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Schutz mit langer Tradition #

Viele verbinden mit dem Asylrecht mittlerweile vor allem Negatives wie Missbrauch und Kriminalität. Aber muss sich ein Prinzip, das bis in die griechische Antike zurückverfolgbar ist, nicht bewährt haben? Ein Blick zurück. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von DIE FURCHE (Donnerstag 24. September 2015)

Von

Richard Solder


Flucht und Vertreibung Vom Armeniergenozid und der Vertreibung des Volkes Richtung Russland...
Flucht und Vertreibung. Vom Armeniergenozid und der Vertreibung des Volkes Richtung Russland...
Foto: © Wikipedia
...über die Fluchtwelle nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Flüchtlingsstrom aus den Kriegsgebieten in Nahost.
...über die Fluchtwelle nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Flüchtlingsstrom aus den Kriegsgebieten in Nahost.
Foto: © Deutsches Historisches Museum
Die Tradition des umfassenden Flüchtlingsschutzes trat erst mit der Menschenrechts- Deklaration 1948 in Kraft.
Die Tradition des umfassenden Flüchtlingsschutzes trat erst mit der Menschenrechts- Deklaration 1948 in Kraft.
Foto: © United Nations

„Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen“, heißt es in Artikel 14 der Menschenrechte, die 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurden. Dann kam die Genfer Flüchtlingskonvention: Am 28. Juli 1951 wurde in einer UN-Konferenz das „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ beschlossen, in Österreich ist es als Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus dem Jahr 1955 zu finden. Für Joachim Stern, Staatsrechtler der Uni Wien, gab es neben den zwei Weltkriegen weitere Anlassfälle, die zu diesem Meilenstein führten: „Durch Ereignisse wie die Russische Revolution oder die Verfolgung der Armenier Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden große Flüchtlingsbewegungen. Man musste überlegen, was man mit diesen macht.“ Über Jahrhunderte oblag es vor allem der Kirche, bedrohte Menschen im Sinne des Heiligtums- oder Kirchenasyls zu schützen.

Schutz und Willkür #

Bis ins späte 19. Jahrhundert herrschte laut Stern behördliche Willkür darüber, wer Schutz bekam und wer nicht. Das moderne „politische“ Asyl entwickelte sich dann genau genommen aus einer Begrenzung der seit dem Mittelalter bestehenden verschiedenen kirchlichen wie weltlichen Formen. Rechtswissenschafter Stern erläutert: „Staaten weigerten sich, gesuchte Menschen auszuliefern. Das war ein politisches Geplänkel, wie man es bis heute zwischen Nationen erlebt und vor allem eine Machtfrage.“

Bis dieses „Recht der Staaten“ zu einem Recht der Individuen wurde, bedurfte es nicht nur dem formellen Fortschritt nach 1945: „Dass Personen anfingen, sich im Sinne des Völkerrechts durchzusetzen, brauchte seine Zeit. Bei uns ist das seit 1968 so, als das österreichische Asylrecht in Kraft trat. Davor stellte diplomatischer Druck die einzige Möglichkeit dar“, so Stern.

Erste Spuren des Rechts findet man schon bei den alten Griechen: Erhalten geblieben sind etwa Asylbeschlüsse aus dem sechsten Jahrhundert vor Christus.

Im antiken Griechenland bestanden zwei verschiedene Formen von „Asylia“: Die erste war genau genommen ein Verbot, das den „gewaltsamen Zugriff“ auf bestimmte Personen und ihren Besitz untersagte. Gewährt wurde dieses Privileg von den griechischen Stadtstaaten, den Poleis, und war somit eine politisch-rechtliche Angelegenheit.

Die zweite Art ist die kultische Zuflucht, die sogenannte Hikesie. Hinweise deuten auf eine spätere Institutionalisierung im Vergleich zum ersten, so genannten „persönlichen“ Asyl hin. Allerdings ist die Vorstellung der sakralen Unverletzlichkeit wiederum viel älter und war nicht nur auf die griechischen Gesellschaften begrenzt.

