Mutationen immer bedrohlicher #
Britische Corona-Variante doch nicht tödlicher. Ob Impfungen ausreichend schützen, ist noch unklar.#
Von der Wiener Zeitung (26. Jänner 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Dass die britische Coronavirus-Mutation B.1.1.7. tödlicher verläuft als andere Varianten von Sars-CoV-2, wollen Wissenschaftler so nicht bestätigen. Vielmehr zeigen sie sich über diesbezügliche Aussagen des britischen Premierministers Boris Johnson verwundert. Derzeit liefen Untersuchungen und es sei "nicht vollständig klar", dass die Mutante mehr Leben fordere, sagte die Direktorin der Gesundheitsbehörde Public Health England, Yvonne Doyle, im Sender BBC Radio 4. Hinweise geben es nur in Form einer "kleinen Zahl von Fällen".
Mike Tildesley von der Scientific Advisory Group for Emergency, ein Beratungsgremium der britischen Regierung für Notfälle, fordert mehr Evidenz: "Ich würde gerne noch ein oder zwei Wochen analysieren, bevor wir starke Schlussfolgerungen ziehen", betonte er. Die Zahl der Todesfälle sei zwar leicht von zehn auf 13 pro 1.000 Patienten gesteigen. "Das basiert jedoch auf einer kleinen Datenmenge", hob Tildesley hervor.
Johnson hatte am Freitag vor Journalisten im Regierungssitz in der Londoner Downing Street bekanntgegeben, dass es "einige Hinweise" gebe, "dass die neue Variante sich nicht nur schneller verbreitet, sondern auch mit einer höheren Todesrate einhergehen könnte". Tildesley zeigte sich überrascht, dass Johnson dies auf diese Weise verkündet hat: "Ich mache mir Sorgen, dass wir Dinge voreilig melden, wenn die Daten nicht aussagekräftig sind", betonte er.
B.1.1.7 war Ende 2020 in der südostenglischen Grafschaft Kent aufgetaucht und hatte sich rasch in Großbritannien ausgebreitet. Die Mutation ist laut Experten 30 bis 70 Prozent leichter übertragbar als bisher vorherrschende Varianten.
Inzwischen ist die Regierung zurückgerudert. Es sei "nicht wirklich sicher, wie tödlich" B.1.1.7 sei, sagte Gesundheitsminister Matt Hancock am Montag zu Sky News. Das Risiko bestünde aber, dass mehr Menschen wegen der Variante sterben könnten, da diese rascher übertragen werde. Der stellvertretende medizinische Chefberater der Regierung für England, Jonathan Van-Tam, betonte außerdem, dass noch nicht erwiesen sei, ob die Impfung die Übertragung des Virus verhindere.
Derartige Befürchtungen ranken sich auch um die zuerst in Südafrika entdeckte Coronavirus-Variante 501Y.V2. Auch sie könnte sich stärker ausbreiten als die in Europa bisher hauptsächlich verbreitete Version des Erregers Sars-CoV-2. Zudem könnten Antikörper-Therapien und Impfstoffe gegen diesen Erregertyp weniger wirksam sein, berichten Wissenschaftler in zwei Fachartikeln, die noch nicht durch unabhängige Fachkollegen begutachtet wurden. Demnach könnte die südafrikanische Mutation dazu führen, dass sich Covid-19-Genesene ein zweites Mal anstecken.
501Y.V2 wurde mittlerweile in zahlreichen Ländern, auch in Österreich, nachgewiesen. Sie zeichnet sich durch mehrere Veränderungen am Spike-Protein aus. Dieses Eiweiß nutzt das Virus, um sich an die Körperzellen anzuheften und in sie einzudringen.
Mit Computersimulationen untersuchte die Firma Immunity Bio in Culver City in Kalifornien, USA, die Auswirkungen von drei genetischen Veränderungen in einer zentralen Region des Spike-Proteins. Die Analyse zeigte, dass das Virus dank dieser Mutationen noch besser an die Zellen anheften kann als die britische Variante. Eine effektivere Bindung macht das Virus ansteckender. Zugleich ist das Spike-Protein der Ort, an dem die Antikörper angreifen, die das Immunsystem nach einer Infektion oder einer Impfung bildet. Bei den Veränderungen bestehe die Gefahr, dass die Antikörper das Virus nicht mehr erkennen.
Der Nationale Gesundheitslabordienst im südafrikanischen Johannesburg hat die Wirkung von neun Mutationen der südafrikanischen Variante, die das Spike-Protein betreffen, untersucht. Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass drei monoklonale Antikörper, die bei einer Therapie gegen 501Y.V2 verabreicht werden, als Folge der Mutationen nicht wirken, was auf eine erhöhte Gefahr einer Reinfektion hindeute.
Tests an Geimpften nötig#
Carsten Watzl, Chef der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, weist darauf hin, dass die Virologen das Blut von Geimpften noch nicht untersucht haben: "Nach einer Impfung sind deutlich mehr Antikörper im Blut als bei den meisten der ehemaligen Covid-19-Patienten", betont er. Erst eine derartige Untersuchung könne Klarheit bringen, ob Impfstoffe angepasst werden müssten oder nicht.
Der US-Hersteller Moderna gab am Montag bekannt, sein mRNA-Vakzin würde sehr wohl gegen die neuen Mutanten wirken, es sei nur die Schutzwirkung gegen die südafrikanische Variante geringer als gegen die britische. Das Unternehmen entwickle daher eine aktualisierte Form, das die Wirkung des Impfstoffes wie ein Booster zusätzlich verstärke. "Das machen wir jetzt, damit wir es haben, wenn wir es brauchen", sagte Moderna-Chef Tal Zaks zur "New York Times". Gerade bei den derzeit zugelassenen mRNA-Vakzinen und Vektorimpfungen ließe sich leicht reagieren.(dpa/afp/est)