"Mit manchem muss man leben"#
Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im Interview über die EU-Sanktionen und die Zeit von Schwarz-Blau#
Von der Wiener Zeitung, freundlicherweise zur Verfügung gestellt. (Samstag, 30. Jänner 2010)
Von
Walter Hämmerle
- Der Ex-Kanzler blickt "sehr entspannt" auf die turbulente Zeit vor zehn Jahren zurück.
- "Ich habe die Sorgen der Österreicher sehr gut verstanden."
- Schüssels Rat an die Jungen: "Denkt längerfristig."
"Wiener Zeitung": Mit welchen Gefühlen blicken Sie heute zurück auf die turbulenten Ereignisse von vor zehn Jahren, als Österreich und Europa wegen der Bildung der schwarz-blauen Bundesregierung Kopf standen?
Wolfgang Schüssel: Mit großer Ruhe und sehr entspannt, ganz einfach deshalb, weil ich mir heute sehr viel sicherer bin als damals, ob diese Regierung funktioniert und die richtige Entscheidung für das Land ist. Letztlich hatte ich diese Fragen zu verantworten und die Entscheidung war alles andere als einfach. Aber im Rückblick weiß ich, es war hundertprozentig richtig.
Gestehen Sie Ihren Kritikern in Europa und Österreich einen moralischen Impetus zu, der Sie veranlasste, gegen Schwarz-Blau Maßnahmen zu ergreifen?
Was ich sehr gut verstanden habe, war die Sorge mancher Österreicher, dass das demokratische System leiden, dass wir Themen wie Europa, die Vergangenheitsbewältigung Österreichs ignorieren könnten. Susanne Riess-Passer und ich haben uns aber bemüht, in der Praxis nachzuweisen, dass diese Furcht unbegründet ist. Die Sorgen habe ich aber sehr gut verstehen können. Die Sanktionen der EU-14 hingegen waren grundfalsch, sie hatten weder eine moralische noch eine rechtliche Rechtfertigung und waren vollkommen willkürlich von 14 Mitgliedstaaten gegen ein 15. Mitglied gerichtet. Das schlechte Gewissen zeigte sich schon daran, dass die Institutionen der Union nicht mitgemacht hatten und der spätere "Weisenbericht", den wir initiiert hatten, dafür plädierte, diese unsinnigen Aktionen so schnell wie möglich zu beenden. Letztlich ist das auch gelungen.
Damals ist es zu einer ungeheuren Emotionalisierung von Politik gekommen. Menschen haben geglaubt, jetzt marschieren wieder braune Horden durch die Straßen.
Marschiert sind aber nicht die braunen Horden, sondern andere! Aber das gehört zur Demokratie, jeder soll seine Meinung artikulieren, auch provozieren können. Das muss man schon aushalten können und das haben wir auch ausgehalten – im Vertrauen auch auf die demokratische Reife unseres Landes und darauf, dass die Mehrheit unterscheiden kann, was künstliche Erregung und was echte Sorge ist. Letztlich haben die Menschen gesehen, dass dies ein ganz normaler Regierungswechsel war. Heute ist es Normalität geworden.
Wie konnte es überhaupt zu diesen Sanktionen der EU-14 gegen Schwarz-Blau kommen? Haben Sie einmal versucht, diese enorme Dynamik rational nachzuvollziehen? Immerhin wird ein solcher Schritt nicht einfach aus dem Ärmel geschüttelt, sondern es steckt ein enormer Kommunikationsaufwand dahinter.
Wie es genau dazu gekommen ist, ist ja bis heute noch nicht geklärt. Einige Elemente sind zwar klar, etwa dass nur ein Teil, vielleicht nicht einmal die Hälfte der Mitgliedstaaten, dahinter gestanden ist. Offensichtlich hat man den Zögernden erklärt, dass alle anderen bereits zugestimmt hätten und nur noch diese eine Stimme fehle. Ob damals Impulse auch aus Österreich gekommen sind, wird die Zeit zeigen.
War dieser EU-Konsens für Sie also ein Taschenspielertrick?
Das aufzudecken, ist nicht meine Aufgabe, das sollen Journalisten oder Zeithistoriker machen. Es ist nur interessant, dass noch viele Fragen offen sind. Klar ist nur, dass dies eine große europäische Verirrung gewesen ist.
Der Versuch, den Rechtspopulismus der FPÖ durch eine Regierungsbeteiligung zu zähmen, muss als gescheitert betrachtet werden.
Es war ja nicht das Ziel, einer Koalition den Partner zu zerstören. Mit der damaligen FPÖ unter Riess-Passer konnten wir das Land zum Positiven verändern. Den europapolitischen Konsens von damals würde ich mir heute wünschen – denken Sie nur an den Brief, den Gusenbauer und Faymann 2008 an den „Krone“-Herausgeber geschrieben haben. Das ist bis heute nicht aufgearbeitet, das nur zum Thema Populismus. Jede Regierungspartei muss Verantwortung übernehmen, dadurch verliert sie Proteststimmen. Es war nie meine Absicht, die FPÖ zu schädigen, sondern gemeinsam gute Politik zu machen. Die jetzige FPÖ ist mit der damaligen FPÖ nicht mehr vergleichbar.
Wie haben die Sanktionen Ihr Bild in der Öffentlichkeit beeinflusst?
