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Galileis größter Irrtum#

Vor 375 Jahren starb Galileo Galilei - er hatte Ebbe und Flut fälschlich bemüht, um für Kopernikus zu streiten.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 7. Jänner 2017) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Christian Pinter


Gezeiten à la Galilei (links seine Büste am Sterbehaus in Arcetri), vermeintlich verursacht im wechselnden Zusammenspiel von jährlicher (j) und täglicher (t) Geschwindigkeit eines Orts. Mit dieser falschen These glaubte Galilei den Beweis für die Erdbewegung im kopernikanischen Sinn erbringen zu können
Gezeiten à la Galilei (links seine Büste am Sterbehaus in Arcetri), vermeintlich verursacht im wechselnden Zusammenspiel von jährlicher (j) und täglicher (t) Geschwindigkeit eines Orts. Mit dieser falschen These glaubte Galilei den Beweis für die Erdbewegung im kopernikanischen Sinn erbringen zu können.
Foto und Grafik: © Pinter

Italien, zu Ende des 16. Jahrhunderts: Der am 15. Februar 1564 in Pisa geborene Galileo Galilei lehrt Mathematik an der Universität Padua. Dort liest er über das allseits anerkannte, erdzentrierte Weltbild des Claudius Ptolemäus. Noch ist die Erde kein Planet. Sie ruht vielmehr fest in der kosmischen Mitte. Nicht einmal die tägliche Umdrehung traut man ihr zu. Stattdessen muss der ganze Kosmos jeden Tag aufs Neue um sie herum wirbeln - mit all seinen Sternen, der Sonne und den Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Dieses Weltbild entspricht dem Augenschein: Wir sehen ja nicht den Erdball rotieren, sondern die Gestirne auf- und untergehen!

Bei Kopernikus ist alles anders. Doch dessen 1543 gedrucktes Werk findet nur wenige Anhänger. Kaum jemand vermag sich vorzustellen, wie man die über den Himmel ziehenden Gestirne, Sonne inklusive, in Stillstand bringen und statt dessen die schwere Erde in Bewegung versetzen könnte.

Das Nass in Bewegung#

Padua untersteht der Republik Venedig. Für die Trinkwasserversorgung der Lagunenstadt sind vor allem die Acquaroli zuständig. Sie schaffen Flusswasser in ihren Holzbooten herbei. 1595 quert Galilei die Lagune in einer Barke. An Bord befindet sich ein offenes Gefäß. Verliert das Boot an Tempo, schwappt die Flüssigkeit darin Richtung Bug. Nimmt es Fahrt auf, brandet sie an die Heckseite des Behältnisses. Die Veränderung der Geschwindigkeit hält das Nass also in Bewegung. Offenbar entfacht diese Beobachtung Galileis Interesse am kopernikanischen Modell. Zwei Jahre später sendet er nämlich einen Brief an Johannes Kepler in Graz. Darin behauptet er, das Rätsel der Gezeiten gelöst und gleichzeitig den Beweis für die sich bewegende Erde gefunden zu haben.

Könnten wir vom Polarstern aus aufs Sonnensystem blicken, kreiste unsere Welt entgegen dem Uhrzeigersinn um die Sonne. Im gleichen Drehsinn rotierte sie auch um ihre Achse. Sie führt also zwei Bewegungen gleichzeitig aus. Um die Rechnung zu vereinfachen, setzen wir nun die modernen Geschwindigkeitswerte ein.

Wir richten die Erdachse außerdem völlig auf und konzentrieren uns auf einen Ort am Äquator: Zum einen zieht dieser im Zuge der jährlichen Erdbewegung mit 107.200 km/h um die Sonne. Zum anderen rotiert er mit 1670 km/h um die Erdachse. Um Mitternacht besitzen beide Bewegungen exakt dieselbe Richtung; die Geschwindigkeiten addieren sich. Doch zu Mittag läuft die tägliche Ortsbewegung der jährlichen entgegen; Subtrahieren ist angesagt. Das Gesamttempo schwankt somit zwischen 108.870 und 105.530 km/h.

