Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Theodor Herzl: Schnöde Knechtschaft bei der „Presse“#

Theodor Herzl war in der „Neuen Freien Presse“ ein Star. Der Begründer der zionistischen Bewegung berichtete als Korrespondent aus Paris, dann wurde er Leiter des Feuilletons. Und haderte mit diesem Schicksal.#


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Die Presse (Donnerstag, 29. April 2010)

Von

Norbert Mayer


Für den jungen Schriftsteller Stefan Zweig war die erste berufliche Begegnung mit dem leitenden Feuilletonisten der führenden Zeitung Wiens ein aufregendes Erlebnis. Der Neunzehnjährige hatte Theodor Herzl eine kleine Prosaarbeit angeboten, und zu seinem Erstaunen setzte er sich hin und las sie durch. "Er las langsam, immer ein Blatt zurücklegend, ohne aufzublicken. Als er das letzte Blatt gelesen hatte, faltete er langsam das Manuskript zusammen, tat es umständlich und noch immer ohne mich anzusehen in ein Couvert und schrieb mit Blaustift einen Vermerk darauf." Dann erst, schreibt Zweig 44 Jahre später in seinem Erinnerungsbuch „Die Welt von Gestern“ (1944), „nachdem er mich mit diesen geheimnisvollen Machinationen genügend lang in Spannung gehalten, hob er den schweren, dunklen Blick zu mir auf und sagte mit bewusster, langsamer Feierlichkeit: ,Ich freue mich, Ihnen sagen zu können, dass Ihre schöne Arbeit für das Feuilleton der ,Neue Freie Presse‘ angenommen ist.‘ Es war, als ob Napoleon auf dem Schlachtfelde einem jungen Sergeanten das Ritterkreuz der Ehrenlegion anheftete.“, fand Zweig, der dann eine glänzende Karriere als Journalist und Autor begann. Auch Herzl hatte über den Journalismus zur Schriftstellerei kommen wollen. Er dachte, auf diesem Umweg den Aufstieg in die großbürgerliche Elite zu schaffen, hoffte, dass er so als Jude im Habsburgerreich auch von jenen anerkannt werde, die keine Juden waren. 1887 schrieb der aus Pest (heute Budapest) stammende, seit 1878 in Wien lebende promovierte Jurist an „Presse“-Herausgeber Eduard Bacher einen Bewerbungsbrief: „Vielleicht haben Sie, hochverehrter Herr, für eine freudige Arbeitskraft im lokalen Teil oder sonst wo im internen Dienst ein Plätzchen.“ Es dauerte noch eine Weile, bis das bürgerlich-liberale Blatt, in dem damals gut zwei Drittel der Redakteure Juden waren, Herzl anstellte. Erst schrieb er Reiseberichte, aus Amsterdam, Berlin, Paris, London, Rom, in raffiniertem Plauderton, dann wurde er zu einem Star der „Presse“; er ging 1891 als Korrespondent nach Paris, berichtete auch ausführlich über die Affäre Dreyfus, die von antisemitischer Hetze gegen den zu Unrecht wegen Spionage verurteilten jüdischen Hauptmann geprägt war. Die knapp vier Jahre in Paris brachten Herzl Ruhm ein. „Es ist ein schwerer Posten in jeder Beziehung“, schrieb er 1893, „aber man übt zweierlei: kühles Besinnen und rasches Handeln“. Wehmütig bekannte er, dass er nicht als Schriftsteller, sondern nur als Zeitungsmann bedeutend sei: „Man nennt mich nur einen guten Journalisten.“ Er durfte, was damals ein Privileg war, vor allem die geistvollen Geschichten „unter dem Strich“ schreiben, die dem Feuilleton vorbehalten waren. Zirka 800 solcher Texte verfasste er, in fünf Bänden wurden die besten zu seinen Lebzeiten zusammengefasst.

1895 ging Herzl als Leiter des Feuilletons nach Wien, zu geringeren Bezügen. Nicht nur deshalb klagte er über seine Arbeitsbedingungen. Er war auf den Posten angewiesen, doch litt darunter sein Engagement für die Idee des Judenstaates. Nach einem Zionisten-Kongress in Basel schrieb er: „Und nachdem ich wieder eine Woche lang die Gefühle der Freiheit gekostet habe und ein Herr war, muss ich wieder in meine schnöde Knechtschaft bei der Neuen Freien Presse heimkehren, wo ich keine eigene Meinung haben darf. Wieder ist es die Frage einiger lumpiger tausend Gulden, die ich als Familienvater nicht aufgeben darf.“

Die Chefs der „Presse“ ließen es nicht zu, dass Herzl über sein Herzensanliegen des Zionismus in ihrer Zeitung schrieb, er durfte das Blatt nicht als Plattform einer Kampagne für die Schaffung eines Staates Israel verwenden. Chefredakteur Moriz Benedikt erklärte Herzl bei einem langen Spaziergang 1895, dass man ohnehin als ein Judenblatt gelte, dies aber nie zugestanden habe: „Jetzt sollen wir plötzlich alle Deckungen, hinter denen wir standen, aufgeben.“ Nicht einmal eine Rezension von Herzls epochemachendem „Der Judenstaat“ (1896) ist erschienen.

Hart erkämpft: Herzls neue „Welt“#

Dafür wurde geduldet, dass er eine zionistische Wochenzeitung gründete, „Die Welt“, allerdings sollte er diskret bleiben. Im Impressum durfte Herzl nicht aufscheinen. Unter dieser Doppelbelastung widmete er sich seiner Lebensaufgabe, der Schaffung des Judenstaates, bis zur Erschöpfung. Er starb mit nur 44 Jahren an einem Herzleiden. Die „Neue Freie Presse“ würdigte im Nachruf einen ihrer Großen: „Er war der geborene Schriftsteller, ein Künstler der Feder. Jeder Gedanke, der ihm durch den Kopf zog, ob er ihm von außen zuflog oder aus der eigenen Seele aufstieg, gewann auf diesem Weg die runde künstlerische Form. Es war nicht Zuckerwerk, was er uns bot, es war immer ein Stück von ihm selbst...“ Und der Zionismus? Der blieb unter dem Strich verborgen.

Die Presse (29. April 2010)


Bild 'sim-link'
Austria-Forum Beiträge in ähnlichen Gebieten