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Freda Meissner-Blau: "Dieses Herz ist prachtvoll!"#

Die Grande Dame der Grünen lebt seit 13 Jahren mit einem neuen Herzen. Der "Presse" erklärt sie, warum sie eine Transplantation ursprünglich abgelehnt hat und warum manche Entwicklungen der Medizin sie gruseln.#


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Die Presse (Sa./So., 2./3. Juni 2012)

Von

Bettina Steiner


Sie haben ein Herz transplantiert bekommen. Aber ursprünglich wollten Sie gar nicht?

Freda Meissner-Blau: Sieben Jahre vor der Operation haben sie mir schon mitgeteilt, ich bräuchte unbedingt ein Spenderherz. Zu diesem Zeitpunkt habe ich groß erklärt: Mein Herz ist gut genug, ich habe ein tapferes Herz, das wird mir lange reichen, und wenn es nicht mehr will, war es das eben. Das sagt man, wenn man das Gefühl hat, es geht einem eh nicht so schlecht. Wenn die Ärzte etwas vorwegnehmen, was man nicht selbst so empfindet.

Sie haben sieben Jahre mit einem kranken Herzen gelebt?

Ja, aber dann ging es mir schon sehr schlecht. Sie hätten alles probiert, was möglich war, erklärte mir der Chef der Kardiologie am AKH, jetzt bleibe nur mehr eine Transplantation. Und der Chirurg meinte überhaupt: „Auf Sie wartet das Himmelreich.“

Waren Sie entsetzt?

Ich habe mir nur gedacht: So ist das also. Jetzt weiß ich zwar, dass ich sicher nicht ins Himmelreich komme, wenigstens der katholischen Lehrmeinung nach. Aber ich war erstaunt, dass ich nicht verzweifelt bin. Ich hatte geglaubt, ich würde kämpfen, fluchen, betteln, bitten. Aber ich habe mir nur gedacht: Schade, ich hätte gern noch ein paar Jahre gehabt, meine Tochter hat einen kleinen Sohn, den hätte ich gerne noch länger aufwachsen gesehen. Und Paul (Anm. Paul Blau, Ehemann von Freda Meissner-Blau) tat mir leid. Aber irgendeiner muss als Erster gehen.

Wie kam es dann doch zur Transplantation?

Eigentlich, weil ich mir gedacht habe, ich sterbe eh im OP. Ich hatte vier sehr schlimme Jahre hinter mir, war dauernd im Spital, saß zuweilen die ganze Nacht im Lotussitz auf dem Sofa, damit ich überhaupt atmen konnte. In Narkose zu sterben, habe ich mir gedacht, ist allemal besser als zu ersticken. Ich brauchte keine Bedenkzeit.

Warum waren Sie zunächst gegen die Transplantation?

Die Idee der Auswechselbarkeit des Menschen erfüllt mich nach wie vor mit Unbehagen. Die Richtung, in die die Forschung geht: Da gruselt es mich. Diese Eingriffe in die Genetik des Menschen, in sein Sosein. Ich fragte mich, ob es der richtige Weg für uns Menschen ist, Teile von uns ersetzen zu lassen. Zähne – das ist etwas anderes, auch eine Niere. Aber das Herz? Ich habe Dr. Barnard, der als Erster ein Herz transplantiert hat, einmal getroffen, er wollte mich kennenlernen, weil es nicht so viele 72-Jährige gibt, die transplantiert wurden. Er hat gesagt: „Das Herz ist nur eine blöde Maschine.“ Da bin ich ich böse geworden: „200-mal kommt das Herz in der Bibel vor“, habe ich gesagt.

Hat sich Ihre Einstellung geändert?

Es ist eine grandiose Sache, dass man das tun kann, obwohl ich mir immer noch die Frage stelle, ob es ein echter Fortschritt ist. Aber vielleicht sagt sich das leicht, wenn man 85 ist. Ich bin jedenfalls dankbar, dass ich so lange überleben durfte. Das Herz ist prachtvoll. Wenn mich Ärzte danach fragen, sage ich: Es ist das einzige Organ, das wirklich perfekt funktioniert.

Wie geht es Ihnen mit der Vorstellung, dass ein fremdes Herz in Ihrer Brust schlägt?

Natürlich habe ich mich gefragt, was das heißt: Da stirbt ja ein anderer Mensch für dich, oft junge Männer mit ihren Motorrädern. Aber ich hatte trotzdem nie Schuldgefühle: Dieser Mensch wäre in jedem Fall tot, so lebt wenigstens sein Herz weiter! In der Zwischenzeit ist es zu meinem Herzen geworden: Es hat 13 Jahre lang mein Blut gepumpt. Es waren die wichtigsten und kostbarsten Jahre meines Lebens. Ich bin gelassener, das kann mit dem Alter zu tun haben, aber auch mit dem Bewusstsein, das einen nie verlässt: Du lebst auf Messers Schneide.

Älterwerden ist für Sie positiv besetzt?

Natürlich: Mir tun alle Gelenke weh, ich habe Arthrose, die Augen sind nicht mehr so gut, ich brauche eine Brille, die Ohren sind nicht mehr gut, ich brauche ein Hörgerät. Man zieht so kleine Wurzelchen aus dem Leben: Ich kann nicht mehr Ski laufen, obwohl das wichtig für mich war, aber ich kann schwimmen. Ich habe Kinder und Enkel, die mich entdeckt haben, weil sie Angst haben, dass ich bald nicht mehr da bin, ich habe dreimal Weihnachten feiern müssen!

