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Der Ruf der Fledermaus #

Seit der Coronakrise sind Fledermäuse nicht mehr gut angesehen. Zu Unrecht: Denn sie haben erstaunliche Fähigkeiten und erweisen dem Menschen etliche Dienste. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Die Furche (15. Oktober 2020)

Von

Marlene Erhart


Babyfledermaus
Im Unterschlupf. Auf der Suche nach Fledermäusen sollte man auf den Wetterbericht achten. Regen oder Kälte halten die Tiere vom Ausfliegen ab
Foto: Waldbär der VI.

Gelinde ausgedrückt ist es eine Katastrophe. Als Mitverantwortliche einer globalen Pandemie genannt zu werden bedeutet den ultimativen Imageverlust. Hätten Fledermäuse ein PR-Büro, wäre dort die Hölle los. Vermutlich würde man darauf hinweisen, dass es keine direkte Übertragung von Sars-CoV-2 von Fledermäusen auf Menschen gab. Oder darauf, dass erst die Verdrängung aus dem angestammten Lebensraum und der Handel auf Wildtiermärkten jene Kette von Ereignissen in Gang setzten, an deren Ende ein neuartiges Coronavirus stand. In jedem Fall würden all jene unvermuteten Dienste angeführt, die Fledermäuse dem Menschen weltweit leisten. In den Tropen bestäuben sie Kakao, Kaffee und andere Nahrungspflanzen. Hierzulande bewahren sie uns vor so manchem Quälgeist – können sie pro Jahr doch bis zu ein Kilo Stechmücken vertilgen. Und in Zukunft könnten sie auch neue Forschungsansätze für die Medizin liefern, denn trotz ihres Rufs als „Virenschleudern“ sind sie selbst extrem resistent gegen Krankheitserreger.

Den Nachtschatten haschen #

Die Genialität des Wunderwerks Fledermaus erschließt sich einem auch, wenn man Ulrich Hüttmeir auf einem seiner nächtlichen Spähzüge begleitet. Der Experte der Koordinationsstelle für Fledermausschutz und -forschung in Österreich (KFFÖ) gilt als bewanderter Kenner der Tiere, der immer wieder zu Spezialeinsätzen gerufen wird. So auch an einem Herbstabend im 14. Wiener Gemeindebezirk. Am grünen Saum der Stadt, wo der Blick hinauf zum Wienerwald geht, inspiziert er einen Gemeindebau, dessen Dachboden bald saniert wird. Da unterhalb des Giebels Fledermauskot gefunden wurde, soll Hüttmeir im Auftrag der Stadt herausfinden, ob unter dem Dachfirst tatsächlich Fledermäuse Quartier bezogen haben.

Aus seinem Rucksack nimmt der Experte ein Ultraschallgerät in der Größe eines Smartphones. Kaum zehn Minuten sind vergangen, da beginnt das Gerät zu knacksen und knattern, das Display zeigt 20 Kilohertz (kHz) an. „Das ist eher im unteren Frequenzbereich, das war wahrscheinlich ein Abendsegler, der relativ hoch über uns hinweg geflogen ist“, erläutert Hüttmeir. Diese heimische Art fliegt bereits in der Dämmerung aus – daher der Name – und jagt in beträchtlicher Höhe nach Insekten. Ganz anders stellt die zweite Art, die sich an diesem Abend bemerkbar macht, ihrer Beute nach. Die Kleine Hufeisennase fliegt auf ihren Beutezügen stets knapp an Hecken, Bäumen oder Hausmauern entlang, da ihr Echoortungssystem nur knapp fünf Meter weit reicht.

Ihr gleich tut es die Zwergfledermaus, die sich im Garten des Gemeindebaus ebenfalls noch akustisch aufspüren lässt. Der Flug nahe an Strukturen dürfte der kleinsten heimischen Fledermausart auch zum Schutz vor Fressfeinden dienen. Denn obwohl sie gerade einmal so viel wie ein 20 Cent Stück wiegt, ist sie ein willkommener Snack für Eulen und Uhus.

