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Das Schreiben als Teufelsdienst#

Franz Kafka, von Brotberuf Versicherungsjurist, konnte die Widersprüche zwischen innerer und äußerer Wahrheit nur in der Literatur auflösen#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 22. August 2009) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Otto A. Böhmer


Franz Kafka
Franz Kafka. Porträt von Friedrich Feigl, 1940 (Museum Ostdeutsche Galerie, Regensburg.)
© Wiener Zeitung / Foto: Buch "Dichterbilder", Philipp Reclam Jun., Stuttgart 2003

Der Dichter Franz Kafka war ein Mensch, der kein Genügen finden konnte: nicht an sich selbst, nicht an der Welt, aber, was schwerer wog, auch nicht an den normalen Erkenntnisvorgängen, die eine Realität voraussetzen und ein Wissen, das sich an eben dieser Realität bedient und abarbeitet. In einer seiner frühen Erzählungen, "Beschreibung eines Kampfes", hat er erstmals anzudeuten versucht, wie sich ihm das Gegebene gerade dann zu entziehen beginnt, wenn scheinbar alles in Ordnung ist: "Ich hoffe von Ihnen zu erfahren, wie es sich mit den Dingen eigentlich verhält, die um mich wie ein Schneefall versinken, während vor andern schon ein kleines Schnapsglas auf dem Tisch fest wie ein Denkmal steht ... Sie glauben nicht daran, dass es andern Leuten so geht? Wirklich nicht."

Für Kafka versanken "die Dinge" tatsächlich "wie ein Schneefall", während den anderen, der erdrückenden Mehrheit, zu der er, bevorzugt, seinen gefühlsgroben Vater zu rechnen hatte, "schon ein kleines Schnapsglas auf dem Tisch fest wie ein Denkmal" stand. Für den Dichter indes stand gar nichts fest; allenfalls, dass er sich selbst nicht entfliehen konnte – was keine tröstliche Aussicht war: „Mein Weg ist gar nicht gut und ich muss – soviel Übersicht habe ich – wie ein Hund zugrunde gehn. Auch ich würde mir gern ausweichen, aber da das nicht möglich ist, freue ich mich nur noch darüber, dass ich kein Mitleid mit mir habe und so egoistisch also endlich geworden bin.“

Zur Hinnahme seiner selbst sieht sich Kafka veranlasst, als er zu begreifen beginnt, dass ihm kein gewöhnlicher Umgang mit der Wirklichkeit und ihren Menschen vergönnt sein sollte. Er weiß auch, dass es ihm nicht vergönnt sein wird, eine Ordnung der Dinge herzustellen, an der er selbst Beruhigung findet.

Wünsche an das Leben#

Gelingen kann ihm dies nur im schwebenden Leichtsinn des Traums, der sich an keine Zeiten und an keine Dienstvorschriften halten muss. In einer Tagebuchaufzeichnung heißt es: „Ich saß einmal vor vielen Jahren, gewiss traurig genug, auf der Lehne des Laurenziberges. Ich prüfte die Wünsche, die ich für das Leben hatte. Als wichtigster oder als reizvollster ergab sich der Wunsch, eine Ansicht des Lebens zu gewinnen (und – das war allerdings notwendig verbunden – schriftlich die anderen von ihr überzeugen zu können), in der das Leben zwar sein natürliches schweres Steigen und Fallen bewahre, aber gleichzeitig mit nicht minderer Deutlichkeit als ein Nichts, als ein Traum, als ein Schweben erkannt werde. Vielleicht ein schöner Wunsch, wenn ich ihn richtig gewünscht hätte. Etwa als Wunsch, einen Tisch mit peinlich ordentlicher Handwerksmäßigkeit zusammenzuhämmern und dabei gleichzeitig nichts zu tun, und zwar nicht so, dass man sagen könnte: ‚Ihm ist Hämmern ein Nichts’, sondern ‚Ihm ist das Hämmern ein wirkliches Hämmern und gleichzeitig auch ein Nichts’, wodurch ja das Hämmern noch kühner, noch entschlossener, noch wirklicher und, wenn du willst, noch irrsinniger geworden wäre. Aber er konnte gar nicht so wünschen, denn sein Wunsch war kein Wunsch, es war nur eine Verteidigung, eine Verbürgerlichung des Nichts, ein Hauch von Munterkeit, dem er dem Nichts geben wollte, in das er zwar damals kaum die ersten bewussten Schritte tat, das er aber schon als sein Element fühlte. Es war damals eine Art Abschied, den er von der Scheinwelt der Jugend nahm, sie hatte ihn übrigens niemals unmittelbar getäuscht, sondern nur durch die Reden aller Autoritäten ringsherum täuschen lassen ..."

