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Gab es am Nordpol tropische Temperaturen? (Essay)#

Reinhard Böhm

Die Klimatologie ist eine Wissenschaft, die über ein systematisches Messnetz verfügt, das zurück bis ins 19. Jahrhundert globale Abdeckung besitzt.

Seit 1873, dem Gründungsjahr der Weltmeteorologischen Organisation in Wien, wird es international koordiniert und damit der physikalischen Tatsache „climate knows no borders“ auch administrativ gerecht.

Durch den Vorgang der Homogenisierung können Klimazeitreihen präzise genug gemacht werden, um selbst Langfristtrends von weniger als 1 Grad C pro 100 Jahren erkennen zu lassen. Diese Genauigkeit ist auch nötig, denn langfristig bewegen sich die Pendelungen des aktuellen Klimas in einem Bereich von ±1 Grad.

Das zeigt z. B. die geglättete Österreichkurve oder die Mittelkurve der Nordhemisphäre. Die nicht geglättete Kurve der Österreichmittel der Lufttemperatur verdeutlicht aber auch eines der großen Verständnisprobleme in der aktuellen Klimadebatte: Der schleichende Temperaturtrend, der seit mehr als 100 Jahren ansteigend ist, wird von deutlich stärkeren Schwankungen von Jahr zu Jahr überlagert.

Diese kurzfristige Variabilität ist regional und lokal viel höher als kontinental bis global. Gerade die kurzfristigen lokalen Schwankungen sind es aber, die wahrgenommen werden, für einen global gemittelten Langzeittrend hat der Mensch kaum ein objektives Sensorium. Er registriert einen heißen Sommer – wie den des Jahres 2003 in Mittel- und Westeuropa – oder einen kalten, schneereichen Winter, wie den 2005/06 in Teilen Österreichs; diese sagen aber nichts über den „Klimawandel“ aus, den man erst erkennt, wenn man lange Klimazeitreihen zur Verfügung hat.

Die Abkühlung um etwa 1 Grad von 1790 bis 1850, in einer Zeit, in der es noch keine systematischen Messungen in weiten Teilen der Erde gab, macht deutlich, dass nicht stetige Entwicklungen für das Klima typisch sind, sondern eher Pendelungen in Skalen von Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten.

Eineinhalb Jahrhunderte sind durch globale Messungen abgedeckt, zweieinhalb für wenige Regionen (wie etwa Österreich).

Wie aber war das Klima früher?

Dazu muss man auf indirekte Informationen zurückgreifen, auf Proxidaten. Naturgemäß wird unser Wissen immer unschärfer, je weiter wir in die Vergangenheit zurückgehen, einige Grundtatsachen über die letzten 500 Millionen Jahre scheinen jedoch gesichert zu sein.

Von den beiden stabilen Zuständen des Erdklimas – einer völlig eisfreien Erde und einer völlig vereisten Erde – war in der Vergangenheit überwiegend ein deutlich wärmeres globales Klima gegeben, ohne Schnee und Eis auch an den Polen.

Der andere stabile globale Klimazustand einer völligen Vereisung („snowball earth“) trat mit größter Wahrscheinlichkeit nie auf.

Der Zeitmaßstab von zig Millionen Jahren wurde regiert von einer langsam intensiver werdenden Sonne, von Vulkanismus und Kontinentaldrift, die den Treibhausgasgehalt der Atmosphäre steuern und für grundlegend unterschiedliche Ozeanströmungen sorgen.

Die letzte lange stabile Wärmeperiode herrschte vor 100 bis 200 Millionen Jahren (Jura bis mittlere Kreidezeit). Ein in diesen 100Millionen Jahren allmählich vom Zehnfachen des heutigen Wertes auf das Fünffache zurückgehender CO2-Gehalt wurde durch eine langsam intensiver werdende Sonne ausgeglichen und es war global um 7–8 Grad wärmer als heute.

Bei weiter abnehmendem CO2 und endgültiger Annäherung der Kontinente an ihre heutige Größe, Position und Form ging bis etwa vor 35 Millionen Jahren die globale Temperatur stetig zurück. Dann begann zunächst die Antarktis zu vereisen, vor etwa fünf Millionen Jahren auch Grönland und ab etwa drei Millionen Jahre vor heute zeigten sich erste Festlandvereisungen in Kanada und Skandinavien. Damit war es mit dem stabilen, warmen Langzeitklima vorbei.

Durch die „Albedo-Rückkopplung“ und eine noch nicht ganz verstandene natürliche positive Rückkopplung über die Treibhausgase wurde plötzlich der an sich schwache Klimaeinfluss der zyklischen Erdbahnänderungen verstärkt.

Die Menschheit lebt seit ihrer Entstehung in einem „Eiszeitalter“, mit relativ schnellen, extremen Schwankungen. Derzeit überwiegt ein 100.000-Jahreszyklus, der seit 500.000 Jahren besonders stark „ausschlägt“, global etwa um 5 Grad, regional um 15 bis 20 Grad.

Vor 20.000 bis 25.000 Jahren war der letzte Vereisungshöhepunkt, seit etwa 10.000 Jahren befinden wir uns in einer Warmphase, die von den natürlichen Einflussfaktoren her allerdings ihren Höhepunkt bereits wieder überschritten hat.

Seit wenigen Jahrzehnten jedoch scheint die Menschheit nun selbstmerkbar in die natürlichen Klimaschwankungen einzugreifen, was die Frage nach dem Klima der Zukunft in ein völlig neues Licht rückt.



Erläuterungen

Homogenisierung von Klimamessreihen:

Nachträgliche Umrechnung historischer Messdaten auf den aktuellen Zustand einer Messstation durch Entfernung nichtklimatologischer Information, die sich aus Stationsverlegungen, Änderung der Umgebung (etwa Urbanisierung, Entwaldung etc.) von Instrumenten, deren Aufstellungshöhe, der Messzeiten, der Formeln für Mittelwertsbildungen, Beobachterwechsel und einige andere Faktoren mehr ergeben.

Proxidaten:

Klimadaten, abgeleitet aus historischen Quellen oder aus klimasensitiven Bestandteilen in natürlichen Archiven wie Baumringe, Eisbohrkerne, Moore, Seesedimente, Tiefseeablagerungen bis hin zur geographischen Verteilung der Vegetation oder von Gesteinsschichten, die die ältesten Klimainformationen beinhalten können.

Kontinentaldrift:

Von Alfred Wegener erstmals erkannte, in den 1960er Jahren durch das Modell der Plattentektonik verstandene Wanderung der Kontinentalschollen.

Albedo-Rückkopplung:

Schnee und Eis reflektieren wesentlich mehr Sonnen-Einstrahlung (60–90 %) als flüssiges Wasser (5 %) oder die Landoberfläche (5 bis 30 %). Diese positive Rückkopplung schaukelt also Klimaschwankungen auf.


Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch:

© 2007 by Styria Verlag in der, Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG, Wien
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