Natur oder Kultur? (Essay)#
Manfred A. Fischer
„Ökobewusstsein“ scheint allgemein um sich zu greifen, wer aber kennt noch unsere heimischen Pflanzen und Tiere?
Sind die Landwirte, also die Maschinisten der industrialisierten Landwirtschaft naturverbunden?
Begrünungsmaßnahmen – Rasenansaaten, Baumpflanzungen – werden weithin als „ökologisch“ gesehen, dieses „Grün“ ist jedoch denkbar naturfern: einige standortfremde Grasarten und Ziersträucher aus dem Baumarkt oder dem Gartenbaubetrieb. Der „unkrautfreie“ Kunstrasen, wöchentlich unter Lärm- und Abgasproduktion geschnitten, ähnelt mehr einem Plastikteppich als einer Wiese. Mit Natur hat das alles kaum zu tun.
Industriell hergestellte, kommerzialisierte Pseudonatur lässt sich dem naturhungrigen Konsumenten aufdrängen, weil der die echte Natur nicht mehr kennt.
Die Meinung, der Garten sei Natur, ist weit verbreitet; denn das Paradies war ein Garten und ist es für viele Menschen auch heute. Soll die Natur also, sofern nicht wirtschaftlich genutzt, zu einem Garten werden oder hat sie einen Eigenwert?
Die Landwirtschaft leidet an Überproduktion, unsere Äcker aber sind Hochleistungsäcker, in denen kein „Unkraut“ geduldet wird, es könnte ertragsmindernd wirken (die Ausgleichsbrachen dürfen aber von der Natur nicht erobert werden).
Die naturnahen Magerwiesen werden zerstört: entweder in artenarmes Intensivgrünland umgewandelt oder durch Aufforstung vernichtet. Die Forstfläche Österreichs wächst dadurch beängstigend (heute bereits 47 % der Landesfläche), was allerdings nicht zu mehr, sondern zu weniger Natur führt – die einst abwechslungsreiche Landschaft wird monotonisiert: künstliche Forste anstatt naturnaher Wälder.
Feuchtwiesen und Moore werden als wertloses Sumpfland verleumdet (die dadurch verursachte Zunahme der Hochwässer wird als finanziell kalkulierbar in Kauf genommen); bezeichnenderweise gelten „saure Wiesen“ als Metapher für Unmoral.
Der naturfernste Fichtenforst gilt vielfach als „grüner“ denn die artenreichste Magerwiese – eine Folge vonNaturentfremdung, mangelhafter Naturbeobachtung und fehlendem naturkundlichen, ökologischen Wissen, denn Ökologie wird nicht selten als Müllbeseitigung missverstanden.
Unzureichende Naturkenntnis und die archaische Furcht vor der wilden Natur führen zur Überbewertung der Natur aus zweiter Hand: Garten- und Landschaftsarchitekten erzeugen künstliche, maßgeschneiderte „Natur“; selten gewordene, aussterbende Pflanzenarten werden kommerziell feilgeboten; in freier Wildbahn ausgerottete Tier- und Pflanzenarten überleben im Zoo und im botanischen Garten.
Auch die wilde Natur erweist sich somit als machbar – Natur aus zweiter Hand. Künstliche Paradiese oder zurück zur Wildnis? Wohl weder noch! Förster, Jäger, Bauern werden zu Naturschützern und Landschaftsarchitekten – des Menschen Habitat ist die gezähmte Wildnis.
Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch: