„Ewig dein ewig mein ewig unß“#
Erst die Anrede: „Mein Engel, mein alles, mein Ich.“ Und dann geht es los. Vor 200 Jahren schrieb Ludwig van Beethoven seinen Brief an die „Unsterbliche Geliebte“. Wer damit gemeint war, weiß niemand. Umso eifriger wird darüber spekuliert.#
Mit freundlicher Genehmigung von: Die Presse (Freitag, 20. Juli 2012)
Von
Otto Brusatti
Es passierte vor 200 Jahren. Sommer 1812 (das kann man aus den Papierwasserzeichen schließen), ein Brief. In der Früh begonnen, abends weiter dran geschrieben, am nächsten Tag („im Bette“) fertiggestellt – und sie wurde damit unsterblich gemacht. Nach des Schreibers Tod geistert sie als Briefinhalt herum, bis heute; und seit damals drückt sie auf die Tränendrüsen, macht den Titanen angeblich menschlich, bereitet der Wissenschaft manches Ärgernis und entzieht sich, ein wenig kokett und zugleich etwas naiv, weiterhin den Realvorstellungen.
Eine „Unsterbliche Geliebte“ ist das gewesen. Eine ganz allein? Kein Konglomerat aus vielen Beziehungen und noch mehr Wünschen? Überhaupt eine Frau?
Ein paar Blätter, Bleistift, im Vergleich zu den sonstigen Autografen des Großmeisters jedenfalls halbwegs ordentlich und leserlich verfasst. Nie abgeschickt. 15 Jahre später im Nachlass (in einer Schreibtischlade) von seinen dort herumwühlenden Adepten, die sowieso etwas wüst mit dem Erbe umgegangen sind, gefunden. Er, der Mann, der Schreiber, Verfasser, Adressant? Ludwig van Beethoven. Sie, die Frau, die (verhinderte?) Empfängerin, sein „einzig treuer Schatz“, eine (erst im dritten Teil so bezeichnete) „Unsterbliche Geliebte“? Wer also?
Schon die bekannt gewordenen Fakten zur Genese sind recht spannend und nicht nur etwas für die oft gar indignierten Biografen. Sie liefern auch Gutes für ein Herumschnüffeln à la Regenbogenpresse. Der Meister, schon ziemlich ertaubt, krank, man könnte auch sagen psychisch gar nicht gut drauf, er kommt Anfang des Monats via Prag nach Teplitz zur Kur.
Es wird vermutet, er habe in der Großstadt (1. bis 3. Juli) einen Besprechungstermin gehabt. Es kam ihm was dazwischen. Das (unvermittelte, vorbereitungslose?) Treffen mit einer Frau, angeblich. Allein, kein Kennenlernen sei das gewesen, das war ein Wiederbegegnen! Oder?
Dann jedenfalls, offenbar aufgewühlt zusammenfassend oder zur Selbstanalyse oder schlicht zur Eigenberuhigung, passiert Folgendes. Beethoven sitzt im Teplitzer Gasthaus „Zur goldenen Sonne“, wartet grantig auf sein endgültiges Kurquartier, schreibt sich etwas von der Seele. Das Wetter draußen ist scheußlich. Er findet keine Ruhe. Komponieren tut/kann er im Augenblick offenbar nicht. Er, der stets seltsame, ausufernde oder komplizierte Briefeschreiber, konzipiert wieder an einem solchen. Dessen Beginn: „am 6ten Juli Morgends. – Mein Engel, mein alles, mein Ich.“ Und dann geht es los. Man ist bald verführt zu sagen, für einen Liebesbrief ist das in den paar knappen Seiten nun Folgende ein ziemliches Durcheinander. Beethoven schwärmt von gegenseitigen Aufopferungen und beklagt zugleich die miesen und unfallreichen Kutschenverbindungen.
