Das Museum der Töne#
Die "Sammlung Alter Musikinstrumente" in der Wiener Hofburg verfügt über einen reichen Schatz an historischen Blockflöten, Geigen und Klavieren.#
Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 14./15. Juni 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Markus Vorzellner
Relativ zügig betrete ich die Neue Hofburg, um möglichst rasch den Balkon zu unterqueren, von welchem aus am 15. März 1938 der Anschluss an das Dritte Reich verkündet wurde. Ich wende mich nach rechts, gehe an der Museums-Kasse vorbei und befinde mich am unteren Ende der Prunkstiege, in deren Verlauf kurze Einblicke in das Ephesos-Museum und die Rüstungskammer möglich werden. Am oberen Ende nimmt mich die Kuratorin der "Sammlung Alter Musikins-trumente" (SAM), Beatrix Darmstädter, in Empfang, die mir während der Führung durch die Räumlichkeiten wichtige Einblicke in die Sammlung gibt und deren weltweite Bedeutung unterstreicht.
Diese definiert sich freilich nicht nur über die große Anzahl bedeutungsvoller Exponate, sondern zumindest in gleichem Maß über den kulturhistorischen Horizont, der durch die Interaktion der Exponate zueinander vor den Augen des kritischen Museumsbetrachters entsteht. Ganz in diesem Sinn kann man auf der Homepage etwa lesen: "Die SAM verfügt über den weltweit bedeutendsten Bestand an Renaissance- und Barockinstrumenten."
Ein stolzer Besitz#
Denn wenn auch die älteste Blockflöte Europas sich in der Sammlung der Göttinger Georg-August-Universität befindet oder der bedeutende archäologische Fund der Divje Babe-Flöte, das älteste Flötenfragment der Welt, als vereinzeltes Sensationsstück im Narodni Muzej in Ljubljana aufbewahrt wird, so besitzt die Wiener Sammlung, den Ausführungen von Beatrix Darmstädter zufolge, rund ein Fünftel der weltweit erhaltenen Blockflöten aus der Renaissance. Darunter befindet sich auch die legendäre in vielen Varianten nachgebaute Altblockflöte, die aufgrund ihrer spezifischen Bau- und Griffweise bereits Generationen von Instrumentenmachern, Musikern und Musikliebhabern faszinierte.
Auch der Bereich der Tasteninstrumente trägt zum Wert dieser einzigartigen Wiener Sammlung bei. Neben zwei der drei Orgeln, die 1954 bei Paul Hindemiths Festwochen-Aufführung von Claudio Monteverdis "Orfeo" zum Einsatz kamen, ist auch ein sogenannter Harmonie-Hammerflügel, gebaut 1796 von Johann Jacob Könnicke, auf welchem, nach Mitteilungen des komponierenden Zeitgenossen Franz de Paula Roser, Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven gespielt haben sollen, Teil der Sammlung.
Den jeweiligen Instrumenten ist nicht immer direkt ein klingender Komponistenname zuzuordnen, was den Wert dieser Ins-trumente jedoch in keiner Weise schmälert, stehen doch hinter einigen Meisterstücken dieser Sammlung die Namen der beiden bedeutendsten Wiener Klavierbauer an der Wende vom 18. zum 19 Jahrhundert, Anton Walter und Johann Andreas Stein. Dadurch treten die sogenannten "großen Namen" indirekt wieder in Erscheinung, da beide Herren ihre Instrumente auch für Mozart gebaut haben.
Die Gruppe der Streichinstrumente ist für den Wert der Sammlung ebenso konstituierend: Neben einem kompletten Quartettsatz aus der Werkstatt des berühmten Tirolers Jacob Stainer, sowie neun Instrumenten des Wiener Geigenbauers Franz Geissenhof fällt besonders die Violine Leopold Mozarts ins Auge. Außerdem befinden sich in der Sammlung die von Carl Zach für Johann und Joseph Schrammel angefertigten Violinen, die anstelle der Schnecke ein geschnitztes Porträt der beiden Brüder aufweisen.
