Wie kommt die Patchworkfamilie zu ihrem Namen? (Essay)#
Christina Luef
Eine Patchworkfamilie entsteht, wenn nach einer Trennung oder Scheidung eine weitere Ehe oder Lebensgemeinschaft eingegangen wird. Diese daraus entstehende Lebensform wird daher auch Fortsetzungsfamilie genannt. Hintergrund für die Zunahme an Patchworkfamilien sind die in unserer Gesellschaft insgesamt beweglicher, durchlässiger und damit auch brüchiger werdenden Lebenslagen, wie es die Individualisierungsthese beschreibt.
Die Patchworkfamilie setzt sich aus der neu gebildeten Stieffamilie und der dazugehörigen Verwandtschaft zusammen. Die Möglichkeiten der Zusammenstellung sind äußerst vielfältig und liefern damit auch den Stoff für die Bezeichnung Patchworkfamilie. Das Besondere an dieser Lebensform ist, dass jeder Beteiligte seine eigene Version von Familie definiert. So zählt beispielsweise das Kind beide leiblichen Elternteile, die sich getrennt haben, weiterhin zu seiner Familie. Diese sehen sich aber nicht mehr als Familieneinheit, da sie mit neuen Partnern eine neue Familie gegründet haben. Charakteristisch für eine Patchworkfamilie ist die mehrfache oder multiple Elternschaft, bestehend aus einer leiblichen und einer sozialen Elternschaft. Wird die gesamte Verwandtschaft dazugerechnet, so wird das soziale Netzwerk einer Patchworkfamilie noch komplexer.
Die Patchworkfamilie weist allerdings einige weiße Flecken auf: In der neu zusammengesetzten Familie fehlen Leitbilder und Regeln für das Zusammenleben. Diese müssen erst erarbeitet werden, was die Mitglieder der Patchworkfamilie vor hohe kommunikative Anforderungen stellt. Anfangs fehlt auch das Zusammengehörigkeitsgefühl, da die zusammengewürfelte Familie nicht automatisch von allen Beteiligten akzeptiert wird. Für die Kinder kommt noch hinzu, dass sie leicht in Loyalitätskonflikte gegenüber dem außerhalb lebenden biologischen Elternteil geraten, der vielleicht auch eine neue Familie gegründet hat. Weiße Flecken gibt es auch rechtlich gesehen, denn obwohl die sozialen Eltern- und Großelternteile oft eine wichtigere Rolle als die außerhalb lebenden leiblichen Eltern und Verwandte spielen, haben diese keinerlei elterliche Rechte gegenüber den Kindern der neuen Partnerin bzw. des neuen Partners.Hier bedarf es noch einer gesetzlichen Verankerung in unserer Gesellschaft.
Zahlen zu Patchworkfamilien scheinen in den Haushaltsstatistiken im Allgemeinen nicht auf. Eine Sonderauswertung im Rahmen des Mikrozensus 2001 hat jedoch ergeben, dass 3 Prozent der Bevölkerung im Alter von mindestens 15 Jahren angegeben haben, zumindest ein Stiefkind zu haben. Ab 35 Jahren liegt der Anteil zwischen 4 und 5 Prozent, bei Männern tendenziell höher als bei Frauen. Patchworkfamilien sind auch vermehrt in Großstädten zu finden, wo es höhere Trennungs- und Scheidungsraten als im ländlichen Raum gibt.
Aus einer Meldung der Statistik Austria: „Im Jahr 2005 wurden nach den Meldungen der zuständigen Gerichte 19.453 Ehen rechtskräftig geschieden (…) Die Gesamtscheidungsrate im Jahr 2005 stieg (…) auf den neuen Rekordwert von 46,4 %.“
Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch: