Luis Durnwalder#
"Ich bin ein Meister im Improvisieren"#
Von der Wiener Zeitung (Freitag, 10. Februar 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Irene Prugger
Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder über das Handwerk eines Langzeitpolitikers, das Für- und Miteinander von Südtirolern und Italienern, persönliche Schicksalsschläge - und über seine "Frauengeschichten".#
"Wiener Zeitung": Herr Landeshauptmann, sollen wir mit Politik beginnen, oder gibt es Themen, die Sie mittlerweile mehr interessieren? Die Jagd zum Beispiel? Oder Ihre Familie?
Luis Durnwalder: Meine Familie ist mir sehr wichtig und die Jagd gefällt mir auch, aber obwohl ich demnächst in Pension gehe, erfüllt mich die Politik noch immer mit Leidenschaft. Wenn ich schon morgen gehen müsste, würde ich heute noch einen Baum pflanzen, selbst wenn jemand anderer die Ernte einfährt.
Ihr politisches Talent hat sich sehr früh gezeigt, u.a. waren Sie Präsident der Südtiroler Hochschülerschaft. Haben Sie schon als junger Mensch mit einer politischen Karriere spekuliert?
Ich habe mich nicht auf eine politische Tätigkeit vorbereitet, ich bin hineingewachsen. Parteipolitik hat mich höchstens als Mittel zum Erreichen politischer Ziele interessiert. Erst als ich Bürgermeister wurde, bin ich in die SVP eingetreten. Ich bin kein Partei-Ideologe und kann es nicht ausstehen, wenn Lösungen zerredet werden, deshalb habe ich mich geweigert, Parteiobmann zu werden. Wichtig war mir immer die praktische Verwaltung, die Regelung und Lösung von Problemen. Und Probleme hat es in Südtirol viele gegeben.
Sie sind seit 1989 Landeshauptmann. Haben sich Ihre Erwartungen und politischen Pläne erfüllt?
Es ist vieles geschehen, was ich nicht zu träumen gewagt hätte, und wir haben viel erreicht, was nach dem Abschluss des Autonomie-Paketes mein Vorgänger Magnago und Co. nicht umsetzen konnten. Als ich angetreten bin, war Südtirol noch Uganda, wir hatten nichts, es gab Entwicklungskonzepte aus Deutschland für unsere Region. Unter den 100 italienischen Provinzen lagen wir wirtschaftlich an 92. Stelle. Heute sind wir die Nummer eins. Es ist uns gelungen, die Abwanderung aus den ländlichen Gebieten weitgehend zu verhindern, den Bauern Nebenerwerbs-Einkommen zu verschaffen, die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Wir konnten das Zusammenleben von drei Sprachgruppen - Deutsch, Italienisch, Ladinisch - auf friedliche und für alle befruchtende Weise regeln. Natürlich war das nur im Rahmen der Autonomie möglich - und man muss sehr aufpassen, dass dieser in der derzeitigen ökonomischen Krise nicht wieder enger geschraubt wird.
Dazu braucht es Verhandlungsgeschick. Sie sind ja ein begeisterter Kartenspieler. Dabei ist die Psychologie ein wichtiger Faktor. Gehört auch Bluffen zum politischen Geschäft?
Es ist wichtig zu wissen, wann man einen Trumpf ausspielt, einen solchen habe ich meistens im Ärmel. In der Politik, nicht beim Kartenspielen. Bei allen politischen Verhandlungen tritt man zuerst mit einer Maske an, wägt ab, was möglich ist, legt nicht gleich alles offen. Wenn die wichtigsten Punkte ausgehandelt und die vorrangigen Ziele erreicht sind, kommt das Gespräch oft auf eine zwischenmenschliche, offenere Ebene. Dabei obliegt es immer dem Ranghöheren, als Erster die Maske abzunehmen. Mit Regierungschef Mario Monti habe ich eine gute Gesprächsbasis. Wenn ich von Verhandlungen auch nicht mit einem Freibrief zurückkehre, die ganze Liste unserer Forderungen durchsetzen zu können, so wird es dennoch akzeptable Annäherungen geben.
Was macht Ihren politischen Instinkt aus?
