Hans Karl Zeßner-Spitzenberg #
Jurist und Professor an der Hochschule für Bodenkultur#
VonManfried Welan, Juni 2011
Inhaltsverzeichnis
- Hans Karl Zeßner-Spitzenberg
- Jurist und Professor an der Hochschule für Bodenkultur
- 1. Einleitung
- 2. Studien und rechtskundiger Verwaltungsdienst
- 3. Verwaltungsdienst im Verfassungsdienst
- 4. Habilitation an der Hochschule für Bodenkultur für Allgemeines und Österreichisches Verwaltungsrecht
- 5. Legitimität und Legalität
- 6. Berufung an die Hochschule für Bodenkultur als Ordinarius für Verwaltungslehre und Verwaltungsrecht
- 7. Antrittsvorlesung am 19. Oktober 1931
- 8. Agrarrecht
- 9. Lehrveranstaltungen und andere Veranstaltungen
1. Einleitung#
Dr. Hans Karl Freiherr Zeßner von Spitzenberg wurde am 4. Feber 1885 als Sohn des Gutsbesitzers Heinrich Zeßner von Spitzenberg in Dobritschan bei Saaz (Egerland) geboren. Er stammte aus einem alten böhmischen Adelsgeschlecht. Nach Absolvierung der Volksschule im Pfarrdorf Liebeschitz besuchte er das Staatsobergymnasium in Saaz, wo er 1903 die Reifeprüfung ablegte. Nach dieser begann er auf der Universität in Prag die juristischen Studien. Er wurde Mitglied Katholischer Studentenverbindungen im Österreichischen Cartellverband und war schon früh Gegner großdeutscher und deutschnationaler Tendenzen.
Schon als Student hatte er auf dem landwirtschaftlichen Gut seines Vaters den Abschluss eines kollektiven Arbeits- und Tarifvertrages herbeigeführt, der sich als sozialer Versuch sehr bewährte. Weiters redigierte er seit damals eine antimarxistische christliche Landarbeiterzeitschrift genannt „Landtreue“.
Noch als Student hatte er im heimatlichen Dorf in Böhmen einen christlich deutschen Leseverein zu Volksbildungszwecken gegründet. Die soziale Frage im ländlichen Raum wollte er im christlichen Sinn lösen. Er wurde deshalb auch früh Mitglied der Christlichsozialen Partei Karl Luegers. Später wurde er einer der führenden Männer in der monarchistischen Bewegung. Er kämpfte für ein unabhängiges und selbstständiges Österreich unter der Führung des Hauses Habsburg, gegen den Anschluss an Deutschland und gegen den Nationalsozialismus. Im Glauben an Gott und an ein christliches Österreich sah er die einzige Rettung für die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit Österreichs.
2. Studien und rechtskundiger Verwaltungsdienst#
Zeßner studierte Jus an der Universität Prag. Am 2. Juli 1909 wurde er an der Prager Karl-Ferdinand-Universität zum Doktor iur. promoviert.
Am 30. Juli 1909 wurde er Konzeptpraktikant im Verwaltungsdienst der k.k. Statthalterei in Prag. Er wollte sich noch ökonomisch weiterbilden und nahm einen zweijährigen Studienurlaub. In Berlin studierte er Nationalökonomie bei Adolf Wagner, Gustav Schmoller und Max Sering. Er arbeitete im agrarpolitisch-agrarstatistischen Seminar Serings. Bei ihm schrieb er auch seine Dissertation über „Städtisch-industrielle Konzentration und Landflucht in Böhmen, 1880-1900“. Im Sinne der Thesen Serings untersuchte er den Zusammenhang zwischen Grundbesitz-Verteilung und Landflucht. Seinem Tagebuch vertraute er damals an: „Universitätsprofessor ist mein Ziel, vor allem wegen der freien, unabhängigen Stellung, die ich für eine gute Sache nützen will.“
Nach dem Erwerb des zweiten Doktorats kehrte er nach Prag zurück.
1913 ging er von der k.k. Statthalterei Prag zur Statistischen Zentralkommission von Wien. Dort arbeitete er in der agrarstatistischen Abteilung.
Auf einer Pilgerfahrt nach Lourdes lernte er Freiin Elisabeth von Handel (1887-1956) kennen und heiratete sie. Die Hochzeit fand am 19. November 1913 – am Namenstag seiner Frau – auf Schloss Hagenau in Oberösterreich statt. Die glückliche Ehe war mit vier Kindern gesegnet.
1914 – 1918 war er Verwaltungsjurist an der Bezirkshauptmannschaft Braunau.
Als Jurist und besonders als Agrarrechtler wurde Zeßner durch seinen Vortrag „Ein kollektiver Arbeits- und Tarifvertrag zwischen Gutsherrn und Landarbeitern“, den er im Club der Land- und Forstwirte in Wien am 7. März 1913 hielt, bekannt. Ausgehend von den sogenannten kollektiven Arbeits- und Tarifverträgen in der Industrie sah Zeßner in diesem „Friedensdokument“, das er für den väterlichen Betrieb entworfen hatte, ein neues Instrument zur gesunden Regelung des Arbeitsverhältnisses im Interesse der Öffentlichkeit. Der zwischen dem Freiherrn von Zeßner als Gutsherrn von Dobritschan und den auf der Domäne Dobritschan beschäftigten, in der Ortsgruppe des Bundes „Landtreue“’, christlicher Berufsvereinigung für die ländliche Arbeit, organisierten landwirtschaftlichen Arbeitern abgeschlossene Vertrag konnte als vorbildlich gelten.
Neben dem Wirtschaftlichen und Sozialen werden durch den Vertrag nach Zeßners Meinung die ethischen Folgen des Arbeitsverhältnisses in neuer Form zur Geltung gebracht. Er sah den persönlichen, individuellen Charakter des landwirtschaftlichen Betriebes als unterscheidendes Merkmal zur Industrie. Von den allgemeinen Bestimmungen des Kollektivvertrages hob er die Einteilung der Arbeiterkategorien, den hiezu gehörenden Begriff der Ständigkeit, ferner Arbeitsverpflichtungen und das Lohnsystem mit dem Lohntarif hervor. Die genaue Umschreibung der Arbeitspflicht sei schwierig. Gegenwärtig sei sie in dem Sinne gefasst, dass alle ständigen Arbeiter die ihnen „ordnungsgemäß zugewiesenen Arbeiten” der landwirtschaftlichen Haupt- und Nebenbetriebe übernehmen müssen. Die Problematik dieses unbestimmten Begriffes war Zeßner klar. Wichtig für ihn war der rechte Gebrauch. In seinem Versuch eines Kollektivvertrages sah er ein Beispiel, aber nicht ein allgemein blind nachzuahmendes Muster.
Im Mai 1918 wurde er Ministerialvizesekretär im k.k. Ackerbauministerium.
Sein Lebenslauf aus der damaligen Zeit lässt seinen Stolz und seine Familienehre erkennen.
„Dr. Hans Karl Zeßner von Spitzenberg, geboren am 4. Februar 1885 als Sohn des k.u.k. Kämmerers Heinrich Freiherrn Zeßner von Spitzenberg, Herrn auf Dobritschan, und der Henriette Freifrau Zeßner von Spitzenberg, geb. Gräfin Nostitz-Rieneck, Sternkreuzordensdame, zu Dobritschan, Bezirk Saaz, Böhmen, besuchte das Staatsobergymnasium in Saaz, Böhmen, oblag hierauf den juristischen Studien an der deutschen Carl Ferdinands-Universität in Prag und erwarb daselbst 1909 den juridischen Doctorgrad. An der Universität zu Berlin wurde er 1912 zum Dr. oec.publ. promoviert. Im Jahre 1909 trat er bei der k.k. Statthalterei in Prag in den politischen Dienst, legte 1913 ebendort die praktische Prüfung mit Auszeichnung ab und wurde im selben Jahre der k.k. statistischen Zentral-Kommission in Wien zugeteilt. Er steht derzeit als Bezirks-Kommissär bei der k.k. Bezirkshauptmannschaft Braunau /Inn für Kriegsdauer in Dienstesverwendung, und wurde im März 1917 durch Allerhöchste Verleihung des Kriegskreuzes für Zivilverdienste III. Klasse ausgezeichnet. – Einen Offiziersrang bekleidet er nicht, da er als untauglich befunden nie bei Militär gedient hat, und auch im Krieg als politischer Beamter der I. Instanz von jeder Musterung enthoben war.“
Den Untergang der Donaumonarchie erlebte er als existentiellen Verlust, von dem er sich nie mehr erholte. Die unberechtigten Angriffe auf den Kaiser und die herabsetzenden Schmähungen trafen ihn tief. Trotzdem arbeitete er als hoher Verwaltungsbeamter auch in der Republik im Ministerium, das kurzfristig Staatsamt hieß, weiter. Am 23. Dez. 1918 wurde er in den „österreichischen Staatsdienst“ übernommen.
3. Verwaltungsdienst im Verfassungsdienst#
Von Staatskanzler Renner wurde er Ende 1919 in die Staatskanzlei – ab 1920 Bundeskanzleramt – und zwar in den Verfassungsdienst berufen.
Im Verfassungsdienst arbeitete er einige Zeit mit Hans Kelsen und Adolf Julius Merkl, den Begründern und Hauptvertretern der Reinen Rechtslehre, unter Ministerialrat Georg Froehlich zusammen. Renner war aufgrund einiger staatsrechtlicher Artikel auf Zeßner gestoßen. Im Verfassungsdienst hatte er vor allem die Landesgesetzgebung im Hinblick auf ihre Verfassungsmäßigkeit und Bundesinteressen zu überprüfen.
Als Renner als Staatskanzler am 7. Juli 1920 zurücktrat, richtete er ein amtliches Schreiben an den „Herrn Ministerial-Vizesekretär“...
„Indem ich von meinem Posten zurücktrete, ist es mir eine angenehme Pflicht, Ihnen für die während meiner Amtsführung geleisteten vorzüglichen Dienste meinen wärmsten Dank und meine Anerkennung auszusprechen.“
Ein Kanzler Karl Renner und ein Präsident Karl Seitz waren an die Stelle seines Kaiser Karl getreten. Aber wenn auch Zeßner die Legitimität des neuen Regimes nicht anerkannte, so erwies er ihm doch seine Loyalität.
