Ein Getriebener bis in den Tod#
Jörg Haider (1950–2008) wird nach seinem Unfalltod eingeäschert. Seine politischen Attacken und seine Wahlerfolge, seine Rückschläge, die heftige Ablehnung, die er ebenfalls auslöste, sind Spiegelbild einer hoch emotionalen Persönlichkeit. Ein kurzer Rückblick.#
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der FURCHE am 17. Oktober 2008.
Von
Von Claus Reitan
Die Szenerie im Kongresshaus Innsbruck war gespenstisch. Verzweifelt kämpfte Vizekanzler und FPÖ-Chef Norbert Steger auf der Bühne um sein politisches Überleben. Er argumentierte, gestikulierte, rief händeringend in den dunklen Saal: „Jörg! Ich reich’ Dir die Hand! Nimm sie an!“ Zu spät. Denn zu diesem Zeitpunkt, am 13. September 1986 abends, war die Entscheidung der Partei für Jörg Haider schon gefallen, ihr Vollzug nur noch Formsache.
Die Mehrheit der Delegierten des FPÖ-Parteitages war fest entschlossen, den Wiener Rechtsanwalt Steger vom ohnehin niedrigen Thron des FPÖ-Obmannes zu stürzen, Jörg Haider zu seinem Nachfolger zu küren.
Vergeblich hatte Steger versucht, innerparteiliche Bündnisse zu schmieden. Er wollte mit seiner national-liberalen Truppe in der vom damals frischen Kanzler Franz Vranitzky geführten kleinen Koalition bleiben. Doch seine Angebote und seine Warnung, die FPÖ werde bei der Wahl Haiders aus der Koalition fliegen, fruchteten nicht: Von den 456 stimmberechtigten Delegierten wählten 58 Prozent Haider zum neuen Obmann der Freiheitlichen Partei, nur 39 Prozent votierten für Steger.
Die Geburtsstunde war ein Chaos#
Im Saal tobten und jubilierten die Delegierten. In diesen Minuten entstand das Foto des jungen, von Parteikameraden geschulterten Haider, der auf die Bühne getragen wurde. Hinter dieser Bühne und in den umliegenden, von Funktionären und Mitarbeitern genutzten Büros, flossen die Tränen, zerbrachen Freundschaften und quittierten vor allem junge Frauen ihren Dienst für die Partei. Die Geburtsstunde Haiders als Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs trug quasi stammzellenartig alles in sich, was die nächsten zwei Jahrzehnte seiner politischen Tätigkeit prägen sollte. Es war ein Chaos aus Anträgen und Intrigen, aus persönlichen An- und Untergriffen und Illoyalitäten. Am Montag nach dieser Samstagnacht kündigte Vranitzky den Blauen die Koalition auf. Haider hatte eines seiner wesentlichen strategischen Ziele, nämlich das taktische Momentum des ständigen Angriffs in der Hand zu haben, erreicht. Und siegte wieder.
Die Nationalratswahl im November 1986, der sich Vranitzky als Nachfolger des (wegen des Sieges von Kurt Waldheim bei der Präsidentenwahl) zurückgetretenen Fred Sinowatz stellte, brachte das erste von bis heute charakteristischen Ergebnissen: Die SPÖ und ÖVP verlieren, die Freiheitlichen gewinnen. Die Rechnung des Oppositionellen und Populisten ging auf. Jörg Haider konnte 1986 den Stimmenanteil der FPÖ, die zuvor jahrzehntelang niemals über die Marke von sechs Prozent gekommen war, schlagartig von fünf auf nahezu zehn Prozent verdoppeln. Damit war er als neuer Parteiführer gefestigt und hatte, nicht zuletzt wegen weiterer Wahlsiege, in Personalfragen freie Hand, was er ausgiebig nutzte.
Die Liste der von ihm aggressiv attackierten Parteikollegen beginnt mit Mario Ferrari-Brunnenfeld und geht bis Norbert Steger. Haider verbrauchte die politische Freundschaft zu Fritz Dillesberger ebenso wie jene zu Norbert Gugerbauer und Friedhelm Frischenschlager. Die politischen Talente Heide Schmidt und Susanne Riess-Passer wandten sich ebenfalls von ihm ab. Schließlich blieben Haider nur mehr seine als Buberl-Partie bezeichneten jungen Sekretäre, die heute, nach seinem Unfalltod, sein politisches Erbe weiterführen sollen. Das wird kaum gelingen, erstens, weil HC Strache als FPÖ-Chef die Rolle des aggressiven Populisten besetzt hält, und zweitens, weil niemand an die besondere Art des politischen Stils von Jörg Haider herankommt. Er bleibt eine Ausnahmeerscheinung, aus mehreren Gründen.
Selbstverliebt im Übermaß#
Um in die Politik zu gehen, sollte man schon eine sehr gute Meinung von sich haben. Haider hatte noch mehr: In seiner Selbstbezogenheit hat er alles rund um sich seiner Person untergeordnet. Ihm waren Zuwendung und Anerkennung wahrscheinlich sogar noch etwas wichtiger als Macht. Die sah er eher als Mittel zum Zweck, sich Gefolgschaft zu verschaffen. Aber das Wichtigste, das waren ihm Anerkennung und Zuwendung. Von Einzelnen, von Journalisten, von großen Persönlichkeiten, auch von anonymen Massen. Das war sein Lebenselixier. Dieses herzustellen, hat er keine Mittel gescheut.
Wiederholt drohte er der Partei erfolgreich, sich aus der Bundespolitik zurückzuziehen. Die Kader und die Profiteure der Wahlkampfmaschine Haider erkannten prompt, dass sie dann selbst um ihr Brot laufen müssten. Wiederholt hat er in der internationalen Politik Volten geschlagen, mit Nationalsozialismus und Rechtsextremismus kokettiert, Personen durch Entstellen deren Namens gröblich verunglimpft, ja beleidigt. Rotzfrech und unverfroren traf er Aussagen, die anderen die Sprache verschlugen. Keine Sportart war ihm zu extrem, keine Party schrill genug, um sich dort nicht zu zeigen, zu bestätigen. Um aus jeder Situation das für ihn Optimale herauszuholen, wechselte er Meinungen, Anzüge, Sprache und Sprechweise, berufliche Beziehungen und politische Positionen. Dennoch war er oft genug von den Reaktionen, die er auslöste, schwer irritiert.
Kritik ertrug er kaum bis gar nicht. Auf die kühle Zurückweisung seiner Person durch jene Politiker, die er zuvor attackiert und provoziert hatte, reagierte er verständnislos bis beleidigt. Er war, bei all seinen Verdiensten um politische Dynamik im Lande mitsamt erheblichen Folge- und Flurschäden sowie Irrtümern, ein Getriebener, vor allem ein hoch emotionaler Mensch. In seiner Getriebenheit hat er dem, was er für Erfolg hielt, nämlich größtmögliche Zustimmung Zustimmung, alles untergeordnet, ließ nur seine Familie noch bestehen. Damit schaffte er ein Comeback.
Eine Generation unabhängiger, kritischer Journalisten hat sich an Haider in tausenden Artikeln und dutzenden Büchern, aber auch Gerichtsverfahren abgearbeitet. Ihn totzuschweigen gelang ebenso wenig, wie ihn argumentativ auszuhebeln und zum offenen Eingeständnis einer unzutreffenden und belangten Aussage zu bewegen. Der politischen Fliehkraft widerstand er, der technischen nicht.
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