Ich kann mein Gegenüber schon in den ersten Minuten eines Gespräches gut einschätzen, habe einen ziemlich genauen Blick für seine Stärken und Schwächen, merke schnell, wo die Empfindlichkeiten liegen. Und ich spüre sofort, wo ein Weg offen ist und wo ich auf Stein beiße. Das ist wichtig, um Verhandlungen in eine zufriedenstellende Richtung zu lenken.
In Österreich wird der Mangel an herausragenden Politikerpersönlichkeiten oft auf die Sozialpartnerschaft zurückgeführt. Man ist konfliktscheu bzw. trägt nur noch Konflikte aus, deren Ausgang man ohnedies kennt. Wie gehen Sie mit Konflikten um?
Wer sich scheut, Konflikte auszutragen, der erstarrt, wird politisch inaktiv und erpressbar. Ich habe die Repressalien der 1960er und 70er Jahre gegenüber der österreichischen Minderheit in Italien miterlebt. Für mich war es meine vorrangige Aufgabe, die Errungenschaften des Autonomie-Paketes praktisch umzusetzen. Ohne Konfliktbereitschaft wäre das nicht möglich gewesen. Es braucht in der Politik den Mut, Entscheidungen zu treffen, selbst auf die Gefahr hin, dass man dabei Fehler macht. Wer nie Entscheidungen trifft, macht gar nichts richtig.
Denken Sie jetzt gegen Ende Ihrer politischen Karriere über Fehler nach?
Ja, aber geänderte Einschätzungen ergeben sich oft aus dem Wandel der Zeit. Man muss lernfähig sein, sich den Entwicklungen anpassen, sonst geht es einem wie bei der Evolution, man stirbt aus. Es gibt Themen, wo ich vom Saulus zum Paulus geworden bin, zum Beispiel bei der Universität in Bozen. Früher war ich wegen der Tiroler Landeseinheit dagegen, jetzt bin ich ein eifriger Befürworter, sie hat viele positive Entwicklungen gebracht. Ich bin auch dafür, dass unsere deutschstämmigen Kinder so früh wie möglich Italienisch lernen. Wenn sich die Umstände ändern, kommt man oft zu neuen Erkenntnissen.
Haben Sie in Ihrer politischen Laufbahn neue Erkenntnisse über das Thema Macht gewonnen?
Macht war für mich nie definierbar. Ich wollte mich zum Erreichen meiner politischen Ziele durchsetzen - und das ist mir weitgehend gelungen. Allein kann ein noch so mächtiger Politiker das nicht schaffen. Ich habe mir immer Verbündete gesucht, Kollegen, die gleich oder ähnlich denken wie ich. Dazu braucht es Begeisterungsfähigkeit, man muss mit seinen Ideen Andere überzeugen können. Wenn man oft genug etwas durchgesetzt hat, stellt sich Respekt ein. Nach außen hin erscheint so ein Amt meist mächtiger als es ist. Aber diese Aura ist wichtig, denn sie hilft ja wieder beim Erreichen politischer Ziele.
Der Südtiroler Journalist Hans-Karl Peterlini beschreibt Sie als ein "Kraftgenie, launisch, ungestüm, bengelhaft . . . heute der wärmste Freund, morgen fremd und kalt, schalkhaft und bieder, störrisch und beugsam. Ein Bauernbursch, der sich ein Fürstentum errichtet hat . . . ein sonniges Gemüt, das augenblicklich ins Blitzeschleudern kippen kann." Erkennen Sie sich in dieser Beschreibung?
Widersprüchlich mag stimmen, launisch bin ich allerdings nicht in dem Sinn, dass ich heute so denke und morgen anders. Ich bin eine Frohnatur, aber ich kann sehr wütend werden, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle oder wenn sich jemand aus Parteikalkül gegen Veränderungen stemmt, die zum sozialen Frieden beitragen. Viele halten mich für autoritär und für meinen Regierungsstil bekomme ich sicher nicht den Nobelpreis für demokratische Gesinnung verliehen, aber er war effizient und ich hatte immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Südtiroler.
Fühlen Sie sich manchmal auf politischem Parkett unsicher oder gar ohnmächtig?
