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Chemie-Nobelpreis für gemachte Moleküle#

Höchste Auszeichnung für "geniales" Werkzeug zum Aufbau von Molekülen, das Industrie und Medizin zugute kommt. Der deutsche Benjamin List und der Brite David MacMillan werden geehrt.#


Von der Wiener Zeitung (6. Oktober 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt


Die Forscher Benjamin List und David MacMillan
Die Forscher Benjamin List und David MacMillan.
Foto: © nobelprize.org

Moleküle sorgen dafür, dass der Kaffee gut schmeckt, halten unsere Nahrung frisch, machen die Haut weich oder befreien uns von Kopfschmerzen: Wir sind von Molekülen umgeben. Viele kommen in der Natur vor, andere sind von uns Menschen gemacht. Chemiker können sie, aus zwei oder mehreren Atomen aufgebaut, kreieren, indem sie chemische Bausteine untereinander verbinden. Es ist jedoch schwierig, diese winzigen, für das Auge unsichtbaren Substanzen dazu zu kriegen, sich wie gewünscht zu binden.

Der Deutsche Benjamin List, Direktor des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr, und der Brite David MacMillan, Professor für Organische Chemie an der Universität Princeton im US-Staat New Jersey, können das. Die beiden Forscher erhielten am Mittwoch den Nobelpreis für Chemie 2021 für eine revolutionäre Methode zum Aufbau von Molekülen. Sie werden für die Entwicklung eines "asymmetrische Organokatalyse" genannten "genialen" Werkzeugs geehrt, gab am Mittwoch die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm bekannt. Dieses habe großen Einfluss auf die pharmazeutische Forschung und habe die Chemie "grüner" gemacht, begründete das Nobelpreiskomitee seine Entscheidung.

Die Natur nachbauen#

Zahlreiche Industriezweige arbeiten mit chemisch hergestellten Molekülen. In Solarzellen fangen diese Sonnenlicht ein, in Batterien speichern sie Energie, der Sportindustrie ermöglichen sie die Erzeugung von besonders leichten Laufschuhen und im Körper unterbinden sie krankhafte Infektionen. "Doch im Vergleich zur Fähigkeit der Natur, chemische Moleküle aufzubauen, steckte der Mensch lange in der Steinzeit", so das Nobel-Komitee. Die Evolution hat spezifische Werkzeuge hervorgebracht, Enzyme genannt, die als Katalysatoren chemische Reaktionen beschleunigen können. Ohne Enzyme gäbe es keine molekularen Komplexe, die dem Leben Farbe, Form und Funktion verleihen.

Als Chemiker diese kleinen Meisterwerke erstmals isolierten, waren sie vermutlich voller Bewunderung. Erste Versuche, natürliche Enzyme nachzubauen, brachten jedoch mangels präzisen Werkzeugs unerwünschte Nebenprodukte hervor. Benjamin List, geboren 1968 in Frankfurt am Main, und David MacMillan, geboren 1968 im britschen Belshill, "konnten den Aufbau von Molekülen auf ein neues Niveau heben. Ihre Entdeckungen haben die Chemie nachhaltiger und umweltfreundlicher gemacht. Es ist jetzt viel leichter, asymmetrische Moleküle zu erzeugen", so das Nobel-Komitee.

Moleküle können sich beim Aufbau, ähnlich wie unsere beiden Hände, als Spiegelbilder von einander formieren. Insbesondere die pharmazeutische Erzeugung benötigt aber nur ein einziges Spiegelbild. List und MacMillan waren die ersten, denen die Erzeugung einer solchen Asymmetrie gelang.

"Katalytische Kraft"#

Doch zum Hintergrund: Katalysatoren beschleunigen chemische Reaktionen. Erste Versuche im 19. Jahrhundert zeigten, dass Silber Wasserstoffperoxid in Wasser und Sauerstoff aufspaltet, wobei das Metall den Prozess zwar auslöst, sich aber selbst nicht verändert. 1835 entdeckte der schwedische Chemiker Jacob Berzelius ein Muster in derartigen Reaktionen, die er als "katalytische Kraft" oder "Katalyse" bezeichnete.

Seit Berzelius ist viel Wasser durch die Pipetten der Chemiker geflossen. Heute kommen Katalysatoren bei der Erzeugung von Medikamenten, Plastik, Parfums oder Aromastoffen zum Einsatz. Sie splitten Moleküle auf oder fügen sie zusammen. Platin oder Palladium wandeln im Katalysator eines Autos Kohlenwasserstoffe, Kohlenmonoxid und Stickoxide in die ungiftigen Substanzen Kohlendioxid, Wasser und Stickstoff um. "Schätzungsweise 35 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts beruht auf chemischen Katalysatoren", sagte Göran Hansson, Generalsekretär des Nobel-Komitees.

Lange bestanden Katalysatoren ausschließlich aus Metallen oder natürlichen Enzymen. Metalle erwiesen sich als umweltschädlich und in feuchter oder sauerstoffreicher Umgebung als wenig haltbar.

