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„Was bleibt, wenn die Schreie enden?“ #

Vor 30 Jahren starb Samuel Beckett, einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Zeitgerecht wurde die vierbändige Ausgabe der gesammelten Briefe des Nobelpreisträgers komplettiert. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (18. Juli 2019)

Von

Nikolaus Halmer


Samuel Beckett, 1977
Der Apologet des Pessimismus Beckett vertrat eine radikale Sichtweise der menschlichen Existenz, Ausweglosigkeit und Scheitern sind bei ihm zentrale Motive. Samuel Beckett, 1977.
Foto: Roger Pic (1920–2001). Aus: Wikicommons, unter PD

„Vorsätze: Null Stop – Hoffnungen: Null Stop Beckett“– so lautete ein Telegramm, in dem der damals 77-jährige Autor seine pessimistische Weltsicht prägnant formulierte. Kaum ein anderer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts hat die Aussichtslosigkeit der menschlichen Existenz und das Scheitern so propagiert wie Samuel Beckett. Seine Devise lautete: Das Leben muss gelebt werden, auch wenn es von einem stetigen Scheitern begleitet wird. „Immer das gleiche. Nie etwas anderes. Immer versucht. Immer gescheitert. Macht nichts. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern“, heißt es in seinem Text „Worstward Ho“ („Aufs Schlimmste zu“). Neben seinen frühen Romanen wie „Murphy“, „Molloy“, „Malone stirbt“ und seinen minimalistischen späten Theaterstücken und Hörspielen ist Becketts radikale Sichtweise der menschlichen Existenz in einer vierbändigen Ausgabe seiner Briefe dokumentiert, deren letzter Band mit dem Titel „Was bleibt, wenn die Schreie enden?“ nunmehr vorliegt. Er umfasst rund tausend Seiten und enthält eine Auswahl der Briefe von 1966 bis zu Becketts Tod im Jahr 1989. Dabei werden Erwartungen, Einsichten in sein privates Leben zu erhalten, nicht erfüllt. Die Herausgeber haben sich strikt an die Vorgabe des Autors gehalten, „sich lediglich auf solche Passagen zu beziehen, die für mein Schaffen von Belang sind“.

Die Briefe zeigen die obsessive Arbeit an seinem schriftstellerischen Werk und an den peniblen Inszenierungen der Theaterund Fernsehstücke. „Nichts ist wichtig außer dem Schreiben. Um etwas anderes ist es nie gegangen“, notierte er. Wie präzise Beckett bei der Umsetzung seiner Texte vorgeht, zeigt eine Anweisung für die Fernsehproduktion von „He, Joe“ für den Regisseur Alan Schneider:

„Die Stimme soll geflüstert sein. Eine tote Stimme in seinem Kopf. Ein Minimum an Färbung. Aggressiv. Jeder Satz ein Dolch, der zusticht, verweilt, zurückgezogen wird und wieder zusticht.“

Unwillkommene Ehrungen #

Im Jahr 1966, in dem der Briefwechsel einsetzt, gilt Beckett als führender Autor der Avantgarde, der trotz seines weltweiten Erfolgs von Selbstzweifeln geplagt wurde, die in seinen Briefen immer wieder beschrieben werden. Dennoch hatte er nicht das Gefühl, schon am Ende seines Schreibens angekommen zu sein. „Die Zeit wird knapp, und vielleicht lassen sich noch ein paar Tropfen aus der alten Zitrone quetschen“, heißt es in einem Brief von 1967. Viel Zeit und Energie widmete er den Inszenierungen seiner Theaterstücke in Paris, London und Berlin, wo er 1969 die Proben für „Das letzte Band“ mit Martin Held am Schillertheater kritisch kommentiert: „Er kann den Text nicht einmal ansatzweise und ich fürchte, Unerfreulichkeiten lassen sich kaum vermeiden“. 1969 erhält Beckett den Nobelpreis für Literatur; für ihn eine Katastrophe, die mit einer zweiten Katastrophe zusammenfiel, die ihn in Tunesien ereilte. Es handelt sich um den Verlust eines Teiles des Gebisses, den er in einem Brief an seine Vertraute Barbara Bray ironisch schilderte: „Ein Viertel der oberen Stummel samt Rialtobrücke fiel in den Sand. Sprechen und Kauen nahezu unmöglich. Aber Trinken und Schweigen unbeeinträchtigt.“

Nach Tunesien war Beckett geflüchtet, um dem medialen Spektakel und den Ehrungen zu entgehen, die er zeit seines Lebens zutiefst verachtete. Ein Beispiel für die Zumutungen der Medien: „Das Schwedische TV will mich filmen beim Meditieren in Orangenhainen“.

