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Hundert Jahre Untergang #

1918 publizierte Oswald Spengler seinen „Untergang des Abendlandes“. Seine Ideen klingen heute beklemmend bekannt.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE, 12. April 2018

Von

Otto Friedrich


Untergang (Symbolbild). Der Untergang der „Titanic‟ (Zeichnung von Professor Willy Stöwer)
Untergang (Symbolbild). Der Untergang der „Titanic‟ (Zeichnung von Professor Willy Stöwer)
Foto: Name. Aus: Wikicommons, unter PD

Das Thema ist modern wie nie: Die Zeitläufe schwemmen Untergangsängste hoch, wie sie bis vor kurzem kaum vorstellbar schienen. Verschwörungstheorien haben eine auch politische Konjunktur wie nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

In Polen versucht die regierende PiS seit der Regierungsübernahme, das Flugzeugunglück, bei dem Lech Kaczýnski anno 2010 in Russland ums Leben kam, zum staatlich gelenkten Attentat auf den damaligen Staatspräsidenten zu stilisieren – angesichts der Faktenlage eine aberwitzige Behauptung. Aber Zwillingsbruder Jarosław Kaczýnski, der starke Mann im Polen von heute, strickt an derartigem Narrativ munter weiter.

Noch letztes Wochenende konnte man bei Österreichs östlichem Nachbarn beobachten, wie Verschwörungsbehauptungen, ein jüdischer Großinvestor hätte geplant, Europa im Allgemeinen und Ungarn im Besonderen mit Flüchtlingen zu überschwemmen, verfingen – und Viktor Orbán, dem Propagandisten dieser Verschwörungsfantasie, einen fulminanten Wahlsieg bescherten.

Peter Strassers „Untergangs“-Relecture #

Untergang, vor dem zu warnen und zu erretten ist, hat also höchste Konjunktur. Dabei ist selbiger schon hundert Jahre alt – etwas weniger salopp ausgedrückt: Vor 100 Jahren, also 1918, erschien Oswald Spenglers kulturphilosophischer Bestseller „Der Untergang des Abendlandes“. Der gesellschaftliche Humus für diese Geschichtstheorie war zu Ende des ersten wirklich globalen Krieges fruchtbar. Und wirkte jedenfalls als Katalysator eines autoritären und antidemokratischen Zeitgeistes, der in der Zwischenkriegszeit und darüber hinaus wirkmächtig wurde.

Der Grazer Philosoph Peter Strasser hat bei Braumüller, jenem Verlag, in dem auch Oswald Spenglers wirkmächtiges Opus erschienen ist, eine knappe, konzise und luzide Relecture des abendländischen Untergangs vorgelegt: „Spenglers Visionen“ ist ein kleines Buch, das zur rechten Zeit erscheint, und das, indem es die Usurpation des Abendlandsbegriffs durch Spengler (und seiner neurechten Epigonen heute) virtuos in eine Sehnsuchtsoption namens Abendland (oder „Westen“) umkehrt.

Strasser macht schnell klar, dass der Geist, den Spenglers Werk atmet, bis in den intellektuellen Olymp jener Zeit – und auch danach – reicht. Die Demokratie, die Spengler als Sieg der Mittelmäßigkeit erscheint, oder das Streben nach friedlicher Koexistenz, das für ihn ein Ausdruck der Vergreisung ist, – „Zivilisation“ wird so zu einem Schimpfwort dafür (im Gegensatz zur „Kultur“) – steht auch für prominente Spengler-Zeitgenossen zur Disposition. Strasser zitiert etwa aus Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen“, die ebenfalls 1918 erschienen sind: „Ich bekenne mich tief überzeugt, dass das deutsche Volk die politische Demokratie niemals wird lieben können […] und dass der vielverschrieene ‚Obrigkeitsstaat‘ die dem deutschen Volk angemessene, zukömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform ist und bleibt.“

Von Thomas Mann bis Peter Handke #

Aber man solle nicht glauben, insinuiert Strasser in seiner Relecture, dass Spenglers Ideenkonstrukt nur ein Weiterdenken von vielem, was Friedrich Nietzsche begonnen hat, und was eben Zeitgenossen rezipierten, wäre. Strasser entdeckt die „elitäre Zivilisationskritik“, wie er sie bei Spengler ortet, bis in jüngste Tage – etwa in Peter Handkes Theaterstück „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ aus dem Jahr 2015. Strasser: „Die ‚Unschuldigen‘ sind für den Dichter die selbstgerechten Totengräber jeder Kultur, die es noch wert wäre, erhalten, gehegt und gepflegt zu werden. Gleich denkt man an Nietzsche; man trifft die Viel-zu-Vielen auch bei Spengler und Heidegger, lauter Autoren, die an den Untergang des laufenden Abendlandbetriebs die Hoffnung knüpften, der Durchschnittsmensch mit seiner vermassten Empfindungs- und Denkfähigkeit werde einer neuen Menschheit Platz machen.“

Fast möchte man sagen: Natürlich kommt Strasser neben Heidegger auch auf den Staatstheoretiker Carl Schmitt zu sprechen, den er ebenfalls diesem Kosmos der Untergangsgewinnler zuordnet. Es ist ja auch unübersehbar, dass der als „Kronjurist des Dritten Reiches“ Geschmähte mit seiner religiös überhöhten poltischen Theorie heute wieder in allen möglichen Denkzirkeln von konservativ bis weit rechts en vogue ist.

