bereits einen Namen gemacht. Egon Kisch wohnte in einem Gästezimmer des Haupthauses. Er arbeitete am liebsten auf der Holzveranda und ließ sich Unmengen an Kaffee servieren.

Louise las Marx, Engels und Trotzki sowie Werke der russischen Revolutionärin Vera Figner. Wenn bei Wahlen in dem kleinen Ort eine kommunistische Stimme gezählt wurde, war allen klar, woher sie kam. Es wird erzählt, dass Louise einmal im Garten nackt ein Sonnenbad nahm, worauf die Bauern mit Heugabeln zum Haus marschierten, um gegen diese Libertinage zu demonstrieren.

Die mondäne junge Frau fuhr oft nach Berlin, wo sie das Künstlerleben in sich einsog. Dort sah sie am 18. Jänner 1931 im Großen Schauspielhaus gemeinsam mit Egon Kisch die zweite und damals letzte Berliner Aufführung von Bert Brechts Stück "Die Maßnahme" mit Musik von Hanns Eisler. Sie schildert diesen Abend so: "In unserer Loge saß auch Karl Kraus, der wild applaudierte. Ich lernte Erich Mühsam kennen, der sehr anerkennend über das Stück sprach. Die meisten Freunde von Kisch jedoch lehnten es völlig ab, vor allem Georg Lukacs."

Begeisternde "Maßnahme"#

Nach der Aufführung saß sie mit Kisch im "Romanischen Café". "Ein kleiner, rundlicher Mann mit Glatze kam an unseren Tisch, begrüßte die Runde. Kisch stellte ihn mir vor, es war Hanns Eisler, der sich gleich wieder verabschiedete." Noch in der Nacht schrieb Louise einen Brief an ihren Mann, der in Wiese geblieben war. Sie habe ein großartiges Stück gesehen, den Namen des Komponisten habe sie noch nie gehört. "Diese Chöre kann man nur mit Bach vergleichen."

In dem Lehrstück "Die Maßnahme" liquidieren kommunistische Agitatoren einen Genossen, weil er durch ungeschicktes Verhalten sie und ihr Vorhaben in Gefahr brachte. Der junge Mann sah seine Fehler ein und stimmte der Tötung zu, dennoch kann die Handlung als Rechtfertigung für die stalinistischen Säuberungen gelesen werden. Brecht hat das Drama mehrmals umgeschrieben, nach 1945 untersagte er Aufführungen des Stücks. Dass Karl Kraus im Großen Schauspielhaus wild applaudierte, ist plausibel. Das Verhältnis zwischen ihm und Brecht war durch gegenseitige Wertschätzung gekennzeichnet.

Friedrich Torberg
Friedrich Torberg, Autor im Dienst des FBI.
© apa

Zwei Jahre später trifft Louise in der Hohen Tatra den kleinen rundlichen Mann mit der Glatze wieder - Hanns Eisler arbeitete dort an einem Filmprojekt. Zu dieser Zeit war sie ihres Daseins in Wiese bereits überdrüssig: "Sie redete ihrem Mann zu, auf die Fabrik und alles Drum und Dran zu verzichten. Sie könne so nicht leben, in diesem soliden Komfort. Außerdem sei er gar nicht so solid, denn Hitler stehe an der Grenze‚ ,und du bist Jude‘", berichtet später Ernst Fischer, Louises vierter Ehemann. Doch Franz Jolesch gab nicht nach. "Der Besitz war stärker. Sie fuhr nach Paris, wohin Hanns Eisler emigriert war."

Die Trennung Louises von Franz Jolesch war Vorbild für die Szene "Die jüdische Frau" in Brechts Stück "Furcht und Elend des Dritten Reiches". Auch dort verlässt eine Frau ihren Mann, um aus einer erkalteten Ehe und gleichzeitig auch vor den Nazis zu fliehen. Die Charaktere stimmen überein, auch die Details: Beide Ehepaare spielen Bridge, Franz Jolesch war sogar Turnierspieler.

Louise Eisler und Torberg führten 1945 in den USA einen regen Briefwechsel. Louise lebte mit Hanns Eisler an der Westküste, genauer in Malibu, direkt neben dem Haus von Thomas Mann, ganz in der Nähe hatten sich Brecht und Feuchtwanger niedergelassen. Torberg lebte damals in New York. Die Anrede "Liebe Lutschi" und auch der Wortlaut der nun erstmals veröffentlichten Briefe deuten darauf hin, dass sich die zwei wiedersehen wollten.

Doch Torberg bricht den Briefwechsel ab. Hans Eisler musste damals vor dem "Ausschuss für unamerikanische Umtriebe" aussagen, Brecht ebenfalls. Torberg hatte einige Jahre zuvor für das FBI Arbeiten Brechts im Hinblick auf deren politischen Inhalt analysiert.

Torberg übersetzt Brecht#

Es ist evident, dass die Ausschussmitglieder Bert Brecht mit Torbergs Ausarbeitungen in Bedrängnis brachten. Bei der Diskussion um "Die Maßnahme" verliert Brecht sogar den Faden. Erst als es um das "Solidaritätslied" geht und ihm eine englische Übersetzung Torbergs vorgelesen wird, ist er wieder obenauf. Frage: "Haben Sie das geschrieben, Herr Brecht?" - "Nein. Ich habe ein deutsches Gedicht geschrieben, aber es unterscheidet sich sehr stark von diesem hier." Im Protokoll findet sich der Vermerk "Gelächter".

Torbergs Entscheidung, den Kontakt mit Louise abzubrechen, ist verständlich. Hätte er, der erklärte Antikommunist, mit Louise weiter korrespondiert, wäre er in den Verdacht geraten, ein Kommunist zu sein. Das Telefon der Eislers wurde abgehört, Briefe wurden abgefangen.

Torbergs letztes Schreiben an Louise, datiert mit 24. November 1946, ist so verfasst, dass es zum Bruch kommen muss. Er hat ein knappes Jahr lang nicht geantwortet, jetzt schreibt er: ". . . aber es wäre wohl auch im Fall einer sofortigen Reaktion nicht viel zu ‚antworten‘ gewesen: weil Dein Brief, in den edelsten Traditionen femininer Korrespondenzführung, zwar kurz, aber dafür ziemlich inhaltslos war." Es gibt Spekulationen, dass später Ulrike Meinhof in Stammheim das Lied "Lob der Partei" aus "Die Maßnahme" in ein "Lied der RAF" umgedichtet hat. Vielleicht diente Brechts Stück sogar zur Stilisierung des Selbstmordes als Opfertod.

Louise Eisler-Fischer dürfte von Torbergs FBI-Aktivitäten gegen Brecht - lange vor dem in Österreich inszenierten Brecht-Boykott - nichts gewusst haben. Als Marietta Torberg 1988 bei ihr die Bewilligung einholen will, den Briefwechsel aus dem Jahr 1945 zu veröffentlichen, lehnt Louise das ab: "Ich war viele Jahre mit Fritz Torberg befreundet, bis er nach Österreich kam; da wurde er zu meinem Feind."

Wiener Zeitung, Samstag/Sonntag, 4./5. Mai 2013