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Das Vermächtnis des Höhenpsychologen #

Viktor Frankls Sinnlehre ging von Wien aus um die Welt. Zum 110. Geburtstag des Psychiaters und Philosophen wird in seiner Heimatstadt das weltweit erste Frankl-Museum eröffnet. Ein Rundgang.#


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 26. März 2015)

Von

Martin Tauss


Viktor Frankl beim Unterricht
Viktor Frankl. Der Wiener Arzt grenzte sich von der Tiefenpsychologie Sigmund Freuds ab und entwickelte ab den 1920er-Jahren den Ansatz der Logotherapie. Foto: © IMAGNO / Viktor Frankl Archiv

Es sind eher kleine Zimmer, die im neuen Viktor Frankl Museum zu begehen sind – unmittelbar neben jener Wohnung in der Wiener Mariannengasse, in der Frankl selbst über 50 Jahre gelebt und gearbeitet hat. Neben der spürbaren biographischen Aura ist die atmosphärische Wirkung des Museums davon abhängig, wie sehr die Besucher bereit sein werden, sich auf das Gezeigte einzulassen. Denn hier wird man auf engem Raum mit einer Tiefe existenzieller Themen konfrontiert, aufgefädelt am Leben und Werk des Wiener Psychiaters, der mit 29 Ehrendoktoraten der weltweit wohl meist geehrte Vertreter seiner Zunft sein dürfte.

„Mit unserem Blick auf den Menschen sind wir heute oft stark auf Äußerlichkeiten fixiert“, sagt die Logopädagogin Elisabeth Gruber, Vorstandsmitglied des Viktor Frankl Zentrums Wien, auf dessen Initiative das Museum entstanden ist. „In den Ausstellungsräumen aber wollen wir gerade die geistige Dimension, auf die sich Frankl stets bezogen hat, greifbar machen.“ Es ist die Sphäre der höheren Werte und des Lebenssinns, das Reich der „Höhenpsychologie“, das Frankl im Werk seiner berühmten Vorgänger Sigmund Freud und Alfred Adler stets vermisst hat. Im Blick auf das Reich der unbewussten Triebe, auf die dunklen Seiten von Luststreben und Machtgewinn sah der passionierte Bergsteiger nur die einseitige Perspektive des Frosches, der aus seinem Sumpf nicht mehr als Schlamm und Schmierreste sieht. Dass man den Menschen vielmehr von den Gipfeln des Daseins aus zu betrachten habe, ist das Credo der von ihm begründeten Logotherapie und Existenzanalyse.

Erlebnispädagogik en miniature #

Frankl hatte Kontakt zu vielen bedeutenden Denkern seiner Zeit, darunter auch Abraham Maslow, den US-amerikanischen Psychologen der „Gipfelerfahrung“: „Kurz vor seinem Tod 1970 hat Maslow seine Bedürfnispyramide noch um eine oberste Dimension der ‚Transzendenz‘ erweitert, was wohl auch dem fruchtbaren Austausch mit Frankl geschuldet war“, meint Gruber und deutet auf ein Foto im Vortragssaal des Zentrums. Es zeigt Frankl und Maslow am Fußboden ausgebreitet, in reger Unterhaltung. Ausgerechnet mit einem Gipfel-Theoretiker kann man immer nur am Boden sitzen, habe es in der Familie Frankl geheißen.

Fragen auf Drehtafeln begrüßen den Museumsbesucher gleich im Eingangsbereich. Auf der Rückseite der Tafeln sind jene Antworten zu finden, die Viktor Frankl seinen eigenen Lebensfragen abgerungen hat: als junger Arzt, der in den Jahren der schweren Wirtschaftskrise um 1929 praktiziert und kostenlose Beratungsstellen für arbeitslose Jugendliche eröffnet; als Leiter des „Selbstmörderinnen- Pavillons“ der Psychiatrie am Steinhof, wo er erstmals auch über die Bedingungen für psychische Gesundheit forscht, oder als Gefangener im Konzentrationslager, der seine Frau und große Teile seiner Familie durch den NSTerror verliert und die heilsamen Grundgedanken seiner Sinn- Lehre am eigenen Leib anzuwenden versteht.

