Um eine soziale Zukunft #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Samstag, 19. Jänner 2012)
Von
Ingeborg Schödl
Konvertitin, Mitglied der gehobenen Gesellschaft, Kämpferin für Frauenrechte, Politikerin, Gründerin einer religiösen Schwesterngemeinschaft: Das Leben der Seligen Hildegard Burjan ist ein Beispiel für das heute von Christen geforderte Engagement in Kirche, Politik und Gesellschaft.
Vermutlich liegt es nicht nur am zunehmenden Desinteresse der Menschen an kirchlichen Themen – außer es geht um die Aufdeckung interner Konflikte und Skandale, sondern auch an der Fülle der in den letzten Jahrzehnten zur „Ehre der Altäre“ erhobenen Menschen. dass eine Seligsprechungsfeier kaum mehr auf öffentliches Interesse stößt. Dennoch bietet diese die Chance an, das vorbildhafte Leben eines Menschen in die christliche Lebenshaltung umzusetzen.
Die neue Selige Hildegard Burjan ist eine Frau mit viele Facetten: Konvertierte Jüdin, Mitglied der gehobenen Gesellschaft, Kämpferin für die Rechte der Frauen, Politikerin, Sozialpionierin, Gründerin einer religiösen Schwesterngemeinschaft. Schon die Aufzählung zeigt, wie vielschichtig dieses kurze Leben – sie starb mit 50 Jahren – verlief und unter welchen unausbleiblichen „Spannungen“ es gelebt werden musste. Sie hat Spuren vorgegeben, denen es sich lohnt nachzugehen, weil sie auf die Verantwortung des Christen in der Welt hinweisen, die in einer von Pluralismus geprägten Gesellschaft heute mehr denn je gefragt ist.
Ich fühle mich jeden Augenblick irgendwie für das viele Traurige das auf der Welt geschieht verantwortlich – dieser Satz von Hildegard Burjan gibt die Motivation ihres Einsatzes für die Randgruppen der Gesellschaft wieder. Bei ihrem Vorgehen nimmt sie den sich bewährenden Dreischritt „sehen – urteilen – handeln“ vorweg, der später zum Motto der katholischen Arbeiterbewegung wurde.
Mit Unterprivilegierten solidarisch#
Sie ließ sich nicht vom äußeren Glanz der Kaiserstadt Wien beeindrucken, wohin sie 1909 mit ihrem Mann übersiedelte. Sie sah hinter die Fassade, wo das Elend der Arbeiter herrschte, die unter menschenunwürdigen Bedingungen ihr Leben fristen mussten. Sehen bedeutete für sie aber nicht nur ein zur Kenntnis nehmen der Lage und mit etwas Wohltätigkeit sein Gewissen zu beruhigen, sondern sozial - politische Ansatzpunkte zu grundlegender Veränderung zu finden.
Um die Lage dieser Menschen verbessern zu können, das war der hochintellektuellen Frau klar, musste die gegebene Situation zuerst beurteilt werden: Wo liegen die Ursachen? Was können die Betroffenen selbst zur Veränderung beitragen? Welche Strukturveränderungen sind vom Staat bzw. der Politik zur Beseitigung der sozialen Missstände einzufordern, und welche Bewusstseinsänderung ist in der Gesellschaft notwendig? Bei der Ausarbeitung ihres Sozialkonzeptes stützte sich Burjan vornehmlich auf die erste Sozialnzyklika Rerum Novarum (Leo XIII.)
Für Gerechtigkeit in die Politik#
Ein effektives Handeln setzt zuallererst die Aufmerksamkeit der Politik sowie der Öffentlichkeit voraus, das wusste Hildegard Burjan, die „ein ausgeprägtes politisches Fingerspitzengefühl besaß“ (Ignaz Seipel). Sie nahm daher das Angebot der christlichsozialen Partei an, ein politisches Mandat zu übernehmen, zuerst als Gemeinderätin, dann als erste weibliche Abgeordnete im Parlament der Republik Deutschösterreich. Politisches Interesse gehört zum praktischen Christentum – das war ihre Einstellung zur Politik, daher sah sie es als ihre Aufgabe an, sich vor allem für das Recht der Frauen auf Bildung und Arbeit einzusetzen.
