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Ein Meer von Namen#

Die Bezeichnungen der Weltenmeere erzählen schöne und traurige Geschichten. Doch es herrscht ein ziemliches Benennungsdurcheinander - und selbst die Anzahl der Meere scheint ungewiss.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 9./10. August 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Rolf-Bernhard Essig


Wasserflächen der Ozeane
Die riesigen Wasserflächen der Ozeane schillern in den schönsten Farben...
© Foto: Robert Bressani

Als naseweises Kind fragte ich meinen Vater, ob man auf dem Stillen Ozean lärmen dürfte. Der war zur See gefahren und auch in Geographie mit allen Wassern gewaschen. Also erklärte er mir, dass "Stiller Ozean" nur ein anderer Name für den Pazifischen Ozean sei - was aus dem Lateinischen komme und "friedliches Weltmeer" bedeute. Der Entdecker Ferdinand Magellan habe sich Anfang des 16. Jahrhunderts mit seiner Flotte um die Südspitze Südamerikas gekämpft, mitten durch ein Inselgewirr und stürmische See. Als er endlich offenes Meer erreichte, das auch noch ruhig war, nannte er es dankbar "mar pacifico". Nach dieser Geschichte beschloss ich, irgendwann einmal etwas mit Sprache und Meer zu machen. Vierzig Jahre später ist ein ganzes Buch über Meernamen entstanden.

Ein Name ist viel mehr als Schall und Rauch, und gar nicht selten erzählt er - maximal verkürzt - eine ganze, schöne oder traurige Geschichte. Das gilt erst recht für die Namen der Meere.

Im antiken Griechenland führte man viele Bezeichnungen auf mythische Begebenheiten zurück. Eine ganze Reihe davon haben mit dem Ins-Meer-fallen zu tun. Die Ägäis soll ihren Namen König Ägeus/Aigeus verdanken, der sich aus Trauer über den vermeintlichen Tod seines Sohnes Theseus vom Fels ins Meer warf. Ein tragischer Irrtum, aber das ist eine lange Geschichte.

Die Benennung der Ikarischen See führte man auf Ikarus, den Sohn des genialen Erfinders Dädalus, zurück. Zu zweit seien sie dem kretischen König Minos mit Hilfe von Flügeln entkommen, die Dädalus aus Holz, Wachs und Federn gebaut habe. Ikarus hörte nicht auf den dringenden Rat des Vaters, die Flughöhe gering zu halten. Aus purer Lust stieg er immer höher auf, sodass die Sonne das Wachs erwärmte. Ikarus sah seine Flügel zerfallen und stürzte in ein Meergebiet, das seinen Namen bis heute trägt.

Das "Meer der Helle"#

Beim Hellespont war es ähnlich. Sein Name geht auf Helle zurück, die Tochter des Königs Athamas von Böotien. Sie hatte noch einen Bruder namens Phrixos. Die Pro-bleme begannen damit, dass der König ihre Mutter durch eine andere Frau ersetzte, die ihre eigenen Kinder an der Macht sehen wollte. Stiefmütter galten wohl schon im griechischen Mythos als wenig zimperlich. Mit List und Intrigen überzeugte sie die Böotier, Phrixos zu opfern, um eine schreckliche Hungersnot zu beenden. Doch kurz vor der schaurigen Tat erschien am Altar ein wundervoller Widder, dessen wolliges Vlies ganz aus Gold bestand. Der sprach zu Phrixos: "Steig auf!" Da sprach auch Phrixos zu seiner Schwester Helle: "Steig auf!" Und weil der Widder sehr groß und ein Wundertier war, trug er die Kinder durch die Lüfte, bat sie jedoch, nicht hinabzublicken.

Das ging ganz gut, etwa 333 Kilometer lang, bis Helle ein Auge auf die Meerenge unter ihr warf. In dem Moment verlor sie den Halt und stürzte, bis die Meereswogen über ihr zusammenschlugen. Seitdem nannten die Griechen diese Gegend "Hellespont" - "Meer der Helle". Großzügig, denn zwischen der Halbinsel Gallipoli und dem kleinasiatischen Festland liegen nur sieben Stadien, nach heutigen Maßen 1,3 Kilometer.

Wo solch schöne Meernamengeschichten fehlen, gewinnt eine gewisse Zufälligkeit Oberwasser, zumal wenn es um die Taufe der See und ihrer Teile geht. Weshalb nennt man die Straße von Mosambik nicht Mosambik-See, ist ihre Fläche doch viel, viel größer als die Ostsee? Westlich der Ostsee liegt übrigens die Nordsee. Was für eine Verwirrung! Und zählen Skagerrak, Kattegat, Großer Belt, Kleiner Belt und Sund noch zur Nord- oder schon zur Ostsee?

Viele Grenzziehungen wirken willkürlich. Was bei Mittelmeer oder Schwarzem Meer angesichts der klaren Landumschlossenheit einleuchtet (aber gehört das Schwarze nicht zum Mittelmeer?), überrascht bei Nordsee oder Arabischem Meer, weil sie so willkürlich vom Atlantik und dem Indischen Ozean abgetrennt wurden. Ein sehr menschlicher Grund liegt freilich auf der Hand: Die küstennahen Meerflächen kannte - und benannte - man als Erstes. Als spätere Seefahrer dahinter noch viel mehr Meer entdeckten, bedurfte es eines neuen Namens. Aus lieber Gewohnheit gab man den alten nicht auf. Bei den Meernamen herrscht also ein lustiges Benennungsdurcheinander.

