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Plädoyer für die Unsicherheit #

Wir haben unser Bedürfnis nach Sicherheit positiv besetzt. Nun zeigt sich aber, dass Vertrauen und Selbstsicherheit nur dann wachsen können, wenn wir diesem Bedürfnis nicht nachgeben. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 14. Februar 2013)

Von

Marianne Gronemeyer


Überwachungskamera
Überwachungskamera
© Istockphoto

Unseren Bedürfnissen nach Sicherheit trauen wir einiges Gute zu. Sie seien jene wunderbaren Antriebskräfte, die uns davor bewahren, uns apathisch an die Fährnisse des Lebens auszuliefern. Sie werden deshalb als biophile Strebungen im Dienste des Lebenserhalts angesehen. Und wenn sie befriedigt werden, dann bedeute das einen Zuwachs an Vertrauen. Würden sie jedoch wiederholt oder dauerhaft frustriert, dann käme es zu einem gefährlichen, ja lebensbedrohlichen Vertrauensverlust. Vertrauen, Zuversicht, Geborgenheit seien also das Resultat befriedigter Sicherheitsbedürfnisse.

Ich will anders argumentieren: Vertrauen, Sicherheit und Sorglosigkeit können nur gedeihen, wenn den Sicherheitsbedürfnissen nicht nachgegeben wird, wenn sie mit einem klaren „Danke, nein!“ auf Distanz gehalten werden. Um das zu verstehen, müssen wir uns mit den Bedürfnissen beschäftigen. Was es mit ihnen auf sich hat, ist vielleicht das bestgehütete Geheimnis der vom Wachstum besessenen industriellen Gesellschaft.

Im Dürfen liegt das Geheimnis #

Wer sich auf seine Bedürfnisse beruft, fühlt sich ganz bei sich selbst, durch und durch authentisch. Wenn ich sage: „Dies oder das ist mir ein wirkliches oder echtes Bedürfnis“, dann meine ich: „Jetzt spreche ich vollmächtig aus meinem tiefsten unverfälschten Inneren.“ Und genau das ist es, was ich meinen soll. Aber hören wir auf das Wort Bedürfnis. Es steckt das Verb dürfen darin, und darin verrät sich sein Geheimnis. Bedürfnisse, ganz gleich wie berechtigt oder unberechtigt sie erscheinen mögen, wie wahr oder falsch sie sein mögen, richten sich immer auf das, was man wollen darf. Sobald ich ein Bedürfnis anmelde, gerate ich in eine Lage, in der mir etwas, ein Befriedigungsmittel nämlich, gewährt werden muss. Ich bin außerstande mir selbst zu helfen. Das, was ich brauche oder wonach mir der Sinn steht, wird andernorts verwaltet; und zwar immer in Gestalt käuflicher Waren oder Dienstleistungen. Wenn ich zum Beispiel ein Bedürfnis nach Arbeit habe, muss ich mich an eine Instanz adressieren, die Arbeit zu vergeben hat, wenn ich ein Bedürfnis nach Gesundheit oder Sicherheit habe, dann bin ich darauf angewiesen, dass mir Mittel für den Erhalt von Sicherheit oder Gesundheit gewährt werden, wenn ich ein Bedürfnis nach Bildung habe, dann habe ich die Diagnose, dass ich mich nicht selbst bilden kann, sondern dazu eines ausgewiesenen Experten bedarf, geschluckt.

Fughafenkontrolle
Kontrolle Wir durchleuchten uns selbst (wie auf diesem Flughafen), um uns sicherer zu fühlen. Doch die Sicherheit, die uns vorgespiegelt wird, gibt es nicht - auch nicht, wenn man Tausende Schleusen so benennt.
© EPA

Wer Bedürfnisse geltend macht, findet sich, ehe er oder sie sich’s versieht, als Bittsteller in einer Machtkonstellation vor. Bedürfnisse machen abhängig und zwar in dem dreifachen Sinn, dass ich Waren konsumieren muss, dass ich das Warensortiment nehmen muss, wie es ist, und dass ich dafür, weil umsonst ja nicht einmal mehr der Tod ist, bezahlen muss, was verlangt wird.

Eins gilt als sicher, dass wir Menschen von der Natur stiefmütterlich behandelte Mängelwesen sind, denen zur Existenzfähigkeit verholfen werden müsse. Wir sind demnach nicht nur Mängelwesen, sondern belieferungsbedürftige Mängelwesen. Tatsächlich aber ist es umgekehrt: Nicht, weil Menschen so von Grund auf bedürftig sind, müssen sie versorgt werden, sondern, weil sie versorgt werden sollen, müssen sie Bedürfnisse haben. Menschen sind an sich sehr gut geeignet, ihr Leben zu meistern. Wenn ihnen jedoch der Zugang zu den lebenserhaltenden Gütern, die allen zustehen, und zu den lebensgestaltenden Tätigkeiten, die alle lernen können, verwehrt ist, müssen sie kriegende Menschen werden, die ihre Bedürfnisse zu Markte tragen und die alles, was sie zum Leben brauchen oder zu brauchen glauben, kriegen müssen, weil sie aus eigener Kraft nichts mehr vermögen.