Als in der Kirche verwurzelte Frau zeigte Hildegard Burjan einerseits eine große Loyalität gegenüber der Kirchenleitung und suchte sehr oft bei der Realisierung neuer Projekte den Rat des Wiener Oberhirten Kardinal Friedrich G. Piffl, oder ihres Wegbegleiters Prälat Ignaz Seipel. Andererseits verfocht sie selbstbewusst und unbeirrt ihre Ziele, wenn sie von deren Umsetzung zutiefst überzeugt war. Auch Anfeindungen kirchlicher Kreise, wie es bei dem von ihr errichteten Mutter-Kind-Heim geschah, konnten sie dann nicht abhalten. Wirklich beraten kann man sich nur mit Gott – aus diesem Wissen schöpfte sie Kraft, auch Unmögliches trotz Widerständen möglich zu machen.
Es gehörte eine große Portion Mut, aber vor allem Gottvertrauen dazu, als konvertierte Jüdin und Nicht-Wienerin ausgerechnet in der Erzdiözese Wien eine religiöse Schwesterngemeinschaft zu gründen, deren Ausrichtung nicht dem traditionellen Ordensleben entsprach. Die Schwestern der 1919 gegründeten Caritas Socialis sollten sich, nicht gebunden durch Klausur und gemeinsames Chorgebet, in die Not der Zeit hineinbegeben können. Dass Hildegard Burjan bis zu ihrem Tod 1933, als verheiratete Frau und Mutter, die erste Oberin dieser Gemeinschaft war, fand auch nur begrenzte Akzeptanz.
Hildegard Burjan wurde einmal gefragt ob es möglich sei, Maria und Martha, die beiden biblischen Frauengestalten zugleich zu sein. Ihre Antwort war, dass dies das große Ziel der Caritas Socialis wäre Wie Maria hören auf Gottes Wort und wie Martha seine Barmherzigkeit durch tätige Nächstenliebe vermitteln. In ihrem Leben, das auf das Ziel ausgerichtet war Das Evangelium durch die soziale Tat zu verkünden, hat sie diese Symbiose bereits für sich vollzogen.
Kein Rückzug in eine Kuschelecke#
„Mit Spannungen leben“ – unter diesem Motto steht die Seligsprechungsfeier. Von Spannungen in vielfacher Weise war das Leben der neuen Seligen geprägt. Als Frau musste sie den Balanceakt zwischen Familie und außerhäuslichem Engagement vollbringen. Sie stand einem großbürgerlichen Haushalt vor und war zugleich Vorsteherin einer Gemeinschaft, die den Evangelischen Räten (Armut, Keuschheit, Gehorsam) verpflichtet war. Als Christin zog sie sich nicht in eine „fromme Kuschelecke“ (G. Greshake) zurück, wo der Pluralismus der Welt ausgeklammert war, sondern stellte sich dem Auftrag, als Sauerteig in die Welt hineinzuwirken. Als Politikerin bildeten die christlichen Werte den festen Überbau des Handelns. Sie bekannte sich ohne Abstriche dazu und nicht nur dann, wenn es in der politischen Auseinandersetzung opportun war.
Selige und Heilige sind nicht nur Fürsprecher bei Gott, sondern geben auch Zeugnis für ein aus dem Glauben gestaltetes Leben. Die neue Selige Hildegard Burjan lebte ihr Leben in einer Zeit des gesellschaftlichen und politischen Umbruchs, aber auch einer wirtschaftlichen Krise. Viele Probleme von damals korrespondieren mit jenen von heute. Burjans Wirken kann daher ein Vorbild dafür sein, wie man sich in schwierigen Zeiten als Christ oder Christin nicht verweigert, sondern sich in die Welt hineinbegibt, um diese aus dem Glauben heraus mitzugestalten.
Im Apostolischen Schreiben „Christifi deles Laici“ ( Über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt) schreibt Johannes Paul II., dass „in den schwierigsten Situationen der Geschichte der Kirche am Ursprung der Erneuerung immer Heilige standen“. Auch die Kirche von Österreich befi ndet sich seit Länge - rem in einer schwierigen Situation. Gerade jetzt kommt es zur Selig - sprechung einer Frau, die mit Weitblick neue Wege gewagt hat. Eine pastorale Chance, die genützt werden sollte. Voraussetzung ist, dass diese auch erkannt wird.
Mutter Kind 1924 eröffnete die Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis (re., mit Gründerin Hildegard Burjan, Mi.) das erste Mutter- Kind-Heim – revolutionär für damalige Verhältnisse.
Jung & Alt Hildegard Burjan stand und steht für Menschensorge vom Beginn bis zum Ende des Lebens, für Kinder wie für Alte. „Ihre“ Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis gehört in Österreich seit den 80er-Jahren zu den Pionieren der Sterbebegleitung und Hospizbewegung.
Die Autorin Ingeborg Schödl, (kirchliche) Journalistin und Buchautorin, war Vizepostulatorin (kirchliche Anwältin) des Seligsprechungsprozesses von H. Burjan.