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Eine Wiener Musik-Institution#

Vor 125 Jahren wurde der "Club der Wiener Musikerinnen" gegründet. Das Jubiläum schlägt eine Brücke von der Kunst zur Wissenschaft, von der Pädagogik zum Sozialbereich.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 22. Oktober 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Ingeborg Waldinger


Olga von Hueber
Gründungsmitglied Olga von Hueber, 1891.
© Foto: Club der Wiener Musikerinnen

Man schreibt das Jahr 1886: Franz Liszt stirbt in Bayreuth; Bertha von Suttner zeigt in ihrem Buch "High Life" soziale Missstände auf; in Wien wird noch an der Ringstraße gebaut. Und ein neuer Verein wird gegründet. Drei junge Musikerinnen beschließen, ihren Berufsstand zu revolutionieren. Was als eine Art Selbsthilfe-Aktion startet, erlangt hohe kulturpolitische und gesellschaftliche Relevanz: Der künstlerisch und pädagogisch äußerst aktive "Club der Wiener Musikerinnen" legt das Fundament für die soziale Absicherung von Berufsmusikerinnen.

Die drei engagierten Standesvertreterinnen heißen Rosa Lutz, Marie von Grünzweig und Olga von Hueber. Sie absolvieren ihre musikalische Ausbildung am Konservatorium des Musikvereins und sind Klavierschülerinnen von Johannes Brahms. Der Hamburger Komponist hatte bereits als Chorleiter der Wiener Singakademie und des Singvereins der Gesellschaft der Musikfreunde gewirkt, und darüberhinaus privaten Klavierunterricht gegeben. Sein Werk sollte im Club der Wiener Musikerinnen, damals noch Verein der Musiklehrerinnen, denn auch besonders gewürdigt werden.

"Conservatoristin" Lutz#

Die Initiatorin des Clubs, Rosa Lutz, wurde 1867 in Innsbruck geboren. Also in jenem Jahr, in dem Johann Strauß sein Opus 314, den Walzer "An der schönen blauen Donau", schrieb. Rosas Vater unterrichtete an der Innsbrucker Musikschule. Und er dirigierte, komponierte oder versah an verschiedenen Kirchen den Orgeldienst. Im Hause Lutz wurde viel musiziert. Rosa erlernte das Klavierspiel, ihr Talent war rasch erkannt: Die 15-Jährige wurde im September 1882 in das Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde aufgenommen. Der Andrang in diese erste öffentliche Musikschule Wiens war außerordentlich groß, sodass die Institu- tion 1909 als "K.K. Akademie" in staatliche Führung überging. Für die junge "Conservatoristin" Lutz war die musikalische Laufbahn also vorgezeichnet. Die Studentin entdeckte das reiche Wiener Musikleben, als dessen Zentrum neben dem Musikverein das neue Hofoperntheater am Ring galt.

Rosa Lutz strebte keine Virtuosenlaufbahn an, sondern den Lehrberuf. Der frühe Tod ihres Vaters zwang sie 1885, auf eigenen Füßen zu stehen. Doch der Beruf der Musikpädagogin entbehrte jeder sozialen Absicherung. Rosa Lutz wollte sich mit den Fakten nicht abfinden. Und so reifte der Plan zur Gründung einer Vereinigung von Musiklehrerinnen.

Um einen Verein zu gründen, braucht es mindestens drei Personen: Was einst Kaiser Justinian I. postulierte, galt auch für Rosas Initiative. Gemeinsam mit den Pianistinnen Marie von Grünzweig und Olga von Hueber gründete sie 1886 den "Verein der Musiklehrerinnen". Somit standen drei "Conservatoristinnen" am Beginn der Clubgeschichte. Sie stellten auch die ersten Präsidentinnen des Vereins - und bestimmten dessen Geschichte über sieben Jahrzehnte, bis 1956. Allein Marie von Grünzweig leitete die Vereinigung 46 Jahre lang (1892-1938). Noch unter ihrer Präsidentschaft wurde der Verein 1934 in "Club der Wiener Musikerinnen" umbenannt. Zu den großen Pionierleistungen des Vereins gehörten die Gründung eines Pensionsfonds, eines Krankenfonds, eines Ferienfonds. Und im Jahr 1902 wurden die ersten Unterrichtsverträge ausgestellt. Sie regelten feste Monatshonorare für Musikpädagogen und kamen den männlichen Lehrkräften gleichermaßen zugute. Das lag durchaus im Sinn der selbstbewussten Clubgründerinnen, die eine ausgewogene Vorstellung von Gleichberechtigung hatten.

