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Demokratiereform gestern - heute - morgen #

Von

Peter Diem

Es war 1969, im letzten Jahr der ÖVP-Alleinregierung unter Bundeskanzler Dr. Josef Klaus. Der intellektuellen Diskussionen aufgeschlossene Regierungschef hinderte die Herren Heinrich Neisser und Peter Diem nicht daran, für die damalige Zeit recht brisante Thesen zu „Parteireform, Parlamentsreform, Demokratiereform“ zu veröffentlichen[1]. Vier Jahrzehnte sind seither vergangen. Manche Projekte wurden verwirklicht (Volksanwaltschaft, Briefwahl, Herabsetzung des Wahlalters, parlamentarische Enqueten etc.), viele Reformen blieben jedoch im Versuchstadium stecken oder wurden erst gar nicht begonnen. Wir haben uns damals zwar keine Wunder erwartet, doch auch nicht damit gerechnet, dass sich das geistige Klima im Land im Laufe der Zeit so sehr verengen würde, dass Meinung nicht im demokratischen Diskurs gebildet, sondern von Monopolmedien gemacht werden würde und dass die innerparteiliche Grabesruhe in allen Lagern die Regel sein würde.

Staatsreform#

In den Wahlprogrammen der letzten Zeit und insbesondere in der aktuellen Regierungserklärung vom 2. Dezember 2008 dominieren materielle Aspekte so sehr, dass man kulturelle Initiativen und institutionelle Reformen mit der Lupe suchen muss. An vorletzter Stelle, im 13. von 14 Kapiteln findet man den Begriff „Leistungsfähiger Staat“. Sieht man sich den Text genauer an, fallen zwei konkrete Projekte auf: die Einführung von Landesverwaltungsgerichten und die Abschaffung der Landesschulräte. Da an anderer Stelle die Verfassungsautonomie der Länder gestärkt werden soll, kann man davon ausgehen, dass keinerlei politischer Wille vorhanden ist, grundsätzliche Überlegungen zur Bundesstaatsreform anzustellen. Während der 12,5 Millionen Einwohner zählende Freistaat Bayern mit sieben Regierungsbezirken auskommt (ihre „Regierungspräsidenten“ werden vom Innenminister ernannt), leistet sich der Achtmillionenstaat Österreich neun Landtage (mit zusammen 448 Abgeordneten) und neun Landesregierungen. Selbstverständlich hat jedes Bundesland dazu noch eine Gebietskrankenkassa und ein ORF-Landesstudio. Gekrönt wird der österreichische Luxus-Föderalismus durch den Bundesrat – gegenwärtig stellt Niederösterreich 12 Mitglieder, Wien und Oberösterreich stellen je 11 und die übrigen Bundesländer zwischen drei und neun. Insgesamt macht das 62 Mandatare. Ihre wichtigste Funktion: den Weg der Bundesgesetzgebung zu verlangsamen. Ist es vermessen, den österreichischen Föderalismus als neunschwänzige Katze mit Medusenhaupt zu bezeichnen? Man darf das Kind freilich nicht mit dem Bad ausgießen: einerseits geht die historische Vielfalt der österreichischen Länder über die Unterschiede zwischen Bayern, Franken und Schwaben weit hinaus, andererseits führt das Subsidiaritätsprinzip am ehesten zu bürgernaher Verwaltung. Aber Verwaltung ist eben nicht Gesetzgebung – noch dazu im vereinten Europa. Der Werbeslogan „Der Speck muss weg“ kommt einem hier in den Sinn. Was tun? Als einen ersten Schritt könnte man sich die Reduktion der Anzahl der Landtagsabgeordneten um ein Drittel vorstellen – bei gleichzeitiger Vereinheitlichung der Landesgesetze und den bereits angedachten Änderungen in der Steuergesetzgebung. Was den Bundesrat selbst betrifft, so sollten die schon Jahrzehnte lang bekannten Argumentationslinien wieder aufgegriffen werden:

  1. Zurückdrängen der Parteipolitik: Jedes Bundesland stellt die gleiche Anzahl von Mitgliedern (z.B. fünf), die der Landtagsmehrheit gegenüber weisungsgebunden sind.
  2. Effektivere Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung: Gesetzesinitiativen sind in beiden Häusern gleichzeitig einzubringen.
  3. Im Gegensatz zu früheren Überlegungen sollte an ein absolutes Vetorecht in Fragen der bundesstaatlichen Struktur nicht gedacht werden, da Österreich seinen Föderalismus eher einschränken als ausweiten sollte[2].