Waren Sie einmal gläubig?

Ich hatte ein Phase, so mit 15, 16 Jahren – da wollte ich sogar Nonne werden. Die Idee des Verzichts hat mir gefallen, dabei war das mitten im Krieg, und wir haben eh nichts gehabt. Aber das war nur kurz. Ich brauche keinen Vater mehr, ich brauche nicht vorgesagt bekommen, was gut oder böse ist. Außerdem habe ich so viel erlebt im Krieg, auf der Flucht: Ich bin in das zerstörte Dresden hineingeraten, wo die Engländer 300.000 Flüchtlinge in zwei Nächten liquidiert haben. Ich habe erstmals Tote gesehen: Phosphorleichen! Große Männer waren so klein wie ein Neugeborenes. Ich musste mich durchschlagen durch ein brennendes Deutschland. Da galt nur: überleben wollen, überleben müssen, handeln. Da war kein Platz für Glauben. Das heißt nicht, dass ich nicht gern in eine schöne Kirche gehe. Und ein schöner Gottesdienst ist ein Genuss. Wenn ich eine Kapelle betrete, in der jahrhundertelang Menschen inniglich gebetet haben, spüre ich diese dichte Atmosphäre. Aber es ist nicht für mich.

Sie sind Atheistin?

Ich bin das, was man Agnostikerin nennt. Gegen etwas sein, woran man eh nicht glaubt, scheint mir lächerlich.

Wie kamen Sie als 17-Jährige nach Dresden?

Wir lebten zu der Zeit in Böhmen, der Heimat meiner Mutter. In der 6. und 7. Klasse bekam ich Herzmuskelentzündungen, und weil ich herzkrank war, bekam ich im Februar eine Bahngenehmigung. Ich bin allein mit meinem Rucksack geflohen, irgendwohin Richtung Westen, alles andere war egal. Der Zug ist zehn Stunden lang gefahren, ich wusste nicht, wo wir waren, es war ja alles verdunkelt. Kurz vor Dresden fiel eine Bombe vor den Zug und zerriss die Schienen. Wir mussten alle raus, es war stockdunkle Nacht – und dann war plötzlich der Himmel taghell erleuchtet, es war ein infernalischer Lärm, ich bin zu einer kleinen Siedlung gelaufen und habe an alle Türen geklopft. Ich habe gedacht, was völlig absurd war: Wenn mich nur jemand einlässt, bin ich gerettet. Im dritten oder vierten Haus hat eine alte Frau aufgemacht. Zwei Nächte und zwei Tage bin ich in ihrer Stube gesessen, ich habe mich nicht gerührt, ich war voller Panik – und draußen tobte das Inferno. Das war die Revanche für Covent Garden, das haben die Deutschen zerbombt. Damals habe ich mir gedacht: Das darf nie wieder passieren, das dürfen Menschen Menschen nicht antun! Dieses Erlebnis war der Grund meines Einsatzes für die Friedensbewegung. Ich bin in meinem ganzen Leben immer wieder an solche Weggabelungen gekommen.

Können Sie da weitere Beispiele nennen?

Ich habe etwa in Paris für die Atomindustrie übersetzt. Das konnte ich zu Hause machen, mein Sohn war damals drei, und man kann ja einen Dreijährigen nicht in die Eisbox stecken und dann arbeiten gehen. Sie wollten Grafitreaktoren nach England und Deutschland verkaufen, und ich musste die Beschreibungen übersetzen. Dafür haben sie mir zwei Ingenieure beigegeben, die mir das erklärt haben, die Begriffe standen ja noch in keinem Lexikon. Eines Tages habe ich gefragt: Was machen Sie eigentlich mit den abgebrannten Brennstäben? Der eine sagte nur: „Dumme Frage“ und schlug die Tür hinter sich zu. Der andere hat mir gesagt, sie seien drauf und dran, die Lösung zu finden. „Einstweilen machen wir es so“, hat er erklärt: „Ein Roboter zerschneidet die Brennstäbe, dann lassen wir sie in flüssiges Glas ein, darum kommt ein Stahlmantel und rund um den Stahlmantel kommt Beton. Das werfen wir ins Meer.“ Wie lange das denn halte? „Das kann man nicht im Labor ausprobieren“, hat er gemeint: „So 500 Jahre hält das schon.“ Das war das Ende meiner Übersetzungen für die Atomindustrie. Von dieser Stunde an war ich Gegnerin. Als ich 1972 nach Österreich zurückkam, habe ich erfahren, dass Zwentendorf in Betrieb genommen werden soll, ich habe nach den Gegnern gesucht und mich ihnen zugesellt. Es hat immer wieder Ereignisse gegeben in meinem Leben, die mir die Richtung gezeigt haben: In Afrika habe ich mein Engagement für die Dritte Welt entdeckt. Eine Zeit lang war die Ökologie das Wichtigste, einige Zeit der Feminismus. Aber alles war immer aus persönlichem Erleben, nicht aus Ideologie.

Die Presse, Sa./So., 2./3. Juni 2012