Verehrt in Mexiko, vergessen in Österreich#
Seine wissenschaftliche Karriere führte Friedrich Katz von Wien über Ostberlin nach Chicago. Zur Berühmtheit wurde der 2010 verstorbene Sozialhistoriker allerdings in seiner Wahlheimat Mexiko.#
Von STANDARD (18. Juli 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Barbara Wallner
Als Friedrich Katz am 16. Oktober 2010 starb, trauerte ganz Mexiko: Zeitungen bildeten ihn auf der Titelseite ab, Radiostationen wiederholten Interviews, und sogar in Schulen tauchten Bilder von Katz auf Altären auf. Diese große Sympathie und Verbundenheit versetzt in Erstaunen, zumal es sich bei Katz nicht nur um einen Historiker handelte - eine Berufsgruppe, die selten so populäre Figuren hervorbringt -, sondern auch noch um einen Ausländer.
Friedrich Katz war gebürtiger Wiener - und zweifellos der bedeutendste österreichische Lateinamerikaforscher. Dennoch blieb er hierzulande weitgehend unbekannt. Durch seine Arbeiten über die mexikanische Revolution hatte Katz für Mexiko wichtige Beiträge zur Identität des Landes geleistet. Schwankte man in der Beurteilung dieses einschneidenden Ereignisses lange zwischen patriotisch-ideologischer Verklärung einerseits und dem Abtun als bedeutungslose Bauernrevolte andererseits, schaffte es Katz, einen frischen, weltoffeneren Blick auf die Thematik zu eröffnen.
Marxistischer Hintergrund#
Dieser spezielle Blick, der die Forschungen von Katz auszeichnet, rührt von seiner Biografie her. 1927 als Sohn einer jüdischen Familie in Wien geboren, verließ Katz seine Heimat mit drei Jahren, als Beruf und Berufung seines Vaters - der journalistische Kampf gegen die NSDAP - die Familie nach Berlin führte.
Mit der Machtübernahme Hitlers flüchtete "Friedl" mit seinen Eltern über Frankreich in die USA. Dort erwies sich der marxistische Hintergrund der Familie - Katz selbst war bis in die Sechziger KPÖ-Mitglied - als problematisch. So verschlug es sie 1940 nach Mexiko, das dem jugendlichen Exilanten zur Wahlheimat wurde und ihn zum Historiker machte, wie Katz 2007 im Rückblick sagte.
Dennoch kehrt der damals 22-Jährige 1949 in seine Heimatstadt zurück, wo er 1954 mit einer Arbeit über die Soziologie der Azteken im Fach Völkerkunde promoviert. Doch ein marxistisch geprägter Jude ist im Österreich der Fünfziger nicht gern gesehen - wie herausragend seine Arbeit auch sein mag.
Katz ist bitter enttäuscht, fühlt sich ein weiteres Mal vertrieben und geht 1966 nach Ostberlin, wo der er eine Anstellung am Institut für Allgemeine Geschichte der Humboldt Uni bekommt. Seine Habilitationsschrift handelt von den deutsch-mexikanischen Beziehungen vor und während der Revolution. Katz' große Stärke: der Blick auf die Zusammenhänge, ohne dabei Details außer Acht zu lassen. Zudem ist er stets um Vergleiche bemüht, stellt Bezüge her und verbindet weltpolitische Machtverhältnisse mit sozialen Entwicklungen in der Bevölkerung.
Als einer der Ersten wendet er sich der Sozialgeschichte zu, die - in den Fünfzigern noch gleichgesetzt mit Marxismus - zunehmend an Bedeutung gewinnt. Obwohl Katz' Familienhintergrund großen Einfluss auf seine Arbeit hatte, argumentiert er nie ideologisch.
Von Ostberlin nach Chicago#
Nach einem zweijährigen Zwischenspiel als Gastprofessor an der Universidad Nacional Autónoma de México beendet Katz seine Tätigkeit in Ostberlin und vollzieht einen höchst ungewöhnlichen Wechsel: Er übersiedelt von der DDR in die USA und übernimmt eine Professur an der University of Chicago, wo er den Rest seiner akademischen Laufbahn verbringt. Hier erscheinen auch seine beiden wichtigsten Bücher: The Secret War in Mexico (1987) und The Life and Times of Pancho Villa (1998).
Diese beiden Werke sind es, die ihm die unverbrüchliche Liebe und Anerkennung der Mexikaner einbringen, denn sie treffen zwei wesentliche Aussagen: Die Mexikanische Revolution hat ihren Namen verdient und kann guten Gewissens in eine Reihe gestellt werden mit anderen Revolutionen der Weltgeschichte. Und sie hatte nicht nur für Mexiko selbst eine zentrale Bedeutung, sondern muss in einem internationalen Zusammenhang betrachtet werden.
So sehr Katz in seiner Heimatstadt in Vergessenheit geraten sein mag: Ziemlich genau 10.000 Kilometer von Wien entfernt hat er sich ins kollektive Gedächtnis eines Landes eingeschrieben.