Kafka erkennt, dass die Wahrheit, die ihm zugemutet wird, in einer Literatur liegt, deren Ansprüche beträchtlich, fast maßlos sind, obwohl ihre Strenge sich vor allem gegen den Urheber richtet. Er muss Schriftsteller sein, ohne Wenn und Aber. Als sich ihm diese Gewissheit stellt, der er mit keinen Ausflüchten mehr kommen kann, hat er, paradox genug, die Integration in sein Berufsleben bereits vollzogen. Nach dem Studium der Rechte, der Promotion, einem Praktikum in einer Prager Rechtsanwaltskanzlei arbeitet er seit dem August 1908 in der "Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen", der er, bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung im Sommer 1922, schweren Herzens die Treue hält.

Kafkas Welt ist kein wüstes Land, das in unzugängliches Privateigentum überführt wurde, sondern ein zerlegtes, entfremdetes Dasein, wie es sich erst dem durchdringenden Blick darbietet, der an Ausschmückung, an Überwucherung und funktioneller Verfügbarkeit nicht mehr interessiert sein darf.

Die weltabgewandte Seite des Menschen ist verwundbar, und einem Dichter wie Kafka, der sich kein dickes Fell zulegen konnte, muss sie noch viel verwundbarer vorkommen: "Wenn man so ein Leben überblickt, das sich ohne Lücke wieder und wieder höher türmt, so hoch, dass man es kaum mit seinen Fernrohren erreicht, da kann das Gewissen nicht zur Ruhe kommen. Aber es tut gut, wenn das Gewissen breite Wunden bekommt, denn dadurch wird es empfindlicher für jeden Biss. Ich glaube, man sollte überhaupt nur Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder verstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns."

Befremdliche Welt#

Tatsächlich schrieb sich Kafka die Bücher, die er brauchte, „zur Not“ selbst. Die Ängste, die er beschrieb, das absurde oder verzweifelte Ungenügen an der Benennung einer Welt, die ihr Auseinanderfallen in subjektive und objektive Momente niemals verleugnen kann (auch wenn das gewöhnliche Standesbewusstsein Einheitlichkeit und Übereinstimmen suggeriert), entwirft das Bild bleibender Unvertrautheit, die nicht im Privaten aufgeht, sondern der Existenzordnung als solcher die Sicherheit abgräbt. Von Kafka selbst erfährt man darin eigentlich nichts; der Autor bleibt ein Geheimnisträger. Ein Mitschüler Kafkas erinnert sich: "Er war immer rein und ordentlich, unauffällig und solid, aber niemals elegant gekleidet...

Wir hatten ihn alle sehr gern und schätzten ihn, aber niemals konnten wir mit ihm ganz intim werden, immer umgab ihn irgendwie eine gläserne Wand. Mit seinem stillen, liebenswürdigen Lächeln öffnete er sich die Welt, aber er verschloss sich vor ihr ... Was mir im Gedächtnis haftengeblieben ist, ist das Bild eines schlanken, hochgewachsenen, jungenhaften Menschen, der so still aussah, der gut war und liebenswürdig, der freimütig jedes Andere anerkannte und doch immer irgendwie entfernt und fremd blieb."

Kafka hat das Befremdliche registriert, ohne es zur Belastungsprobe für andere werden zu lassen; im gesellschaftlichen Verkehr ist er hilfsbereit und zuvorkommend.

