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Ein Einzelkämpfer für Österreich#

Ernst Karl Winter (1895–1959) verteidigte die Demokratie, lehnte den Deutschnationalismus ab und versuchte sich 1934 als Brückenbauer des Regimes zur Arbeiterschaft. Als einer seiner Zuhörer an der Universität Wien würdigt der Politologe Norbert Leser den auch als Wissenschafter unterschätzten katholischen Denker.#


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE

von

Norbert Leser


Ernst Karl Winter

Der 50. Todestag am 4. Februar 2009 ist ein Anlass, sich eines großen Österreichers zu erinnern, der trotz seines Wirkens der Vergessenheit anheimzufallen droht. Dabei gibt es kaum eine zweite Persönlichkeit, die sich um das Werden Österreichs in schweren Zeitläufen so verdient gemacht hat wie Ernst Karl Winter. Als Einzelkind einer Wiener Bürgerfamilie 1895 geboren, profilierte er sich früh als Schriftsteller und Einzelgänger, der ohne festen Beruf seiner politischen und geistigen Sendung lebte, die mit keiner Partei, umso mehr aber mit einem Österreich jenseits der traditionellen Lager, das in seiner Person um eine Form rang, verbunden war. Wo er sich mit Zeit- und Gesinnungsgenossen verband und an die Öffentlichkeit trat, so in der „Österreichischen Aktion“ 1927, überragte er sie durch die Gewalt seiner Persönlichkeit und Präzision seiner Sprache, so wenn er der Aktion die Devise gab: „Rechts zu stehen und links zu denken, das heißt in der Tradition zu wurzeln und doch den Bedürfnissen und Forderungen der Zeit, so links sie scheinbar sind, im Namen der Tradition Rechnung zu tragen.“

Europäische Sendung des Kleinstaates#

Winter war noch habsburgischer Legitimist, dies aber nicht mit einer reaktionären Perspektive, sondern im Sinne einer schon von Freiherr von Vogelsang im Rahmen des alten Österreich propagierten „sozialen Monarchie“ eines „sozialen Königtums“, der sich als Hoffnung für die Zukunft Österreichs mit der Person Otto von Habsburgs verband. Obwohl Legitimist, verteidigte Winter die Demokratie der Republik gegen Angriffe und Versuche, sie zu zerstören. Was ihn von seinen Zeitgenossen, insbesondere von denen der akademischen Zunft, trennte, war die Ablehnung des Deutschnationalismus, der von Bundeskanzler Schuschnigg konzipierten Idee Österreichs als „zweiter deutscher Staat“. Demgegenüber war Winter ein Bekenner einer großösterreichischen Idee, die den Kleinstaat mit einer europäischen Sendung ausstatten sollte. Diese Haltung war in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts ein Todesurteil in Bezug auf Ambitionen, an der Universität Wien Fuß zu fassen. Auch nach seiner Rückkehr aus dem USExil in den Fünfzigerjahren war ihm die verdiente Anerkennung seiner wissenschaftlichen Arbeiten und seines Werkes nicht vergönnt. Kleine Geister, die von seiner Substanz profitiert hatten, und solche, die ihm nicht verzeihen konnten, dass er gegen sie Recht behalten hatte, verhinderten seine volle akademische Etablierung, sodass er nur als Privatdozent Vorlesungen an der Universität Wien halten konnte.