Noch ein Zweites fällt auf: Obwohl Zeßner ein Naturrechtler war, der sich am göttlichen Recht orientierte – seine Antrittsvorlesung als Professor gibt darüber am ausführlichsten Aufschluss -, arbeitete er in der Verwaltungspraxis und auch meist als Rechtswissenschaftler – siehe z.B. seine Studie „Bodenreform im Sinne der Bundesverfassung“ -, als Rechtspositivist.
4. Habilitation an der Hochschule für Bodenkultur für Allgemeines und Österreichisches Verwaltungsrecht#
Über Einladung des Altrektors und Rechtsprofessors an der Hochschule für Bodenkultur Josef Ritter von Bauer habilitierte sich Zeßner 1920 für „Allgemeines und Österreichisches Verwaltungsrecht“. Die Habilitationsschrift „Einführung in die Landarbeiterfrage“ hatte er schon während seiner Tätigkeit im k.k. Ackerbauministerium verfasst.
Die „Einführung in die Landarbeiterfrage“, die in zweiter Auflage 1920 erschienen ist, hatte Zeßner seinem einstigen akademischen Lehrer Max Sering in dankbarer Verehrung gewidmet. Sie soll Verständnis für die ländliche Bevölkerung und ihre Arbeitsverfassung vermitteln. Zeßner ging es um den Interessenausgleich des landwirtschaftlichen Betriebes mit jenen der landwirtschaftlichen Lohnarbeitskräfte.
Als wesentliches Element dieses Ausgleiches erkannte er die Herausbildung einer eigenen Landarbeitsrechtsordnung. In diesem Spezialrecht müssten alle wirtschaftlichen, technischen und vor allem die sozialen Ordnungsbestrebungen ihren Niederschlag finden, solle das Arbeitsrecht den aktuellen Bedürfnissen dienen. Das Habilitationskomitee fasste diesen Grundgedanken der ganzen Arbeit kurz und gut zusammen: „Aus der Landarbeiterfrage zum Landarbeitsrecht“. Die Landarbeiterfrage an sich sah Zeßner als Standesfrage. Als solche habe sie wie jede Standesfrage drei Seiten und dreifachen Inhalt: Es gehe um den Personenkreis, der dem in Rede stehenden Berufsstand angehört, die Wechselbeziehungen der Landarbeiter zum Landwirtschaftsbetrieb und schließlich um die Einordnung des Standes an sich in das Staats- und Volksganze überhaupt.
Dementsprechend legte Zeßner die landwirtschaftliche Arbeiterfrage vom Arbeiterstandpunkt, vom Standpunkt des praktischen Landwirtes und schließlich vom Standpunkt des Wirtschafts- und Sozialpolitikers dar. Darauf widmete er sich den gemeinsamen organisatorischen Grundproblemen in der Landarbeiterfrage und schließlich den Grundlagen der landwirtschaftlichen Arbeitsverfassung, im wesentlichen der Lohnarbeitsverfassung.
Schließlich entwickelte er eine Phänomenologie der Landarbeiter und stellt die typischen Formen vor. Dabei unterschied er zwei Hauptgruppen: Die der heimischen, bodenständigen Arbeitskräfte einerseits und jene der auswärtigen Hilfskräfte andererseits. Die Untergliederung ist eine soziologische Feinarbeit, wobei die mithelfenden Familienmitglieder, die Gesindepersonen, die Dienstboten, das Halbgesinde oder Deputatgesinde und der ständige landwirtschaftliche „Taglöhner“, Zeitarbeiter, Akkordarbeiter, Jahreskontraktarbeiter und Guttaglöhner und schließlich der freie landwirtschaftliche Gelegenheitsarbeiter und die landwirtschaftlichen Spezialarbeiter behandelt werden.
Zeßner vertrat den Standpunkt, dass das Agrararbeitsrecht zwar in mancher Beziehung eine zivilrechtlich zu regelnde Materie sei, dass aber die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse mit Notwendigkeit zur öffentlichrechtlichen Behandlung dieser Rechtsbeziehungen führen müssen. Der zivilrechtliche Arbeitsvertrag trete als juristisches Element hinter die im öffentlichen Interesse gelegene Gestaltung des Rechtsinstitutes zurück, die in das Gebiet der Verwaltungsgesetzgebung gehöre. So sah es auch das Habilitationskomitee unter dem Vorsitz Bauers.
Zeßners „Landarbeiterfrage“ ist heute nicht nur für Juristen, Historiker und Rechtshistoriker im Besonderen von Interesse, sondern auch für Agrarpolitiker. Denn Zeßner geht davon aus, dass das ureigenste Wesen der Landwirtschaft das einer besonderen Lebensform ist. „Die eigene Wirtschaft ist eine Individualität und der großen Mehrheit der Landwirte eine höchstpersönliche mit all ihrem Denken und Fühlen verwobene Daseinsgrundlage. Sie ist verknüpft mit der Familie und ist zugleich immer Heim und Heimat.“
Wie im „Kollektivvertrag“ ist auch in der „Landarbeiterfrage“ Zeßners sozialer Sinn und sein Verständnis für die arbeitenden Menschen in der Landwirtschaft ausgedrückt. Diese beiden Arbeiten sind nicht rechtsdogmatisch, sondern vor allem rechtspolitisch und sozialpolitisch geprägt. Das entsprach seiner Auffassung vom Juristen und der Jurisprudenz, wie aus seiner Antrittsvorlesung als Professor hervorgeht.
5. Legitimität und Legalität#
Die „gute irdische Gewalt“ habe zwei Kennzeichen, die sie als von Gott stammend erweisen: die legitima institutio, das heißt die rechtmäßige Einsetzung und die iustitiae moderatio, das heißt die Richtschnur der Gerechtigkeit. Damit ist nach Zeßner das Grunderfordernis der Legitimität für eine sittlich vollendete öffentliche Gewalt klar gegeben. Er geht auf die verschiedenen Erwerbsarten der souveränen Gewalt ein und erklärt den Unterschied von Legalität und Legitimität einer bestehenden Staatsgewalt: Es ist der Unterschied zwischen dem bloß tatsächlichen einer geordneten zweckdienlichen höchsten Gewalt und der darüber hinausgehenden Rechtmäßigkeit und Rechtlichkeit ihres Bestandes.
Legal ist damit eine Staatsgewalt, die tatsächlich als solche besteht, sich als solche betätigt und sich als solche faktisch im öffentlichen Leben durchgesetzt hat. Die tatsächliche Ordnungsherstellung und die eigene Gebundenheit an diese Ordnung machen eine Gewalt zu legaler Staatsgewalt im Gegensatz zur Willkür- und Gewaltenschaft einerseits und Revolutions-, Abenteuer-, Straßen oder Tyrannenherrschaft andererseits, die den sittlichen Urzweck der Staatsgewalt: „öffentliche Ordnung und Gemeinwohl“ durch positives Recht nicht gewährleisten.
Christenpflicht bindet auch zum Gehorsam gegenüber der legalen, tatsächlich bestehenden Gewalt. „Nur die Gewalt selbst in ihrem sittlichen Ordnungszweck, ipsa potestas, wie St. Thomas sagt, ist immer von Gott. Nicht auch deren Träger. Die Staatsgewalt ist eine natürliche Notwendigkeit für die Gemeinschaftszwecke der Menschen, für ihre Verhältnisse der Über- und Unterordnung.“
Die öffentliche Gewaltanmaßung des Usurpators, des Umstürzlers, der gewaltsam oder durch List oberste Gewalt an sich Reißenden – die kein Recht darauf haben – abzuwehren, ist Recht, teilweise Pflicht eines jeden; jedenfalls, so ferne ohne unverhältnismäßigen Schaden Widerstand geleistet werden kann.
Hat sich aber die rechtswidrige Gewalt durchgesetzt, so durch Zustimmung, Duldung der Beherrschten, kraft Autorität eines hierzu befugten Höheren, ist sie also zum faktischen Ordnungsträger, zur Legalgewalt geworden, so ist die von ihr getragene, dem Gemeinwohl dienende Ordnung sichtlich jenes Prinzip, das naturgewollt ist, von Gott kommt. Träger der Sittlichkeit dieser Gewalt ist also „ipsa postestas, ac non potentes“, das heißt die Gewalt an sich, aber nicht der Machthaber.
So differenziert Zeßner:
„Die Legalität ist noch lange nicht der Legitimität gleichgestellt. Die Forderung nach Legitimität besteht auch der Legalgewalt gegenüber. „Die widerrechtliche Anmaßung öffentlicher Gewalt, sei es durch Überwältigung, sei es durch Überlistung, ist ein schwerer Rechtsbruch gegen das siebente und das vierte Gebot.“
„Es ist ein Unrecht am Gewaltträger, der an diese Trägerschaft als einen heiligen Besitz und Beruf, in dem er sich dem öffentlichen Wohle hingibt, einen persönliches Anrecht hat; es ist ein Unrecht gegen jeden einzelnen, der von dieser Autoritätsordnung unter Schutz gewann und Existenzen darauf baute; es ist ein Unrecht gegen das Gemeinwohl, weil es dessen Ordnungsgerippe in schwerster Weise erschüttert und verwirrt und durch den Machterfolg des Unrechtes und Umsturzes stets zur neuem Umsturz ermutigt und aufreizt.“
Für Zeßner ergibt sich daraus als Konsequenz folgendes: „Einerseits die Tatsache, dass das Recht der legitimen Staatsautorität durch tatsächliche Verdrängung allein nicht aufgehoben und beseitigt wird, sondern lediglich ruht; andererseits, dass das geschehene Unrecht wie jedes Unrecht nach Sühne und Wiedergutmachung ruft.“
In diesem Sinne handelte Zeßner sein ganzes Leben bis zum bitteren Ende. Für ihn war die rechtmäßige, aber verdrängte Staatsgewalt des Hauses Habsburg in ihrer Auswirkung gehemmt. Sie ruhte. Die treue Pflicht zur verdrängten legitimen Gewalt erfordere, dass die Loyalität gegenüber der Legalgewalt nicht ohne Rechtsverwahrung oder doch nicht ohne persönliches Bekenntnis zum Legitimitätsprinzip und nicht ohne internen Wiedergutmachungswillen geschieht, um sich nicht der Abschnürung eines besseren Rechtes mitschuldig zu machen. Diese Bekennerpflicht hat Zeßner immer erfüllt.