Erhaltung und Nutzung#
Im Rahmen einer modernen Profil- erstellung war den Verantwortlichen die bestmögliche klangliche Präsentation einiger ausgewählter Instrumente von großer Wichtigkeit. Alfons Huber, der die Tasteninstrumente seit 1983 als Restaurator betreut, verweist in diesem Zusammenhang auf die dabei auftretende Diskrepanz zwischen ihrer Funktion als klingende Indikatoren moderner Museumspädagogik und als Objekte, die es in bestmöglichem Zustand zu erhalten gilt. Dass jeder Gebrauch gezwungenermaßen auch einen Verbrauch nach sich zieht, stellt, wie Alfons Huber anmerkt, "den Preis dar, der für das akustische Erleben gezahlt werden muss".
Um diesen Preis möglichst gering zu halten, wurde seinerzeit eine Klassifikation des Instrumentariums nach diesbezüglichen Kriterien erstellt: Instrumente mit voller Spielbarkeit sollen für Konzerte und CD-Aufnahmen eingesetzt werden und so den Bestand innerhalb und - via Speichermedium - außerhalb des Museums repräsentieren; bedingte Spielbarkeit lässt ein Erklingen des jeweiligen Instruments in beschränktem Rahmen, etwa bei Führungen, zu; in den Zustand der Anspielbarkeit schließlich werden jene Instrumente gebracht, bei denen nur einzelne Saiten in die notwendige Spannung versetzt werden.
Der gegenwärtige Umfang der Sammlung resultiert aus der Zusammenlegung mehrerer Einzel-Sammlungen im Lauf der Jahrhunderte. Als Keimzelle sind die Instrumente der Kunst- und Wunderkammer Erzherzog Ferdinands II. von Tirol zu nennen, die in den 1570er Jahren in Schloss Ambras angelegt wurde. Von dort befinden sich gegenwärtig 89 Stücke in der Sammlung, so u.a. ein Ins-trument des Innsbrucker Lautenbauers Georg Gerle aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, oder ein kombiniertes Tasteninstrument des Augsburger Instrumentenbauers Anton Meidting, das zum einen Teil aus einem Spinett, zum anderen aus einer Zungenpfeifenorgel besteht. 1806 kam der gesamte Bestand im Zuge der Napoleonischen Kriege nach Wien, wo er 1814 im Unteren Belvedere aufgestellt wurde.
Einen zweiten Strang bildet die Sammlung der Familie Obizzi, die 1803 an den Erzherzog von Modena-Este überging und 1870 von Padua nach Wien gelangte, wo sie zeitweise im Palais Modena-Este im heutigen dritten Bezirk aufbewahrt wurde. 1914 erfolgte die Vereinigung beider Sammlungen und deren Übersiedlung in die Neue Hofburg.
Nach dem Anschluss Österreichs wurden der Sammlung unter dem neu ernannten Leiter, dem Musikologen Victor Luithlen, die Instrumente der Gesellschaft der Musikfreunde und jene der Sammlung Rothschild beigestellt, ohne dass diese jedoch inventarisiert worden wären! Der gesamte Bestand übersiedelte 1938 in das Palais Pallavicini am Josefsplatz, wurde aber gegen Kriegsende unter Luithlens persönlicher Aufsicht in den Halleiner Salzstollen transferiert. Nach 1945 wurden die "arisierten" Instrumente wieder rückerstellt.
Konzertmatineen#
Auf der anderen Seite jedoch begründet Victor Luithlen eine Tradition, die - wenngleich auf völlig neue Basis gestellt - bis heute andauert: Die in regelmäßigen Abständen veranstalteten Konzertmatineen. Luithlen, ein auf hohem Niveau dilettierender Pianist, ließ für seine pionierhafte Spielwiese einige Glanzstücke der Sammlung in einen klanglichen Zustand bringen, der dem Charakter des jeweiligen Instruments in den wenigsten Fällen adäquat war.
