Wundermittel und Sorgenkind #
Vor 70 Jahren wurde in einem Schweizer Pharmakonzern das LSD entdeckt. Nach hochtrabenden Hoffnungen folgte bald große Ernüchterung. Der runde Jahrestag zeigt erneut, dass LSD tiefe Spuren im kulturellen Gedächtnis hinterlassen hat. #
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE Donnerstag, 16. Mai 2013
Von
Martin Tauss
Als der Schweizer Chemiker Albert Hofmann vor gut 70 Jahren bei seiner Arbeit an einem Herz-Kreislauf- Mittel ein bestimmtes Mutterkornalkaloid synthetisierte, wurde er durch seltsame Empfindungen gestört. Er musste seine Arbeit im Labor unterbrechen und nach Hause fahren, wo im Dämmerzustand, wie er berichtete, „ununterbrochen phantastische Bilder mit intensivem Farbenspiel“ auf ihn eindrangen. Hofmann vermutete einen toxischen Einfluss und führte einen Selbstversuch mit dieser Substanz durch, der keinen Zweifel mehr an deren psychischer Wirkung ließ: Dies war die Geburtsstunde des LSD – eine Droge, die bereits in Bruchteilen von Milligramm-Dosierungen zu tief greifenden Veränderungen der Wahrnehmung und des Bewusstseins führt.
Dass nun 70 Jahre nach Entdeckung des LSD erneut zahlreiche Medien an einen runden Jahrestag dieser Droge erinnern, liegt zweifellos an ihrer vielschichtigen und kuriosen Geschichte. „Die Entdeckung des LSD hat unsere Gesellschaft für immer verändert“, attestierte aus diesem Anlass etwa die deutsche Tageszeitung Die Welt.
LSD in Medizin, Militär und Gegenkultur #
So kam LSD zunächst als Medikament zur Unterstützung von Psychotherapien und als Forschungsinstrument in der Psychiatrie zum Einsatz, stieß jedoch auch bei Künstlern und Intellektuellen auf große Neugier. Aber auch der US-amerikanische Geheimdienst CIA interessierte sich frühzeitig für die Wirkung der Droge, die man in der Zeit des Kalten Krieges auf seine Tauglichkeit als biochemischer Kampfstoff, als Mittel zur „Gehirnwäsche“ und als „Wahrheitsdroge“ bei Verhören untersuchte – angesichts der unberechenbaren LSD-Effekte ohne Erfolg, aber mit jeder Menge menschlicher „Kollateralschäden“.
In den 1960er Jahren geriet LSD allmählich in die Wirren eines Kulturkampfes. Tonangebende Popmusiker wie die „Beatles“ oder „Rolling Stones“ experimentierten mit der Droge und verarbeiteten den halluzinatorischen Rausch in farbenfrohen Platten-Covers und fremdartigen Musikproduktionen. Unter dem Einfluss von LSD wurde die Pop-Kultur der späten 1960er Jahre „psychedelisch“, ein Ausdruck für das Motiv der Reise durch verborgene innere Sphären. Als die jugendlichen Protestkulturen um 1968 LSD als chemische Unterstützung auf der Suche nach utopischen Welten entdeckten, wurde die Substanz zur Droge der alternativen Szenen, der Hippies und Blumenkinder. Der ehemalige Harvard-Professor Timothy Leary gerierte sich zum „Drogenapostel“ und sah in LSD gar ein probates Mittel „neurologischer Politik“. Leary wollte mit der großflächigen Verbreitung von LSD eine radikale politische, kulturelle und religiöse Wende in Gang setzen – wenig verwunderlich, dass ihn US-Präsident Richard Nixon als „gefährlichsten Mann Amerikas“ bezeichnete. Albert Hofmann sah in Leary vor allem einen Scharlatan, und konfrontierte ihn in persönlichen Begegnungen mit dem Vorwurf, LSD bei Jugendlichen zu propagieren.
Tatsächlich nahm der LSD-Konsum seit Mitte der 1960er Jahre epidemische Ausmaße an; psychische Zusammenbrüche, Drogenpsychosen und tragische Unfälle unter LSD häuften sich. Sogar die Morde des Sektenführers Charles Manson wurden mit der Droge in Zusammenhang gebracht.