Veränderungen der Bootsgeschwindigkeit lassen das Wasser zum Bug oder zum Heck schwappen. In Analogie dazu sorgt der beschriebene Tempowechsel auf Erden für Ebbe und Flut - glaubt zumindest Galilei. Im altvertrauten Weltbild mit seiner fixierten Erde könnte es demnach keine Gezeiten geben. Im Auf und Ab des Meeres wähnt Galilei den Beweis für die Erdbewegung im kopernikanischen Sinn. In Wirklichkeit werden die Gezeiten von den Anziehungskräften des Mondes und der Sonne bewirkt. Es gäbe sie auch bei festgenagelter Erdkugel. Galileis Erklärung ist so falsch, dass seine späteren Bewunderer diesen Fehltritt ihres Meisters verschämt verschweigen oder nur als Fußnote behandeln.

1597 wagt es der Italiener noch nicht, sich öffentlich zur neuen Kosmologie zu bekennen: ". . . abgeschreckt durch das Schicksal unseres Lehrers Kopernikus", der "von unendlich vielen . . . verlacht und ausgepfiffen" wurde. Doch zwölf Jahre später hört er von der Erfindung des Fernrohrs. Er baut das Instrument nach, verbessert es und richtet es zum Mond.

Galileis Beobachtungen#

Noch gilt Aristoteles als weitgehend unumstrittene Autorität in Sachen Naturphilosophie. Ihm zufolge sind die Himmelskörper, anders als die Erde, aus einem idealen Element geformt und daher makellos. Doch auf dem Mond zeigt das Teleskop Berge und Täler. Wenn himmlische Körper aber der Erde ähneln, so Galilei, dürfe man sich auch die Erde als Himmelskörper vorstellen. Genau das hatte Kopernikus getan, als er die Erde zum Planeten erklärte.

Im altvertrauten Modell des Ptolemäus kreist alles um die Erde. Doch Galilei erspäht vier Monde, die beständig um den Planeten Jupiter ziehen. 1610 veröffentlicht er seine Beobachtungen im "Sternenboten". Darin bekennt er sich erstmals zu Kopernikus. Ein wirklich überzeugender Beweis für das kopernikanische Modell steht freilich noch aus. Dennoch tritt Galilei, 1610 zum Hofphilosophen der Medici aufgestiegen, äußerst selbstsicher auf. Seine misslungene Theorie der Gezeiten bestärkt ihn im Glauben, den Beweis längst in der Tasche zu haben.

Schon Martin Luther hatte drei Bibelstellen gegen Kopernikus vorgebracht. Bei wörtlicher Auslegung sprechen sie von einer festen, ruhenden Erde und einer Sonne, die ihre Bahn zieht. Bei Kopernikus ist es umgekehrt. Die katholische Kirche hat sich sieben Jahrzehnte lang nicht an diesem Widerspruch gestoßen. Denn bisher galt die Erdbewegung nur als völlig unbeweisbare Hypothese. Doch nach Galileis forschen Auftritten bringen auch katholische Geistliche solche Einwände vor.

Würden Bibel und Naturwissenschaft einander widersprechen, so erklären sie, entstünden zwei Wahrheiten - eine theologische und eine philosophische. Das aber schade dem Glauben. Galilei weiß Abhilfe: Da es nur eine Wahrheit geben könne, müsse man eben die entgegenstehenden Bibelstellen anders auslegen!

Seit Jahrzehnten bemüht sich Rom, seine Autorität gegenüber den Protestanten wiederherzustellen. In diesem Ringen geht es, unter anderem, um die Auslegung von Bibelstellen. Rom beansprucht darauf das alleinige Recht. Mischen sich nach den Protestanten jetzt auch Philosophen und Mathematiker in die Domäne der Theologen ein? Wird die Autorität der katholischen Kirche abermals in Frage gestellt?

Robert Bellarmin fungierte als Großinquisitor im Inquisitionsprozess gegen den Philosophen Giordano Bruno, der als Ketzer am Scheiterhaufen starb. 1615 fordert dieser Kardinal einen Beweis für die Richtigkeit der kopernikanischen Lehre ein. Wenigstens für Galilei gelten die Gezeiten als solcher: Im Jänner 1616 verfasst er den Diskurs über Ebbe und Flut.

