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Religion von der Einheit aller Menschen #

Neunzackige Sterne und neungliedrige Architektur sind die Symbole der Baha’i, der jüngsten „Weltreligion“, zu der sich heute etwa acht Millionen Menschen bekennen. Kommendes Wochenende feiern die Baha’i den 200. Geburtstag des Baha’u’llah, ihres Gründers. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 19. Oktober 2017).

Von

Ursula Baatz


Kuppel des Baha’i-Tempels in Wilmette/USA mit neuneckigem Symbol und dem Lobpreis des „Allherrlichen“.
Kuppel des Baha’i-Tempels in Wilmette/USA mit neuneckigem Symbol und dem Lobpreis des „Allherrlichen“.
Foto: Wikipedia

In Haifa kann man schon von weitem die „Hängenden Gärten der Baha’i“ sehen, die sich über den Hang des Berg Karmel zum Meer hinunterziehen. Die großräumige Gartenanlage ist für die internationale Baha’i-Gemeinde ein heiliger Ort und seit 2008 UNESCO-Weltkulturerbe. Klassische persische und kaschmirische„ Paradies“- Gärten, aber auch englische Gärten standen hier Pate. Die Verbindung verschiedener Traditionen ist in gewisser Weise charakteristisch für die Religion der Baha’i.

Die Gründungsvision des Baha’i-Glaubens, dass sich die Menschheit zu einer globalen Gesellschaft in Gerechtigkeit, Einheit und Diversität entwickeln soll, ist heute vielleicht noch plausibler und anziehender als zur Zeit der ersten Offenbarungen durch den Baha’u’llah, dessen 200. Geburtstag heuer ist, im 19. Jahrhundert. Denn auch wenn es nur acht Millionen Baha’i weltweit verteilt auf etwas mehr als zweihundert Staaten gibt, so ist doch die Strahlungskraft dieser jüngsten Weltreligion bedeutend. In Österreich gibt es die Baha’i seit 1911, heute zählen sich rund 1300 Personen, organisiert in mehr als 20 lokalen Gruppen, sogenannten „Geistigen Räten“, zu den Baha’i, einer in Österreich anerkannten religiösen Bekenntnisgemeinschaft.

Eine Universalreligion #

Entstanden ist die Religion der Baha’i im Iran des 19. Jahrhundert, und religionswissenschaftlich kann man sie als eine Universalreligion bezeichnen. Denn die Baha’i glauben an die Einheit Gottes, die Einheit der Religionen und die Einheit der Menschheit. Alle großen Propheten sind für die Baha’i Manifestationen Gottes. Nicht nur Adam, Moses, Zarathustra, Krishna, Siddhartha Gautama, Jesus und Mohammed sind Propheten, sondern auch der Baha’u’llah als Begründer des Baha’i-Glaubens und sein Vorläufer, der Bab. Damit ist Gottes Offenbarung aber nicht abgeschlossen, und Gott wird, so die Bahaí, weitere Manifestationen schicken, so wie es die Zeitläufte erfordern.

Der Konflikt mit dem Islam, aus dem sich der Baha’i-Glaube entwickelt hat, war damit unvermeidbar. Denn für den Islam ist Mohammed der letzte Prophet. Bis heute werden Gläubige der Baha’i-Religion im Iran verfolgt, aber auch im Jemen. Im Iran ist ihnen die Ausübung ihrer Religion unter Strafe verboten, sie gelten als Bürger zweiter Klasse, dürfen nicht studieren und keine öffentlichen Ämter bekleiden.

Viele Muslime – so wie Juden und Christen – glauben, dass vor dem apokalyptischen „Ende der Welt“ ein Gesandter Gottes, der Mahdi oder „Rechtgeleitete“, auf der Erde erscheinen wird, der Recht und Gerechtigkeit bringen wird. So auch Sayyid Ali Muhammad, ein frommer und für seine Großzügigkeit gegenüber Hilfsbedürftigen bekannter Kaufmann aus dem iranische Schiras. 1844 erklärte er sich, inspiriert durch eine nächtliche Vision, zum „Rechtgeleiteten“ und nannte sich von nun an Bab, also „Pforte (zu Gott)“. Der Bab gewann rasch Anhänger, unter anderen auch den 1817 geborenen Mirza Hussein-’Ali Nuri, einen Angehörigen des persischen Adels, der wegen seines sozialen Engagements als „Vater der Armen“ galt und später zum Begründer des Baha’i-Glaubens wurde.

irza Hussein-’Ali Nuri (1817–92), der „Baha’u’llah“
irza Hussein-’Ali Nuri (1817–92), der „Baha’u’llah“
Foto: Wikipedia

Die islamischen Institutionen und der persische Staat griffen rasch gegen die neue Religion durch. Der Bab selbst wurde 1850 hingerichtet, 1852 kam es unter einem Vorwand zu Progromen, denen rund 20.000 Anhänger des Bab zum Opfer fielen. Mirza Hussein-’Ali Nuri, einer der wichtigsten Wortführer, wurde ohne Begründung inhaftiert, aber dann samt seiner Familie 1853 ins Exil nach Bagdad, damals Teil des Osmanischen Reichs, geschickt. Dort versuchte er, die Exil-Gemeinde der Babis zusammenzuhalten. Um diese Zeit verstand er sich bereits als Baha’u’llah (wörtlich „Herrlichkeit Gottes“), als Gesandter Gottes, der eine neue, der Zeit entsprechende Offenbarung zu verkünden hatte.