Insgesamt tummeln sich 28 Fledermausarten in Österreich, von denen 22 in Wien vorkommen und der Metropole den Beinamen „Fledermaushauptstadt Europas“ eingetragen haben. Mit seinen Parks, dem Wienerwald und einer Vielzahl alter Gebäude und Dachböden hält Wien ideale Lebensräume und Jagdgründe bereit, was sich in erfreulich stabilen Beständen äußert. Die Zeiten waren für Fledermäuse keineswegs immer so rosig, in den 1960er und 1970er Jahren brachen die Populationszahlen weltweit dramatisch ein. Der exzessive Einsatz von Pestiziden, die Umwandlung kleinstrukturierter Zonen in große, konventionell bestellte Ackerflächen oder auch die Anwendung chemischer Holzschutzmittel in Dachböden drängten viele Arten an den Rand des Aussterbens. Was die Tiere heute gefährdet, sind thermische Sanierungen und Renovierungen, durch die ehemalige Quartiere in Spalten oder auf Dachböden verloren gehen. Bedenklich sei teils auch die übermäßige Nutzung von Biomasse. „Wo Wälder komplett ausgeräumt werden und alles Totholz abtransportiert wird, kommen den Fledermäusen die Beutetiere abhanden“, so Hüttmeir. Für manche Fledermausforscher sind die Tiere – wo vorzufinden – daher perfekte Indikatoren für intakte, artenreiche und giftfreie Landschaften. „Wo die Kleine Hufeisennase vorkommt, kann man gut Urlaub machen“, zitiert er einen englischen Kollegen. Begibt man sich auf die Suche nach Fledermäusen, sollte man den Wetterbericht im Auge behalten. Wenn bei Regen oder Kälte nur wenige Insekten unterwegs sind, lohnt sich das energieaufwendige Ausfliegen für die Fledertiere nicht. Das Echoorten zehrt ebenfalls an den Kräften, denn „dabei müssen die Tiere wahnsinnig laut schreien“. Bei einem reinen Orientierungsflug rufen sie zwei- bis dreimal pro Sekunde. Falls Beute in Sicht kommt, steigt die Frequenz rapide. Wenn auch nicht wahrnehmbar für das menschliche Ohr, werden die Ultraschall- Rufe in enormer Lautstärke durch Maul oder Nase abgegeben. „Die Fledermäuse würden taub werden, wenn sie sich ständig selbst hören müssten“, so Hüttmeir. Der Clou ist daher folgender: Wenn die Tiere ihre Rufe ausstoßen, hebt sich der Gehörknochen kurz vom Trommelfell ab und springt sofort wieder zurück, damit das entstandene Echo empfangen werden kann. Über die reflektierten Wellen bauen Fledermäuse ein Bild ihrer Umgebung auf, in dem sie etwa unterscheiden können, was in ihrer Nähe ein Strauch und was Beute ist. Wie ihnen diese Unterscheidung gelingt, ist wie vieles puncto Echoortung noch unklar. „Wenn 20 Fledermäuse an einem Fleck herumfliegen, wie kennen sie in dem Geschrei ihr eigenes Echo heraus?“, fragt Hüttmeir. „Möglicherweise ist an den Rufen sehr viel mehr codiert als angenommen, und wir verstehen noch nicht, wie diese Codierung aussieht und funktioniert.“

„Hartes“ Immunsystem#

Der hohe Energieverbrauch beim Fliegen dürfte auch zur hohen Virentoleranz von Fledermäusen beitragen, steigt ihre Körpertemperatur dabei doch auf rund 40 Grad. Dadurch können sie gut mit Erregern aller Art umgehen, was angesichts ihres Sozialverhaltens auch eine nötige Adaption ist. „Das Leben in einer Kolonie begünstigt die Verbreitung von Viren stark, wobei es bei den heimischen Fledermäusen aktuell keine Nachweise gefährlicher Krankheitserreger gibt“, erklärt Hüttmeir.

Hinweise auf die genetischen Faktoren, die sowohl die immunologische „Härte“, aber auch die Echoortung oder die Flugfähigkeit der Fledertiere verantworten, fand im heurigen Frühjahr das internationale Forschungskonsortium „Bat1K“. Mit DNASequenzierung sowie neuartigen Computermethoden konnte das Team das Erbgut von sechs Fledermausarten fast vollständig auf der Ebene der Chromosomen rekonstruieren. Die Forschenden verglichen diese Informationen mit den Daten von 42 anderen Säugetieren und suchten gezielt nach Besonderheiten im Fledermaus- Genom. Dabei stießen sie auf veränderte Gene des Gehörs, die zur Entwicklung der Echoortung beigetragen haben könnten. Aufsehenerregend waren auch vorgefundene Duplikationen von Genen, die gegen Viren gerichtet sind – bei gleichzeitigem Fehlen von Genen, die bei Säugern Entzündungen fördern. Um weitere Einblicke zu gewinnen, will die Gruppe künftig das Erbgut aller 1421 weltweit lebenden Fledermausarten bestimmen. Dadurch, so hoffen die Wissenschaftler, lassen sich künftig vielleicht auch Krankheiten des Menschen besser behandeln.

Die Furche, 15. Oktober 2020