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Großer Unterschied ganz klein#

Das Higgs-Teilchen verschafft seinen "Vätern" Peter Higgs und François Englert den Nobelpreis für Physik#


Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 9. Oktober 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Alexandra Grass


Ein Spaziergang in den schottischen Bergen legte die Spur zum Durchbruch.#

Peter Higgs
Peter Higgs zeigte sich „überwältigt“.
Foto: © epa

Stockholm/Wien. "Manchmal ist es nett, recht zu haben", stellte der britische Physiker Peter Higgs erst jüngst im Fachblatt "New Scientist" fest. Und recht hatten auch all jene, die ihn als Nobelpreisträger für Physik 2013 gesehen haben. Dieser wurde dem Wissenschafter am Dienstag für die Vorhersage des sogenannten Higgs-Teilchens zuerkannt. Aber nicht nur ihm. Denn wiewohl ob der Namensgebung in den Hintergrund gedrängt, geht der Preis auch an seinen belgischen Fachkollegen François Englert. Im Jahr 1964 haben nämlich Higgs und Englert unabhängig voneinander die Theorie aufgestellt, wie Teilchen ihre Masse erhalten.

LHC bestätigte Existenz#

"Der Preis wird in diesem Jahr für etwas sehr Kleines verliehen, das den ganzen Unterschied macht", hieß es am Dienstag bei der Bekanntgabe der Nobelpreisträger. Diesen Unterschied haben rund 2300 Wissenschafter im vergangenen Jahr an der größten Forschungsmaschine der Welt, dem Large Hadron Collider (LHC) am Kernforschungszentrum Cern in Genf, aufgedeckt und damit der Welt die Existenz des mysteriösen Higgs-Teilchens bestätigt.

Das seit den 1960er Jahren geltende Standardmodell der Physik, für das schon zahlreiche Nobelpreise vergeben wurden, beschreibt Elementarteilchen, die die Grundlage für Materie bilden. Denn ohne Higgs-Feld hätten Teilchen keine Masse. Dieses Feld durchzieht nach Annahme der Physiker das Universum und ist unsichtbar wie elektrische Felder. "Unser Universum scheint zwar leer, doch dieses Feld ist da. Wäre es nicht da gewesen, wären Elektronen und Quarks masselos, wie Lichtpartikel - die Photonen. Und wie Photonen würden sie, wie es Einsteins Theorie vorhersagt, mit Lichtgeschwindigkeit durch das All rasen, ohne die Möglichkeit Atome oder Moleküle zu bilden", heißt es seitens des Nobelpreiskomitees.

Durch die Wechselwirkung der Materieteilchen mit dem Higgs-Feld erhalten jene Teilchen eine Masse, die die uns bekannte Materie - Leptonen, Quarks und deren Antiteilchen - bilden. Die Entdeckung des Teilchens ist demnach auch der Hinweis auf die Existenz des Higgs-Feldes. Es ist die Voraussetzung für die Entstehung des Universums, der Sonne, Planeten und schließlich des Lebens auf der Erde.

Die Fachwelt zweifelte#

Als ihm seine revolutionäre Eingebung kam, war der Brite als junger Forscher an der Universität Edinburgh tätig. Während einer Wanderung in den Bergen des schottischen Hochlandes sei er dem Teilchen auf die Spur gekommen. Doch nicht sofort wurde ihm Glauben geschenkt. Sein erster Aufsatz zum Thema wurde in den vom Cern herausgegebenen "Physics Letters" nicht einmal abgedruckt.

In überarbeiteter Form wurde der Aufsatz schließlich 1964 im Konkurrenzblatt "Physical Review Letters" publiziert. Aber die Fachwelt, so auch der britische Astrophysiker Steven Hawking, zweifelte weiter. Er schloss sogar eine Wette dagegen ab. Im Vorjahr musste er eingestehen, 100 Dollar verloren zu haben. Ein Klacks, wie sich herausstellte. Denn das Cern hat immerhin Milliardenbeträge ausgegeben, um die Higgs-Theorie zu verifizieren.