Seit je nehmen Virtuosentum und Lehrberuf in der Clubgeschichte einen gleichwertigen Rang ein. Die Musikpädagoginnen des Vereins forcieren den Individualunterricht als Alternative zum Massenunterricht. Als Solistinnen zeigen junge wie arrivierte Künstlerinnen ihr hohes Niveau. Klavier und Gesang bilden die Eckpfeiler der Vereinsarbeit. Ende des 19. Jahrhunderts gelten diese Fächer, später auch Geige, als typisch weibliche Musizierformen. Cellistinnen werden in der Presse noch wie "Wundertiere" bestaunt. Der Club trägt wesentlich dazu bei, Frauen die gesamte Instrumentalpalette zu öffnen.

Dass dieses breite musikalische Betätigungsfeld bis heute fortgesetzt werden kann, ist nicht zuletzt das Verdienst Olga von Huebers, eines "Urgesteins" der Vereinsgeschichte. Ihre "Novitätenkonzerte" im Bösendorfersaal (Konzertsaal im ehemaligen Palais Liechtenstein in der Wiener Herrengasse, an dessen Stelle nun ein Hochhaus steht) waren Legende. 1947 übernahm Olga von Hueber, bereits 78-jährig, die Neugründung des Clubs. Sie knüpfte an die Veranstaltungen der Zwischenkriegszeit an und erweiterte diese vor allem im Bereich der Kammermusik. Mit ihrem Tod im Jahr 1956 endete die direkte Verbindung zur Gründungsphase des Clubs.

Neben Olga von Hueber zählte der Verein noch viele namhafte Pianistinnen: etwa Marie Bau- mayer - im Urteil der Presse nach Clara Schumann "die poetischeste Klavierspielerin der Welt", und Henriette Hemala, Lieblingsschülerin von Johannes Brahms. Anno 1888, im zarten Alter von 15 Jahren, spielte sie in Gmunden mit dem berühmten Geiger und Brahmsfreund Joseph Joachim in Gegenwart des Komponisten erstmals dessen A-Dur-Violinsonate.

Auch Sängerinnen der Wiener Hofoper gehörten zu den Vereinsmitgliedern der ersten Stunde. In Novitätenkonzerten brachten sie Werke von Brahms zur Uraufführung und sicherten dem Club damit einen bedeutenden Platz im Musikleben der Stadt. Seine von Anbeginn an bestehende große Brahmstradition ist vor allem im Bereich der Klaviermusik und des Liedgesanges bis heute lebendig geblieben.

"Wiens Liederkönigin"#

Zu den herausragendsten Sängerinnen im Club zählte Rosa Papier, Mutter des Dirigenten, Komponisten und späteren Salzburger Festspielpräsidenten Bernhard Paumgartner. Ihr Stern erstrahlte am Wiener Hofopernhimmel unter der Direktion von Wilhelm Jahn. Zu den Glanzrollen der 1859 in Baden bei Wien geborenen Mezzosopranistin zählten die Amneris in Verdis Oper "Aida" oder Glucks "Orpheus". Rosa Papier brillierte zudem als Wagner-Interpretin und Liedsängerin. 1891 nahm sie krankheitsbedingt Abschied von der Bühne und begann eine Karriere als Gesangsprofessorin am Konservatorium.

Als Frau des namhaften Musikkritikers Hans Paumgartner unterhielt sie beste Beziehungen zu den obersten Etagen des Wiener Musikbetriebs. Ein Umstand, der die Bestellung Gustav Mahlers zum Direktor der Wiener Hofoper entscheidend beeinflussen sollte. Mahler löste den Langzeitdirektor des Hauses, Wilhelm Jahn, 1897 ab. Im selben Jahr starb Johannes Brahms. Seine Lieder, insbesondere die "Sapphische Ode", hatte Rosa Papier dereinst virtuos "aus dem Manuskript gesungen", schrieb die "Badener Zeitung" vom 13. Februar 1932 in ihrem Nachruf auf die Kammersängerin.