Jedes Unrecht verlangt Sühne, Wiedergutmachung, Restauration, Restitution. Zeßner glaubte an die ausgleichende Gerechtigkeit in der Geschichte, die die nötige Sühne sendet. In der demokratischen Republik, wo „das Recht vom Volk ausgeht“ (richtig: deren Recht vom Volk ausgeht), sei das Volk selbst formeller Souveränitätsträger. Die sittliche Restitutionspflicht kann daher nicht auf die Gewissen der Volksbeauftragten, der Repräsentanten allein, abgewälzt werden, die wie in monarchischen oder oligarchischen Staatsformen die Gewissen einiger weniger belastet. „Hier ist es Volkessache an die verletzte Autoritätenordnung durch Rückberufung wenigstens der personellen Autoritätsträger und analoge Formung der rechtmäßigen Autoritätskörper wieder anzuknüpfen.“ Faktisch falle diese Pflicht auf die faktischen Träger des öffentlichen Willens, die Parteien und ihre Führungen.
Abschließend wendet Zeßner diese Grundsätze auf die heutige Situation in Österreich – die Studie ist im Jahre 1928 erschienen – an: Könne die Staatsgewalt eine abgeleitete Legitimität für sich geltend machen? „Nein! Der Rechtsbruch liegt, speziell am 12. November 1918 klar zutage. Die Ausrufung der Republik und die damit gegebene neue Gewaltenproklamation an diesem Tage war ein bewusst und rein revolutionärer Akt. Er richtete sich klar und unzweideutig gegen die bisherige Staatsautorität und Rechtsordnung – an ihre Stelle aus eigener Machtvollkommenheit völlig und völlig neue Autoritätsträger setzend“:
Das kaiserliche Manifest vom 11. November 1918 sei keine „Legitimationsbrücke“. Es enthalte nämlich keinen Thronverzicht. Ein solcher sei sogar ausdrücklich aus dem Text entfernt worden, weil sonst Kaiser Karl nie unterschrieben hätte. Das sei auch später von den Parlamentariern anerkannt und sogar als Motiv der Landesverweisung erwähnt worden. Eine Feststellung Kaiser Karls, dass es kein Thronverzicht war, sei gegen seine Anordnung im Augenblick der Verlautbarung unterdrückt worden.
Auch in der vorliegenden Form sei es mir unter Zwang unterfertigt worden. Selbst ein wirklicher und gültiger Thronverzicht hätte mir den momentanen Träger der Staatsgewalt, nicht auch den ganzen Komplex der Nachfolgerrechte der Dynastie in dieselbe bei Seite gestellt. Ein Gesamtverzicht des Hauses Habsburg hätte nur in einem formell sanktionierten Staatsgrundgesetz bindend ausgesprochen werden können.
„Endergebnis dieser Studie ist, dass die bestehende Gewalten zwar legal und daher zu beachten sind, dass aber mangels der Legitimität ihrer Trägerschaft eine Restitutionspflicht in den legitimen Gewaltenträger erkannt und die Restitution als sittliches Postulat angestrebt werden muss. Angesichts des bald herannahenden Zehnjahrgedenktages der Revolution sei dies eine feierliche grundsätzliche Feststellung, da leider so viel darüber geschwiegen wird.“
6. Berufung an die Hochschule für Bodenkultur als Ordinarius für Verwaltungslehre und Verwaltungsrecht#
1930 wurde Zeßner als Ordinarius an die BOKU berufen.
In seinem Lebenslauf, den er anlässlich seiner Berufung vorlegte, schreibt er:
„Nach dem Umsturz im Jahre 1918 diente ich im Staatsamte für Land- und Forstwirtschaft als Vizesekretär weiter und zwar wieder in der Abteilung für Landarbeiterfragen, wo ich ziemlich selbstständig die grundlegenden Vorarbeiten für die landwirtschaftliche Sozialversicherung leistete und Einfluss auf die Gestaltung des neuen notwendigen Landarbeiterrechtes in den Landarbeiterordnungen nahm.
In dieser Zeit schrieb ich über eben dieses Thema mehrere Aufsätze, so in der „Wiener Landwirtschaftlichen Zeitung“, in den „Juristischen Blättern“, im „Volkswohl“ und in den Nachrichten der Delgefö. Für einen Volkshochschulkurs schrieb ich die kleine Broschüre: „Unsere landwirtschaftlichen Genossenschaften“.
Aus dieser all’ meinen Interessen entsprechenden Tätigkeit wurde ich durch die Ende 1919 unter Staatskanzler Dr. Renner erfolgte Berufung in den Verfassungsdienst der Staatskanzlei gerissen, der ich, ehrlich gesagt, nur ungern folgte, zumal sie mich gerade in dem Augenblick aus meinem Arbeitsgebiet riss, als ich dieses durch die Habilitierung an der Hochschule für Bodenkultur zu vertiefen im Begriffe stand.
In der Staatskanzlei, später Bundeskanzleramt, wurde ich dem unter Mitwirkung Professor Kelsens mit den Verfassungsentwürfen beschäftigten Ministerialrat Dr. Fröhlich (jetzt Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofes) zugeteilt. Ich wurde insbesondere mit den Beziehungen zur Landesgesetzgebung befasst und es ist dies bis zum heutigen Tage mein Spezialreferat geblieben: die verfassungsrechtliche Durchsicht und Behandlung der Landesgesetze, Einsprüche gegen solche etc. Ich kann also sagen, dass ich fast mit allen seit 1920 in Kraft getretenen Landesgesetzen noch vor ihrer Kundmachung intensiv befasst war.
Bundeskanzler Dr. Schobers erste Kanzlerschaft brachte mir die Beförderung zum Ministerialsekretär, 1926 wurde ich Sektionsrat. In den Sommermonaten habe ich wiederholt den Verfassungsdienst stellvertretend geleitet.
Mit 31. März 1931 hat mir der Bundespräsident den Titel eines Hofrates verliehen.
Im Jahre 1920 war meine Habilitierung an der Hochschule für Bodenkultur erfolgt; für allgemeines und österreichisches Verwaltungsrecht. Ich las seither abwechselnd über verschiedene Teilgebiete dieses Wissenszweiges.
Wissenschaftlich vertiefte ich mich in diesen Jahren, freilich sehr eingeengt durch die doppelte Dienstfrequenz am Amte, die einem Präsidialdienst lange Zeit ähnlich war, einem ausführlichen Kompendium des österreichischen Agrarrechts, dessen Hauptteil „Landeskulturrecht“ Herrn Hofrat Dr. Bauer zur Begutachtung für den Verlag Deuticke bereits 1926 vorlag. Verlegerische Schwierigkeiten, insbesondere meine vertragsmäßige Bindung für den kleinen Abriss des Agrarrechtes bei Hölder-Pichler-Tempsky, der wegen Einstellung seiner Sammlung „Juristische Taschenbücher“ sich jahrelang mit der Publikation hinzog, bis ich endlich den Vertrag löste, verhinderten leider diese größere Publikation; die überaus mühevolle Arbeit ist inzwischen durch die fortschreitende Gesetzgebung stark überholt und bin ich jetzt mit deren Umredigierung zur Herausgabe in kleinen Teilpublikationen beschäftigt, die mir der Agrarverlag in Aussicht gestellt hat. 1930 ist im Agrarverlag der von Hölder zurückgezogene Abriss des österreichischen Agrarrechtes für Studium und Praxis aus meiner Feder erschienen. Es ist ein kurzer Auszug dessen, was ich für das große agrarrechtliche Kompendium an Vorarbeiten bereit liegen habe.
An kleinen Arbeiten publizierte ich in dieser Zeit noch: „Legalität und Legitimität“, eine rechtsphilosophische Studie, in der ich die Forderung der Rechtskontinuität für die jeweilige Verfassung vertrete und zwischen Legalität ohne eine solche und Legitimität mit einer solchen unterscheide; diese Schrift ist nach Anlass, daher auch Ideologie und Methode als Antwort auf jene abweichende Beurteilung zu verstehen, welche der Theologe Tischleder der Rechtsphilosophie Thomas v. Aquin angedeihen lässt. „Das Völkerrecht des Hauses Österreich“, eine rechtshistorische Studie zur Untersuchung von Föderalismus und Minderheitenrecht in der Monarchie als Grundlage der Beurteilung moderner Formen und Ergebnisse des Minderheitenschutzes.
„Die Berufsvertretung der österreichischen Landwirtschaft“ (in Heft 2 der Agrarischen Rundschau), darin ich die Rechtsfiguren der landwirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper untersuche und ihre auch verfassungsrechtlich bedeutsamen Entwicklungstendenzen aufweise; und schließlich „Bodenreform im Sinne der Bundesverfassung“ (Separatabdruck einer im Österr. Verwaltungsblatt 1931 April– und Maiheft erschienenen Serie), darin ich den umstrittenen Begriff „Bodenreform“ systematisch abzugrenzen versuche und im Sinne der Aufwertung der Kompetenz der Agrarbehörden deute.“
Der Rechtsprofessor Bauer schied 1931 aus dem Personalstand aus. Das Professorenkollegium der Hochschule für Bodenkultur schlug am 11. Juni 1931 Zeßner primo loco, Privatdozent Dr. Karl Haager-Vanderhag, Sekt.Chef a.D., und Privatdozent a.o. Univ.Prof. Dr. Fritz Hawelka, Sekt.Chef a.D. secundo et aequo loco als Nachfolger vor.
Mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 20. Juni 1931 wurde Zeßner mit Rechtswirksamkeit vom 1. Oktober zum ordentlichen Professor für Verwaltungslehre und Verwaltungsrecht ernannt. Seine langjährige Dozententätigkeit an der BOKU hat ihm dabei genützt, noch mehr aber seine Verwaltungserfahrungen und seine langjährige Praxis im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes.