Überraschung in der Antarktis Illustration
Überraschung in der Antarktis...
© Illustration: Papan/siehe Buchhinweis

Ungewiss ist auch die Zahl der Meere. So ging man im alten China von vier Meeren im Norden, Osten, Süden, Westen aus, in deren Zentrum das Reich der Mitte lag. Manche Geographen finden das noch heute korrekt und gestehen nur dem Pazifik, Atlantik, dem Indischem und Arktischen Ozean Meerstatus zu. Dazu in Konkurrenz steht die mythische Zahl Sieben aus Piraten- und Segelschiffgeschichten, die zur englischen Redensart "to sail the seven seas" geführt hat. Das bedeutet schlicht "über die Weltmeere fahren". Welche dazugehören und welche nicht, darüber gibt es unterschiedlichste Auffassungen. Es fehlt selbst an politischer Einigkeit über die korrekte Zahl. Die "International Hydrographic Organization" in Monaco geht seit 1953 von 66 Meeren aus. Sie würde ihr Grundlagenwerk dazu gern aktualisieren, was allerdings am Streit der Mitgliedsstaaten scheitert. 66 Meere? Klingt leider nicht sehr romantisch.

Dann schon lieber die blaue See mit einer blauen Lagune und einem blauen Cocktail! Den geographischen Eigennamen Blaue See gibt es erstaunlicherweise aber nicht. Vielleicht, weil das in unserer allgemeinen Wahrnehmung geradezu der Normalfall zu sein scheint. Dabei schillern die riesigen Wasserflächen in den unterschiedlichsten Farben! Einmal nimmt es die Färbung vom vielen Eis an, wie es im Weißen Meer schon immer vorkam. Dann wieder vom Löss, dem fruchtbaren Boden, den gewaltige Flusssysteme vor der chinesischen Küste ins Gelbe Meer schwemmen.

So simpel ist die Sache beim Schwarzen und beim Roten Meer nicht. Unter den vielen Erklärungen überzeugt am meisten, dass es sich um ein altes Farbrichtungssystem vorantiker Steppenvölker handeln könnte: Schwarz habe für Norden, Rot für Süden gestanden.

Zahlreiche Buchten, Meeresströme, Seegebiete heißen einfach nach ihren Entdeckern oder deren Förderern, Herrschern oder verehrten Personen. So kam es zu einer Lincolnsee, die erstaunlicherweise den Sohn des berühmten Präsidenten ehrt, zum Humboldt-strom, wobei der Forscher zuerst bescheiden ablehnte, und schließlich zur Beaufortsee, obwohl gerade Beaufort Expeditionsleiter dazu aufgefordert hatte, traditionelle Namen aus Eingeborenensprachen zu übernehmen. Manchmal ging es auch um eine charakteristische Form, etwa bei der weitgeschwungenen Ochsenbauchbucht.

Nicht so bei der Schweinebucht. 1961 versuchten an dieser schönen Meeresstelle Exilkubaner - mit massiver amerikanischer Unterstützung durch Streitkräfte und CIA -, Fidel Castro und die unliebsame Regierung zu stürzen. Das ging gründlich daneben, und die kommunistische Welt empörte sich über die schweinische Ak- tion in der Bahía de Cochinos, der Schweinebucht. Die bedeutet aber eigentlich "Bucht der Drückerfische". - Unter "Cochinos" versteht jeder Spanier erst einmal "Schweine", doch bei der Benennung der Bucht ging es um eine primär im mittelamerikanischen Spanisch verbreitete Bezeichnung für die Drückerfische.

Fischname für U-Boot#

Amerikanische Militärs hätten das kurioserweise wissen können: An Hitlers letztem Geburtstag, dem 20. April 1945, lief nämlich die USS Cochino vom Stapel, ein U-Boot, das 1946 meist von der - ebenfalls zu trauriger Berühmtheit gelangten - Guantánamo-Bucht aus operierte. Die Marine wählte den Namen "Cochino" natürlich nicht nach dem Wort für "Schwein", das auch "Saukerl, verdammt, schmutzig" heißen kann, sondern nach dem Orangeseiten-Drückerfisch. Erstens sieht er schön aus, bunt, elegant, zweitens ist er ein erfolgreicher Räuber, drittens kann er einen konzen-trierten Wasserstrahl erzeugen, um seine Beute aufzuscheuchen, umzudrehen, freizulegen. Das erinnert ein wenig an die U-Boote mit ihren Torpedos, die durch Druckluft ausgestoßen werden.

Die Weltmedien kümmerten sich nicht um die genaue Bedeutung des Namens, zumal die meisten Presseleute die amerikanische Bezeichnung Bay of Pigs übernahmen und übersetzten. Die kubanischen Offiziellen hatten erst recht nichts gegen die despektierliche Bezeichnung einzuwenden, weil sich der beleidigende Schimpf auf die unfähigen, rechtsbrüchigen, im Dreck wühlenden Amerikaner übertrug. Und so wurde aus der beinahe poetisch klingenden "Ensenada de Cochinos", dem "Busen der Orangeseiten-Drückerfische", wie sie auf Karten um 1900 noch hieß, die hundsgemeine "Schweinebucht".

Information#

Mehr zum Thema in Rolf-Bernhard Essigs Buch "Ein Meer ist eine See ist ein Ozean. Wie Ärmelkanal, Rossbreiten und Ochsenbauchbucht zu ihren Namen kamen." Mit Illustrationen von Papan. Mare Verlag, Hamburg 2014, 256 Seiten, 14,95 Euro.

Rolf-Bernhard Essig, 1963 in Hamburg geboren, lebt als freier Autor, Literaturkritiker und Universitätsdozent in Bamberg.

Wiener Zeitung, Sa./So., 9./10. August 2014


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