Noch in den Tagen von Johannes Brahms hatte die "Neue Musikalische Presse" gefragt, wem der erste Platz gebührte: "Wiens Liederkönigin" Rosa Papier oder "Wiens bester Liedersängerin" Marie Katzmayr, seit ihrem Erfolg als "Königin der Nacht" ein Publikumsliebling. Beide gehörten viele Jahre dem Club-Vorstand an und trugen deutsche Liedkunst hinaus in die Welt.

Neben Pianistinnen und Sängerinnen prägten auch Komponistinnen den Club seit seiner Gründungszeit. Katharina von Escherich zählte dazu, desgleichen Mathilde Kralik von Meyerswalden - ihre Musik wurde bereits um 1900 im Großen Musikvereinssaal aufgeführt. Kralik war die Tochter eines böhmischen Glasindustriellen, ihre Mutter entstammte der Glasdynastie Lob-meyr. Bruder Richard hatte sich der Literatur verschrieben. Seine Gedichte inspirierten Mathildes frühe Kompositionen, während Größen wie Anton Bruckner, Julius Epstein oder Franz Krenn ihr musikalisches Talent formten.

Das anschließende Studium am Konservatorium absolvierte sie mit Bravour. Kraliks Opern und Lieder waren fixer Programmpunkt im Wiener Konzertbetrieb, ihre Sonntag-Soirées ein Magnet für Musikliebhaber.

Im Club der Wiener Musikerinnen schloss Kralik Freundschaft mit Vilma von Webenau, Arnold Schönbergs erster Privatschülerin. Vilma von Webenau wurde 1875 als Tochter eines K.u.K. Botschaftsrats in Constantinopel geboren. Schon ihre Großmutter, Julie von Webenau, war Komponistin. Vilma schrieb unzählige Lieder und engagierte sich, wie Mathilde Kralik, in der Frauenbewegung.

Zu den bedeutenden Komponistinnen der Clubgeschichte zählen ferner Lise Maria Mayer, die einzige Frau in Franz Schalks Kapellmeisterschule; Hilde Daninger, deren Orgelwerke im Stephansdom erklingen; Emma von Fischer, Präsidentin des Clubs von 1956 bis 1964. Sie erzielt mit ihren Instrumentalkonzerten im Rundfunk wie im Ausland großen Erfolg. Auch im Club selbst finden Komponistinnen stets ein Podium für ihre Werke.

Krise und Neubeginn#

Vor 25 Jahren durchläuft der Club eine große Krise, das Jubiläumsjahr 1986 verstreicht ohne Hundertjahrfeier. Überalterung und fortschreitende Inaktivität haben den Verein in eine existenzbedrohende Lage gebracht. Die Wende tritt 1992 ein. Erstmals in der Geschichte des Clubs firmiert - nach sieben Pianistinnen - eine Sängerin als Präsidentin: Eleonore Hauer-Róna. Diese bringt frisches Leben in die Vereinigung. Jüngere Mitglieder kommen hinzu, die Veranstaltungen werden nach dreijährigem Stillstand wieder aufgenommen, das Themenangebot massiv erweitert.

Heute gibt es jährlich über 20 Veranstaltungen: Solisten- und Kammermusikkonzerte, Vorträge, Round Tables und Diskussionsabende, Exkursionen, Ausstellungen, Zeichenwettbewerbe für Kinder zum Thema Musik.

Einen besonderen Schwerpunkt der Clubarbeit bildet die Reihe "Musik und Medizin". Sie war noch unter Rosa Lutz lanciert worden, dann aber in Vergessenheit geraten. Heute reicht die Bandbreite dieser Reihe von Musikererkrankungen und Gehirnforschung über Klangschalentherapie bis zum Einsatz von Musik in der Neonatologie.

Hauer-Rónas Arbeit in führenden Positionen der internationalen Frauenbewegung beim International Council of Women und ihre Tätigkeit bei den Vereinten Nationen und der UNIDO öffnen für den Club weltweite Kontakte. Dies spiegeln sich auch in den Veranstaltungen wider.

Bis heute hat der Verein trotz mancher Krisenzeiten seine Rolle als bedeutende Wiener Musikinstitution bewahrt. Präsidentin Hauer-.Róna: "Das Erbe von Rosa Lutz und ihren Kolleginnen ist eine kulturelle Verpflichtung."

Ingeborg Waldinger

Ingeborg Waldinger lebt als freie Journalistin in Wien und schreibt regelmäßig Reportagen und kulturhistorische Beiträge fürs "extra".

Wiener Zeitung, Samstag, 22. Oktober 2011


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