Wahlrechtsreform#

Besonders kleinmütig kommt die Regierungserklärung in der Frage des Wahlrechts daher: Die Möglichkeit zur persönlichen Abgabe der Wahlkarten (wow!) und die Portofreiheit bei der Briefwahl sind das höchste der Gefühle (S. 258). Natürlich ist zu berücksichtigen, dass diese hoch gelobte Regierung über keine Zweidrittelmehrheit verfügt und daher keine verfassungsändernden Reformen herbeiführen kann. Aber erstens gibt es einfachgesetzliche Möglichkeiten, das Wahlrecht zu dynamisieren bzw. zu personalisieren (Rücknahme der die Proportionalität verstärkenden Änderungen der Nationalratswahlordnung 1970 und 1992, Vermehrung der Zahl der Wahlkreise etc.). Und zweitens könnte eine Regierung, die immer noch die wichtigsten gesellschaftspolitischen Kräfte des Staates repräsentiert, wenigstens eine Expertenkommission einsetzen, damit nicht zentrale Fragen der Demokratie in von Industriellen erfundenen Altherrenrunden an Hand eines obskuren Modells steirischer Provenienz diskutiert werden müssen[3]. Es muss ja nicht gleich wieder ein Österreich-Konvent zur Schaffung einer neuen Verfassung sein[4]. Zeit dafür wäre vorhanden, da sich die Koalitionsparteien ja rechtzeitig eine fünfjährige Amtsperiode genehmigt haben. Nebenbemerkung: in fünf Jahren könnte sich vielleicht sogar ein „Haus der Geschichte“ ausgehen, zu dem es vielversprechend heißt: „Die Planungen und weiteren Arbeiten zur Umsetzung des Hauses der Geschichte werden wie vorgesehen zügig weitergeführt (S. 219). Was dem österreichischen Wahlrecht vor allem fehlt, ist eine stärkere Personalisierung, die zu einer engeren Bindung des Abgeordneten an seine Wähler führen würde. Der Weg dazu liegt in der Verkleinerung der Wahlkreise bzw. in einem Ausbau des Systems der Vorzugsstimmen. Diesen Weg zu gehen, wäre viel gescheiter, als immer wieder ein Mehrheitswahlrecht zu diskutieren, das selbst bei Vorhandensein einer Zweidrittelmehrheit im Hinblick auf die österreichische Verfassungstradition keine wirkliche Chance hat. Optimale Ergänzung hiezu wäre die Wiederaufnahme der Bemühungen innerhalb der politischen Parteien, durch statutenmäßig geregelte Vorwahlen zu einer Verbesserung der Personalauswahl zu kommen. Weder das mittlerweile wieder abgekommene System der „Quereinsteiger“ noch die traditionelle „Ochsentour“, am wenigsten aber das zurzeit praktizierte „Cliquensystem“ sind korrekte Wege der Rekrutierung von Volksvertretern. Dass die Parteiakademien trotz ausreichender finanzieller Dotierung dazu kaum einen einschlägigen Beitrag liefern, ist eines der Phänomene unserer diskursarmen, nur an materiellen Verbesserungen interessierten Republik.

Reform des öffentlichen Lebens#

Aus Platzgründen ist es hier nicht möglich, detaillierte Überlegungen zu verschiedenen anderen Problembereichen der demokratischen Entwicklung unseres Landes anzustellen. So wäre es etwa reizvoll, über Sinn und Unsinn der Instrumente der direkten Demokratie nachzudenken. Waren 1969 erst drei Volksbegehren durchgeführt worden, stehen wir mittlerweile bei 32 derartigen Veranstaltungen.

