Dunkle Materie als Bild#
Forschungsteam macht das Unsichtbare sichtbar: Karte zeigt rätselhafte Materieform im Detail.#
Von der Wiener Zeitung (11. April 2023) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Eva Stanzl
Dunkle Materie ist eines der Rätsel des Kosmos. Mit einem Bild in neuem Detail wirft ein Forschungsteam Licht auf ihr Mysterium.
Zu den Hintergründen: Laut Berechnungen ist die Schwerkraftwirkung von Galaxien größer, als die Summe der sichtbaren Himmelskörper ermöglichen würde. Physiker gehen daher davon aus, dass es etwas Weiteres geben muss, das Materie anzieht. Dieses weitere Etwas wird als dunkle Materie bezeichnet, weil sie nicht leuchtet. Obwohl sie 85 Prozent des Universums ausmacht und dessen Entwicklung beeinflusst, ist sie schwer aufzuspüren, da sie nicht mit Licht oder anderen Formen von elektromagnetischer Strahlung wechselwirkt. Soweit bekannt ist, interagiert die dunkle Materie nur mit der Schwerkraft.
"Man kann anhand der Gravitationsgesetze errechnen, wie sich Sterne, Planeten und Galaxien im Universum bewegen müssten. Jedoch reichen diese Gesetze nicht aus, um das gesamte Bewegungsmuster zu erklären. Die Objekte bewegen sich anders und schneller", brachte es der Wiener Physiker Wolfgang Lucha in einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung" auf den Punkt.
Ein internationales Forschungsteam konnte dunkle Materie mit Hilfe von Aufnahmen des Atacama Cosmology Telescope (ACT) in der gleichnamigen Wüste in den chilenischen Anden aber dennoch sichtbar machen. Es erstellte ein neues Bild des rätselhaften Stoffs "in noch nie da gewesenem Detail auf einem Viertel des Nachthimmels bis in die Tiefen des Alls", heißt es in einer Aussendung zur Studie, die diese Woche bei der Konferenz "Future Science with CMB x LSS," an der japanischen Universität Kyoto präsentiert wird.
"Wir haben die unsichtbare dunkle Materie über den Himmel bis zu den größten Entfernungen kartiert und sehen deutliche Merkmale dieser unsichtbaren Welt über eine Dauer von Milliarden von Lichtjahren", sagt Blake Sherwin, Professor für Kosmologie der britischen Universität Cambridge, und: "Sie sieht genau so aus, wie unsere Theorien es vorhersagen."
Wie Scherenschnitt vor kosmischem Hintergrund#
Im Bild zeigen orange Regionen, wo mehr Materie vorhanden ist, und lilafarbene, wo sich wenig bis keine befindet. Auch ein weißliches Band ist zu sehen, wo das vom Planck-Satelliten gemessene Licht in der Milchstraße von Staub verunreinigt ist, welcher die Sicht in kosmische Tiefen verdeckt.
Doch wie lässt sich das Unsichtbare tatsächlich sichtbar machen? Für die neue Karte nutzten die Forschenden das Licht der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung im Grunde als Hinterleuchtung, vor der eine Silhouette der Materie zwischen unserer Position und Zeit und dem Urknall entstand. "Es ist ein bisschen wie bei einem Scherenschnitt. Jedoch ist unsere Silhouette nicht zweidimensional und schwarz, sondern sie besteht aus einer Textur aus Klumpen und Masse, als würde Licht durch einen grob gewebten Stoffvorhang strömen", erklärt Suzanne Staggs, Professorin für Astrophysik der US-Universität Princeton.
Für das ganzheitliche Bild der dunklen Materie seit den Anfängen des Universums haben 160 Mitarbeiter der weltweiten ACT Collaboration Daten des kosmologischen Atacama-Teleskops gesammelt und Licht beobachtet, das ab dem Zeitpunkt von 380.000 Jahren nach dem Urknall entstand. Kosmologen bezeichnen dieses diffuse Licht, das unser Universum ausfüllt, oft als "Babybild des Universums", aber formal ist es als kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (CMB) bekannt.
Die Forscher haben verfolgt, wie die Anziehungskraft großer, schwerer Strukturen, einschließlich der dunklen Materie, die CMB auf ihrer Milliarden Jahre langen Reise zu uns krümmt, ähnlich wie ein Vergrößerungsglas Licht biegt, wenn es durch die Linse fällt.
"Wir haben eine neue Karte der Materie erstellt, indem wir die Verzerrungen des vom Urknall übrig gebliebenen Lichts nutzten", erläutert der Physiker Mathew Madhavacheril von der University of Pennsylvania. "Die Messungen zeigen, dass die ‚Klumpigkeit‘ des Universums und die Geschwindigkeit, mit der es seit fast 14 Milliarden Jahren seiner Entwicklung wächst, genau dem entsprechen, was man vom Standardmodell der Kosmologie auf der Grundlage der Einsteinschen Gravitationstheorie erwarten würde." Die Ergebnisse böten auch neue Einblicke in eine Debatte, die als ‚Krise der Kosmologie‘ bezeichnet wird. Sie rührt laut den Forschern von Messungen auf Basis von Sternenlicht und nicht auf jener von CMB her.