Schreiben, jammern, schlafen#
Er schreibt von einem „Treuen einzigen schatz“. Er unterbricht sich, hebt wieder an, „Abends Montags am 6ten Juli“, jammert, die Briefpostkutsche versäumt zu haben, kommt aber zugleich auf den „Zusammenhang des Universums“ zu reden, schimpft ein bisschen mit Gott, wird müde, legt sich schlafen („o geh mit“), schreibt „guten Morgen am 7ten Juli“ weiter. Ein einziges Mal nennt er nun erst sie (die Adressatin?) seine „Unsterbliche Geliebte“. Dann folgen ein paar Dutzend Zeilen voll Unglück, wieder mit Post-Leid, mit „Sehnsucht und Thränen“, mit Schlussfloskeln („mein Leben – mein alles – leb wohl – o liebe mich fort – verkenn nie das treuste Herz deines Geliebten L. ewig dein ewig mein ewig unß“).
Man weiß bis heute nicht, warum dieser Brief nicht weggeschickt worden ist. Oder ob das alles bloß der Entwurf für etwas sowieso Abgesandtes war, zufällig oder mit Absicht bewahrt. Oder ob Beethoven sich schlicht nicht traute, diese Blätter mit solchen Intimitäten zu versenden. Oder ob er sich – quasi in einem therapeutischen Akt – mit dem Brief einen Kummer oder ein Aufwallen in seiner Seele eben von dieser geschrieben hat und dann die Sache einfach, gesund geworden dadurch, ad acta legte.
Man weiß allerdings auch bis heute nicht, an wen dieser Brief gerichtet gewesen ist, für wen verfasst oder konzipiert. Denn es gibt keinen Hinweis anderswo oder sonst auf Papier, auch nicht in der Tradition oder aus dem Umkreis von Adorantinnen und Unterstützern. Schlicht weiterhin gefragt seit 200 Jahren: Wer war die „Unsterbliche Geliebte“ des Ludwig van Beethoven? Allein! Solch eine Frage stellen, das dürfe man, so die Meinung von kompetenter Seite und aus mancher, selbsternannter Wissenschaftsmeute, gar nicht (mehr)! Solch ein naives Grübeln aufgrund eben nicht vorhandener Fakten sei nämlich obsolet, so verkünden das seit nun auch schon einem Jahrhundert Schriften, Bücher, Untersuchungen. Aber jetzt, zum runden Geburtstag des Unsterbliche-Geliebte-Briefes agiert man überhaupt eifrig. Vor allem wird (von den meisten eifernd Eifrigen) ziemlich ex cathedra festgestellt: Alles doch eh klar, das war die Frau Josephine Brunswick! Ende der Debatte.
Gemach; und ein Blick zurück.#
Der Brief wurde als Autografenschatz herumgeschoben (heute Berliner Staatsbibliothek). Im 20. Jahrhundert legten Exegetinnen und ähnliche los. Die sich La Mara (Ida Maria Lipsius) nennende Schriftstellerin mit einem Hang zur Selbstdarstellung veröffentliche raunend schon vor dem Ersten Weltkrieg Dokumentarisches und Vermutungen. Dann begannen (bis heute und nicht eben glücklich) sich die angelsächsischen und amerikanischen Musikschriftstellereien für das Rätsel zu interessieren. Romain Rolland schlug auch hier poetisierend zu. Der slowakische und der ungarische Raum bekundeten Interesse (waren doch die infrage kommenden unsterblich geliebten Damen vielleicht von dort gebürtig). Nach Weltkrieg Zwei schwappte das nach Frankreich über, wo man, wie gerne sonst, ohne die Quellen in der Originalsprache wirklich lesen zu können, fein dahinforschte.
Erst ab den 1950ern machte das Bonner Beethovenhaus vorsichtig und mittels (damals noch teuren) Faksimiles das Original breiteren Kreisen zugänglich. Harry Goldschmidt schließlich, der große und zugleich seltsame Beethoven- oder Schubert-Forscher und recht freie Wissenschaftsfürst der DDR, legte Mitte der 1970er Befunde, Quellenzusammenfassungen und vernünftige Gedanken vor. Die Beethoven-Briefe per se werden zwar überhaupt erst seit einigen Jahrzehnten (!) ordentlich und kommentiert herausgegeben. Allein, die sonstige Beethoven-Wissenschaft hielt sich in dieser Zeit weitgehend zurück.