Enzyme schienen aufgrund ihrer Fähigkeit zur asymmetrischen Katalyse geeigneter. Sie bilden mindestens ein Spiegelbild und arbeiten im Team: Wenn eines seine Reaktion vollendet hat, übernimmt das nächste. Ihre Arbeitsweise erlaubt es den Enzymen, komplexe Moleküle, wie Chlorophyll oder Cholesterin oder das komplexe Gift Strychnin, mit erstaunlicher Präzision aufzubauen. In den 1990er Jahren begann ein Team um Carlos Barbas am Scripps Research Institute in Südkalifornien an neuen Enzym-Varianten zu arbeiten. List hatte im Jahr 2000 als Postdoc die Idee, katalytische Antikörper, die sich an Viren binden, so umzuprogrammieren, dass sie chemische Reaktionen auslösen. Dabei machte er sich eine einfache Aminosäure namens Prolin zunutze, die sich als effizienter Katalysator erwies und die geforderte Asymmetrie von nur einem molekularen Spiegelbild hervorbringt. Prolin erwies sich als auch kostengünstig und umweltfreundlich.

Ein Traum für Chemiker#

An der Universität Berkeley in Kalifornien arbeitete David MacMillan ebenfalls an der Verbesserung von asymmetrischen Metall-Katalysatoren, die der Industrie zu teuer waren. Er entwarf einfache organische Moleküle, die Elektronen erzeugen und beherbergen können, und sich ebenfalls als exzellent für asymmetrische Katalyse erweisen.

Das Nobel-Komitee erreichte List Mittwochmorgen auf Familienurlaub im Amsterdam. "Gerade hatte meine Frau gesagt, was ist, wenn Dich jemand aus Schweden anruft?, und dann läutete das Telefon mit schwedischer Vorwahl", sagte er in einer ersten Reaktion sehr erfreut.

Übergeben wird der Preis am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, pandemiebedingt in den Heimatländern der Preisträger. Die Auszeichnung ist mit zehn Millionen Schwedischen Kronen (985.000 Euro) dotiert. Angesprochen auf die Entwickler des Corona-Impfstoffs, die als Favoriten gegolten hatten, vertröstete Hanssen auf die Zukunft: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, sehr genau zu prüfen. Bis nächstes Jahr!"

Der Chemie-Nobelpreis wird seit 1901 verliehen. Die erste Auszeichnung erhielt der Niederländer Jacobus van't Hoff für die Entdeckung von Gesetzen der Osmose.

Die Preisträger der vergangenen zehn Jahre sind:#

2020: Die beiden Biochemikerinnen Emmanuelle Charpentier (Frankreich) und Jennifer Doudna (USA) "für die Entwicklung einer Methode zur Bearbeitung des Genoms", konkret die Genschere CRISPR/Cas9.

2019: Der US-Forscher John Goodenough, der Brite Stanley Whittingham und der Japaner Akira Yoshino für die Entwicklung von Lithium-Ionen-Batterien.

2018: Die US-Amerikanerin Frances Arnold, ihr Landsmann George Smith und der Brite Gregory Winter haben Methoden entwickelt, mit denen es möglich ist, etwa Biokraftstoffe, Arzneimittel und therapeutisch wirkende Antikörper umweltfreundlich herzustellen.

2017: Der Schweizer Jacques Dubochet, der Deutsch-Amerikaner Joachim Frank und der Brite Richard Henderson für die Kryo-Elektronenmikroskopie. Damit lassen sich Biomoleküle im Detail untersuchen - sie zeigt etwa dreidimensionale Bilder von Proteinen.

2016: Der Franzose Jean-Pierre Sauvage, der gebürtige Brite James Fraser Stoddart und der Niederländer Bernard Feringa. Sie bauten aus nur wenigen Molekülen etwa künstliche Muskeln und ein Mini-Auto.

2015: Tomas Lindahl (Schweden), Paul Modrich (USA) und Aziz Sancar (USA/Türkei), die Erbgut-Reparatursets beschrieben hatten. Diese Erkenntnisse dienen unter anderem zur Suche nach Krebsmedikamenten.

2014: Der Deutsche Stefan Hell sowie die US-Amerikaner Eric Betzig und William Moerner für die Erfindung superauflösender Mikroskope. Damit kann man in lebende Zellen blicken und Abläufe bei Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson beobachten.

2013: Martin Karplus (USA), Michael Levitt (USA/Grossbritannien) und Arieh Warshel (USA/Israel) für Methoden, mit denen sich auch komplexe chemische Reaktionen virtuell nachvollziehen lassen.

2012: Robert Lefkowitz und Brian Kobilka aus den USA für die Entdeckung von Rezeptoren, die zahlreiche Signale von außen in die Körperzellen übermitteln.

2011: Dan Shechtman (Israel), der Quasikristalle entdeckt hatte, die zuvor von vielen Chemikern für unmöglich gehalten wurden.

Wiener Zeitung, 6. Oktober 2021