Das flüchtige Teilchen gilt als eine der größten Entdeckungen der vergangenen 50 Jahre. Es war das fehlende Puzzlestück im Standardmodell vom Aufbau der Materie. Die anderen elf Elementarteilchen waren bereits zuvor entdeckt worden. Würde das Higgs-Teilchen nicht existieren, stünde das gesamte seit Jahrzehnten die Physik beherrschende Modell infrage.

François Englert
François Englert unmittelbar nach der Bekanntgabe.
Foto: © reuters

Die Suche nach dem Higgs-Boson begann erst in den 1980er Jahren in der Großforschungsanlage Fermilab in den USA - in dem inzwischen stillgelegten Teilchenbeschleuniger Tevatron in der Nähe von Chicago. In einer ähnlichen Anlage wurde bald darauf am Cern danach gesucht. Als dort im Jahr 2010 der Large Hadron Collider in Betrieb ging, trat die Fahndung nach diesem speziellen Teilchen schließlich in die heiße Phase.

27 Kilometer Weltall#

In einem 27 Kilometer langen Ringtunnel an der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz werden die Bedingungen unmittelbar nach dem Urknall nachempfunden. Dafür werden Protonen mit an Lichtgeschwindigkeit grenzendem Tempo aufeinander geschossen. Riesige Detektoren registrieren diese Ereignisse, gigantische Datenmengen werden an zahlreichen Rechenzentren ausgewertet. Am 4. Juli 2012 verkündete das Cern schließlich die Entdeckung des Higgs-Teilchens - vielfach auch "Gottesteilchen" genannt.

Dieser stets dafür verwendete Begriff war dem Physiker aber immer ein Dorn im Auge. "Erstens bin ich Atheist", sagte Higgs einmal der BBC. "Zweitens ist mir bewusst, dass der Name als Witz gemeint war - und zwar kein besonders guter, finde ich."

Von der Zuerkennung des Preises, der wie im Vorjahr mit acht Millionen schwedische Kronen (921.000 Euro) dotiert ist, ist der am 29. Mai 1929 in Newcastle upon Tyne geborene Higgs "überwältigt". Er gratulierte auch "all denjenigen, die zur Entdeckung dieses neuen Teilchens beigetragen haben" und hofft, "dass diese Anerkennung für die Grundlagenforschung das Bewusstsein für den Wert des Forschens ins Blaue hinein schärft".

"Er hat eine Spitzenarbeit geleistet", lobte der am 6. November 1932 in Etterbeek geborene François Englert seinen Kollegen. Er jubelte - bedauerte aber auch, "dass mein Mitarbeiter und Freund meines ganzen Lebens, Robert Brout, nicht hier ist", erinnerte der Physiker an seinen Weggefährten, der 2011 starb.

Riesenjubel im Cern#

Die beiden Laureaten erhielten schon 2004 den Wolf-Preis, im Mai dieses Jahres gemeinsam mit dem Cern den Prinz-von-Asturien-Preis. Im Kernforschungszentrum in Genf löste die Bekanntgabe der Preisträger einen Riesenjubel aus, berichtete die Teilchenphysikerin Kerstin Borras. Mehr als 100 Cern-Wissenschafter hatten sich im großen Foyer des Bürogebäudes verteilt und verfolgten live die Übertragung der Preisbekanntgabe, die sich eine gute Stunde verzögert hatte.

"Das lag in der Luft", kommentierte der seit Anfang Oktober amtierende Direktor des Instituts für Hochenergiephysik (Hephy) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Jochen Schieck, die Zuerkennung des Preises. Immerhin sei es sicher "die herausragendste wissenschaftliche Entdeckung". Im Hephy ist man stolz darauf, mit dem heimischen Beitrag zum Experiment CMS (Compact Muon Solenoid) direkt zum Nachweis des Higgs-Bosons beigetragen zu haben.

Bild 'Physik-Nobelpreisträger'

Wiener Zeitung, Mittwoch, 9. Oktober 2013