Seit rund einem Jahrzehnt hat die Unsterbliche-Geliebte-„Forschung“ aber wieder Konjunktur. Schriften, die mit Rätsellösungen prunken, werden ediert. Jüngst erschien ein, wie in diesem Fall üblich, streng verkündendes Buch des in Neuseeland lebenden Autors John E. Klapproth, „Beethovens einzige Geliebte: Josephine!“ Na gut. Man glaubt in all den Schriften sicher zu sein, die Dame endgültig aufgespürt zu haben. Es handelt sich ja sowieso um die Topfavoritin seit Jahrzehnten, um die Nummer eins der diversen Forschungsgilden. Viele aus dem Beethoven-Umkreis bekannt gewordenen Frauen sind zwar infrage gestanden. Giulietta Guicciardi, die Mondscheinsonaten-Frau, war bald im und dann aus dem Rennen. Dann vermutete man neben diversen versteckten „Elisen“ selbstverständlich bald die eine oder andere der Gräfinnen Brunsvik, so manche Sängerin gar oder die beiden (aufdringlichen, sich aber für die Genies ihrer Zeit höchst bedeutend vorkommenden) Musikschreiberinnen und die Historie gern verfälschenden Kunstdamen Antonie Brentano und Bettina von Arnim.
Allein – die Überlieferung und die wenigen Sekundärdokumente lassen, so die Beethoven-Geliebte-Exegese, den angeblich unwiderlegbaren Schluss zu, nur „eine kann“ (nicht einmal mehr „könnte“) es gewesen sein. Und wer war die nun wirklich, als Person, eine die – angeblich – in Beethoven (in der Manneszeit eines 30- bis 40–Jährigen) ein derartiges und Jahre hindurch anhaltendes Entzücken hervorgerufen hat?
Wilde Geschichten ranken sich um Josephine Gräfin Brunsvik de Korompa (1779 bis 1821), eine ungarische Adelige, dann Gräfin Deym von Stritetz, aus musikbegeisterter Familie (Beethoven widmete ihren Geschwistern Klaviersonaten); 1799 erstmals, 1810 zum zweiten Mal (Christoph Baron von Stackelberg) verheiratet, zwischen 1800 und 1815 mit acht Kindern von verschiedenen Männern gesegnet (Nummer sieben, Tochter Minona, kam übrigens neun Monate nach Beethovens Geliebten-Brief zur Welt); sonst: ein Leben wie in Promi-Illustrierten; Familienkatastrophen, Ehekämpfe und -krämpfe, Trennungen, Künstlerkreise, europaweite Reisen (bis zu Pestalozzi der Kinder wegen), körperliche und finanzielle Niederbrüche, charismatischer Hauslehrer (und das Gebären dessen Kindes in einer Hütte im Wienerwald); also alles ein wenig wie im Adels-Groschenroman. Aus Gediegenheit durch Leidenschaft und Kunst in Krankheit, Leid, Armut, Tod.
Allerdings – Jahre hindurch war der Star-Compositeur Ludwig van Beethoven auch immer wieder sozusagen da gewesen, rundum, in vielerlei Verwendung. Aus der Zeit zwischen 1804 und 1811 sind mindestens 14 leidenschaftliche Briefe von ihm erhalten, zeitweise ging er als Lehrer oder Genietrophäe der Familie in den jeweiligen Haushalten aus und ein. Schließlich gab es dort ein verwandtschaftliches Diktum. Die verheiratete Frau dürfe nicht immer wieder (enge?) Beziehungen zu diesem Musiker unterhalten. Doch dann war noch der Sommer 1812, Josephine eben vom zweiten Mann verlassen, Beethoven auf der Reise nach Prag . . . Wie gesagt, über Josephine lässt sich im Zusammenhang mit Beethoven wie auch hinsichtlich ihres etwas wilden Frauenlebens einiges schreiben, was ja ausreichend schon geschah. Es war und ist daher zumindest zulässig zu folgern, Beethoven habe die seit mehr als zehn Jahren immer wieder angehimmelte Frau auf dem Weg in die Kur getroffen, der Blitz habe abermals über beiden gezuckt, das Ende und das Ergebnis sind zwar schrecklich gewesen, alles hat aber immerhin (vielleicht) einen besonderen Brief und (vielleicht) sogar eine Beethoven-Tochter zu Folge gehabt. So weit, so nett.