Victor Frankl beim Bergsteigen
Für sein Werk prägte er den Begriff der „Höhenpsychologie“ – eine Perspektive, die ihm als leidenschaftlicher Bergsteiger sehr vertraut war. Foto: © IMAGNO / Viktor Frankl Archiv

Die im Museum präsentierten Fragen freilich sind zeitlos, und ihr Appellcharakter ist ungebrochen aktuell. „Das Leben selbst ist es, das dem Menschen die Fragen stellt“, hat Frankl in seinem Werk festgehalten: „Er hat nicht zu fragen; er ist vielmehr der vom Leben Befragte, der dem Leben zu antworten, das Leben zu verantworten hat.“ Jene Theorie an den Schnittstellen von Therapie und Philosophie, die Frankl in der Zwischenkriegszeit zu entwickeln begann, zielt genau darauf ab: eine Hilfestellung zu sein, die schicksalhaften Bedingungen des Lebens zu meistern und sich der eigenen existenziellen Freiheit bewusst zu werden – nämlich zu diesen Bedingungen Stellung nehmen zu können, komme was wolle. Die Begriffe „Freiheit“ und „Verantwortung“ erscheinen in seinem Werk wie zwei Seiten derselben Medaille. Den Freiheitskult in den USA, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, hat er daher eher skeptisch gesehen: Die Freiheitsstatue an der Ostküste bedürfe ergänzend einer Statue der Verantwortung an der Westküste, hat er symbolisch gefordert.

Auch die weiteren Ausstellungsräume bieten eine Art von Erlebnispädagogik in Miniaturform. Sie sind dem Menschenbild von Frankls Sinn-Lehre gewidmet, seinen philosophischen „Thesen zur Person“ und den von ihm beschriebenen „Hauptstraßen“ zu einem sinnerfüllten Leben. Und sie animieren stets zu einer kreativen Stellungnahme. Dass es darum geht, die zugrunde liegende Philosophie anzuwenden und für heutige Generationen lebendig werden zu lassen, soll nicht zuletzt das so genannte Museumsrestaurant „Zum guten Geist“ verdeutlichen: Hier kann man sich „geistige Speisen“ aus dem Menü-Plan der Logotherapie einverleiben. In einer Mediathek schließlich werden Video- und Tondokumente von Frankl gezeigt, der zu Fragen aus den Bereichen Medizin, Wirtschaft, Philosophie, Pädagogik oder Theologie Stellung nimmt.

Frankl und Freud in Wien #

Frankls Werk, dessen Bücher bisher in 40 Sprachen übersetzt worden sind, wurde in Washington ebenso begeistert rezipiert wie in Moskau, Mexico City oder Buenos Aires. Wenn man sich die Strahlkraft dieses Werks vergegenwärtigt, erscheint das neu eröffnete Frankl-Museum in Wien als globale Anlaufstelle: Denn so wie Freuds Tiefenpsychologie des Unbewussten ging Frankls „Höhenpsychologie“ um die Welt. Die Kosten des Museums von ca. 100.000 Euro wurden aus Eigenmitteln des Frankl-Zentrums, internationalen Spendengeldern und öffentlichen Zuwendungen aufgebracht.

Für den Frankl-Schüler und -Biographen Alfried Längle, Präsident der internationalen Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse, entspricht die Eröffnung des Museums einem „Erfordernis“: „Einerseits für die Stadt Wien, um ihren Ruhm als ‚Welthauptstadt der Psychotherapie‘ zu belegen und für die vielen Interessierten zugänglich zu machen. Andererseits auch für die Logotherapie selbst, die damit eine lokale Greifbarkeit erhält, und deren Begründer eine verdiente Anerkennung erfährt, die ihm zu Lebzeiten nicht immer gewährt wurde.“

Das Freud-Museum in der Wiener Berggasse, das im Juni bereits seinen 44. Geburtstag begeht, könnte nun mit dem Frankl-Museum ein touristisch nicht minder attraktives Pendant erhalten. „Menschen, die sich für Psychotherapie und insbesondere die Logotherapie interessieren, können an jenem Ort, wo die Logotherapie entstanden ist, in die Aura Frankls eintauchen und im Falle eines Besuchs des Freud- Museums auch atmosphärischen Unterschieden nachspüren“, bemerkt Längle.

DIE FURCHE, Donnerstag, 26. März 2015


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