Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Unzeitgemäss und wach#

Am 31. Oktober erhält Walter Kappacher den renommierten Georg-Büchner-Preis. Die Jury hat damit eine ausgesprochen gute Entscheidung getroffen. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Montag, 2. November 2009)

von

Anton Thuswaldner


Walter Kappacher
Walter Kappacher
© FURCHE / Foto: Repolus

Was ist das Schlimmste, was einem Schriftsteller passieren kann? Vielleicht, dass er ein schlechtes Buch schreibt, das von der Kritik nach Strich und Faden zerrissen und von der Lesern ignoriert wird. Die Auflagenzahlen stagnieren, das Interesse der Öffentlichkeit sinkt, einer, der einmal als Talent gefeiert wurde, droht vor die Hunde zu gehen. Das ist schlimm, sehr schlimm sogar, aber es wirkt immer noch harmlos gegenüber dem, was Hugo von Hofmannsthal widerfährt, so wie es Walter Kappacher in seinem jüngsten Roman "Der Fliegenpalast" sieht. In den zwanziger Jahren verfügte Hofmannsthal über einen großen Namen. Sein Wort zählte etwas in der Welt. Er wurde hofiert von den Stützen der Gesellschaft und von den Intellektuellen der Zeit als einer der Ihren anerkannt. Er hatte etwas zu sagen, unter den Literaten gehörte er der Handvoll jener an, von denen man behaupten konnte, dass sie es geschafft hatten. Er stand mit beiden Beinen fest auf dem Fundament seiner Zeit, und wenn er diese kritisch analysierte, bezog er seine Argumente aus der Tiefe der Geschichte. Hofmannsthal wurde geachtet als ein eigenwilliger Denker, als ein formvollendeter Ästhet und ein Neuerer der Literatur. Was also soll solch einem Mann schon geschehen?

Vom Scheitern erzählen#

Bei Kappacher sehen wir den Bei Kappacher sehen wir den Großen auf Zwergenformat geschrumpft. Das Schlimmste, was einem Schriftsteller passieren kann,ist eben nicht, dass er ein schlechtes Buch schreibt, sondern dass er gar keines mehr zustande bringt. Hofmannsthal befindet sich in einer Schaffenskrise, was immer er auch anfasst, es will über Ansätze, Notizen und Skizzen nicht hinauswachsen. Er quält sich mit dem Drama „Timon“, keine Szene gelingt. Das „Turm“-Drama macht keine Fortschritte, und das Nachwort zu Stifters „Nachsommer“ kommt über ein paar Aufzeichnungen nicht hinaus. Dann meldet sich noch der Protagonist aus seinem Andreasroman, „als wollte auch der wissen, wie es in seinem Leben weiterginge“. Man sieht, Hofmannsthal fühlt sich heillos überfordert. Er flieht in die Schweiz, wo er bei einem Freund Unterschlupf findet und zieht sich zurück in die Abgeschiedenheit von Bad Fusch, einen Ort, der ihm seit Kindheitstagen vertraut ist. Mit seinen Eltern hielt er sich Jahr für Jahr auf Sommerfrische hier auf, hier hofft er die Ruhe zu finden, dass er seine Projekte auf ein Ende zutreiben kann. Und wieder nichts als Enttäuschung, nicht einmal der einfachste Brief will ihm glatt von der Hand gehen. Der als Junggenie so verehrte Schriftsteller bringt keinen Fuß mehr auf den Boden. Dafür lebt er von seiner reichen Vergangenheit.