Neben seiner fast ausschließlichen Konzentration auf die literarische Arbeit interessierte sich Beckett für die bildende Kunst. So hatte er bereits bei einer Deutschlandreise im Jahr 1936 Gemälde der Expressionisten wie Emil Nolde oder Ernst Ludwig Kirchner bewundert. Besonders beeindruckte ihn Caravaggios Gemälde „Die Enthauptung Johannes des Täufers“ in der Kathedrale von La Valetta, das er während eines Urlaubs in Malta entdeckte: „Das Caravaggio-Gemälde in Valetta zeigt, außerhalb und jenseits der Bildmitte und in sicherer Entfernung davon, eine Gruppe von Zuschauern, die das Geschehen angespannt verfolgen. Vor dem Gemälde, aus einer anderen Außensicht, nehme ich den Horror wahr und auch dessen Wahrgenommenwerden“.

Auffallend ist Becketts Desinteresse an politischen Vorgängen. In den Briefen finden sich kaum Hinweise auf aktuelle Vorfälle. Beckett lehnte Jean-Paul Sartres Ideal des engagierten Intellektuellen ab; für die revolutionäre Studentenbewegung des Mai 1968 hatte er keine Sympathie. Theodor W. Adorno, dessen Vorlesung von radikalen Exponenten des Sozialistischen Deutschen Studentenverbandes gestört wurde, erhielt von Beckett folgendes Schreiben: „Ich bin noch nicht von der Marcusejugend ausgebuht worden. War jemals soviel Rechthaben mit soviel Torheit verbunden?“ Becketts Ablehnung eines politischen Aktionismus hinderte ihn nicht daran, sich für den in Prag inhaftierten Václav Havel einzusetzen. Außerdem verfasste er eine Petition für die Freilassung des befreundeten Schriftstellers Fernando Arrabal, dem in Spanien der Prozess gemacht wurde. Auch die Großzügigkeit Becketts kommt in den Briefen zum Ausdruck. Er überließ der verarmten amerikanischen Schriftstellerin Djuna Barnes sein Honorar von 3375 Dollar, wofür sie sich überschwänglich bedankte: „Ihr hochherziges und erstaunliches Angebot ist großartig.“

Überschrittene Schwellen #

In seinen Briefen erweist sich Beckett nicht nur als Apologet eines umfassenden Pessimismus, sondern auch als jemand, der durchaus sinnlichen Genüssen zugetan war. Über einen Aufenthalt in Berlin, wo er an der „Akakakakakademie der Kükükükükünste“ untergebracht war, berichtete er in einem Brief an den befreundeten Maler Avigdor Arikha: „Habe meine alten Pfade und Ruheplätze mehr oder weniger unverändert vorgefunden: Den Räucherlachs des Lokals Giraffe, den Weinkeller der Frau Neumann und die flüssigen Tröstungen im Geschäft Rollenhagen.“ Und über einen Aufenthalt in Alghero in Sardinien schrieb er: „Sehr schöner Ort. Prächtiges Wetter. Meer wohltemperiert. Schmerzfreies Schwimmen.“

In den letzten Jahren häufen sich Becketts Klagen über körperliche Schwächen und nachlassende geistige und psychische Kräfte. Die Briefe wurden durch Postkarten ersetzt, auf denen sich kurze Bemerkungen finden. So schreibt er an Rick Cluchey, der Becketts Theaterstück „Warten auf Godot“ im Gefängnis von San Quentin aufgeführt hatte: „Verzeih die leere Karte, leer wie ich. Noch immer hier bei den alten Knackern, nicht gebessert, nicht verschlechtert, Ende nicht in Sicht.“ Sein letztes Lebensjahr verbrachte Beckett in einem Altersheim, wo er am 22. Dezember 1989 verstarb. Mit dem körperlichen und geistigen Verfall war Beckett vertraut; er hatte ihn in dem Roman „Molloy“ so geschildert: „Alles verschwimmt. Noch ein wenig mehr und man ist blind. Es sitzt im Kopf. Er tut nicht mehr mit, er sagt: Ich tue nicht mehr mit. Taub wird man auch, und die Geräusche werden schwächer. Kaum dass man die Schwellen überschritten hat, ist es so. So dass man sich sagt, diesmal wird es noch gut gehen, dann vielleicht noch einmal und dann ist es aus.“

Buchcover: Was bleibt, wenn die Schreie enden?

Was bleibt, wenn die Schreie enden? Briefe 1966–1989

Von Samuel Beckett

Suhrkamp 2018

1008 S., geb.,

€ 70,–

DIE FURCHE (18. Juli 2019)


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