Der gegenwärtige Direktor der Sammlung, Rudolf Hopfner, beklagt: "Man darf nicht vergessen, dass die Instrumente auf Grund des Faktors Alterung nicht mehr so klingen können wie früher und dass viele ja auch im Laufe der Zeit unsachgemäß repariert oder umgebaut wurden, wie etwa der Erard-Flügel von Beethoven. Dabei nahmen sowohl die Veranstalter als auch das Publikum in Kauf, dass das klangliche Ergebnis oft weit hinter dem zurück stand, was von einem Instrument in gutem Zustand aber ohne prominente Provenienz zu erwarten gewesen wäre."
Parallel zu einem wachsenden Bewusstsein um eine wissenschaftlich legitimierte Restaurierungspraxis konnten im Lauf der Zeit auch bedeutende Solisten gewonnen werden. So gab die seinerzeit am Beginn ihrer Karriere stehende Cembalistin Isolde Ahlgrimm ihr Debüt in der Konzertreihe Luithlens am 28. Juni 1940 mit Beethovens Klaviersonate Nr. 22 auf dem erwähnten Erard-Flügel, der sich gegenwärtig im Oberösterreichischen Landesmuseum in Linz befindet. In späteren Jahren, speziell unter der Direktion von Rudolf Hopfner, erfuhr dieser Kreis bedeutende Erweiterungen: Vom Geiger Hiro Kurosaki über den Cellisten Christophe Coin bis zu den Pianisten Marino Formenti, Mitsuko Uchida oder Richard Fuller erstreckt sich der Bogen der Künstler.
Der Bildungsauftrag#
1993 wurde vom ehemaligen Leiter der Sammlung, Gerhard Stradner, die Dauerausstellung einer grundlegenden Neuerung unterzogen. Dem Umstand, dass sämtliche Aufgabenbereiche innerhalb einer äußerst diversifizierten Museumslandschaft sich auf massive gesellschaftliche Veränderungen einzustellen haben, wird auch in der Sammlung Alter Musikinstrumente Rechnung getragen:
"Unser Bildungsauftrag wird inhaltlich permanent nachjustiert. Mit dem allgemein zu beobachtenden Verlust um das Wissen über die Aufgaben der Museen als geisteswissenschaftliche Forschungseinrichtungen werden stets neue Kulturvermittlungsformate erarbeitet." Gerade deswegen, so Beatrix Darmstädter, "steht die Trias "Forschen, Vermitteln, Ausstellen an der Spitze unserer Tätigkeiten". Die für den Bildungsauftrag der SAM zentralen Aufgaben der Vermittlung und Ausstellung sind von immenser Wichtigkeit und werden nur noch von der Forschung übertroffen, die jedem Vermittlungsprogramm und jeder Ausstellung vorangehen muss.
Man braucht die in ihrer sirenenhaften Süßlichkeit meist recht schal klingenden Geigentöne erfahrener Berufs-Politiker nicht zu goutieren, die zwischen den gegenwärtigen ideologischen Extremen von Neoliberalismus und Sparwahn die Institution Museum in populistischer Manier als "Spiegelbild unserer kulturellen Gegenwart" bemühen - so der frühere Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff auf dem 30. Museumstages 2007 in Schwerin. Trotzdem - oder gerade deswegen - kommt dieser Utopie im Rahmen wünschenswerter Interaktionen zwischen Museumsobjekten und -besuchern eine wichtige Funktion zu, fasst man sie als Impuls auf, einen gesellschaftspolitisch erstrebenswerten Zustand herbeizuführen, der es verdiente, der Institution Museum wieder als "Urbild" zu dienen.
Sammlung Alter Musikinstrumente, Neue Burg, Heldenplatz, 1010 Wien. www.khm.at
Markus Vorzellner lebt als Pianist (Schwerpunkt Kammermusik und Liedbegleitung), Musikpublizist und Pädagoge in Wien.