Kriegende Menschen sind sie aber auch in dem anderen Sinn, dass sie mit ihresgleichen im Kriegszustand liegen, denn die sind ja ihrerseits abhängig davon, von dem immer knappen Vorrat an Befriedigungsmitteln ihren Teil abzukriegen. Wir nennen diesen Kriegszustand verharmlosend friedlichen Wettbewerb und sollen glauben, die Konkurrenz sei eine befeuernde Kraft, die zu Höchstleistungen ansporne. In Wirklichkeit lebt sie vom Siegen und Verlieren und die Siege, die da errungen werden, sind umso triumphaler, je mehr Verlierer der Sieger zur Strecke gebracht hat.

Es gibt zwei Arten von Sicherheit: Die eine antwortet auf die Frage: „Wann fühle ich mich sicher?“, die andere auf: „Wann bin ich sicher?“ Diese beiden Fragen, so ähnlich sie scheinen, visieren zwei gründlich verschiedene Haltungen gegenüber dem Sicherheitsdilemma an.

„Wann fühle ich mich sicher?“ setzt voraus, dass ich über das Maß an Sicherheit, das ich brauche, nach eigenem Gutdünken und selbstgesetzten Maßstäben entscheide, so, als wäre ich fähig und willens, meine eigene von anderen ganz verschiedene Antwort darauf zu geben. „Wann fühle ich mich sicher?“ unterstellt, Sicherheit sei eine Sache des, dem jeweiligen konkreten einzelnen Menschen möglichen, Vertrauens zu sich selbst, zu den Anderen und zu den Lebensumständen.

„Wann bin ich sicher?“ lässt dagegen die Sicherheit als Eigenschaft der Lebensumstände erscheinen, auf die ich kaum Einfluss habe. Der Stand meiner Sicherheit entscheidet sich daran, wie weit sie hinter den geltenden Sicherheitsstandards zurückbleibt, und die sind von Experten dekretiert.

Sicherheit am eigenen Leib tragen#

Im ersten Fall entscheidet sich meine Sicherheit daran, welchen Gefahren und Unsicherheiten ich gewachsen bin. Diese Sicherheit trage ich buchstäblich am eigenen Leibe. Sie beruht auf meinen Fähigkeiten, meiner Erfahrung, meiner Geschicklichkeit, meinem Vertrauen, meiner Daseinsmächtigkeit im Kreis vertrauter oder vertrauenswürdiger anderer.

Security
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Um sie zu erlangen, bin ich genötigt, mich mit mir selbst, mit anderen und meinen Lebensumständen zu befreunden. Dies Zutrauen zu mir selbst und meiner Lebenswelt begründet meine Zuversicht, dass ich den Widrigkeiten des Lebens standhalten kann, soweit man eben als zerbrechliches, vergängliches, sterbliches Wesen zum Standhalten taugt und der Rest ist Gott befohlen. Die Fähigkeiten, die dabei in Gebrauch genommen werden, sind keinesfalls nur solche des Bewirkens und Veränderns und Verhinderns, sondern auch solche des Aushalten-Könnens, des Erleiden-Könnens und natürlich und vor allem des Unterlassen-Könnens, des Verzichtes, des souveränen „Nein, Danke!“

Sich der Feinseligkeit erwehren #

Im zweiten Fall hängt die Sicherheit davon ab, gegen welche Gefahren ich gewappnet bin. Diese Sicherheit zwingt mich, mich einer grundsätzlich feindseligen Lebenswelt zu erwehren. Mein Blick wird auf Gefahrenerkennung spezialisiert. Misstrauen wird zur Tugend und Sorge zum Grundgefühl des Lebens. Immer neue Mittel wollen gefunden und erfunden werden, um antizipierte Gefahren zu bannen. Und wo eine Gefahr eliminiert wurde, geht die fieberhafte Suche nach neuen Gefahrenquellen los, die ihrerseits den Erfindergeist enorm anstacheln. Kurzum: Mein Leben hängt daran, dass ich gut gerüstet bin gegen die Fährnisse des Lebens: Prävention. Diese Sicherheit kennzeichnet unseren industriegesellschaftlichen Alltag. Wir haben diese Sicherheit von uns als Person abgelöst und sie an Mittel delegiert, sie verdinglicht im materiellen Inventar unseres Lebens, in gesetzlichen Regelungen, in Institutionen der Daseinsfürsorge und in unendlichen Spielarten von Waren, die alle versprechen, sie würden unser Leben und unseren Alltag sicherer und sorgloser machen.

Sicherheit wird zur Obsession. Sie stimuliert verfeinerten Spürsinn und üppige Fantasie für immer neue Gefahren, führt zur Entdeckung immer weiterer Sicherheitslücken und treibt immer perfektere Gegenwehr hervor. Die Un-Kultur unserer Art von Sicherheit hat jede andere Sicherheitskultur, in der die Sicherheit darauf beruht, dass man sich selbst, den anderen und die Mitwelt leiden kann, beinah bis in die Erinnerungsspuren ausgelöscht.

Die Autorin ist Erziehungswissenschafterin und Autorin.

DIE FURCHE, Donnerstag, 14. Februar 2013


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