„Es ist Zeit, vor Gott und der Geschichte …“ #
Am 1. August jährte sich zum 75. Mal der Todestag von Hans Karl Zeßner-Spitzenberg, eines konsequenten NS-Gegners von Anbeginn.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 14. August 2013).
Von
Manfried Welan und Helmut Wohnout
Es war ein kurzer, episodenhafter Moment von Bekennermut und Charakterstärke, der sich am 16. Juli 1938 im KZ Dachau zutrug: Es entsprach dem Ritual der SS, dass neu ankommende Häftlinge antreten und angeben mussten, weshalb sie in das Lager gekommen seien. Als Hans Karl Zeßner-Spitzenberg an der Reihe war, sagte er furchtlos: „Weil ich im Glauben an Gott und an ein christliches Österreich unter der Führung des Hauses Habsburg die einzige Rettung für die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit meines Vaterlandes sehe.“ Dies genügte, um in den berüchtigten Isolierblock 15 des Lagers eingewiesen zu werden. Am 30. Juli brach Zeßner von inneren Verletzungen schon schwer gezeichnet, nach einem zweistündigen Strafappell in der prallen Mittagshitze zusammen, am 1. August 1938 verstarb er im Alter von 53 Jahren als einer der ersten Österreicher im KZ Dachau.
Die Familie Hans Karl Zeßner-Spitzenbergs stammte aus den deutschsprachigen Gebieten Nordböhmens. Als Schüler wuchs Hans Karl Zeßner-Spitzenberg in der durch den Nationalitätenkonflikt aufgeheizten Stimmung auf, gerade die deutschsprachigen Gebiete Böhmens stellten die Hochburgen der radikalen deutsch-nationalen Bewegung dar. Doch entwickelte er schon früh eigenständige politische Vorstellungen. Dem deutsch-nationalen Gedankengut stand er von Anfang an scharf ablehnend gegenüber. Auf Grund seiner sozialen Einstellung wandte er sich allerdings nicht wie die meisten seiner Standesgenossen den Katholisch-Konservativen, sondern der jungen Christlichsozialen Partei Karl Luegers zu.
Glühender Anhänger Kaiser Karls #
Zeßner studierte in Prag Jus, wo er 1909 promovierte. Später folgte noch ein Nationalökonomiestudium in Berlin. Schon damals hatte er den Wunsch, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Doch schlug er vorderhand die Laufbahn eines Verwaltungsbeamten im Ackerbauministerium ein. Als solcher erlebte er das Kriegsende im Herbst 1918. Gemäß der kaiserlichen Weisung, sich den Nachfolgestaaten loyal zur Verfügung zu stellen, trat er in die Dienste des neuen Staates Deutschösterreich ein. Ende 1919 wurde er von Staatskanzler Karl Renner in die Staatskanzlei – ab 1920 Bundeskanzleramt – und zwar in den Verfassungsdienst, berufen.
Der verlorene Erste Weltkrieg, die Auflösung der alten Ordnung und die durch den Friedensvertrag von Saint Germain vorgenommene Reduktion des Vielvölkerstaates auf ein Restösterreich mit 6,5 Millionen Einwohnern bedeuteten für Zeßner, wie für viele seiner Zeitgenossen, eine bis dahin unvorstellbare Katastrophe. Doch während bei so vielen anderen der Wunsch nach einem Anschluss an Deutschland aufkam, war diese Möglichkeit für ihn von Anfang an keine Alternative.
Zeßner schloss sich den ersten monarchistischen Gruppierungen um Prinz Johannes Liechtenstein an. Zugleich blieb er in der Christlichsozialen Partei. Persönlich entwickelte Zeßner eine glühende Anhänglichkeit nicht nur an die Monarchie, sondern vor allem an ihren letzten Regenten, den jungen Kaiser Karl. Nach dessen frühem Tod 1922 sah Zeßner-Spitzenberg in ihm das ideale Bild des katholisch-österreichischen Menschen schlechthin. Ihm widmete er auch einen beträchtlichen Teil seiner umfangreichen publizistischen Tätigkeit.
1920 habilitierte sich Zeßner an der Hochschule für Bodenkultur für „Allgemeines und Österreichisches Verwaltungsrecht“. Die Habilitationsschrift „Einführung in die Landarbeiterfrage“ hatte er schon während seiner Tätigkeit im Ackerbauministerium verfasst. Sie sollte das Verständnis für die ländliche Bevölkerung und ihre Arbeitsverfassung wecken. Dabei ging es Zeßner um den Interessenausgleich zwischen dem landwirtschaftlichen Betrieb und den dort tätigen landwirtschaftlichen Lohnarbeitskräften.
Wider den deutschnationalen Bodensatz #
Schon in den 1920er Jahren begann Zeßner sein Gedankengebäude einer eigenen österreichischen Nation zu entwickeln. Berührungspunkte fand Zeßner bei diesen Überlegungen mit Ernst Karl Winter. Sie begründeten im Herbst 1926 im Hause Zeßners mit Alfred Missong, August Maria Knoll und Wilhelm Schmid die so genannte „Österreichische Aktion“. Die Aufgabe Österreichs sah man als die eines übernationalen Bindegliedes in Mitteleuropa und formulierte ein eigenständiges Österreichbewusstsein, basierend auf einer legitimistischen Grundlage. In diesem Sinne vertrat die Gruppe um Zeßner und Winter ein österreichisches Nationalbewusstsein auf Basis einer „sozialen Monarchie“. Der „Österreichischen Aktion“ blieb eine breite Resonanz versagt. Doch bildete sie einen geistesgeschichtlich bemerkenswerten Kontrapunkt einer Gruppe jüngerer Intellektueller gegen den latenten deutschnationalen Bodensatz der 1920er Jahre, zu einem Zeitpunkt, als – auch im katholischen Lager – der intellektuelle Mainstream praktisch ausschließlich von einer diffusen deutschen bzw. teils deutschnationalen Reichsromantik geprägt war.