Lehrverbot von 1616#

Kurz danach lässt der Papst die Grundsätze der kopernikanischen Hypothese überprüfen. Nach zwei Tagen Beratung wird die Behauptung einer ruhenden, zentralen Sonne als ketzerisch gebrandmarkt, die Annahme einer bewegten Erde als irrtümlich für den Glauben. Das päpstliche Dekret vom 5. März 1616 untersagt es, das kopernikanische Weltbild zu vertreten oder zu lehren. Man darf es zwar erwähnen, aber gleichsam nur als Gedankenspielerei.

Schließlich wird Maffeo Barberini, ein Gönner Galileis, zum Kirchenoberhaupt gewählt: Als Urban VIII. gewährt er Galilei mehrere Audienzen. Doch Urban will keine Aufhebung des Lehrverbots von 1616. Nicht einmal ein wissenschaftlicher Beweis für die Erdbewegung würde ihn überzeugen. Denn selbst wenn sich einschlägige Phänomene am Himmel fänden, könne Gott diese auf andere, unendlich viele verschiedene Arten hervorgebracht haben. Der menschliche Verstand, so der Papst, sei einfach nicht in der Lage, Gottes Werk zu verstehen. Der enttäuschte Galilei stellt 1632 ein neues Buch fertig. Er will es "Über Ebbe und Flut" nennen. Papst Urban lehnt diesen Titel ab.

So erscheint es als "Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme". Im Vorwort heuchelt Galilei Zufriedenheit mit dem Lehrverbot: Er spricht von einem "weisen Beschluss", der den Anhängern der sich bewegenden Erde "rechtzeitiges Schweigen" auferlegt habe. Dann folgt ein fiktiver Dialog dreier Männer. Galilei schlüpft in die Figur des Florentiners Salviati. Dessen Gegenspieler nennt er "Simplicio", was ans italienische semplicione ("Einfaltspinsel") erinnert: Dieser Diskutant bevorzugt die althergebrachte Sicht der Dinge. Drei Tage lang zerstreut Salviati die naturphilosophischen Einwände, die gegen das kopernikanische Weltbild vorgebracht wurden.

Der vierte und letzte Tag ist ausschließlich den Gezeiten gewidmet. Galilei zieht sie wie einen Trumpf aus dem Ärmel. Einmal mehr wird die Bewegung der Erde dafür verantwortlich gemacht. Dass Kepler hingegen von der "Herrschaft des Mondes über das Wasser" spricht, ist für Galilei nur eine von dessen "Kindereien".

Prozess & Rückzug#

In seiner allerletzten Wortmeldung räumt Simplicio ein, dass ihm die Annahme der Erdbewegung als die plausibelste Erklärung erscheint. Gleichwohl hält er sich lieber an "eine unerschütterlich feststehende Lehre", die ihm "einst eine ebenso gelehrte wie hochgestellte Persönlichkeit gegeben" habe: Demnach könne der allmächtige Gott dem Wasser die Bewegung auch auf andere Art mitteilen - und zwar auf "vielfache, unserem Verstande unerfindliche Weise".

Hier ist er wieder, der Lieblingsgedanken des Papstes - verkündet vom "Einfaltspinsel" Simplicio. Kurz zuvor hat Galilei das Resümee seines Dialogs gezogen: "Somit haben uns die Untersuchungen der letzten vier Tage gewichtige Zeugnisse zugunsten des kopernikanischen Systems geliefert". Galileis Gegner erkennen sofort, wie frech dieses Werk gegen das Lehrverbot von 1616 verstößt. Der Gelehrte hat sich damit der Ketzerei verdächtig gemacht und wird nach Rom zitiert. Dort macht man ihm den Prozess. Galilei kennt das traurige Schicksal des unbeugsamen Philosophen Giordano Bruno. Um sein eigenes Leben zu retten, schwört er schließlich allen "Irrtümern und Ketzereien" ab. Das wird vielerorts verkündet. Ausgerechnet Galilei, der berühmteste Streiter für Kopernikus, rudert zurück! Nichts scheint für die Inquisition von größerer Strahlkraft zu sein als dieses öffentliche Abrücken. Im Gegenzug verurteilt sie den Angeklagten bloß zu lebenslangem Hausarrest. Der gläubige Katholik erblindet und stirbt am 8. Jänner 1642 in seiner Villa bei Florenz.

Christian Pinter, geboren 1959, schreibt im "extra" seit 1991 über astronomische Themen.

Wiener Zeitung, Samstag, 7. Jänner 2017


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