Das weiß ich nicht. Ich hoffe, dass die Mehrheit der Bürger das Gefühl gehabt hat, der Bundeskanzler fährt eine vernünftige Linie, dass er Österreich und die legitime und legale – beides darf man hier nicht vermischen – Art und Weise, wie diese Regierung zugestanden gekommen ist, stark verteidigt, gleichzeitig aber auch nicht noch zusätzlich Öl ins Feuer gießt, sondern schaut, dass die Sanktionen so rasch wie möglich beendet werden. Es ist ja bemerkenswert, dass wir später relativ rasch als verlässliche Partner zum inneren Kern der EU gehörten und dort auch anerkannt wurden: Wir waren keine Randfiguren mehr.
Sie polarisieren seitdem als Politiker die Öffentlichkeit wie kaum ein anderer. Hat Sie dies als Mensch irgendwie verändert?
Meine Art, Politik zu machen, stößt natürlich auf manchen Widerstand. Das hat mit meinem Politikverständnis zu tun: Führen heißt vor dem Schwierigen nicht ausweichen. Das hat aber nicht nur mit dem Jahr 2000 zu tun, seit meinem Eintritt in die Regierung 1989 gibt es für mich einige große Projekte: Eines ist Europa, Österreichs Beitritt zur Union, uns als Mitglied des inneren Kerns der EU zu etablieren. Zweimal das Budget sanieren zu müssen, 1995/96 und 1999/2000, war ja nicht Selbstzweck, sondern notwendig, um beim Euro dabei sein zu können und nicht wie Griechenland zu tricksen. Natürlich führt das auch zu Widerständen, aber es ist meine innere Überzeugung. Wir hätten es uns ja auch leicht machen und die Pensionsreform einfach in die Zukunft verschieben können. Gute Politik aber muss vorausschauend agieren. Mein zweites großes Projekt war die Internationalisierung Österreichs. Wir sind ein Land, das zwei Drittel seines Volkseinkommens im internationalen Wettbewerb erwirtschaften muss, da können wir uns keine Selbstprovinzialisierung, keine Verzwergelung leisten, sondern müssen uns öffnen, den Standort verbessern, die besten Köpfe ins Land hereinholen. Politik ist nicht nur Verwaltung des Status quo, Politik muss gestalten wollen.
hr eigener Anspruch war, Österreich zu internationalisieren. Kritiker, vor allem die kulturelle Elite, werfen Schwarz-Blau aber vor, das Land provinzialisiert zu haben. Woher dieser Widerspruch?
Mit manchen Dingen muss man einfach leben, man muss nur abklopfen, ob der Vorwurf auch stimmt. Hier kann ich das nicht erkennen, wir haben uns enorm um die Kultur bemüht und geschaut, dass die Kunst zu ihrem Recht kommt. Wir haben dabei allerdings auch über Wien hinaus in die Bundesländer geschaut – Stichwort Kulturhauptstadt Graz 2003 oder das Gedenkjahr 2005.
Welche Folgen haben die Sanktionen im Verhältnis der Österreicher zur EU hinterlassen?
Ich glaube nicht, dass es zu nachhaltigen Schäden gekommen ist, allenfalls kurzfristig. Seit dem Beitritt 1995 beantworten stabile 80 Prozent die Frage nach einem Austritt aus der EU mit nein. Und eine gesunde Skepsis haben die Österreicher immer gehabt, das ist nicht unbedingt ein Nachteil.
Die Innenpolitik der letzten Monate ist von Berichten über Skandale geprägt. Kritiker sprechen von einer Verluderung der Sitten unter Schwarz-Blau – zu Recht?
Die Kärntner Hypo war in den 90er Jahren schon einmal pleite, diese Bank hat mit der Bundesregierung genau gar nichts zu tun. Die Buwog-Privatisierung war hundertprozentig richtig, auch der Preis stimmte. Aber ich habe hier überhaupt keine Scheu, alles untersuchen zu lassen. Was ich gesehen habe, ist der Verkauf ordnungsgemäß international ausgeschrieben worden. Aber natürlich darf es für die Ermittler in der Justiz keinerlei Tabus geben.
Hätten Sie im Rückblick gerne etwas anders gemacht?
Darüber nachzudenken bringt aus meiner Sicht nichts. Man kann höchstens Ratschläge an die Jungen geben, wie man es besser macht, etwa „traut euch mehr, traut euch selbst etwas zu“. Die Gefahr ist größer, zu kurz als zu weit zu springen. Das Zweite ist: Macht nicht Politik für das nächste Quartal, sondern denkt längerfristig. Das dritte ist: Wir müssen Österreich offen halten, das gilt für sämtliche Bereiche. Und mein letzter Rat: Auf die Freiheit des Einzelnen zu achten! Der Staat darf nie die Freiheit des Einzelnen einschränken, die Gefahr ist hier groß.
Ist Ihnen Österreich eigentlich für Ihren Anspruch, Politik zu gestalten, zu klein?
Im Gegenteil, Österreich ist ein faszinierendes Land mit geografischen und kulturellen Ausgangschancen, die es sonst nirgendwo gibt. Österreich ist ein tolles Trampolin für alle Möglichkeiten.
Sehen Sie für sich noch eine Aufgabe jenseits ihres aktuellen Nationalratsmandats?
Natürlich, ich habe die Gesellschaft für Außenpolitik und Vereinte Nationen übernommen, das bauen wir jetzt überparteilich zu einer internationalen Plattform aus. Hier will ich Netzwerke bewahren oder aufbauen, die Österreich da und dort helfen können. Darin sehe ich – neben der Parlamentsarbeit – jetzt meine Aufgabe, und sicher nicht im Selbstmitleid. Die Tür zur Innenpolitik ist von mir zugemacht und wird auch nicht mehr geöffnet.