Während ein Promille der Bevölkerung die Einleitung durch ihre Unterschrift verlangen kann, lag die Beteiligung der Stimmbürger zwischen 1,3% (Motorradvolksbegehren 1995) und 25,7 % (Konferenzzentrum 1982). Während das erste Volksbegehren 1964 (Rundfunk, 17,3%) von den Zeitungen betrieben wurde, gingen die folgenden sehr oft auf rein parteipolitische Initiativen zurück, was selbstverständlich nicht im Sinne der Erfindung ist. Aus heutiger Sicht scheint über allen drei Formen der direkten Demokratie, die mittlerweile auch in den meisten Bundesländern institutionalisiert wurde, der Mangel der Repräsentativität und der Schatten der Demagogie zu liegen. Besonders gilt das für Volksbefragungen, bei denen die Fragestellung praktisch immer einseitig positiv ausgerichtet war („Sind Sie dafür dass …). Die wissenschaftliche Umfrageforschung würde bei wesentlich geringeren Kosten in allen Fällen repräsentativere Ergebnisse liefern und damit der Sache selbst dienlicher sein. Was Volksabstimmungen betrifft, so haben uns Zwentendorf (1978) und die allerjüngste Entwicklung (Vertrag von Lissabon, Brief an „Onkel Hans“) gelehrt, was Parteipolitik und Medienkampagnen aus- und anrichten können. Skepsis ist in jedem Falle angezeigt – leider. Es wäre schön gewesen, berichten zu können, dass in Österreich reife Stimmbürger bei fairer Fragestellung unmanipuliert durch Parteien und Massenmedien in genügend großer Zahl an direkt-demokratischen Instrumenten teilnehmen.

Ein weiteres Kapitel, das immer wieder Anlass zu Reformüberlegungen gibt, ist jenes der öffentlichen Parteien-, Klub- und Pressefinanzierung. Befürwortet man alle drei Maßnahmen dem Grunde nach, da sie offenbar dazu dienen, die Demokratie zu stärken, stellen sich dennoch zwei Fragen:

  1. Ist die Höhe der aus Steuergeldern ausgeschütteten Beträge angemessen (etwa im internationalen Vergleich) und
  2. werden die Gelder von den Empfängern sparsam, wirtschaftlich und zweckmäßig verwendet?
Mangels voller Transparenz dieses besonderen staatlichen Füllhorns ist es schwer, hiezu ein faktenorientiertes Gesamturteil abzugeben. Hubert Sickinger hat in der Mainummer 2008 der Academia die Größenordnungen umrissen. Danach gibt der Bund etwa 27 Millionen Euro für die Förderung der Parteien und neuerdings etwa 18 Millionen für die Parlamentsklubs (= 73.000 pro Mandatar) aus. Dazu kommen knapp 120 Millionen an Geldern, die die Länder an Parteien und Landtagsklubs ausschütten. Die Presseförderung beträgt rund 13 Millionen pro Jahr. Sind diese Mittel der Höhe nach gerechtfertigt? Rechnet man eine reale Legislaturperiode von 4-5 Jahren, kommt schon einiges zusammen für den jeweils nächsten Wahlkampf. Erfüllen aber die Parteien damit ihre eigentlichen Aufgaben, „Transmissionsriemen“ zwischen Bürger und Staat zu sein? Wird in den Parteizentralen mehr produziert als Polemik und Propaganda? Werden Konzepte zur Bewältigung der großen anstehenden Aufgaben (Wirtschaft, Gesundheit, Bildung etc.) erarbeitet oder überlässt man dies der Ministerialbürokratie, die mittlerweile vieles wieder an Private weiter vergibt? Was bringen die Politischen Akademien? Sieht man sich die Veranstaltungskalender von Renner-Institut und Politischer Akademie im Internet an, bekommt man den Eindruck einer schöpferischen Pause: in den zwei Monaten bis Anfang März drei einfache Vorträge bei der SPÖ (z.B. „Bolivien vor dem Verfassungsreferendum“) und ein Workshop bei der ÖVP („Parteiprogramme stammtischtauglich machen“). Nicht eben überwältigend. Durch die Evaluierung 2004-2006 der nach einem komplexen Rechenmodell funktionierenden Presseförderung erfährt man, dass „Krone“ und „Kurier“ zusammen „nur“ 300.000 Euro pro Jahr erhalten, während die sogenannten Qualitätszeitungen „Standard“ und „Presse“ mit je rund 1,3 Millionen rechnen können. Ist das angemessen? Immer noch besser, möchte man sagen, als ganzseitige Inserate öffentlicher und halböffentlicher Stellen im Umfang von einem Drittel der 60-seitigen Neujahrsnummer eines mit dem Namen unseres Landes gezierten Printobjekts – natürlich mit entsprechender Auswirkung auf den redaktionellen Teil.

