1. Mai - Tag der Arbeit#
"Einen Tag im Jahr feiert das Proletariat sich, seine Ziele und seine Zukunft. Am 1. Mai demonstriert der Arbeiter allen, dass ihm seine Würde als ganzer Mensch, die Gemeinschaft seiner Klasse, das Programm der Befreiung wichtiger ist als alles andere: dem Unternehmer zeigt er es, indem er von der Arbeit fernbleibt; Staat und Polizei, indem er auf die Straße geht; der Bourgeoisie, indem er ihr sein Recht auf Muße vor Augen führt; den Arbeitsbrüdern und -Schwestern, indem er zur selben Stunde wie sie in Aktion tritt - so jedenfalls ist es in der Anfangszeit."
Peter Cardorff, Was gibt's denn da zu feiern? Wien 1983, 21 ff.
In Ausführung eines Beschlusses des Internationalen Sozialistenkongresses 1889 in Paris wurde der arbeitsfreie 1. Mai zunächst hauptsächlich als Kampftag für den Achtstundentag begangen, in Wien das erste Mal am 1. Mai 1890. Stefan Zweig hat ihn als Bub miterlebt und beschrieben (vgl. den Beitrag über die Blume als Symbol). Vor dieser Demonstration hatte die „Neue Freie Presse" die „Physiognomie unserer Stadt am Festtage der Arbeiter" mit den Worten beschrieben:
"Die Soldaten sind in Bereitschaft, die Thore der Häuser werden geschlossen, in den Wohnungen wird Proviant vorbereitet wie vor einer Belagerung, die Geschäfte sind verödet, Frauen und Kinder wagen sich nicht auf die Gasse, auf allen Gemütern lastet der Druck einer schweren Sorge."
Zitiert nach: Renate Banik-Schweitzer et al. (Hg.), Wien wirklich - der Stadtführer. Wien 1992, 144 f.
Nach der friedlich verlaufenen Demonstration las man im selben Blatt, dass „man von diesen Männern der Arbeit lernen könnte, wie man eine politische Demonstration mit Würde, Anstand und Achtung vor dem Gesetz vollführt". So hatte es sich der „Erfinder" der inszenierten Arbeiterfeste, der Armenarzt und Parteigründer Victor Adler, auch vorgestellt, als er verschiedene „Parteiriten" anführte, um die Massen auch emotional an die Partei zu binden. Der 1. Mai als arbeitsfreier Tag setzte sich besonders in Wien auf breiter Basis durch.
Nach dem Ersten Weltkrieg wandelte sich allerdings der Feiertag gegen den Staat zum Staatsfeiertag. Für die Sozialdemokratie bedeutete der 1. Mai damit eine Bestätigung ihrer staatstragenden Funktion; der radikalen Linken und den Kommunisten war er immer viel zu sehr Feiertag und zuwenig Kampftag. Seit 1926 führt der Maiaufmarsch über die Wiener Ringstraße, das architektonische Zentralsymbol des Wiener Bürgertums.
Während der autoritäre Ständestaat die Maifeiern verboten hatte (obwohl der 1. Mai als Tag der ständestaatlichen Verfassung Staatsfeiertag blieb!), nahm der Nationalsozialismus die damals schon über vierzigjährige Tradition voll in seinen Dienst: der 1. Mai wurde als „Tag der deutschen Arbeit" festlich begangen. Seit 1945 wird der „Tag der Arbeit" wieder in traditioneller Weise gefeiert. Der sozialpartnerschaftliche Wiederaufbau dominierte dabei über den Klassenkampf, und auch die Kirche hat den 1. Mai im Jahr 1955 zum Fest „Josef, der Arbeiter" erhoben.
Die Parteiführung der SPÖ versuchte immer wieder, einen Mittelweg zwischen gedankenlosem Frühlingsfest und betont revolutionärem Aufmarsch zu finden. Dieser österreichische Kompromiss gelang ihr über die Jahre recht gut. Zwar wird durch die in ihrer jeweiligen Arbeitskleidung („Kluft") auftretenden, nach Berufs- und Bezirksgruppen streng gegliederten Marschblöcke, die mitgeführten und skandierten Parolen und den Kommentar des Platzsprechers die politische Funktion des 1. Mai immer wieder betont, doch herrscht von Jahr zu Jahr eine gelöstere Stimmung.
1. Mai in Wien
Auf der Tribüne vor dem Wiener Rathaus hat jeder sozialdemokratische Parteiobmann und Bundeskanzler - und sei er noch so bürgerlicher Herkunft - seinen Platz einzunehmen, den Genossen zuzuwinken und ihren tausendfachen Gruß mit „Freundschaft" zu erwidern, ein durch die Jahr für Jahr ähnlichen Fernsehbilder umso stärker zum Ritual erstarrter Vorgang. Trotz aller Bestrebungen, den Aufmarsch einzustellen und andere Formen der Maifeier zu suchen, beharrt die Führung der SPÖ im Hinblick auf die Stimmung ihrer Kernschichten auf dem Umzug. Zwar geht die Zahl der Teilnehmer von Jahr zu Jahr zurück (1994 waren es noch 22.000), und auch die Zahl der roten Fahnen mit oder ohne die drei Pfeile nimmt ab (während die rote Nelke eher wieder in den Vordergrund rückt); doch spielt das eine Rolle? Solange es den Wiener Maiaufmarsch gibt, wird es auch rote Fahnen geben - und umgekehrt. So hat sich in Österreich, das man ja ohne weiteres auch als ein „Museum für Sozialsysteme" bezeichnen könnte, nicht nur die Schafbergbahn erhalten, die heute noch mit Lokomotiven und Waggons aus 1893 fahren kann, sondern auch der 1. Mai. Anzeichen, dass sich etwas grundsätzlich ändern wird, gibt es keine.
Die Kommunistische Partei Österreichs feiert den 1. Mai ebenfalls auf der Ringstraße, und zwar direkt vor dem Parlament, während die anderen politischen Parteien in der Regel "alibiähnliche" Maifeiern im kleinen Kreis abhalten.
Literatur#
- Renate Banik-Schweitzer et al. (Hg.), Wien wirklich - der Stadtführer. Wien 1992, 144 f.
- Peter Cardorff, Was gibt's denn da zu feiern? Wien 1983, 21 ff.
Siehe auch ABC zur Volkskunde