Ja, aber ich habe so viel Routine, dass ich mir das nicht anmerken lasse. Bei schwierigen Verhandlungen bin ich gut vorbereitet, das hilft. Wenn ich allerdings bei einer Eröffnung reden soll, lässt meine Vorbereitung oft zu wünschen übrig. Dann kommt meine unterhaltsame Seite zum Zug. Ich bin ein Meister im Improvisieren und mag es nicht, wenn mir die Zuhörerschaft wegschläft. Wahrscheinlich werte ich das Amt des Landeshauptmannes ab, weil ich überall dabei bin, ich sollte mich rarer machen. Aber der Kontakt zu den Menschen ist mir wichtig, und man erfährt ja sehr viel, wenn man sich unter die Leute mischt.
Die Südtiroler nennen Sie "Landesluis". Ihre Volksnähe beweisen Sie auch dadurch, dass Sie um sechs Uhr morgens Ihr Büro geöffnet halten für Menschen, die ein Anliegen haben. Sind das Audienzen beim Landesfürsten oder Gespräche mit einem verständnisvollen Zuhörer?
Ich halte nicht Hof, sondern nehme die Anliegen ernst. Das kostet viel Zeit und Kraft. Manchmal sind bis zu dreißig, vierzig Leute da. Außerdem bin ich von Natur aus ein Langschläfer, es fällt mir oft schwer, schon so früh zur Stelle zu sein. Trotzdem habe ich das während meiner ganzen Amtszeit als Landeshauptmann durchgehalten. Es kommen Junge und Alte, Arme und Reiche, vom Bauunternehmer, der eine Bewilligung braucht, bis zur Prostituierten, die ihr Zuhälter buchstäblich auf die Straße gesetzt hat. Dieses Vertrauen ist schön, aber ich würde meinem Nachfolger - wer immer das sein wird - nicht empfehlen, diese Tradition weiterzuführen.
Wie schaut die Hilfe aus, die Sie sozusagen unter der Hand außerhalb der offiziellen Amtsstunden gewähren?
Einem Drittel kann schnell mit einem Rat geholfen werden. Beim zweiten Drittel geht es darum, bei welchem Amt man am besten Erkundigungen einholt, einem Drittel kann ich nicht helfen. Aber selbst dann ist es den Leuten wichtig, mit mir gesprochen zu haben. "Heute war ich beim Durnwalder und hab es ihm gesagt!" Das wirkt oft wie eine Befreiung. Natürlich kommen einige, weil sie dringend Geld brauchen. Aber diesbezüglich bin ich über die Jahre schlauer geworden. Wenn mir einer vorjammert, er hat kein Geld für ein Zugticket, um seine Verwandten in Tunesien oder sonstwo zu besuchen, dann schicke ich ihn zuerst zum Fahrkartenschalter am Bahnhof. Er kommt dann meist nicht wieder.
Auch Ihr eigenes Leben war nicht frei von Schicksalsschlägen. Ihre Tochter Sigrid starb mit 28 Jahren 2002 nach Komplikationen bei einer Operation. Ist es in solchen Situationen noch schwieriger, eine öffentliche Person zu sein?
Als es passierte, habe ich gerade in Mühlbach einen Vortrag gehalten. Ich war mitten im Reden, da kommt jemand auf die Bühne und schiebt mir einen Zettel hin, darauf stand: "Ihre Tochter ist gestorben." Ich führte den Vortrag zu Ende, dann erst habe ich mich verabschiedet. Es war brutal hart, aber ich konnte den Schmerz in diesem Augenblick nicht mit den Menschen teilen. Ich bin sehr offen, aber meine wichtigsten Gefühle behalte ich für mich. Andererseits tut es gut, wenn die Öffentlichkeit Anteil nimmt. Als vor zwei Jahren meine Tochter Greta geboren wurde, haben Südtiroler Bäuerinnen Käppchen und Söckchen gestrickt. So etwas freut mich sehr.
Ihre Lebensgefährtin ist deutschstämmige Südtirolerin. Was wäre passiert, wenn Sie sich in eine Italienerin verliebt hätten?