Was tun gegen die Politikverdrossenheit?#

Abschließend soll noch der Frage nachgegangen werden, was wohl der Grund für die weithin herrschende Politikverdrossenheit (nicht nur in Österreich) sein mag. Wie bei allen gesellschaftlichen Phänomenen gibt es auch dafür keine monokausale Erklärung. Vieles spielt zusammen. Wenn auch unsachliche Polemik zwischen Parteien und Politikern einer der Hauptgründe sein mag, so gibt es doch auch eine Reihe anderer Motive. Abgehobenheit der Volksvertreter, manifeste oder zu vermutende Fälle von Korruption, Freunderlwirtschaft, mangelnde Qualifikation, fehlender Fleiß bei hohen Gagen, Eitelkeit, Scheingefechte, Verschleuderung von Steuergeldern - etwa zum Kauf positiver Berichterstattung in der Presse - sprechen nicht gerade für die politische Klasse. Auseinanderklaffen von Nominal- und Realverfassung (Jonglieren mit Mandaten, Klubzwang, regierungslastige Gesetzesinitiative), Hypertrophie gesetzgebender Körperschaften, diverse Unzukömmlichkeiten in Brüssel etc. haben das Vertrauen in die Institutionen untergraben. Dazu kommen die ruinöse Konkurrenzsituation in der Kommerzpresse wie auch Quotengeilheit und mangelnder Mut vor Herrscherthronen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Eine Verbesserung dieser Situation könnte nur von untadeligen Personen mit großem Charisma und unbezwingbarem Mut zur Wahrheit ausgehen. Da solche Persönlichkeiten aber infolge des realen politischen Rekrutierungssystems und verschiedener oben angedeuteter Sachzwänge nicht oder kaum zum Zug kommen, wird es wohl so weitergehen wie bisher. Ich erlaube mir dennoch, einen Vorschlag zu machen, der vor allem dazu dienen soll, eine Diskussion in Gang zu setzen. So wie die Volksanwaltschaft geschaffen wurde, um dem individuellen Recht des Staatsbürgers zum Durchbruch zu verhelfen, sollte auf Vorschlag des Bundespräsidenten ein „Staatsrat“ aus je 12 parteiungebundenen Frauen und Männern gebildet werden. Dieser hätte sich unter dem Vorsitz eines pensionierten Höchstrichters zu konstituieren, um periodisch Empfehlungen zur Durchsetzung von Anstand und Allgemeinwohl abzugeben. Weiß jemand etwas Besseres?


Fußnoten:

[1] http://oktogon.at/Zeit_zur_Reform/Inhalt.html

[2] http://www.politikberatung.or.at/home

[3] Das sogenannte „minderheitenfreundliche Mehrheitswahlrecht“ nach Klaus Poier nimmt in Kauf - oder hält es sogar für richtig, dass im Zeitalter der Mittelparteien einer populistische Kraft, die mit 25-30% eine relative Mehrheit (ca. 50 Mandate) erreicht, eine Mandatsprämie gegeben wird, mit welcher sie über 50 % der Parlamentssitze plus einen verfügt (92 von 183 Mandaten). Abgesehen davon, dass dadurch keine gripperesistente Mehrheit zustande kommt, müsste erst durch diverse Zusatzbestimmungen gewährleistet werden, dass der Wähler irgendeinen Einfluss auf die Parteilisten nehmen kann, da die vorgeschlagene Mandatsberechnung grundsätzlich von einem einzigen Bundeswahlkreis ausgeht. Dem Modell fehlt somit jede Praktikabilität.

[4] http://www.konvent.gv.at/K/Willkommen_Portal.shtml


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