Zeßner-Spitzenbergs Professur an der Hochschule für Bodenkultur erhielt bald einen starken politischen Akzent. Die Hochschule für Bodenkultur war nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu einer deutschnationalen Hochburg unter den ohnedies von diesem Gedankengut dominierten österreichischen Universitäten geworden. Nun wurde sie ein Epizentrum des Nationalsozialismus. Die unter Duldung des Rektorats einsetzenden Ausschreitungen nahmen immer gewaltbereitere Formen an und führten 1933 zu einer wiederholten Schließung der Hochschule.
Bald wurde Zeßner selbst zur Zielscheibe des nationalsozialistischen Terrors. Im Jänner 1934 wurden erstmals seine Vorlesungen gestört, wiederholt wurde die Tür seines Dienstzimmers mit Hakenkreuzen beschmiert. Im Frühjahr 1934 explodierten vor und in der BOKU Sprengkörper. In dieser angespannten Situation übernahm Zeßner die Funktion eines Disziplinaranwalts an seiner Hochschule. In etlichen Fällen sprach er sich gegen die Wiederzulassung nationalsozialistischer Studenten aus. Für Nazis wurde er dadurch zu einem Feindbild, dem sie mit besonderem Hass begegneten. Zeßner-Spitzenberg hatte sich 1933/34 von Anfang an voIl hinter den autoritären Regierungskurs gestellt. Mit dem Beginn der Kanzlerschaft Schuschniggs wurde er einer der Kontaktleute zwischen dem ihm persönlich bekannten Bundeskanzler und Otto von Habsburg. Anfang November 1934 berief ihn Schuschnigg in den Bundeskulturrat, eines der nach der Mai-Verfassung eingerichteten sogenannten vorbereitenden Organe der Bundesgesetzgebung. Dort tat sich Zeßner-Spitzenberg in den folgenden Jahren nicht nur als einer der eifrigsten Mandatare hervor, sondern trat auch sehr engagiert für die Erweiterung der parlamentarischen Kompetenzen der vorberatenden Körperschaften ein, die in der Verfassungsrealität des autoritären Österreich nur eine marginale Rolle spielten.
In seiner Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Deutschland kannte der ansonsten verbindliche und konsensorientierte Zeßner-Spitzenberg keinen Pardon. Umso betroffener war er über das Juliabkommen 1936. Mit der Einbeziehung „Betont Nationaler“ und dem nun regierungsamtlichen Selbstverständnis von Österreich als zweitem deutschen Staat konnte er nichts anfangen.
Verhaftung während des Gottesdienstes #
Als Ende 1937/Anfang 1938 getarnte Nationalsozialisten hinter der Fassade der Vaterländischen Front immer offener ihre Gesinnung zur Schau tragen konnten, begann Zeßners Zuversicht zu schwinden. Nach dem Bekanntwerden der zwischen Schuschnigg und Hitler am 12. Februar 1938 getroffenen Abmachungen machte sich bei ihm bereits tiefer Pessimismus breit.
Als er die emphatische Rede Schuschniggs vor dem Bundestag am 24. Februar 1938 miterlebte, schöpfte er nochmals Mut. Dabei trat Schuschnigg mit großem Pathos als kämpferischer und entschlossener Verteidiger der österreichischen Eigenstaatlichkeit gegenüber dem Nationalsozialismus auf. Er schloss emphatisch: „Rot-weiß-rot bis in den Tod!“ Für kaum einen der Zuhörer wurde dieser Satz so rasch tragischer Ernst wie für Zeßner. Für die von Schuschnigg für 13. März 1938 kurzfristig anberaumte Volksbefragung warf er sich nochmals auf die Schienen. In seinem letzten Aufruf hieß es: „Jawohl, es ist Zeit, vor Gott und der Geschichte, vor der Heimat, vor dem Abendland und vor der ganzen Menschheit zu bekennen: ‚Wir wollen Österreich, Österreich und nur Österreich!‘“
Seine Verhaftung erfolgte am 18. März in der Früh. Während Zeßner den Gottesdienst in der unweit seines Döblinger Wohnorts gelegenen Kirche Maria Schmerzen besuchte, erschienen dort Gestapo-Männer. Die Bitte, ihn noch die Kommunion empfangen zu lassen, wurde abgelehnt. Er konnte zu Hause nur mehr das Notwendigste einpacken und wurde ins Polizeigefängnis Elisabethpromenade gebracht. Am 29. April 1938 erfolgte die Überstellung ins Landesgericht, am 16. Juli wurde Zeßner nach Dachau gebracht. Der Ablauf der Österreicher- Transporte nach Dachau war jeweils durch besondere Gewalttätigkeit seitens der SS gekennzeichnet. Es sind durchwegs traumatische Erinnerungen, die Häftlinge der Österreicher-Transporte mit der Fahrt in Verbindung brachten.
Für Zeßner-Spitzenberg wurde es zur Fahrt in den Tod. Im Zuge der brutalen Behandlung durch die SS während der Fahrt wurden Zeßner durch einen Gewehrkolbenschlag in die Nieren schwere innere Verletzungen zugefügt. An deren Folgen sollte er ein halbes Monat später sterben.