7. Antrittsvorlesung am 19. Oktober 1931#
„Der Rechtslehrer und das Wesen des Rechts.“Diese Antrittsvorlesung ist gleichsam ein Selbstporträt. Sie zeigt Zeßner, wie er wirklich war. Das wird schon zu Beginn deutlich: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“
Als Konservativer beginnt er mit diesem Dichter- und Denkerwort und stellt sich in die Tradition seiner Vorgänger, „mit Ehrfurcht und Ergriffenheit übernehmend, was andere gelebt und ausgebaut“. Doch sei er sich auch seiner Pflicht wie seines Rechtes bewusst, das Übernommene nun mit seiner eigenen Persönlichkeit, Wissenschaft und Weltanschauung und allen seinen Schaffenskräften zu durchdringen, zu verarbeiten und damit zu erhalten – „denn alles menschliche Schaffen ist höchst persönlich.“
„Was du ererbt von den Altvordern hast, erwirb es, um es zu besitzen; besitz’ es, um es zu vermehren, und schenk’ es, um es zu bewahren.
Und das, was dem das Vätererbe zu übernehmenden pflichtbewussten Sohne der sich zurückziehende Vater ist, das sei und bleibe mir an dieser Lehrkanzel unser Hofrat Bauer.“[1]
„Erwirb es, um es zu besitzen. Und er wird es tun mit dem Bewusstsein, dass er auch wieder schaffen wird nicht nur für die, die da sind, sondern auch für die, die da noch kommen, und dass er auch einmal sein Lebenswerk in die Hände eines Nachfolgers wird legen müssen.“
Durch seinen Leidensweg und seinen Tod kam es nicht dazu. Hierin liegt das Tragische dieser so hoffnungsvollen Antrittsvorlesung. Nicht einmal sieben Jahre hatte er noch zu leben. Er fand erst nach dem Zweiten Weltkrieg in der Person von Professor Dr. Wilfried Kirsch, den er 1936 zur Habilitation geführt hatte, einen Nachfolger (1945-1951).
In der für ihn charakteristischen Gesinnung gedenkt er bei seinem Lehrantritt in erster Linie jener, die vor ihm diese Lehrkanzel inne hatten. Es waren dies Gustav Marchet, Josef Pop, Dominik Mayer, Ernst von Seidler und Josef von Bauer. Marchet war von der Gründung der BOKU 1872 an ihr Rechtslehrer, 1891 wurde er Reichsratsabgeordneter, 1906 Minister für Kultur und Unterricht. Er war schon vor der Gründung der BOKU Rechtsprofessor an der Forstakademie Mariabrunn gewesen.[2]
Pop, der nachmalige Leiter des Ackerbauministeriums, folgte, dann Mayer, der Administrationsrat und besonderer Honorardozent war. Die Professur für öffentliches Recht übernahm dann Sektionsrat bzw. Hofrat Dr. Ernst von Seidler.
„In den schweren Kriegsjahren und knapp vor dem tragischen Ende der Monarchie war Ernst von Seidler Ministerpräsident und in den Tagen des Umsturzes als letzter Kabinettskanzleidirektor Kaiser Karls ein wahrhaft treuer Diener eines wahrhaften edlen Monarchen.“
Dann preist er Bauer, der über 20 Jahre als Vorstand und Ordinarius der Lehrkanzel für Verfassungs- und Verwaltungsrecht und vier Mal als Rektor an der BOKU wirkte.
„Bauer ging immer wieder vom Einfachen und Bekannten aus, erläuterte an praktischen Beispielen, würzte die lebendige Darstellung immer wieder mit feinem Humor und führte den realistisch gebildeten Hörer in das ihm gänzlich neue Gebiet und seine Methoden sozusagen „schmerzlos“ ein.“ Und deshalb erfreue sich Bauer einer großen Beliebtheit. Er, Zeßner, bekenne sich als Schüler Bauers, auch wenn er es niemandem verdenke, der sich resigniert an das Sprichwort erinnert: „Es kommt nichts Besseres nach.“ Aber er werde sich bemühen, im besonderen Hinblick auf Bauer sein Lebenswerk in dem Sinne aufzunehmen.
Er dankte auch allen, die an seiner Berufung mitgewirkt hatten und last but not least seinen verehrten Vorgesetzten und lieben Kollegen im Bundeskanzleramt, denen er nach zwölfjähriger Arbeit im Verfassungsdienst einen treuen Abschiedsgruß sage.
Nach diesen Einleitungen ging Zeßner zum Fachlichen über. Er war sich wohl bewusst, dass es nicht Aufgabe des Rechtslehrers an der BOKU ist, Rechtsphilosophie zu betreiben oder in erster Linie rechts- und staatspolitische Probleme zu erörtern. „Hier ist praktisch einzuführen in das geltende positive Recht, in jene Partien besonders, die der akademisch gebildete Landwirt, Forstwirt oder der Kulturtechniker im Berufsleben braucht.“
Aber er sei sich auch der Pflicht bewusst, gerade an dieser Stelle bei Antritt seiner Tätigkeit nach bestem Wissen und Gewissen seine fachwissenschaftliche Überzeugung vom Wesen und den Grundlagen des Rechtes, also von seiner rechtsphilosophischen Orientierung zu sprechen.
„Was ist das Wesen des Rechts? Was ist Recht?“ fragt er und antwortet mit traditionellen Unterscheidungen. Er nennt das Recht im subjektiven und das Recht im objektiven Sinn und die Rechtsordnungen in ihrer Gesamtheit. Man spreche aber auch von Recht im höheren Sinne. Das sei gemeint, wenn es heiße: “Recht und Unrecht“, „unterdrücktes Recht“ eines Volkes (Südtirol!), einer Menschenklasse („Sklaven!“), „unveräußerliche Menschenrechte“, „dem Rechtsbewusstsein widersprechende“ Gesetze oder Verfügungen.
„Es kann unmöglich mit Recht in diesem Sinn nur das in einer staatlichen, in Rechtssätzen geformten, gewillkürten Rechtsordnung Niedergelegte gemeint sein.“ Gemeint sei das Recht im philosophischen Sinn, Recht im Sinne einer Ordnung, die der Sittlichkeit, Moral, Menschenwürde und Vernunft, den natürlichen Lebensgrundlagen des Individuums und der Gesellschaft entspreche, also Recht im Sinne einer nicht von Menschen geschaffenen, nicht von ihnen gewillkürten Ordnung, sondern im Sinne einer Ordnung „durch eine über den Menschen stehende Macht, einer Ordnung, der man sich beugen muss, die man nicht ungestraft verletzen darf, wenn auch die „Strafe“ oder „Vergeltung“ oft sehr spät folgt.“ Dieses Recht im höheren Sinn war Zeßners eigentliches Recht.
Mit voller Überzeugung bekennt sich Zeßner zu dieser Rechtsgrundlage. “Dem Gottgläubigen ist dies die ewige göttliche Weltordnung, die das ihr Entsprechende als Recht in diesem Sinne empfinden und erkennen lässt, die uns so als Richtschnur für die Formung des positiven Rechtes dient.“
Die Auffassung des Rechtspositivismus scheitere ja schon am Völkerrecht: „Die Frage, warum der Satz, dass Verträge zu halten sind, gelte, ist nur zu beantworten, wenn es eine natürliche, den Menschen eingeborene Grundordnung gibt und den Menschen und Völkern demgemäß angeborene Rechtsansprüche.“
Er unterscheidet also:
1. „Recht im philosophischen oder moralischen, ethischen Sinne, von vielen auch Naturrecht genannt, also das, was im Verhalten der Menschen zueinander und zu Dingen usw. einer – wie immer angenommenen – über ihnen stehenden, gegebenen naturgewaltigen Ordnung entspricht und in den Grundzügen mit der Vernunft erkennbar ist.“ Was Recht in diesem Sinne sei, darüber werde gestritten und immer gestritten werden. Dieser Streit sei aber kein Beweis, dass es eine solche natürliche Rechtsordnung nicht gibt.
2.Das positive Recht, also das „im Staatsleben gesetzte, geformte, bindend erklärte Recht“. Dieses bilde den Hauptgegenstand der Rechtswissenschaft. Allerdings in doppelter Richtung: In erster Linie arbeite sie „de lege lata“, also nach bestehender Satzung in Behandlung dessen, was die gegebene Rechtsordnung vorschreibt. Es geht um Beschreibung des Vorgeschriebenen.
Doch in zweiter Linie arbeite Rechtswissenschaft auch „de lege ferenda“ am positiven Recht: Zur Rechtsentwicklung, Neusatzung, also in der Richtung, wie die bestehende positive Rechtsordnung zu verbessern, auszubauen, zu vertiefen sei.
Zu dieser zweiten Tätigkeit sei erforderlich: Ein Schöpfen aus dem „Recht im philosophischen Sinn“, ein sich Richten nach Recht im philosophischen Sinn, „ein Ordnen im Rahmen der Grundzüge des Rechtes im philosophischen Sinne“. Das gelte für den Gesetzgeber und seine juristischen Berater, und wo, im Sinne altbewährter Rechtsordnungen zum Teil auch den Richtern und den Verwaltungsbeamten in den Einzelheiten eine rechtsschöpferische Funktion offen gelassen ist, auch für diese.
Es wäre traurig, wenn das „Rechtschöpfen“ nicht auch von den Rechtswissenschaften beherrscht würde und nur der Politik überlassen bliebe.
Zeßner kritisierte die moderne Rechtstechnik. Sie führe zu unsinniger Kleinarbeit, da sie alles vorhersehen und vorherbestimmen und nichts dem natürlichen Rechtsbewusstsein des Vollzugsorgans überlassen will. „In diesem Allesvorhersehenwollen liegt eine ungeheuerliche Selbstüberschätzung der generellen Rechtsordnungskraft des menschlichen Gesetzgebers und die Missachtung des Wertes der Persönlichkeit in der Vollziehung, ein ungerechtes Misstrauen in die Gerechtigkeit, Objektivität und Gestaltungskraft des Vollzugsorgans.“
Was ist die notwendige Folge davon? „Eine Summe oberflächlicher, stets mehr verflachender, unübersichtlicher, einander stets durchkreuzender und immer wieder rasch novellierter Gesetze und die Entpersönlichung der Vollziehung und damit die Herabminderung der Gestaltungs- und Verantwortungskraft des Vollzugsorgans und der Möglichkeit der Anpassung an die Fülle der Wirklichkeiten.“
Daher postuliert er eine Gesetzesreform und nicht bloß eine Verwaltungsreform.
Denn: Gesetze sollen kurz, bündig, grundsätzlich und dauernd sein, das Wesen der Sache regeln, nicht mehr. Zum Ausbau der Einzelheiten nach Gerechtigkeit und Billigkeit diene die beweglichere Verordnungsgewalt. Und Persönlichkeiten, nicht zu Maschinen Entwürdigte, sollen die grundlegenden Normen des Gesetzesrechtes in der durch die Verordnungen gezeichneten Weise auf die Fülle der Fälle des Lebens sinnvoll gestaltend und nicht nur rein formal folgernd anwenden können.
Damit nimmt Zeßner Rene Marcic’ „Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat“ vorweg und folgt Gedanken der Freirechtslehre. Die Reine Rechtslehre hat freilich auch die Funktionen der Staatsorgane als Rechtsanwender und Rechtserzeuger auf fast allen Stufen der Rechtserzeugung erkannt. Rechtsstaatlich gesehen, kommt es auf das Mehr oder Weniger an. Aber Zeßner will mehr Rechtserzeugungsmöglichkeiten für die gesetzanwendende Vollziehung.
Indem die Rechtspositivisten jede Beziehung zwischen dem positiven Recht und dem Naturrecht leugnen und erklären, dass diese sie nichts angehe, überantworteten sie alle Fragen, die über den Rechtsbereich hinausgehen, der Politik. Er wirft der Reinen Rechtslehre Kelsens die Zuspitzung in einen Formalismus vor, der die Rechtswissenschaft auf die rein handwerksmäßige Beherrschung der Gesetze herabdrücken muss.
Die Juristen und die Rechtswissenschaft nur auf die Erklärung, Deutung und Anwendung der positiven Rechtsnormen zu beschränken, enteigne sie einer wichtigen Tätigkeit. Juristen sollen mitwirken am Rechtsbildungsprozess. Sie sollen ihre Expertise und ihre Erfahrung in allen Phasen der Rechtserzeugung einbringen. Sie sollen mitwirken am Werden des Rechts, es entwerfen, Gesetzesvorschläge und Gesetze begutachten und kritisieren, sie sollen Verwaltung und Rechtsprechung begutachten und kritisieren.
Obläge die Tätigkeit de lege ferenda ausschließlich der Politik, müsse auch diese wieder Objekt einer eigenen Wissenschaft werden.
Damit stellt Zeßner, ohne den Begriff zu verwenden, die Forderung nach einer eigenen Rechtspolitologie. Diese Lehre von den Forderungen an das positive Recht hätte auszugehen insbesondere von der Natur der Sache, die zu regeln ist, von Physis und Psyche des Menschen, von Würde und Wert des Individuums, von den angestrebten Zielen, die notwendig letzten Endes an Ethik und Moral zu messen und zu werten, sind, von Vernunft und Klugheit, vom sozialen und wirklichen, vom komplexen Sein u.a.m.
„Auch die positive Rechtsordnung steht vor einem Richterstuhl, einem Gerichtshof, vor dem sie sich zu verantworten hat, wenngleich dieser im menschlich positiven Recht nicht ausgedrückt ist: Dem Richterstuhl Gottes oder des Gewissens oder, wenn Sie wollen, jener der menschlichen Gerechtigkeit oder der Geschichte.“
Gerade wer die bestehende positive Rechtsordnung anerkennt, müsse verlangen, dass sie sich ständig an den über ihr stehenden Ordnungsprinzipien orientiert und immer wieder korrigiert.
„Wer an die Gebote Gottes glaubt und an eine feststehende Moral, der hat hier festen Boden unter den Füßen. Er sieht hierin – ich möchte im Sinne unserer Bundesverfassung sagen – die Grundsatzgesetzgebung für die Ausführungsgesetzgebung des positiven Rechtes...“
Dabei gäben diese lapidaren Grundsätze viel mehr Spielraum als unsere Bundesgrundsatzgesetze den Ausführungsgesetzen der Länder. Das sei eben das Naturrecht im guten alten Sinne, nicht im Sinne der subjektivistischen Verbildungen seit Hobbes und Rousseau, die es gründlich diskreditiert haben.
„Wer nicht an Gott und dauernde Moral glaubt, suche diese feststehenden Grundsätze in Vernunft, Natur, Sozialkräften und ähnlichem.“
Die moderne Rechtswissenschaft könne sich mit einem „Naturrecht“ dieses Sinnes wieder völlig versöhnen und abfinden, wenn sie es als Recht im philosophischen Sinne, als Richtschnur und als Ordnungsnorm für den Gesetzgeber erkennt. Es stehe noch über dem Gesetzgeber, ihm Wege weisend und Schranken ziehend, die nicht ungestraft missachtet werden können, wenngleich die rächende Strafe meist erst später – aber sicher – folgt. „Denn niemand sündigt ungestraft wider die Natur.
Damit führt Zeßner wieder zusammen, was zusammen gehört: „Rechtswissenschaft im positivrechtlichen Sinne de lege lata und Rechtswissenschaft im rechtsphilosophischen und rechtspolitischen Sinne als Wegweiser de lege ferenda oder im Rückblick als Rechtsgeschichte.“ Die Blickrichtung müsse freilich immer klar auseinandergehalten werden. Die Rechtswissenschaften haben daher die doppelte Aufgabe:
a) „zu lehren, was nach positiven menschlichen Normen Rechtens ist und zu zeigen, wie die Rechtsanwendung an diese Normen gebunden ist,
b) sie haben aber auch der steten Rechtsverbesserung zu dienen, das heißt, das ideale Recht zu suchen, nach bestem Wissen und bester Überzeugung“.
Es ist bemerkenswert, dass Zeßner auf die Frage, ob es bei der modernen Aufspaltung der Weltanschauungen, daher auch der Meinungen, was gerecht und Rechtens im philosophischen Sinne sei, zum Ergebnis kommt, dass ein Satz von allen Lehrmeinungen als naturrechtlicher Kernsatz anerkannt werden könnte und müsste:
„Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“ oder positiv: „Tue, was du willst, dass man dir tue“. Er erkennt in der goldenen Regel den gemeinsamen naturrechtlichen Kernsatz.
Von da aus könnten die Forderungen der verschiedensten Weltanschauungen de lege ferenda an die positive Rechtsordnung auf einen einheitlichen Nenner gebracht werden. So nimmt Zeßner die Lehre Hans Küngs über das Weltethos vorweg, freilich im Kleinen, aber ausdrücklich und grundsätzlich. Er ist der Meinung, dass dieser Gedanke sich in den Grundsätzen des nationalen und konfessionellen Minderheitenrechtes – „heute so wichtig gerade für das deutsche Kulturvolk – bereits sich durchzuringen beginnt; die Forderung nach Achtung fremder Individualität und Überzeugung - die übrigens zugleich eine Rechtfertigung Altösterreichs ist".[3]
Zusammenfassend ist die Antrittsvorlesung Zeßners als ein Bekenntnis zu charakterisieren. Sie ist eine große Konfession. Sie weist ihn als Professor im schönsten Sinne des Wortes aus, als Bekenner seiner Überzeugungen und des von ihm für richtig Erkannten. Als tief gläubiger Mensch bekennt er sich zur ewigen göttlichen Weltordnung. Er sieht in ihr die Rechtsgrundlage allen Rechts. Diese höhere Grundordnung auf die gegebenen Lebensverhältnisse sinnvoll zu projizieren, ist die „stete, eine große Mannigfaltigkeit zulassende, aber wegen der den Menschen gezogenen Grenze nie ganz lösbare Aufgabe der dazu Berufenen.“
Zeßner spricht mehrmals von eingeborenem und angeborenem Recht, wenn er auf die höhere Grundordnung Bezug nimmt. Es fällt aber auf, dass er in diesem Zusammenhang nicht das ABGB zitiert, das seit 1811 die wichtigste und schönste Bestimmung der österreichischen Rechtsordnung enthält. Im § 16 des ABGB heißt es: „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte .........“ Das ist Naturrecht pur. Es ist von Rechtsdenkern als das „österreichische Urrecht“ und als „Zentralnorm unserer Rechtsordnung“ bezeichnet worden. Allerdings nicht zur Zeit Zeßners. Trotzdem fällt es auf, dass er auf § 16 und dem ihm folgenden § 17 nicht Bezug nimmt. „Was den angeborenen natürlichen Rechten angemessen ist, dieses wird so lange als bestehend angenommen, als die gesetzmäßige Beschränkung dieser Rechte nicht bewiesen wird.“
Die Gebote Gottes und der Moral sind ihm gewissermaßen Grundsatzgesetz. §§ 16 und 17 ABGB gehören dazu. Die staatliche Gesetzgebung ist Ausführungsgesetzgebung. Sie hat sich an die übergeordneten Normen zu halten.
Zeßner hatte eine originelle Einstellung zur Gesetzgebung. Im Gegensatz zur rechtsstaatlichen Übertreibung, alles vorhersehen zu wollen und vorherbestimmen zu sollen, wollte er für die Vollziehung mehr Gestaltungs-, also Rechtsetzungsmöglichkeiten. Im Allesvorhersehenwollen liege eine Hybris des Gesetzgebers einerseits und eine Missachtung des Wertes der Persönlichkeit in der Vollziehung andererseits. Sie werde enteignet und entpersönlicht. Gesetze sollen kurz und gut sein. Zum Ausbau der Details nach Gerechtigkeit und Billigkeit soll die beweglichere Verordnungsgewalt dienen. Gerichtsbarkeit und Verwaltung sollen die grundlegenden Normen der Gesetze in der durch Verordnungen gezeichneten Weise auf die Fülle der Fälle des Lebens sinnvoll gestaltend und nicht nur formal folgernd anwenden können. Deshalb wäre eine Reform der Gesetze und der Verwaltung notwendig.
