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Ein großes Journal für die Kleinen#

1781 kam ein Stück Aufklärung nach Wien und half mit, Verständnis für Kinder zu wecken.#


Von der Wiener Zeitung (Freitag, 5. Februar 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Alfred Schiemer


Amalie Schoppe, Die Winterabende ..., Lpz. (1827)/Genrebild (Teil) des Wr. Malers Franz Eybl (1806-1880)
Ziel früher Kinderblätter war liebevoller Umgang mit der Jugend wie im Bild links und Weckung des Interesses am Buch wie bei dem Mädchen im Bild rechts.
© Bilder: Amalie Schoppe, Die Winterabende ..., Lpz. (1827)/Genrebild (Teil) des Wr. Malers Franz Eybl (1806-1880)

Erwachsene sehen die Welt anders als Kinder, doch alle Erwachsenen waren einmal Kinder. Warum gibt es zu wenig Verständnis für die Kleinen? Oft wohl, weil Erwachsene seit der Kindheit ein Binkerl mit sich schleppen, das ihnen ihr Leben erschwert oder als Binkel gar vergällt.

"Mirko und Franca" heißt eine berührende Erzählung, die in den 1970ern in Triest spielt. Darin verrät Autorin Hilde Spiel (1911-1990) das Geheimnis, das die Italienerin Franca dem geliebten Slowenen Mirko immer wieder entfremdet: Franca hat in jungen Jahren Furchtbares erlebt; wurde in der Familie gequält, missbraucht, landete 15-jährig im (wie es damals noch hieß) "Irrenhaus". Die neue Psychiatrie öffnet ihr das Tor zu neuem Leben. Wird sie "draußen" einen Weg für sich finden?

Etwa 200 Jahre vor Erscheinen dieser realistischen Geschichte, in der der mutige Mediziner Franco Basaglia (1924-1980) die Triestiner psychiatrische Anstalt leert, hätte niemand gewagt, die "Irren" aus ihren Gefängnissen und Narrentürmen zu entlassen.

So weit war man trotz Aufklärungsära noch nicht.

Aber große Geister wie Johann Christoph Adelung (1732-1806) und Christian Felix Weiße (1726-1804) sorgten für einen entscheidenden Anstoß: Sie entdeckten (ja, tatsächlich: entdeckten!) das Kind und die Kindheit. Bis dahin hatte man in all den Epochen der vielgerühmten Zivilisation schlicht darauf vergessen, dass jeder Mensch als kleiner Mensch anfängt. Und was alles davon abhängt, wie man ihn anfangen lässt.

'Der Kinderfreund' aus einem Sammelband 1781
"Der Kinderfreund" fehlte anfangs in Wien. Hier aus einem Sammelband 1781 der Innentitel (Teile) und...
© Bild: Zit. "Kinderfreund"-Band

Initiatoren wie Adelung und Weiße begnügten sich nicht mit theoretischen Ansätzen. Sie wollten die Menschen aufrütteln, mit Herz und Hirn den Heranwachsenden entgegenzukommen und so für die Verfeinerung des Menschengeschlechts zu wirken.

Daher begannen beide Aufklärer, ihre Ideen intensiv zu propagieren. Über Periodica, die sich an Kinder wie Eltern richteten.

Um es gleich vorweg zu sagen: Adelung agierte dabei weniger erfolgreich. Sein berühmtes deutsches Wörterbuch war viel eher sein Metier als Kinderliteratur.

Dem Sprachforscher gebührt aber die Ehre, die erste deutschsprachige Kinderzeitschrift gegründet zu haben. Das "Leipziger Wochenblatt für Kinder" existierte nur 1772-1774; Adelung fehlte die Ader dafür.

Tausendsassa C. F. Weiße - Steuersekretär, Lustspieldichter, Liedermacher etc. - wusste, wie man Publikum findet. Sein Periodicum "Der Kinderfreund. Eine Wochenschrift" erschien dank Subskribenten, deren Namen er publizierte, immerhin 1775- 1781/82. Daran schloss sich 1784-1792 die Publikationsreihe "Briefwechsel der Familie des Kinderfreundes".

Weiße gab dem "Kinderfreund" eindeutiges Profil als (Vor-)Lesestoff in der Familie, der sogar Rätsel und Theaterstücke lieferte.

Die einzelnen Ausgaben konnten zudem zusammengefasst in Buchform (insgesamt 24 Teile) erworben werden. Einen dieser Bände (Innentitel-Teilfaksimile sowie Textausschnitte auf dieser Seite) stöberte der Zeitreisenschreiber kurz nach der Jahrtausendwende in einem Wiener Antiquariat auf - und sofort beschlich ihn das Gefühl, das abgegriffene Stück aus 1781 müsse schon damals in der Kaiserstadt feilgeboten worden sein.

Sehr neugierig machte das den 256 Textseiten folgende 16-seitige Verzeichnis von "Herren Subskribenten" des Werkes. Erfreulicherweise ergab die Durchsicht der etwa 500 Namen, dass trotz des Rubriktitels manche Frau per Vorauskasse den "Kinderfreund" bestellt hatte. Man subskribierte in Sachsen, in Preußen, in der freien Stadt Hamburg, in Württemberg etc. - aber in keinem Ort des Habsburgerreichs.

Hintergrund: Verlegt wurde der "Kinderfreund" wie sein Vorläufer in Leipzig. Also nach k.k. Diktion in "akatholischen" (= nichtkatholischen) Gefilden. Und bis 1781 verfolgte man in den Kernländern der Monarchie die Protestanten. Eine Kinderzeitschrift aus Leipzig, die vielleicht dortige Glaubensgrundsätze verbreitete, wollte man somit in Habsburgs Landen eher nicht.

Textausschnitt, Beginn eines Lieds, erste Zeilen der Subskribenten-Liste
...Kostproben: Textausschnitt, Beginn eines Lieds, erste Zeilen der Subskribenten-Liste.
© Bilder: Zit. "Kinderfreund"-Band

Dennoch kann das im 21. Jh. in der Donaumetropole gekaufte Exemplar vor 235 Jahren dort ausgelegen sein. Mit Kaiser Josephs II. Alleinregierung blies ja ab Ende 1780 neuer Wind. Auch bezüglich "Kinderfreund".

Dies belegt ein Inserat in der "Wiener Zeitung" am 7. Hornung (= Februar) 1781: Der Buchhändler Augustin Weigner in der Kärntnerstrasse bot ganz offen einen Band mit Ausgaben des Kinderblattes an. Für inzwischen auch in k.k. Landen angemeldete und vorauszahlende Kunden, sprich: neue Pränumeranten.

Wiener Zeitung, Freitag, 5. Februar 2016


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