Ich bin sicher, die Südtiroler würden mir das nachsehen, insofern ich mich nicht von ihr zu einer Änderung meiner politischen Haltung drängen ließe. Ich würde Wert darauf legen, dass sie gut Deutsch lernt, ich im Gegenzug würde mit ihrer Familie Italienisch sprechen, wir würden uns nicht gegenseitig zu assimilieren versuchen. Ich habe den Südtirolern in ihrer wertkonservativen Haltung mit meinen Frauengeschichten ohnedies viel zugemutet. Aber ich habe nie ein Hehl daraus gemacht und sie haben mich immer genommen, wie ich bin. Wenn es darum ginge, Heilige zu wählen, hätten sie meine Mutter zur Landeshauptfrau machen müssen.
Ihre Haltung in Bezug auf die Italiener ist liberaler, als man sie oft bei jungen Südtirolern vorfindet.
Junge Leute zeigen auf ihrem Weg zum Selbstverständnis gern ihre Stärken und spielen Vormachtstellungen aus. Außerdem gibt es mittlerweile auch andere Parteien als die SVP, die sich um die Anliegen unserer Minderheit kümmern. Diese Parteien müssen sich von uns unterscheiden und tun das zum Teil mit radikalen Ansätzen, nicht ohne Erfolg. Aber es ist sicher nicht die Zeit für ein "Los von Rom", und auch um die Erhaltung unserer Kultur müssen wir uns zurzeit keine Sorgen machen. Wir sind keine sterbende Minderheit, die deutschsprachige Volksgruppe wächst und macht jetzt 70 Prozent aus. Auch die Italiener haben ein Heimatrecht in Südtirol und das Zusammenleben funktioniert gut, es ist nicht nur ein Nebeneinander, sondern ein Für- und Miteinander. Die Italiener wissen mittlerweile, dass wir Südtiroler uns nicht rachsüchtig aufführen, und wir haben erfahren, dass die Italiener, mit denen wir zusammenleben, keine Faschisten sind. Auch auf diesen Lernprozess bin ich stolz, denn er ist Zeichen einer gelungenen Politik.
Worauf freuen Sie sich, wenn Sie demnächst in Pension gehen?
Darauf, mit meiner Familie zusammen zu sein und mit meiner kleinen Tochter zu spielen, nicht immer morgens früh aufstehen zu müssen und Vernachlässigtes aufarbeiten und ordnen zu können. Zum Beispiel alte Fotos.
Zur Person#
Luis Durnwalder wurde 1941 in der Gemeinde Pfalzen in der Nähe von Bruneck als fünftes von elf Kindern einer Bergbauernfamilie geboren. Er studierte Bodenkultur an der Universität Wien und Rechtswissenschaften in Wien und Innsbruck. 1968 wurde er zum Direktor des Südtiroler Bauernbundes bestellt. Diese Funktion hatte er bis 1973 inne. Seit 1989 steht er als Landeshauptmann an der Spitze der autonomen Provinz Südtirol.Seine politische Karriere begann 1968 als SVP (Südtiroler Volkspartei)-Bürgermeister seiner Heimatgemeinde. Seit 1973 ist Luis Durnwalder Abgeordneter zum Südtiroler Landtag. Von 1979 bis 1989 bekleidete er - selbst begeisterter Jäger - in der Landesregierung die Funktion des Landesrates für Land- und Forstwirtschaft, Jagd und Fischerei.
Das Leben des Landeshauptmannes war auch von Schicksalsschlägen überschattet. Eines seiner beiden erwachsenen Kinder verstarb im Jahr 2002 im Alter von 28 Jahren nach Komplikationen bei einer Operation. Luis Durnwalder hat neben seinem erwachsenen Sohn Hannes aus erster Ehe mit seiner Lebensgefährtin Angelika Pircher eine gemeinsame zweijährige Tochter namens Greta.
Irene Prugger, geboren 1959 in Hall, lebt als Autorin und freie Journalistin in Mils in Tirol. Zuletzt sind von ihr folgende Bücher erschienen: "Almgeschichten" (Löwenzahn, 2010), "Letzte Ausfahrt vor der Grenze" (Erzählungen, Haymon, 2011).