Im Zentrum des sakralen Asyls standen Altäre und in weitere Folge Tempel inklusive Tempelbezirk: Wer sich auf so einem Territorium befand, galt als unantastbar. Was zu interessanten „Regelauslegungen“ geführt haben mag. So mutet eine Geschichte von Herodot über die Ephesier, die Bewohner Ephesos’, kurios an: Um die gesamte Stadt vor einem Angriff zu schützen, sollen sie die Stadtmauern mit einem Seil mit dem Artemistempel, der außerhalb der Polis lag, verbunden haben.

Die Institution sah man damals grundsätzlich positiv: „In der griechischen Tradition war man im Allgemeinen stolz auf die Einrichtung der Hikesie. Eine Verletzung des Tempelasyls wurde meist scharf verurteilt. Vereinzelt gab es allerdings Stimmen, die Einschränkungen forderten, zum Beispiel kein Asyl für Mörder“ erläutert Martin Dreher, Historiker an der Otto-von Guericke-Universität Magdeburg. Im Hellenismus kam es nicht nur zur Verschmelzung der zwei Spielarten, sondern auch zu deren Instrumentalisierung. Die Machthaber des römischen Reiches vergaben Asyl ebenso nach eigenen Interessen.

Geschützte Bezirke #

Was bei den Griechen die Tempelbezirke waren, waren im Mittelalter Kirchen und Klöster. Neben den sakralen Schutzterritorien bestehen weitere Parallelen zwischen den zwei Epochen: „Es gab ähnliche Gruppen von Flüchtlingen in Antike und Mittelalter, und zwar Schuldner, Mörder, persönlich Verfolgte“, erklärt Dreher. Sie sollten vor Gewalt geschützt werden.

Der Historiker ergänzt, dass diese Personen in der Antike die Minderheit darstellten: „Typisch für die griechische Antike waren Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, für die römische Antike scheinen es eher Sklaven gewesen zu sein“. In der Neuzeit führen religiöse Verfolgungen zu den ersten Massenflüchtlingsbewegungen. Aufgenommen wurden diese Menschen besonders dort, wo die lokale Bevölkerung die Konfession mit den Asylsuchenden teilte. Bekanntes Beispiel ist die Auswanderung der Hugenotten im 17. Jahrhundert. Asyl war lange vor allem eine regionale oder lokale Angelegenheit.

Erst mit dem Beginn der Moderne legten Verfolgte vermehrt große Distanzen zurück. Alle wurden dabei jedoch nicht aufgenommen. Für Sklaven hieß es meist: Kein Eintritt in die Zufluchtsstätte!

Auch Juden wurden über die Jahrhunderte immer wieder zu „Ausnahmen“, für die das Recht auf Asyl nicht galt. Für eine rechtliche Gleichstellung aller Verfolgten brauchte es wohl doch eine Übereinkunft wie die Genfer Flüchtlingskonvention. Und selbst die musste erst in den Staaten „ankommen“ und umgesetzt werden, damit jetzt Menschen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf ihre persönlichen Rechte pochen können.

Verrechtlichung der Flucht #

Und wie sieht die Zukunft aus? Staatsrechtler Joachim Stern: „Ich sehe einen positiven Trend Richtung einer ‚Verrechtlichung‘ von Flucht, aber auch einen hin zu mehr Abschirmung“, also der Forcierung von Maßnahmen, die Flüchtende daran hindern sollen, überhaupt Asyl beantragen zu können.

Die Genfer Konvention sei dazu klar auf die Nachkriegszeit zugeschnitten, viele Asylanträge würden heute wegen fehlender Begründung abgelehnt werden. Die Personen, die man aufgrund der Situation in ihrer Heimat nicht gleich wieder abschieben kann, erhalten dann temporäre Aufenthaltstitel. Diese Entwicklung, so Stern, sei eine zurück zu einer „Duldung“.

DIE FURCHE, Donnerstag 24. September 2015