Vom Iran nach Akkon verbannt #

Die nächsten Jahrzehnte musste er als Gefangener des Osmanischen Reichs in Haft bzw. Hausarrest verbringen, am Ende in Akkon in der Nähe von Haifa. In dieser Zeit entstanden Schriften, die heute die Grundlage des Baha’i-Glaubens sind, und es bildete sich eine religiöse Gemeinschaft. Nach dem Tod des Baha’u’llah im Jahr 1892 wurde sein ältester Sohn Abdul-Baha (1844–1921) das Oberhaupt der Gemeinschaft. Auf einer Reise nach Europa zur Verbreitung der Baha’i-Lehre kam er 1913 auch nach Wien, wo er unter anderem mit Bertha von Suttner zusammentraf. 1919 wurde in Wien eine Baha’i-Gemeinde gegründet, die bis 1938 bestand. Der NS-Staat verbot die Gemeinschaft, viele Baha’i wurden deportiert und getötet.

Erst ab 1948 entstand wieder eine lebendige Gemeinschaft in Österreich. Abdul-Bahas Enkel Shoghi Effendi (1897–1957) gab den Baha’i ihre charakteristische Organisationsstruktur. Es gibt keinen Klerus, die örtlichen „Geistigen Räte“ bestehen aus jeweils neun Personen, die jährlich gewählt werden und ihrerseits den Nationalen Geistigen Rat wählen. Das „Universale Haus der Gerechtigkeit“ in Haifa ist die oberste internationale Instanz.

Tahriri, Vorreiterin der Frauenbewegung #

Baha’i-Tempel – „Haus der Andacht“ genannt – stehen Angehörigen aller religiösen Traditionen offen. Bei Andachten können heilige Texte aller religiösen Traditionen gelesen werden. Der erste Tempel wurde 1902 in Turkmenistan errichtet, aber nach 1917 zerstört. 1912 wurde in Wilmette (USA) der Grundstein für einen weiteren Tempel gelegt. In dessen Kuppel findet sich eine Lobpreisung Gottes („O Herrlichkeit des Allherrlichen“). Die Ziffernsumme der arabischen Buchstaben ergibt die Zahl Neun, die die Grundlage der Baha’i-Architektur bildet. Weitere große Baha’i-Tempel stehen unter anderem in Indien, Uganda und Deutschland.

Baha’i-Schrein in Haifa (mit den Hängenden Gärten)
Baha’i-Schrein in Haifa (mit den Hängenden Gärten).
Foto: Wikipedia

Schwerpunkte der Lehre des Baha’u’llah sind nicht zuletzt die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau – im 19. Jahrhundert ein revolutionärer Gedanke, und nicht nur im Iran. Bis heute spricht man voll Bewunderung von der Dichterin Tahriri, die aus einer Gelehrtenfamilie stammte. Dass sie es wagte, bei öffentlichen Anlässen unverschleiert aufzutreten, schockierte selbst Anhänger des neuen Glaubens. Sie wurde verhaftet und schließlich 1852 zum Tode verurteilt. Mitten in der Nacht wurde sie mit ihrem eigenen seidenen Halstuch erdrosselt. Der Leibarzt des Schah, der Österreicher Jakob Eduard Polak, war Augenzeuge der Exekution. Tief beeindruckt von ihrem Mut und ihrer „übermenschlichen Stärke“ berichtete er davon nach Österreich. Dies inspirierte unter anderem die Pionierin der österreichischen Frauenbewegung Marianne Hainisch (1839–1936), sich ein Leben lang für Bildung und gleiche Rechte der Frauen zu engagieren – nach dem Beispiel Tahriris, einer Baha’i-Frau aus dem Iran.

Baha’u’llahs 200. Geburtstag #

Vor zweihundert Jahren wurde der Baha’u’llah, der Begründer der Baha’i, der „sechsten Weltreligion“, im heutigen Iran geboren. Weltweit und auch in Österreich finden deswegen am 21. und 22. Oktober Feierlichkeiten statt. Zwischen Bregenz und Bad Deutsch-Altenburg laden die örtlichen Baha’i-Gemeinden alle, die sich dafür interessieren, zu öffentlichen, aber auch privaten Feierlichkeiten ein.

DIE FURCHE, Donnerstag, 19. Oktober 2017