Das Problem ist bis heute nicht gelöst. Die Entwicklung ging geradezu in das Gegenteil, nämlich „von der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zur Verwaltungsmäßigkeit der Gesetze, ja der Verfassung.“[4]
Keine Reform hat dies geändert und auch die Rechtswissenschaft hat trotz kritischer Stimmen diese Entwicklung nicht verhindert. Der Beitritt zur EU hat die Entwicklung zur Verwaltungsmäßigkeit der Gesetze eher noch verstärkt und beschleunigt.
Allerdings muss man gegen mehr „Freiheit“ von Gericht und Verwaltung, also der Vollziehung, skeptisch sein. Nicht die strenge Bindung an das positive Gesetz hat die Durchsetzung des autoritär-totalitären Rechts im allgemeinen und des NS-Unrechtes im besonderen erlaubt, sondern die Erlaubnis an die Vollziehung, die Grenzen des positiven Gesetzes zu überschreiten. Die Kombination von Ermessensbestimmungen und unbestimmten Gesetzesbegriffen führt zum „unbegrenzten ‚Ermessen“. Die „unbegrenzte Auslegung“ und das „unbegrenzte Ermessen“ waren und sind ein Instrument von Diktaturen.
Maßstab und Richtschnur für das bürokratische und richterliche Handeln dürfen nicht das Herz und Hirn der Vollziehung sein – das wäre sozusagen der dezentralisierte platonische Richterkönig – sondern die vom demokratisch legitimierten Parlament geschaffenen allgemeinen und inhaltlich bestimmten Normen. Alles andere führt „bestenfalls“ zu der von mir so genannten “positiven Willkür“, zur Gesetzwidrigkeit zugunsten von Einzelpersonen. Nur scheinbar und oberflächlich ist die „Menschlichkeit“ im Einzelfall gerechter als die gleichmäßige und nachhaltige Gesetzmäßigkeit der Vollziehung. Es mag Ausnahmen geben. „Fiat iustitia, pereat mundus“ ist eine Erfahrung. Eine gewisse Inkonsequenz soll aller Praxis innewohnen.
Zeßners doppelte Aufgabenzuweisung an die Rechtswissenschaft und die Juristen an den Universitäten, das geltende Recht zu lehren und darüber hinaus stets der Rechtsverbesserung zu dienen, mag teilweise da und dort erfüllt werden. Aber die sich ständig vermehrenden Rechtsmassen lassen bei relativ geringem Lehrpersonal kaum die Erfüllung der ersten Aufgabe zu. Der Dynamik der vielfältigen Rechtsproduktion ist die herkömmliche Jurisprudenz längst nicht mehr gewachsen.
8. Agrarrecht#
Zeßners Klassiker „Das österreichische Agrarrecht“ erschien 1930. Es blieb lange das erste und einzige Buch über Agrarrecht, das in der Republik Österreich erschienen ist. Das war ein schwieriges Unternehmen.
Agrarrecht war und ist in Österreich nicht kodifiziert. Es war und ist aufgesplittert in eine schier unüberschaubare Fülle von Rechtsquellen. Es gab und gibt keine gesetzliche Festlegung des Begriffes Agrarrecht.
Es ist als Objekt der Gesetzgebung vielfach negativ von anderen Gebieten her, also von außen her, abgegrenzt, statt positiv von innen her nach den agrarischen Bedürfnissen umschrieben zu sein.
Außerdem war und ist Agrarrecht eine stets in Fluss befindliche Materie, wobei mehrere unterschiedliche Rechtsquellen diesen Fluss speisen. Die Dynamik wird noch dadurch verstärkt, dass Agrarrecht vor allem öffentliches Recht ist, das rascher und öfter verändert wird als Privatrecht.
Zeßner fasste das Agrarrecht als Sonderrecht auf. Entscheidend für die Zuordnung zum Agrarrecht war für ihn das Charakteristische der Landwirtschaft und Forstwirtschaft. Seine „Sonderrechtstheorie“ wurde in Österreich bis Ende der Siebziger Jahre des 20. Jhdts. vertreten. Sie wird in modifizierter Form noch heute in Deutschland vertreten.
Zeßner versteht unter Agrarrecht oder Landwirtschaftsrecht i.w.S. alle jene Sondernormen, die sich aus den eigenartigen Lebens- und Wirtschaftsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft und deren Nebenzweigen ergeben, sowie für die besonderen Beziehungen der in diesem Lebenskreis gestellten Personen sich entwickelt haben.
Es geht also um ein Sonderrecht, das auf den der Land- und Forstwirtschaft eigentümlichen Lebens- und Wirtschaftsbedingungen gegründet ist. Zu diesen Realbedingungen gehören insbesondere die Natur- und Raumgebundenheit, die Landschaftsbindung und die Bindung an die Familie im bäuerlichen Betrieb. Wie in seinem „Kollektivvertrag“ und in seiner „Landarbeiterfrage“ geht es Zeßner auch beim Agrarrecht überhaupt um die mit den Bauern verbundene Lebensgrundlage. Die eigene Wirtschaft ist die eigentümliche Wirtschaft, ist Heim, Vaterhaus, Familienleben, Heimat.
Das Buch wurde ein erfolgreicher systematischer Grundriss für Studium und Praxis. Es wurde ein Vorbild für spätere Arbeiten. Inhaltlich gliedert es sich in die Abschnitte „Agrargesetzgebung und Grundzüge der Agrarverwaltung“, „Landeskulturrecht“, „Landwirtschaftliches Bodenbesitzrecht“ und „Arbeiterschutz, Angestellten- und Arbeiterpolitik der Land- und Forstwirtschaft.“
Die arbeits- und sozialpolitische Komponente war für Zeßner-Spitzenberg von besonderer Bedeutung, war er doch mit der sozialen Frage im ländlichen Raum schon in jungen Jahren vertraut.
Die alten Gemengelagen von öffentlichem und Privatrecht, Landes-, Bundes- und seit neuerer Zeit EU- und internationalen Recht haben die Probleme, vor denen im vorigen Jahrhundert Zeßner-Spitzenberg stand, noch vermehrt.
Technisierung, Ökologisierung, Europäisierung und Internationalisierung haben das Agrarrecht in den letzten Jahrzehnten zu einer der flüssigsten und modernsten Rechtsmaterien gemacht. Zeßner konnte sich das 1930 nicht vorstellen. Aber er hat Eigenheiten des Agrarrechts als Sonderrecht herausgearbeitet, die noch heute diesen Rechtsbereich prägen.
Er wollte ursprünglich ein Kompendium des österreichischen Agrarrechts herausbringen, zeigte sich aber in der Beschränkung auf einen Grundriss als Meister.
2005 hat der Zeßner-Preisträger Univ.Prof. DDr. Roland Norer (Universität Luzern) ein solches Kompendium als „Lebendiges Agrarrecht“ auf 630 Seiten im Springer-Verlag publiziert und damit das alte Anliegen Zeßners eingelöst. Im selben Jahr präsentierte Norer als Herausgeber das „Handbuch des Agrarrechts“, das einen wissenschaftlich fundierten Überblick über die verschiedenen Teilgebiete des Agrarrechts bietet. Univ.Prof. Dr. Gottfried Holzer präsentierte 2008 einen Leitfaden „Agrarrecht“. Das alte „Grüne Recht“ erfährt eine wissenschaftliche Blüte. 2010 wurde zum ersten Mal in Österreich das „Jahrbuch des österreichischen Agrarrechts“ präsentiert, das diese Blüte zum Ausdruck bringt.
1936 erschien Zeßners Arbeit über den „Ausbau des Berufstandes Land- und Forstwirtschaft“. Damals war noch fast die Hälfte der österreichischen Bevölkerung in diesem Berufsstand tätig. Mit 1. Jänner 1936 hatte der werdende „Österreichische Ständestaat“ die Einrichtung des ersten voll Arbeitgeber und Arbeitnehmer umfassenden Berufsstandes, nämlich jenes der Land- und Forstwirtschaft, erlebt. Rechtstechnisch war das durch ein Bundesgrundsatzgesetz geschehen, das für die Ausführungsgesetzgebung in den Ländern aber genug Raum gelassen hatte.
Zeßner stellte selbst fest, dass der Spielraum für die Entwicklung eines echten berufsständischen Eigenlebens genügend weit abgesteckt sei. Er hoffte, dass er, richtig erfasst und erfüllt, dem ersten geschlossen dastehenden Berufsstande Österreichs den echten ständischen Lebenssinn vermitteln werde. Es sei ein erster guter Anfang. Nun gelte es die Form mit dem berufsständischen Geist zu erfüllen, „zu dem unsere Generation erst wieder neu erzogen werden muss.“
9. Lehrveranstaltungen und andere Veranstaltungen#
Zeßners Personalakt an der BOKU ist dünn. Offenbar wurden Teile davon entnommen und nie zurückgegeben. Immerhin ist seine Vorlesungstätigkeit auf der Innenseite des Aktendeckels zu ersehen. Im Wintersemester las er wöchentlich vier Stunden “Österreichisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht“ und drei Stunden „Österreichisches bürgerliches Recht“, im Sommersemester vier Stunden Verwaltungsrecht (Agrarrecht). Er hielt ein einstündiges Seminar zum Verfassungs- und Verwaltungsrecht ab, sowie eine zweistündige Vorlesung über „Politische und Rechtsverhältnisse des Meliorationswesens“.
Zeßner konnte seine Tätigkeit als Professor sieben Jahre wahrnehmen. 1931 war er auch zum Honorardozenten für bürgerliches Recht ernannt worden. Ab 1935 hielt er an der Hochschule für Bodenkultur und an der Hochschule für Welthandel, 1937 auch an der „Technik“ Vorlesungen über weltanschauliche und vaterländische Erziehung. Die politische Führung dachte, solche Vorlesungen würden die Studierenden für den Staat einnehmen.
Die erhaltenen Skripten lassen erkennen, dass Zeßner diesbezüglich eine Art Allgemeine Staatslehre ergänzt durch Verfassungsgeschichte und –gegenwart und die „weltanschaulichen Grundlagen unseres Staates und unserer Kultur“ vortrug.