Das Privatleben der Musikheroen ist nicht (nie) tabu. Man kann sich an den vielen Geschichten, Briefen, Seufzern, Historien, am Frauenleid und am Titanenschicksal post festum erfreuen wie während einer Romanlektüre oder vor einem Sonntagabend-Fernsehfilm, kann gemeinsam mit Josephine und Ludwig virtuell seinen ganz persönlichen Eskapismus unternehmen. Dennoch, die Frage sei gestattet: Wozu so ein nun schon jahrhundertelanges Theater um ein seltsames, manchmal gar armes, krudes Schriftstück? Abgesehen von der Lust am kleinen Voyeurismus – verstehen wir Beethovens Musik dadurch besser?
Immerhin umfassen die Josephine-Jahre die Zeit, in der ein großer Teil von Beethovens mittlerem Hauptwerk (Symphonien, Kammermusik, Konzerte, „Fidelio“) entstanden ist. Man hat sich daher redlich bemüht, vor allem in Klavier- und Vokalmusik Anspielungen auf die Frau, deren Namen, die gemeinsame Vita zu entdecken oder herauszuinterpretieren. Es blieb, wie zumeist in so einer Musikwissenschaft, ein hübsches Feld der Spekulation. Denn Beethoven verriet diesbezüglich mit vielfach zu deutenden Noten nichts.
Und darum ist es vielleicht nun gestattet, Folgendes zu sagen. Die Beschäftigung mit einer solchen Sache wirft zumeist eher Licht und Schatten auf die Sich-Beschäftiger (Forscherinnen und Forscher, Analytiker und Märchenbiografinnen) als auf Frau Josephine und Herrn Ludwig van selbst. Auch hier ist man in guter Gesellschaft. Bei Beethoven und seinen Liebesbriefen, vor allem mit diesem aktuellen Geburtstagskind, gab es Peinlichkeiten genug, Peinlichkeiten seitens der hehren Wissenschaft allerdings.
Haben die beiden nun miteinander?#
Die frühe „Forschung“ erging sich in saftigen Spekulationen. Die Musikrhetorik-Lehre stellte wilde Sprachkompositionsparameter auf, nur um ähnliches Liebesgestammel in den Kompositionen nachzuweisen. Die besonderen Werbebriefe Beethovens während der Witwenzeit Josephines wagte das Beethovenhaus in Bonn, immerhin das sich selbst als führend ausweisende Forschungszentrum, erst 1957 herauszubringen. Expertenteams bekrieg(t)en sich oft mit wüsten Worten mit Thesen und Antithesen, welche sich salopp stets auf denselben Inhalt zurückführen lassen: „Haben die beiden nun miteinander – oder nicht?“
In wissenschaftlichen Abhandlungen ging man so weit, grübelnd Vermutungen anzustellen, wie die beiden denn etwa in Prag (ein paar Tage also vor dem Briefabfassen) das geschafft hätten, es (Pardon, aber so wird spekuliert) unbemerkt, aber intensiv miteinander zu treiben. Und so fort. Erst 1977 (!) hat man den Brief im Original veröffentlicht, die schon bestehenden Fotoausgaben wurden eher heimlich so tradiert wie damals noch Sexbildchen unter dem Ladentisch.
Und dann noch, antithetisch? Tja. Andere Zugänge blieben und bleiben eher verpönt, sie werden von Teilen einer etwas grenzwertig argumentierenden Wissenschaft geradezu zornig abgelehnt. Punkt. Es soll die Jahrzehntromanze sein und bleiben. Wehe, da käme jemand und sagte: Woher wissen wir eigentlich, dass das der einzige anonyme Werbebrief Beethovens ist; vielleicht blieb jener aus 1812 bloß übrig; vielleicht schrieb Beethoven, der Womanizer, sowieso viele? Und dann – jene Josephine? War die wirklich eine leidend-liebende Hochstil-Leonore (wie die meiste Forschung das gern hätte) oder bloß eine etwas dumme Frau, die sich einfach und gern mit vielen Männern eingelassen hat?
Angeblich spielte sich nach Teplitz (und dem unehelichen Kind) nichts mehr ab zwischen den beiden. Beethoven neigte sich zudem sodann – und das sehr wohl und verfolgbar auskomponierend – dem Erzherzog Rudolf zu, nachweislich einem Mann.