Gegen Chemismus und Verfassungsbruch#

Ich habe mit meinem Freund Alfred Missong jun. und wenigen anderen zu seinen Hörern gehört, wir konnten seine prophetischen Gaben nicht nur in Bezug auf die Deutung der österreichischen Geschichte erleben, sondern seinen frühen Kampf gegen den „Chemismus“ in der Landwirtschaft und gegen die Zerstörung der Natur durch die Vernachlässigung der Klima- und Umweltfragen. Winter erhob in dem von ihm im Eigenverlag herausgegebenen „Wiener Politischen Blättern“ seine Stimme gegen den Verfassungsbruch durch Dollfuß im März 1933. In seinem Werk „Christentum und Zivilisation“ schildert Winter ein langes Gespräch, das er in der Nacht vor dessen Ermordung am 25. Juli 1934 mit Dollfuß hatte. In einem offenen Brief ermahnte er Bundespräsident Miklas, seinem Eid auf die Verfassung treu zu bleiben und das autoritäre Regime in seine Schranken zu weisen. Winter verschonte aber auch die Sozialdemokratie nicht mit demokratiepolitischen Vorwürfen: Er warf ihrer Führung vor, den Verfassungsbruch widerstandslos zur Kenntnis genommen und nicht die angekündigten Abwehrmaßnahmen getroffen zu haben. Nach der Tragödie des 12. Februar 1934 spielte Winter vorübergehend eine politische Rolle. Dollfuß setzte ihn gleichsam als Brückenbauer zwischen dem autoritären Ständestaat und der frustrierten Arbeiterschaft im April 1934 als zweiten Vizebürgermeister unter dem christlichsozialen Wiener Bürgermeister Richard Schmitz ein, doch schon im Oktober 1936 wurde er gestürzt. Er hatte das Juliabkommen vom 11. Juli 1936, das Schuschnigg mit dem nationalsozialistischen Deutschland geschlossen hatte, schroff kritisiert und als Vorboten der Kapitulation vor Hitler-Deutschland verurteilt: „Nach unserer Auffassung ist der 11. Juli 1936, falls es bei ihm bleibt, der entscheidendste Tag der österreichischen Geschichte nach dem 12. November 1918… Die politischen Kräfte dieses Landes rüsten sich zum letzten Absprung. Entweder finis Austriae, der Untergang Österreichs im Dritten Reich, oder eine nova creatura, eine Neuschöpfung Österreichs, durch die wir Mittelpunkt des Weltkampfes gegen das Dritte Reich werden. Tertium non datur.“ Wir wissen, dass der schlimmerer Fall mit allen Konsequenzen eingetreten ist und die schlimmsten Ahnungen übertroffen hat. Ernst Karl Winter war und blieb aber nicht nur eine tragisch-prophetische Figur unserer Zeitgeschichte, er hat sich auch in die Geistesgeschichte eingetragen, die freilich wieder gesellschaftspolitische Konsequenzen haben sollte. In seiner als Habilitationsschrift gedachten großartigen Arbeit „Sozialmetaphysik der Scholastik“ führe er einen Begriff ein, dessen Vernachlässigung sich fatal auswirkte: der Begriff des „Methodendualismus“ nämlich, der sich auf die Theologie und die Soziologie bezog und eine prinzipielle Verschiedenheit beider Disziplinen einmahnte. Während die Theologie von einem festen dogmatischen Punkt und Gerüst ausgeht und alle Forschung dessen Leitlinien unterwirft, ist die weltliche Wissenschaft an kein Dogma gebunden und muss vom empirischen Befund ausgehen. Winter erkannte die Gefahr, die in der kirchlichen, im besonderen aristotelischen-thomistischen Tradition angelegt ist, die freie Wissenschaft zu bevormunden und an unerwünschten Schlussfolgerungen zu hindern. Allerdings huldigte Winter nicht, wie der zeitgenössische „Wiener Kreis“, einem naiven Empirismus. Für Winter als Kenner und Liebhaber Platos stand das Primat der Idee vor der Erfahrung fest. Erst diese Verbindung mit der platonischen Philosophie machte im Sinne der Maxime „Plato Christianus“ Philosophie und Soziologie zu selbständigen, dem Dogma, nicht aber dem Geist trotzenden Gestaltungsmächten.

Kritik am politischen Katholizismus#

Der Methodendualismus Winters hatte aber auch einen gesellschaftsbezogenen Anwendungsbereich: Er wandte sich nicht nur gegen den scholastischen Dogmatismus, sondern auch gegen den zum Scheitern verurteilten Versuch, das klerikal-pastorale Konzept der Akkomodation auch zum Prinzip der Staatspolitik zu machen. In seinem von Ernst Florian Winter, dem ältesten Sohn Ernst Karls und geistigen Nachlassverwalter, postum 1966 veröffentlichten Werk „Ignaz Seipel als dialektisches Problem“, das den Untertitel „Ein Beitrag zur Scholastikforschung“ trug, demonstrierte Winter die Engführung des politischen Lebens, die in der Person des Priester-Politikers Ignaz Seipel, der den politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit repräsentierte, gipfelte. Auch in dieser schon zu Lebzeiten Seipels geübten Kritik war Winter wieder einmal seiner Zeit voraus. Erst spät, ja schon zu spät, um entstandenen Schaden abzuwenden, entschloss sich die katholische Kirche 1933, mit der Einheit von princeps und sacerdos, von geistlicher und weltlicher Nacht, Schluss zu machen und damit eine Einheit aufzukündigen, die sich weder für die Kirche noch für den Staat als vorteilhaft erwiesen hatte. Die Kirche besann sich zu der ihrer Sendung einschränkenden Predigt des Evangeliums. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Trotz dieser doppelten Frontstellung gegen den scholastischen Dogmatismus und den politischen Katholizismus war Winter ein zutiefst katholischer Mensch. Seine Frömmigkeit orientierte sich nachhaltig an der Person des Hl. Severin († 8. Jänner 482). Es war, also ob ihn dieser Heilige nach Österreich zurückgerufen hätte. Als Winter von den Ausgrabungen erfuhr, die in den fünfziger Jahren in der Kapelle St. Jakob in Heiligenstadt durchgeführt wurden, kam er zurück nach Österreich und widmete sich nicht nur der Erschließung eines gefundenen Grabes, indem er die erste Ruhestätte des „Heiligen zwischen West und Ost“, des Apostels von Noricum zu erkennen glaubte. Er erneuerte auch das Andenken dieses Mannes der Zeitenwende, dessen Verehrung das ganze Mittelalter hindurch gerade in St. Jakob mit einem bis heute gesungenen Severinslied andauerte. Für Ernst Karl Winter war dieser Heilige eine tragende Säule einer österreichischen Staatsmystik, die diesem Staat eine völkerverbindende Mission zusprach. Das Leben dieses Mannes, in dessen Gegenwart ich das seltene Gefühl hatte, es selbst mit einem Heiligen zu tun zu haben, sollte sich am Wirken für den heiligen Severin vollenden und verausgaben. Nach der Korrektur der Fahnen seines großen Severin- Buches legte er sich hin und starb am 4. Februar 1959. Es war ihm gleichsam als Ausgleich für ein entbehrungsreiches und kampferprobtes Leben ein sanfter Abgang beschieden.