Die Einleitung ging von der Präambel der Verfassung 1934 aus.
„Im Namen Gottes des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung.“
Diese Worte werden von Zeßner als Bekenntnis und als Programm interpretiert und präsentiert. Bekenntnis zu Gott, zu der ewigen Ordnung in der Natur und Übernatur, in Sitte und Recht, Bekenntnis aber auch zum österreichischen Staat, zum österreichischen Vaterland, seiner ständischen Staatsordnung und seiner Geschichte. In diesem Bekenntnis liege ein Programm: Der Wille, die Verfassungsgesetze in den Dienst der Verwirklichung dieser Leitsätze zu stellen.
Die Schlussgedanken in Zeßners Skriptum zeigen sein Österreichbewusstsein: Das österreichische Volk, das vielfältiger Herkunft ist, braucht für seine Kulturaufgabe und für seinen sittlichen Sinn einen selbstständigen österreichischen Staat. Dies umso mehr als ringsum einem Europa zerreißenden Nationalismus, ja Nationalegoismus, gehuldigt wird. „Das österreichische Volk ist es, das für seinen Staat vor allem seine österreichische Jugend und in dieser vor allem wieder seine akademische Jugend zu Vaterlandsbewusstsein, Vaterlandsliebe und vaterländischer Hingabe aufruft.“
Zeßner hat eine Generation von Studierenden gelehrt. Schon als Dozent hatte er weitere Aufgaben übernommen, so die Funktion eines Disziplinaranwalts. 1933 wurde er Mitglied der Disziplinarkommission für die Studierenden an der Hochschule, die insbesondere gegen nationalsozialistisch agierende Studierende vorzugehen hatte.
Der Verfasser konnte mit einigen ehemaligen Hörern Gespräche über Zeßner führen. Freilich waren diese alle CVer und daher Zeßner von vornherein wohlgesinnt. Sie rühmten seine Güte, seine Begeisterung für Österreich, seine Milde bei Prüfungen, das hohe Niveau seiner Lehrveranstaltungen, hoben aber auch seine Betroffenheit hervor, wenn manche sich über den „Baron“ und seinen Legitimismus lustig machten. Vor allem aber regten ihn die nationalsozialistischen Aktivitäten der Studenten auf, die er als Disziplinarorgan verfolgen musste und die für andere Professoren meist nichts anderes als Studentenstreiche waren. Den CVern standen aber immer mehr Nationalsozialisten gegenüber.
Wie in der Studentenschaft bildeten sich auch im Professorenkollegium Fronten.[5]
Die CVer waren auch hier mit Ackerl, Westphalen, Zederbauer und Zeßner in der Minderheit. Die Mehrzahl war großdeutsch und deutschnational, zum Teil nationalsozialistisch eingestellt.
1934 wurden die Professoren von der Regierung hinsichtlich ihrer Gesinnung überprüft. Nur 11 von 23 wurden sofort im Lehramt bestätigt, 6 weitere am vorletzten Tag der Untersuchungen. Sechs Professoren wurden des Dienstes enthoben. Sie wurden Professoren des Ruhestandes, aber nicht weiter verfolgt. 1938 wurden sie wieder eingestellt. Die „systemtreuen“ Professoren wurden entfernt und verfolgt.
Vor und nach einer von der Deutschen Studentenschaft organisierten nationalsozialistisch bestimmten „Anschlusskundgebung“ am 7. März 1933 im Festsaal protestierten nur die Professoren Zeßner und Zederbauer dagegen. Ihre Argumente für ihr Votum waren:
1. Eine Anschlusskundgebung richte sich gegen die Souveränität und Eigenstaatlichkeit Österreichs.
2. Handle es sich um eine politische Kundgebung auf Hochschulboden.
3. Sei es sogar eine parteipolitische Veranstaltung der NSDAP
4. Würde sich damit die Hochschule als Ganzes für den Anschluss aussprechen.
5. Würde die Anwesenheit des Rektors seine Unparteilichkeit in Frage stellen.
6. Außerdem sei dieses Votum ein Akt der Selbstachtung.
Die Veranstaltung war geradezu symbolisch für die Zeit:
Bei ihr waren Studenten schon in Naziuniformen erschienen, es wurden nationalsozialistische Reden geschwungen und auf akademischen Boden verbotene Symbole getragen. Mehr als andere Professoren erkannte Zeßner die Gefahr solcher Veranstaltungen. Sie waren Werbung für den Nationalsozialismus. Während der Rektor den Sachverhalt verharmloste, bezeichnete Zeßner in einem eigenen Bericht an das Unterrichtsministerium das Verhalten der Studenten als „aggressiv, geschmacklos, unpatriotisch und unsachlich.“[6]
Für Zeßner war die passive Haltung der zuhörenden Professoren unverständlich. Schwerwiegend wog für ihn der Umstand, dass diese „vaterlandsfeindlichen Ausführungen .... in einem vom Staat aus seinen Mitteln erhaltenen Amtsgebäude im Beisein von akademischen Lehrern vorgebracht [wurden], ohne dass auch nur ein Vorsitzender oder Lehrer als österreichischer Beamter im Sinne der dienstlichen Verantwortlichkeit oder des Diensteides Miene gemacht hätte, gegen dieses unerhörte Vorgehen Protest einzulegen.“[7]
Die „Anschlusskundgebung“ vom 7. März 1933 zeitigte Folgen. Werbeplakate für die SS wurden angebracht. Drei Tage später fand ein Vortrag „Der Einfluss der Juden auf die Kultur“ statt. Am 5. Mai 1933 brachten „unbekannte Täter“ eine Hakenkreuzfahne am Turm der Hochschule an. Es dauerte ziemlich lange, bis die Fahne entfernt werden konnte. Rektor Porsch schlug als Sprachregelung „Studentenulk“ vor. Im Gegensatz zu Zeßner wurden diese „events“ von der Mehrheit der Professorenschaft nicht ernst genommen. Andererseits berichteten Informanten über ständige Agitation und nationalsozialistischen Terror, dem der regierungstreue Teil der Beamtenschaft ausgesetzt war.[8]
Am 29. Mai wurden die Wiener Hochschulen wegen gewalttätiger Ausschreitungen an der Universität Wien geschlossen. Nach der Öffnung am 13. Juni 1933 wurden umfassende Sicherheitsmaßnahmen gesetzt. Am 19. Juni 1933 wurde die NSDAP verboten. Am 20. Juni kam es wieder zu Ausschreitungen in der Aula der BOKU im Rahmen einer Veranstaltung der Deutschen Studentenschaft. Um die politischen Gegner zu demütigen, wurde von ihr beschlossen, dass „CVer, Heimatschützer und andere österreichische Menschen“ das Gebäude nur mehr durch die Nebenausgänge verlassen durften. Rektor Porsch versuchte einerseits kalmierend auf die versammelte Menge einzuwirken, forderte andererseits aber die „Minderheit“ (vor allem die katholischen Studenten) auf, den Anweisungen der „Mehrheit“ (Nazi-Studenten) Folge zu leisten und das Haus über den Seitenausgang zu verlassen. Ein katholischer Student, der den Hauptausgang nahm, wurde verprügelt. Zum Abschluss der Versammlung, bei der wiederholt „Heil Hitler“ und „Dollfuß verrecke“ gerufen wurde, sangen die Anwesenden das Horst-Wessel-Lied und das Deutschlandlied, wobei angeblich auch Rektor Porsch die Hand zum Hitlergruß erhoben haben soll.[9] Die „Reichspost“ und der Bauernbund nahmen gegen Rektor Porsch vehement Stellung. Die NÖ. Landwirtschaftskammer beschloss am 7. Juli 1933 eine Resolution unter dem Titel „Die Bauernschaft gegen den Rektor der Hochschule für Bodenkultur“. Dazu kam scharfe Kritik der katholischen Verbände und des österreichischen Heimatschutzes.
Das Ministerium informierte die Hochschule, dass Ministerialrat Waldstein die Vorfälle untersuchen werde. Die Waldstein-Untersuchung zeigte die passive Haltung von Mitgliedern der Professorenschaft auf. Sie hätten „bei einigen Demonstrationen der Studenten eine Haltung eingenommen, ...die als Sympathisieren mit politischen Kundgebungen der Studierenden gedeutet werden musste.“ Der Bericht bedauerte das laxe Vorgehen der akademischen Behörden. Er schloss damit, „als würden derartige Vorfälle seitens der akademischen Behörde mit übergroßer Nachsicht hingenommen, wie denn überhaupt der Eindruck nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Studierenden an der Hochschule für Bodenkultur sich in manchen Belangen an der Hochschule ein Verhalten herausgenommen haben, als ob den Studierenden an der Hochschule eine maßgebende Einflussnahme zustünde, die weder in den bestehenden Vorschriften vorgesehen ist, noch auch vom Gesichtspunkte eines übergeordneten Studienbetriebes und der gebotenen Disziplin geduldet werden könne.“ Bei Verdacht einer strafbaren Handlung müsse die Hochschule unverzüglich die Polizeidirektion und die Staatsanwaltschaft Wien einschalten.[10]
In gewisser Hinsicht hatten nationalsozialistische Studenten an der BOKU schon die Macht ergriffen.
