Die Minderheit, die keine sein will#
Eine Forscherinnengruppe an der Uni Wien hat die ungarische Sprachgruppe unter die Lupe genommen#
Von der Wiener Zeitung (Freitag, 21. Dezember 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Thomas Müller
In gemischten Partnerschaften hält sich Zweisprachigkeit am schwersten.#
Wien. Sie gehören zu einer eher unauffälligen Minderheit: die ungarischsprachigen Migranten und deren Nachfahren. Ein Grund mehr für eine Forschergruppe an der Universität Wien, sich mit ihnen zu beschäftigen, und zwar im Rahmen des EU-weiten Forschungsprojekts Eldia (European Language Diversity for All).
Die Sprachwissenschafterin Johanna Laakso und ihre Kolleginnen vom Institut für Finno-Ugristik haben dafür 200 schriftliche Fragebögen ausgewertet und dutzende Personen bei Interviews und Gruppendiskussionen befragt. Die meisten Teilnehmer kamen aus Wien und Umgebung sowie aus dem Burgenland, wo es noch eine kleine autochthone Minderheit gibt. Die offiziell noch nicht veröffentlichten Ergebnisse zeichnen auf den ersten Blick das Bild einer durchaus aktiven Sprachgruppe. So wird das Ungarische am häufigsten in der Familie (83 Prozent der Befragten) und im Freundeskreis (66 Prozent) verwendet.
Ein genauerer Blick lohnt sich beim Sprachgebrauch zwischen den Generationen: Mit den Eltern und Großeltern der Befragten ist oder war Ungarisch noch bei mehr als 70 Prozent die dominante Sprache. Mit den eigenen Kindern ist das nur zu 40 Prozent der Fall, aber zu 27 Prozent wird auf Deutsch kommuniziert. 30 Prozent geben an, gegenüber den Kindern bilingual beide Sprachen zu verwenden. Mit dem Partner sprechen nur etwa 25 Prozent ausschließlich Ungarisch, 35 Prozent sind innerhalb der Beziehung bilingual.
Studienleiterin Laakso will daraus aber noch keinen drohenden Sprachverlust ableiten: "Die Zukunft können wir anhand der Studie nicht voraussagen. Es schaut aber so aus, dass Ungarisch als Zweitsprache neben Deutsch und anderen Sprachen weiter in Gebrauch bleibt. Wir haben in den Interviews immer wieder den Wunsch gehört, die Sprache weiter zu verwenden und weiterzugeben." An der Uni sieht Laakso zudem immer mehr zweisprachig aufgewachsene Erstsemestrige, die an ihr Institut kommen: "Wir bemerken hier einen positiven Trend. In den Familien glaubt man nicht mehr, dass es schädlich ist, wenn das Kind zweisprachig aufwächst."
Soziale Sprachräume#
Da die Studienteilnehmer vor allem über die ungarischen Kulturvereine rekrutiert wurden, waren die Jugendlichen und jungen Erwachsenen eher schwach repräsentiert. Wer sie erreichen will, muss schon in die sozialen Netzwerke des Internets einsteigen. Oder die Wiener Ungarische Schule im 1. Bezirk aufsuchen. Gegründet wurde sie vor mehr als 20 Jahren vom Zentralverband der ungarischen Vereine in Österreich. "Rund 280 Schüler haben wir in diesem Schuljahr. Durch die Zuwanderung junger Familien hatten wir in den letzten Jahren großen Zulauf", sagt Ildikó Koleszár, die hier neben ihrem Hauptberuf als AHS-Lehrerin unterrichtet.
"Die Kinder kommen mit unterschiedlichen Sprachniveaus zu uns, aber wir können das ausgleichen. Bei den Mischehen kommt es auch darauf an, ob der Vater oder die Mutter Ungarisch spricht, weil die Mutter in der Regel mehr Zeit mit dem Kind verbringt", erklärt die engagierte Lehrerin.
Einmal pro Woche bietet die Schule nicht nur Sprachunterricht, sondern vermittelt den Kindern auch etwas Landeskunde und Geschichte Ungarns. Neben ihrer pädagogischen Aufgabe stellt die Schule aber vor allem einen sozialen Raum dar, in dem nur die "schwächere" Sprache gesprochen wird und Freundeskreise entstehen.
