Der Triumph der Kröte#
Immer wieder verhindern oder verzögern Tiere Bauprojekte - was bizarr anmutet, hat einen ernsten Hintergrund.#
Von der Wiener Zeitung (2. Oktober 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Edwin Baumgartner
Verflixte Mistviecher!
Da sitzt der Architekt und entwirft einen wahren Geniestreich, so ein Mittelding zwischen Eiffelturm, Petersdom und M. C. Eschers unmöglichen Stiegen, und weiß, dass er ab der Grundsteinlegung als größtes Baugenie der Gegenwart gelten wird.
Und dann kommt sie.
Die Kröte.
Und alles ist vorbei. Und das größte Baugenie der Gegenwart designt wieder für den Schrebergartenverein "Glücklicher Gartenzwerg".
Verflixte Mistviecher!
Ein Käfer gegen die ÖBB
Jüngst zum Beispiel in Salzburg - da waren’s zwar keine Kröten. Da war’s Herr Carabus Variolosus, der die ÖBB seine Macht spüren ließ. Der Grubenlaufkäfer nämlich steht unter Naturschutz. Und tummelt sich laut Umweltaktivisten just dort, wo die Bundesbahn einen Tunnel für eine Hochgeschwindigkeitsstrecke graben will. Die Verantwortlichen der ÖBB behaupten indessen, das Gebiet sei zum Zeitpunkt der Projekteinreichnung frei von gefährdeten Krabblern gewesen, alles sei geprüft und ginge mit den rechten umweltverträglichen Dingen zu. Das Tauziehen geht wohl in die nächste Runde.
Erinnert sich jemand an die grandiose BBC-Fernsehsatire "Yes Minister" um den Minister James Hacker (Paul Eddington), der über mehr gute Vorsätze als Planung verfügt, und seinen obersten Beamten Sir Humphrey Appleby (Nigel Hawthorne), bei dem es genau anders herum ist? In einer Folge geht es um ein Bauprojekt Hackers, das ausgerechnet seine Tochter aus Tierschutzgründen verhindern will. Gnadenlos brandmarkt sie ihren Vater als "badger butcher", als "Dachsschlächter".
Was wie eine bizarre Erfindung wirkt, spielt sich indessen genau so in natura ab. Ein ums andere Mal kommen Tiere großen Bauprojekten in die Quere. Davon kann sogar der emeritierte Papst Benedikt XVI. ein Lied singen. Einen Moment Geduld, ehe es um den Kiebitz des Teufels geht.
Eines der possierlichsten Tierchen ist der Schrecken aller Baubetreiber: der Hamster. Er richtet zwar letzten Endes nicht viel aus, aber es reicht, um Bauprojekte über Jahre zu verzögern. Wirklich wichtige Vorhaben scheint er bis jetzt allerdings noch keine gekippt zu haben.
Da war die Trappe erfolgreicher: Als die Deutsche Bahn Mitte der 90er-Jahre eine ICE-Strecke durch den Havelländischen Luch bauen wollte, stand sie in all ihrer flugunfähigen Majestät im Weg. Es stand auf Messers Schneide. Aber der Streckenausbau war zu wichtig, um ihn abzusagen. Ein millionenteurer Schutzwall brachte schließlich für Bahn und Trappe die Erlösung.
Andere tierische Baustopper waren mehrfach Störche, Molche, Frösche, Löffelenten und Fledermäuse. Sie verzögerten oder verhinderten gar den Bau von Straßen, Autobahnen, Golfplätzen, Siedlungen und Einkaufszentren. Der Juchtenkäfer hemmte das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 rund drei Jahre lang. Die "Zierliche Tellerschnecke" war mit ihren fünf Millimetern Körpergröße eine Gigantin des Umweltschutzes und brachte im Hamburger Stadtteil Bergedorf beinahe ein Großbauprojekt zu Fall. Drei Jahre dauerte es, bis das Weichtier des Jahres 2011 abgesiedelt war und der Bau beginnen konnte. Dass im bayerischen Fürstenfeldbruck Kröten ausgerechnet einen Radweg ausgebremst haben, ist indessen nur als Foul unter Umweltschützern zu verstehen.
Immer wieder der Wachtelkönig#
In Österreich hat jüngst der Triel den Bau der Marchfeld-Schnellstraße (S8) in Bedrängnis gebracht. Und in Vorarlberg taucht der Wachtelkönig immer dann auf, wenn die S13 gebaut werden soll. Dass den Vogel nahezu niemand gesehen hat, liegt laut Naturschützern an seiner extremen Seltenheit, während Baubefürworter ein Phantom vermuten. Der gleiche Piepmatz hat übrigens unter ähnlichen Voraussetzungen im Hamburger Stadtteil Neugraben-Fischbek eine Wohnbausiedlung zu Fall gebracht.
Alles nur Absurditäten, bei denen ein längst zum Glauben mutierter Umweltschutz jeglichen Fortschritt inklusive der Arbeitsplatzbeschaffung in Frage stellen kann? Ganz so einfach ist es nicht. Mittlerweile steht fest, dass beispielsweise die Bach- und Flussregulierungen und Uferverbauungen zwar die Hochwassergefahr wesentlich verringert haben - aber auch die Artenvielfalt, die sich nun auf eine Flora und Fauna beschränkt, die sich an die höhere Fließgeschwindigkeit und die über weite Strecken fehlenden Sand- oder Schlammufer anpassen konnten. Dadurch unterbrochene Nahrungsketten richteten weiteres Unheil an. Rückbauten und Auswilderungen von verschwundenen Arten erwiesen sich wenigstens teilweise als erfolgreich.
Artenvielfalt ist Trumpf#
Artenvielfalt ist Trumpf - und es ist gut, dass Probleme mit Tieren, die Bauten im Weg stehen, nicht, wie zu Urgroßmutters Zeiten, ignoriert oder Jägern zur Lösung anvertraut werden. Andererseits: Ist es Umweltsündermentalität, wenn man sich fragt, ob wir, hätten frühere Zeiten ein gleiches Umweltschutzbewusstsein an den Tag gelegt, den Stephansdom hätten, das dichte Bahnnetz oder auch nur den Donauturm? Letzten Endes ist es das richtige Augenmaß, das die Balance von Bauten und Natur herstellen muss. Im Zweifelsfall für die Natur - das versteht sich von selbst. Sonst könnte es geschehen, dass irgendwann die Bauten von selbst enden, und zwar mangels Menschen.
Und jetzt zum Papst: Für den katholischen Weltjugendtag 2005 war geplant, auf einer Wiese in Hangelar bei Köln einen Mugel aufzuschütten, von dem aus Benedikt XVI. sozusagen eine Hügelpredigt halten hätte sollen. Und dann kamen die Kiebitze, diese Teufelsvögel, und vertrieben den Papst. Benedikt musste aufs Marienfeld ausweichen.
Verflixte Mistviecher!