Auch sein Arbeitgeber, die Versicherungsanstalt, kann mit ihm nur zufrieden sein; er erfüllt die ihm übertragenen Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen. Sein eigentliches Leben beginnt erst in der Nacht. Dann beginnt er zu schreiben, was ihm nie leichtfällt; der Schriftsteller, wie Kafka ihn sieht, führt einen aussichtslosen, aber überlebensnotwendigen Kampf, der gelegentlich unerhörte Wahrheiten aufblitzen lässt, ansonsten jedoch eine Veranstaltung von geringem Unterhaltungswert bleibt.

Kafka schreibt um sein Leben, und er wird dafür mit lebenslanger Erschütterung bedacht, von der die anderen kaum etwas mitbekommen. In einem Brief an seinen Freund Max Brod heißt es: "Das Schreiben erhält mich, aber ist es nicht richtiger zu sagen, dass es diese Art Leben erhält? Damit meine ich natürlich nicht, dass mein Leben besser ist, wenn ich nicht schreibe. Vielmehr ist es dann viel schlimmer und ganz unerträglich und muss mit dem Irrsinn enden...

Aber wie ist es mit dem Schriftstellersein selbst? Das Schreiben ist ein süßer wunderbarer Lohn, aber wofür? In der Nacht war es mir mit der Deutlichkeit kindlichen Anschauungsunterrichts klar, dass es der Teufelsdienst ist. Dieses Hinabgehen zu den dunklen Mächten, diese Entfesselung von Natur aus gebundener Geister, fragwürdige Umarmungen und was alles noch unten vor sich gehen mag, von dem man oben nichts mehr weiß, wenn man im Sonnenlicht Geschichten schreibt. Vielleicht gibt es auch anderes Schreiben, ich kenne nur dieses..."

Kafkas Inspiration musste von Anfang an ohne Erleuchtung und den Glanz der Gewissheit auskommen; sie wird vielmehr im Negativen festgemacht, in der fehlenden Deckungsgleichheit zwischen Begriff und Gegenstand, zwischen innerer und äußerer Wahrheit. Der einzige Ort, an dem der Schriftsteller die Übereinstimmung entzweiter Momente herbeizwingen kann, ist der Schreibtisch; ihn erklärt Kafka zu seinem Refugium: „Das Dasein eines Schriftstellers ist ... vom Schreibtisch abhängig, er darf sich eigentlich, wenn er dem Irrsinn entgehen will, niemals vom Schreibtisch entfernen, mit den Zähnen muss er sich festhalten."

Keine Heimat, kein Trost#

Kafka hat seinen Schreibtisch verteidigt, auch wenn weit und breit keine Angreifer in Sicht waren.

Dabei ist ihm manches entgangen, was den leichter Gestimmten erwähnenswert erschien; er hat allerdings auch sehr viel mehr gesehen als sie, ohne dass er dafür die Welt draußen abklappern musste.

Letztlich ändert allerdings ein kleines Stück Heimat nichts daran, dass der Mensch, ist er denn so wie Kafka geraten, im Großen und Ganzen gar keine Heimat finden kann: Für ihn ist kein Ort, nirgends. "Er fühlt sich auf dieser Erde gefangen, ihm ist eng, die Trauer, die Schwäche, die Krankheiten, die Wahnvorstellungen der Gefangenen brechen bei ihm aus, kein Trost kann ihn trösten, weil es eben nur Trost ist, zarter kopfschmerzender Trost gegenüber der großen Tatsache des Gefangenseins. Fragt man ihn aber, was er eigentlich haben will, kann er nicht antworten, denn er hat – das ist einer seiner stärksten Beweise – keine Vorstellung von Freiheit."

Otto A. Böhmer
Otto A. Böhmer
© Wiener Zeitung

Otto A. Böhmer, geboren 1949, lebt als Schriftsteller in der Nähe von Frankfurt am Main.


Zuletzt sind von ihm erschienen:

"Joseph von Eichendorff. Sein Leben erzählt von Otto A. Böhmer" (Diogenes Verlag) und der Roman "Wenn die Eintracht spielt" (Weidle Verlag).


Wiener Zeitung, Samstag, 22. August 2009