Für die Jugendlichen hat Ildikó Koleszár vor vier Jahren einen eigenen Jugendclub ins Leben gerufen. Mittlerweile werden die monatlichen Treffen von den ehemaligen Schülern selbst organisiert. Beim Lokalaugenschein sind rund 20 Jugendliche zwischen 17 und 26 anwesend, die Stimmung ist ausgelassen, es werden Partyspiele gespielt, Weihnachtslieder gesungen. "Mein Freundeskreis ist fast nur ungarischsprachig. Die Schule hier ist sicher eine gute Möglichkeit um Kontakte zu knüpfen", sagt Balázs (26), der in Wien aufgewachsen ist, und findet die Zustimmung der meisten Anwesenden. Nur wenige geben an, dass ihre Freunde überwiegend "echte" Österreicher sind. Einig sind sich alle, dass sie auch ihre eigenen Kinder zweisprachig erziehen und hierher in die Schule schicken würden. Schwierige Zweisprachigkeit
Der Wunsch nach zweisprachiger Erziehung der Kinder ist aber nicht in jeder Familie leicht in die Praxis umzusetzen. Besonders in Partnerschaften mit unterschiedlichen Muttersprachen kommen Konfliktlinien zu Tage.
"Meine Schwiegermutter redet nicht mit mir, weil sie es unangenehm findet, dass die Kinder auch Ungarisch sprechen", war etwa eine Aussage in einer von vielen Gruppendiskussionen - oder "Mein Schwiegersohn hält es für unnötig, dass die Kinder zweisprachig aufwachsen." Auch von Pädagogen ist die Rede, die Eltern geraten hätten, lieber nicht mit ihren Kindern in der Muttersprache zu sprechen, damit diese besser Deutsch lernen. Aber selbst wenn auf allen Seiten ein guter Wille gegeben ist, ist der Spracherhalt in einer überwiegend deutschsprachigen Umwelt schwierig. Die Freundeskreise etwa sind in der Regel mehrsprachig, und um niemanden auszuschließen, wird dann meist auf Deutsch kommuniziert.
Wenn auch die Mehrheit der Befragten nicht von Diskriminierungserfahrungen berichtet, so ist auch eine eher angepasste Gruppe wie die Ungarn nicht davor gefeit, sobald sie in der Öffentlichkeit nicht Deutsch sprechen, oder wie es ein Respondent formuliert: "Es kam schon oft vor, dass Leute sich dann ganz anders verhalten, wenn sich herausstellt, dass ich kein Österreicher bin."
Hier gab es auch bemerkenswerte Ergebnisse bei der nicht-ungarischsprachigen Kontrollgruppe, die ebenfalls befragt wurde. Nur 34 Prozent würden es klar begrüßen, wenn ihre Nachbarn Ungarisch sprechen, aber auch nur knapp unter 50 Prozent hören gerne unterschiedliche Sprachen in ihrer Nachbarschaft.
Gleichzeitig betonten viele ungarischsprachige Studienteilnehmer, dass sie Integration und gute Deutschkenntnisse für wichtig halten, sagt Projektassistentin Hajnalka Berényi-Kiss. Sie hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Angelika Parfuss die Gruppendiskussionen durchgeführt.
Versuche, sich abzugrenzen#
"Die große Mehrheit der Ungarn sieht sich hier gar nicht als Minderheit", sagt die Jungforscherin. "Sie versuchen sich sogar von anderen Migrantengruppen abzugrenzen, die sie für weniger integriert halten." Für den Spracherhalt sei es entscheidend, ob die Eltern im Alltag konsequent sind und auch von den Kindern erwarten, dass sie zu Hause nur Ungarisch sprechen, erklärt Berényi-Kiss. Ob ihre zukünftigen Kinder einmal gut Ungarisch können werden? Da ist sich die junge Frau, die ihre Wurzeln in der ungarischen Minderheit in Serbien hat, ziemlich sicher: "So gut es eben in einer deutschsprachigen Umwelt möglich ist. Aber als ausgebildete Pädagogin bin ich da nicht wirklich repräsentativ."