Erst im WS 1933/34 begann die Hochschule unter Rektor Emanuel H. Vogel mit einer eigenen Untersuchung. In ihrem Bericht vom 3. Februar 1934 werden die Ereignisse heruntergespielt und verharmlost. Zugegeben wird, dass es für die Kundgebung zwei Gründe gegeben habe. Das Verbot der NSDAP und die Auflösung der Deutschen Studentenschaft. Vogel hebt die musterhafte Disziplin und Ordnung unter der Studentenschaft seit Beginn des Studienjahres hervor. An der BOKU allein seien unter allen Hochschulen große Ausschreitungen (Tränengas, Papierböller) nicht vorgekommen. Das Rektorat stellte die Bitte, „die gepflogenen Untersuchungen als abgeschlossen betrachten zu dürfen.“[11]
Im Wintersemester 1933/34 wurde die Ausbildung des ersten Jahrganges an andere Hochschulen verlegt. Das war eine ungeeignete Maßnahme. Sie verwirrte die Studenten und beunruhigte sie. Wegen der Sinnlosigkeit dieser Maßnahme wurde sie bald außer Kraft gesetzt. Über Antrag von Zeßner wurden nationalsozialistische Studierende relegiert. Am 30. Jänner 1934 wurde seine Vorlesung durch ständiges Türenzuschlagen gestört. Am 6. Februar wurde an seiner Tür ein Hakenkreuz angebracht.[12]
Zeitlich fast gleich mit der neuen autoritären Staatsverfassung wurde durch Verordnung vom 26. April 1934 für die Hochschule für Bodenkultur eine autoritäre Hochschulverfassung dekretiert. In Person von Hofrat Skrbensky – 1938 wurde er vom Dienst enthoben, unter Staatssekretär Ernst Fischer leitete er nach Kriegsende die Hochschulsektion des Unterrichtsministeriums – wurde ein Bundeskommissär eingesetzt, dem der Rektor unterstellt war. Die Funktionen des Professorenkollegiums, seiner Ausschüsse und des Rektors mit Ausnahmen wie Habilitationen und Besetzungsvorschläge ruhten. Alle Kompetenzen lagen beim Bundeskommissär. Auch dezentralisiert war also eine Diktatur eingerichtet worden.
Die nationalsozialistische Studentenschaft antwortete zunächst mit der Verteilung von Flugzetteln. Am 16. Mai 1934 kam es zu Bölleranschlägen und Stinkbomben, Flugblätter antisemitischen Inhalts und Aufrufen zur Gewalt gegen die Regierung. „Kameraden! Dieses Mal geht es ums Ganze. ........ Jetzt schließen wir uns fest zusammen und zeigen der Welt, dass Österreichs Hochschulen noch deutsch sind! Wir wollen die verlorene Rotte sein und harren der Sturmsignale!“[13]
In einem Bekennerschreiben zu diesem „Aktionstag“ heißt es:
„Falls der Regierungskommissär an der Hochschule für Bodenkultur nicht innerhalb kurzer Zeit verschwindet, sind wir bereit, dieser verhältnismäßig harmlosen Warnung Taten folgen zu lassen. ...Gewalt gegen Gewalt.“[14]
In der Nacht vom 24. zum 25. Mai detonierte im Festsaal eine Bombe, die um Mitternacht gezündet worden war. Skrbensky ließ die Hochschule sperren, die Polizeipräsenz verstärken, Inspektionen vor und nach Vorlesungen durchführen. Die Lehrkanzelvorstände wurden aufgefordert, die Verteilung von gegen die Regierung gerichtete Flugzettel zu unterbinden, Agitatoren der Polizei zu übergeben, genaue Kontrollen von Paketen und Aktentaschen durchzuführen.
Am 8. Juni kam es wieder zu einer Anschlagserie. Skrbensky ließ die Hochschule bis 25. Juni sperren und jeden Studenten für die über 9.000,- S betragenden Schäden in der Höhe von 20 Schilling zahlen. Ausnahmen gab es nur für vaterlandstreue Studenten und Ausländer.[15]
Schon seit 1933 fungierte im Hauptgebäude eine Polizeistation. 1934 wurde daraus ein ständiges Wachzimmer. Auf der Hochschule herrschten polizeistaatliche Verhältnisse: Umfassende Kontrollen, Bezahlung einer Extra-Taxe, Leibesvisitationen u.a.m. Auf der BOKU war freilich nicht nur mentalitätsmäßig der „Anschluss“ schon dezentralisiert durchgeführt worden.
Noch im Juni 1934 wies Bundesminister Schuschnigg Skrbensky an, auch das Professorenkollegium im Kampf gegen subversive nationalsozialistische Tätigkeiten in Pflicht zu nehmen. Das Professorenkollegium verurteilte daraufhin in einem Aufruf an die Studenten die „verbrecherischen Anschläge“ und rief sie zur „energischen Abwehr“ auf. Daraufhin erging eine Lex Bodenkultur-Montanistik, welche die Überprüfung ihrer Lehrkräfte auf politische Zuverlässigkeit anordnete. Ein knappes Drittel verlor seine Stellung. Skrbenskys Feststellung in einem Fall: „Was ein feinfühliger Österreicher als heute selbstverständlich ablehnt, kann man nicht ahnden, solange sich vaterlandsfeindliche Elemente hinter gesamtdeutsches Denken und hinter gesamtdeutsche Lieder verschanzend sich solche Verspottungen des Österreichertums ungestraft leisten können.“[16]
Am 25. Juli 1934 wurde Bundeskanzler Dollfuß von Nazis ermordet. Der nationalsozialistische Putschversuch insgesamt konnte abgewehrt werden. Auf der Hochschule kam es aber nur oberflächlich zur Ruhe.
Als Disziplinarorgan hatte Zeßner nach wie vor Arbeit und Mühe mit nationalsozialistisch eingestellten Studenten. Er sprach sich in etlichen Fällen gegen die Wiederzulassung der Studenten zum Studium aus. Das förderte den Hass der NS-Studenten.[17]
Auch als Vortragender an der Hochschule für Welthandel war Zeßner mit studentischer Opposition konfrontiert. Nachdem seine Vorlesung mehrmals gestört worden war, erschien er am 27. März 1936 mit zwei Kriminalbeamten zur Lehrveranstaltung. Was das alles für den tiefgläubigen Katholiken und begeisterten Österreicher Zeßner innerlich bedeutete, wissen wir im einzelnen nicht. Er war durch alle diese Vorgänge tief betroffen. Aber er gab nicht nach, für ein selbstständiges und unabhängiges Österreich zu arbeiten.
In der Zeitschrift des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes „Die Bewegung“ wird knapp vor dem „Anschluss“ festgestellt, dass die „deutschblütige studentische Jugend zum gemeinsamen Kampf gegen „Marxismus, Liberalismus und römischen Katholizismus“ bereit sei.[18]
Zeßner stand auf verlorenem Posten. Am 17. Februar 1938 wurden vom Unterrichtsministerium politische Disziplinarvergehen amnestiert.
Die am 25. Februar einstimmig beschlossene Solidaritätsadresse des Professorenkollegiums aus Anlass der Rede Schuschniggs vom 24. Februar lautete: „Das Professorenkollegium der Hochschule für Bodenkultur hat in seiner heutigen Sitzung das unerschütterliche Vertrauen in die Führung der Geschicke Österreichs durch Eure Exzellenz zum Ausdruck gebracht und bittet Dank und Glückwünsche für Ihre erhebende Rede vom 24. d. M. entgegennehmen zu wollen.“[19]
Am 12. März 1938, einem Samstag, wurde Rektor Zederbauer verhaftet. An der Hochschule für Bodenkultur fand eine Flaggenhissung und Kundgebung im Festsaal statt. Der Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes an der BOKU Franz Sekera präsentierte sich als kommissarischer Leiter, ohne dafür legitimiert worden zu sein. Am 14. März enthob er Rektor Zederbauer und die Professoren Zeßner und Till ihrer Ämter. In den folgenden Tagen der „Machtergreifung“ wurden acht Professoren gemaßregelt.
Das Professorenkollegium begrüßte am 27. April die Enthebungen und stellte fest, dass eine „Zusammenarbeit irgendwelcher Art“ mit den Enthobenen „für alle Zeit abzulehnen sei.[20]
Am 18. März wurde Zeßner verhaftet und in das Gefängnis auf der Elisabethpromenade gebracht. Ende April wurde er ins Landesgericht überstellt. Am 15. Juli erfolgte der Abtransport ins KZ Dachau. Am 1. August starb er, wahrscheinlich an den Folgen von Misshandlungen. Seine letzten Worte im Brief an seine Familie waren: „Wir müssen uns bemühen, den Willen Gottes in allem zu erkennen und möglichst vollkommen zu erfüllen.“ Er hat diesen Satz von Kaiser Karl übernommen.
Auf dem Grinzinger Friedhof steht ein schlichtes Kreuz mit der Inschrift darunter:
Hans Karl Freiherr von Zeßner-Spitzenberg
Geb. in Dobritschan am 4. Februar 1885
Gest. in der Fremde am 1. August 1938.
Fußnoten
[1] Zeßner war damals immerhin schon ein reifer Mann von 45 Jahren. Aber er sah in Bauer, der 71 war, einen Vater. Bauer starb 1936. Zeßner war ihm sehr verbunden und hielt ihm die Grabrede.
[2] Siehe Manfried Welan, Die Lehre des Rechts an der Universität für Bodenkultur, Wien, Universität für Bodenkultur 1998 (Institut für Wirtschaft, Politik und Recht, Dokumentation Nr. 14-Dok-98); Roland Norer, Lebendiges Agrarrecht, Wien - New York, 2005, insbes. S. 191 ff
[3] Nach Art. 19 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger 1867 sind alle Volksstämme gleichberechtigt und jeder Volksstamm hat ein gleiches Recht auf Wahrung seiner Nationalität und Sprache.
[4] Siehe schon Heinrich Neisser, Manfried Welan, Betrachtungen und Bemerkungen zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, ÖJZ 1968
[5] Zum Folgenden: Manfried Welan (Hg.), Die Universität für Bodenkultur, ‚Wien 1997, S. 85-114; Paulus Ebner, Politik und Hochschule, Wien 2002, insbes. S. 72-108.
[6] Archiv der BOKU, 270/33
[7] Archiv der BOKU, 289/33
[8] Paulus Ebner a.a.O. S. 79
[9] Paulus Ebner, Politik und Hochschule, Wien 2002, S. 75
[10] Paulus Ebner, a.a.O. S. 80
[11] Paulus Ebner, a.a.O. S. 80
[12] Paulus Ebner, a.a.O. S. 82
[13] Paulus Ebner, a.a.O. S. 82
[14] Paulus Ebner, a.a.O. S. 85
[15] Paulus Ebner, a.a.O. S. 85
[16] Paulus Ébner, a.a.O. S. 93
[17] Paulus Ebner, a.a.O. S. 93
[18] Die Bewegung 8 (1938) Nr. 2 S. 1
[19] Archiv der BOKU, 215/38
[20] Archiv der BOKU, 440/38