1966 wurde der Konsum von LSD in den USA gesetzlich verboten, und auch in anderen Staaten galt LSD bald als gefährliches Rauschgift. Es waren jene Jahre, in denen LSD als wichtigstes Rauschmittel der westlichen Welt bezeichnet wurde und sich Hofmanns vermeintliche „Wunderdroge“ endgültig zum „Sorgenkind“ gewandelt hatte, wie der Schweizer Chemiker in seiner Autobiographie berichtet. Als er 1971 in den Ruhestand trat, war LSD fast weltweit illegal.
Seither ist es wieder ruhiger um das LSD geworden. In den 1990er Jahren wurde es als „Partydroge“ der frühen Rave- und Techno- Szenen erneut populär. Heute ist LSD aus den illegalen Drogenszenen weitgehend verschwunden. „Im Zusammenhang mit LSD wird in Europa nur ein marginaler Konsum und Handel beobachtet“, konstatiert der letzte Drogenbericht der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle.
„Psychopharmakologische Revolution“ #
Am Beginn des 21. Jahrhunderts sehen manche Wissenschafter die Chance, nach dem Aufruhr der 1960er Jahre die Erforschung von LSD fortzusetzen und die Substanz unter sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko therapeutisch erneut zu evaluieren. Die Wiederzulassung von LSD für die medizinische Forschung betrachtete Albert Hofmann im Jahr 2006 als größtes Geschenk zu seinem 100. Geburtstag.
Für die Kulturwissenschafterin Jeannie Moser, die jüngst eine Wissenschaftsgeschichte zum LSD publiziert hat, markiert die Entdeckung dieser Droge gleichsam das Epizentrum einer „psychopharmakologischen Revolution“ – der Einführung effektiver und zunehmend moderner Psychopharmaka, die seit den 1950er Jahren den Alltag in der Psychiatrie wesentlich zu erleichtern beginnen. Laut Moser nährten diese pharmakologischen Entdeckungen quer durch unterschiedlichste Milieus einen anhaltenden Enthusiasmus, den Geist durch chemische Mittel beeinflussen und formen zu können. Dadurch erhellen sich die oft fantastischen Zuschreibungen in der Geschichte des LSD: Eine Geschichte, die so gegensätzliche Ideen wie die der „Bewusstseinserweiterung“ und der „Gedankenkontrolle“ umfasst, und zu der Ärzte und Pharmakologen ebenso beigetragen haben wie Philosophen und Theologen, Schriftsteller und Künstler, Hippies und Raver, Anwälte und Politiker, Soldaten und CIA-Agenten.
HALLUZINOGENFORSCHUNG #
LSD: Stoff für die Medizin
LSD wird der Substanzklasse der Halluzinogene zugeordnet, die eine veränderte Realitätswahrnehmung mit Halluzinationen hervorrufen können. Wie sich heute in bildgebenden Verfahren nachweisen lässt, führen Halluzinogene zu einem radikalen Eingriff in den Stoffwechsel des Gehirns.
Infolge des LSD-Verbots kam die medizinische Forschung mit Halluzinogenen in den 1970er Jahren zum Stillstand. Nach fast vier Jahrzehnten widmen sich wieder vereinzelte Projekte der Untersuchung therapeutischer Anwendungen dieser Wirkstoffe. Dazu zählen etwa die Behandlung von Angstpatienten mit Hilfe von LSD, wie sie der Schweizer Psychotherapeut Peter Gasser kürzlich beschrieb, oder der Einsatz von Psilocybin gegen Depressionen und Zwangserkrankungen.
Durch Erforschung dieser Substanzen könnten neue Therapieansätze für Patienten mit affektiven Erkrankungen identifiziert werden, hofft der Schweizer Psychiater Franz X. Vollenweider. Mittels Veränderung der Moleküle könnten die halluzinogenen Effekte abgeschwächt werden, ohne die klinisch wünschenswerte Wirkung zu beeinträchtigen. In der Therapieforschung zum Cluster-Kopfschmerz etwa wird LSD an ein Brom-Atom gebunden, wodurch die Substanz ihre halluzinogene Wirkung verliert. Der Wiederbeginn der Forschung läuft jedoch nur langsam an, und Daten aus Studien mit modernen methodischen Kriterien sind Mangelware. (mt)
Psychotropen. Eine LSD-Biographie. Von Jeannie Moser. Konstanz University Press, 2013. 263 Seiten, kart., eur 34,90.