Doch worin besteht nun Oskar Spenglers Geschichtstheorie eigentlich? Die eine Säule davon ist seine Sicht auf die Menschheitsgeschichte als „Kriegsgeschichte“. Spengler frönt, beobachtet Strasser, einer „Raubtierethik“, die dem Starken und dem Kampf das Wort redet. Die Ausgleiche, um die sich Rechtsstaaten mühen, stehen dem diametral entgegen. Strasser schreibt, Spenglers Geschichtstheorie stehe gegen alles, „was sich heute […] zu Recht als ‚human‘, ‚humanistisch‘ oder ‚humanitär‘ bezeichnen ließe“. Und Strasser liegt auch nicht falsch, wenn er dieser elitären Weltsicht „ungebrochene Attraktivität“ attestiert: Wer den neokonservativen Diskurs beobachtet, von jenem der neurechten Ideologen gar nicht zu reden, weiß darum.

Als anderes wesentliches Moment identifiziert die Spengler-Denkfigur die Geschichte mit biologistischen Mustern: Dem Aufstieg einer Kultur folgt ein Reifungs-, Alterungs- und Vergreisungsprozess, der dann in den Untergang mündet. Die abendländische Kultur setzt Spengler erst um die Wende vom ersten zum zweiten nachchristlichen Jahrtausend an, die Antike oder das „jüdisch- christliche“ Erbe, das gerade heutige Abendlandsbeschwörer so gern im Mund führen, gehört da nicht dazu. Anzumerken bliebe auch, dass der Begriff „Abendland“ ja nur im deutschen Sprachraum existiert – und da erst seit der Reformationszeit als Unterscheidung zum Orient, der in der Lutherbibel mit „Morgenland“ übersetzt wurde.

Im Spengler-Kosmos setzt der Untergang dieses Abendlands denn auch nicht vor 100 Jahren ein, sondern die Vergreisung der Kultur beginnt mit dem 17. Jahrhundert, um dann im 19. Jahrhundert endgültig manifest zu werden. Spengler will seine Geschichtsbeschreibung auch nicht als pessimistische Sicht verstanden wissen (auch wenn seine heutigen Epigonen die Untergangs-Metapher gerade in diesem Sinn verwenden).

Strassers Visionen #

Aber sie hat – und das zeigt Peter Strasser in seiner Analyse klarsichtig auf, enorme politische Implikationen, indem sie das zivilisatorisch (nochmals: für Spengler ein zu bekämpfender Begriff!) Erreichte sozusagen mit dem Tod einer Kultur identifiziert. Das Verlangen nach einem starken Mann, die Legitimierung autoritärer Gesellschaftssysteme (bis hin zum Faschismus) resultieren daraus. Bei seinem Aufstieg fand auch der Nationalsozialismus Berührungspunkte dazu, wiewohl sich Spengler in der Folge von den braunen Herren nicht usurpieren ließ.

Dennoch gibt die Renaissance autoritären Denkens im Verein mit einer vermeintlichen Notwendigkeit, das Abendland zu „retten“, gespenstische Berührungspunkte zu den Abgründen, die ebendieser Kosmos des Oswald Spengler bereithält. Peter Strassers Buch entpuppt sich als Landkarte dafür.

Aber der Grazer Philosoph will das Abendland nicht den Spenglerianern und ihren heutigen Genossen überlassen. Strasser entwickelt ihnen entgegen das Bild und den Sehnsuchtsort des „Westens“ mit all seinen zivilisatorischen Errungenschaften sowie den gewiss holprigen, aber unleugbar vorhandenen Bemühungen um eine menschengerechte Friedensordnung, die sich durch sieben Jahrzehnte hindurch bewährt hat. Die aber aktuell sehr wohl in Gefahr ist.

Strassers Visionen reden somit einem „Aufgang des Abendlandes“ das Wort, um eine wegweisende FURCHE-Überschrift von Friedrich Heer aus dem Jahr 1946 zu zitieren – auch wenn man den Polyhistor dieser Zeitung hier als Anhänger obiger Theorie identifizieren muss, setzt Heer doch wie Oswald Spengler den abendländischen „Aufgang“ an die Wende vom neunten zum zehnten nachchristlichen Jahrhundert.

Buchcover

Spenglers Visionen. Hundert Jahre Untergang des Abendlandes.

Von Peter Strasser

Braumüller 2018

127 Seiten, geb., € 18,–

DIE FURCHE, 12. April 2018


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