Der fünfzigjährige Hofmannsthal gibt bei Kappacher keine verehrungswürdige Figur ab. Er ist eitel, ein wacher Geist und Sensibilität haben sich in Wehleidigkeit gewandelt. Die Gegenwart gehört ihm nicht, die Zukunft schon lange nicht mehr. Jede noch so harmlose Unternehmung gerät zum Desaster. Als er sich einmal dazu aufrafft, eine größere Wanderung zu unternehmen, verirrt er sich heillos. Die Gegend, die er seit Kindheitstagen kennt, kommt ihm ins Monströse verändert vor. „Er wünschte sich in die Stallburggasse, in seine kleine Stadtwohnung in Wien. Jetzt dort die Treppe hinuntersteigen und im Café Bräunerhof einen Schwarzen trinken …“ Der große Geist als ein rechter Kleinbürger. Kappacher hat sich Hofmannsthal zur Spielfigur erkoren. „Der Fliegenpalast“ ist keineswegs ein historischer Roman um einen bedeutenden Literaten, sondern erzählt eine jener typisch österreichischen Geschichten vom Scheitern. Hofmannsthal gibt nur seinen Namen her, um einem existenziellen Drama ein starkes Rückgrat einzuziehen. Kappacher erzählt vom Scheitern und behält die Contenance. In seinem jüngsten Roman ist das Thema deshalb so auffällig, weil der Erfolgsmensch Hofmannsthal mit diesem existenziellen Leiden geschlagen wird. Dabei muss man sich nur die Anfänge von Kappachers Schreibens ansehen, und man begegnet Figuren, die zum Siegen nicht geboren sind. Die freudlose Genossin des Scheiterns ist die Einsamkeit. Der Erzähler aus dem ersten Roman „Morgen“ (1975) befindet sich selbst im Taumel einer rauschenden Party im Zustand der größten Verlorenheit und Selbstvergessenheit. Er passt nicht in eine Gesellschaft, die den Kitzel des kurzweiligen Vergnügens sucht. Er sucht sich nämlich selbst und weiß nicht so recht, wo beginnen. Das macht ihn zu einem missmutigen jungen Mann, abweisend und widerborstig. Erst wenn er sich trotzig allein auf und davonmacht und all die vergnügungssüchtigen Leute verachtend hinter sich lässt, weiß er, dass er bei sich ist. Der Roman kam in einer Zeit heraus, als das Arbeiterleben literarisch geadelt wurde. Nichts davon ist zu bemerken bei Kappacher. Dieser Angestellte ist ein Zauderer. Einem angepassten Leben verweigert er sich nicht aus ideologischer Überzeugung, sondern aus subjektivem Widerwillen. Er führt ein Leben in der Defensive, um nicht von anderen aufgerieben und vereinnahmt zu werden. Mit diesem Roman hat Kappacher als der unzeitgemäße Zen-Meister inmitten einer quirlig aufgeregten Literaturlandschaft auf sich aufmerksam gemacht. Er erreichte damit nicht das große Publikum, dieses dachte ja, dass es sich bei ihm um einen Literaten auf der menschenabgewandten Seite der Gegenwart handelte. Dabei entdeckte Kappacher nur, dass der Mensch nicht nur ein Gesellschaftswesen, sondern auch ein schrecklich einsames Monster der Bescheidenheit sein kann. Bescheidenheit ist hier kein moralisches Prinzip der Überlegenheit, sondern entsteht aus einem so drängenden wie unerklärlichen inneren Zwang, dem Geist der Zeit zu widersagen.

Sensation der Stille #

Mit dem Roman "Selina" aus dem Jahr 2005 scheint Kappacher seine Figur aus dem Roman "Morgen" endlich zum inneren Gleichgewicht verholfen zu haben. Ein Lehrer zieht vorübergehend in die Toskana und entdeckt dort ein Leben im Rhythmus der Natur. Nichts Bemerkenswertes geschieht, weil alles, was der Alltag dieser Figur zuspielt, von vornherein bemerkenswert ist. Die Sensation der Stille, der Furor der Langsamkeit, die Revolution der Ereignislosigkeit, all diese Momente, die ein Ich dazu zwingen, seiner selbst gewahr zu werden, verdichten sich zu einem Roman des Selbstversuchs einer Figur, zu so etwas wie einer Art geläuterter Existenz vorzudringen. Diese Prosa zeichnet etwas Zwingendes aus. Sie bringt den Leser dazu, das Tempo zurückzunehmen und sich eine spitzfindige Form der Genauigkeit anzueignen. Anders geht es nicht, sonst fliegt er raus aus dem Text.

Es ist viel, was Walter Kappacher geleistet hat mit seinem literarischen Werk von den siebziger Jahren bis heute. Lange galt er als ein Geheimtipp in Österreich, der allenfalls auf eine kleine verschworene Gemeinschaft zählen darf. Jetzt ist es offiziell: Dieser Schriftsteller gehört zu den maßgebenden Literaten der Gegenwart. Die Darmstädter Jury hat entschieden und Walter Kappacher in diesem Jahr den Büchner-Preis zuerkannt. Eine ausgesprochen gute Wahl.

DIE FURCHE, 2. November 2009


Bild 'sim-link'
Austria-Forum Beiträge in ähnlichen Gebieten